Eine gemeinsame europäische Sprache? Deckenmalerei und Raumkünste an den europäischen Höfen um 1700

Eine gemeinsame europäische Sprache? Deckenmalerei und Raumkünste an den europäischen Höfen um 1700

Organisatoren
Bayerische Akademie der Wissenschaften, München; Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland (CbDD), Ludwig-Maximilians-Universität München; Hannover Herrenhausen
Ort
Hannover
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.09.2018 - 15.09.2018
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Von
Ulrike Seeger, Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart

Die vom Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland konzipierte und ausgerichtete internationale Tagung widmete sich dem Phänomen einer „gemeinsamen Sprache“ der europäischen Deckenmalerei, zu der diese spätestens um 1700 avancierte. Ziel des wissenschaftlichen Austausches war es, die Gemeinsamkeit dieser Sprache zu dokumentieren, knapp ihrer Herkunft nachzugehen sowie anhand von Fallbeispielen individuelle Ausprägungen, Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zu Wort kommen zu lassen.

Am Beginn standen zwei Referate zur Herkunft der um 1700 nach italienischem Vorbild raumbeherrschenden, thematisch eingängigen Deckengemälde, wofür neben Italien auch Frankreich in den Blick genommen wurde: THOMAS WILKE (Aachen), der den Beitrag Frankreichs anhand der Traktatliteratur charakterisierte, kam zu dem Ergebnis, dass erst die um 1700 dort entwickelte, sparsam stuckierte, mit wenig Gold gefasste Stuckdecke der Régence sich als Mode in ganz Europa durchsetzte. Hinsichtlich der Deckenmalerei bezog auch Frankreich seine wichtigsten Anregungen aus Florenz und Rom, wo Pietro da Cortona die Initialwerke schuf, die seine Mitarbeiter (etwa Romanelli in Paris), vor allem aber graphische Vorlagen (Carlo Cesio) nördlich der Alpen verbreiteten. STEFFI ROETTGEN (München / Florenz), die zur Deckenmalerei in Italien vortrug, stellte in Diskussionsbeiträgen den Qualitätsverfall der nur über Stiche, nicht durch eine akademische Ausbildung vermittelten italienischen Muster heraus.

Differenziert stellte sich das Bild bei den Reichsfürsten dar, wobei ULRIKE SEEGER (Stuttgart) mit der gänzlich freskierten Zimmerdecke eine seltene Spielart vorstellte, die einerseits durch gute Verbindungen nach Bologna (Prinz Eugen von Savoyen und Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden), andererseits durch das Bestreben nach Vielfalt und Hierarchisierung zur Kennzeichnung der Appartments (Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg) zum Zuge kam. Die protestantische Aneignung mythologischer, in Italien zuvor katholisch ausgedeuteter Stoffe demonstrierte HEIKO LASS (München) anhand des Galeriegebäudes in Hannover-Herrenhausen, das zugleich den Tagungsort abgab. Virtuos verkürzte Reiter des Venezianers Tommaso Giusti demonstrierten die Regierungsfähigkeit der Hannoveraner Kurfürsten über die Hohe Schule der Reitkunst, während die Aeneis als Schicksal der Menschenseele in ihrem irdischen Dasein begriffen wurde. Der Mainzer Kurfürst Lothar Franz von Schönborn nutzte das Medium der illusionistischen Wand- und Deckenmalerei, um in Bamberg und Pommersfelden seine Vision einer machtvollen, das Reich in seiner Einheit stärkenden Politik bildlich darzustellen. Hierfür den Begriff eines einheitlichen „Reichsstils“ zu gebrauchen, betrachtete UTE ENGEL (München) dennoch als kritisch, da trotz gemeinsamer Zielsetzungen das Reich von Variation und Polyphonie geprägt gewesen sei.

Der Kaiserhof war mit zwei Beiträgen vertreten, die geradezu paradigmatisch die Zugkraft der gemeinsamen Sprache um 1700 veranschaulichten: Während es sich bei der emblematischen Ausmalung der Grazer Katharinenkirche, die WERNER TELESKO (Wien) akribisch aufschlüsselte, um ein differenziertes, ohne theologische Erläuterungen nicht verständliches Programm zum Türkensieg von 1683 handelte, folgten die von HERBERT KARNER (Wien) erläuterten, heute teils verlorenen Deckenbilder im königlichen Jagdschloss Schönbrunn eingängigen, da auf nur einen Inhalt konzentrierten Darstellungsschemata. Im Großen Saal war gemäß einem lateinischen Gedicht von 1744 Austria hingestreckt vor Jupiter zu sehen, dessen Beistand erflehend. Im ehemaligen Audienzzimmer, das erst später zum Speisesaal und dann zum Treppenhaus umfunktioniert wurde, malte Sebastiano Ricci dramatisch mitreißend die Belohnung des siegreichen, den weltlichen Verlockungen widerstehenden Kriegs- und Tugendhelden alias Joseph I. Im Saal handelte es sich der Überlieferung nach um eine Stuckdekoration mit Einsatzbildern Johann Michael Rottmayrs; im Audienzzimmer dagegen um einen komplett freskierten Plafond. Von dieser Rekonstruktion ausgehend, entspann sich eine im Verlauf der Tagung immer wieder aufgegriffene Diskussion über das Prestige sowohl italienischer Künstler als auch der verschiedenen Gattungen. Hierzu nahm umfassend auch MARTIN MÁDL (Prag) am Beispiel des Olmützer Bischofspalastes Stellung.

Den Blick nach Schweden weiteten DORIS GERSTL (Erlangen / Regensburg) und MARTIN OLIN (Stockholm), wobei Gerstl den Militäradel mit seinem von David Klöcker von Ehrenstrahl 1675 nach römischen und venezianischen Vorbildern ausgemaltem Versammlungshaus Riddarhuset vorstellte, Olin dagegen den königlichen Hof vertrat. Für die Galerie Karls XI. im Stockholmer Residenzschloss Nikodemus Tessins war neben St. Cloud die Galerie des glaces in Versailles das große Vorbild. Die Galerie des glaces, mit ihrem Ludwig XIV. an der Decke ohne allegorische Verbrämung darstellenden Herrschaftsprogramm, stellte CHRISTINA STRUNCK (Erlangen) überzeugend als Ergebnis einer Darstellungskonkurrenz mit England dar. Für den anglikanischen Charles II. und seine katholische Gemahlin Katharina Henrietta von Braganza gestaltete der in Italien geschulte, aber auch in Frankreich bewanderte Antonio Verrio in Windsor Castle die Staatsgemächer. Im Audienzzimmer der Königin kam als Rollenbild das später in Pommersfelden aufgegriffene Thema der irdischen und himmlischen Venus zur Darstellung. Der König war in seinem Schlafzimmer als irdische Person an der Decke zu sehen, was – vermittelt über Stiche – den Darstellungsmodus der Versailler Galerie des glaces motiviert haben könnte. Im rezipierenden und konkurrierenden Zusammenspiel der Königreiche Schweden, England und Frankreich zeigte sich eindrucksvoll die Universalität der überkonfessionell einsetzbaren und zudem leicht verständlichen italienischen Bildsprache. Zuvor hatte LYDIA HAMLETT (Cambridge) mit einem Überblick über die nicht nur auf dem Kontinent wenig bekannte englische Wand- und Deckenmalerei des Barock den Boden hierfür bereitet.

Weitere Königreiche kamen mit Spanien (SARA FUENTES, Madrid), Polen (KONRAD PYZEL, Warschau) und Norwegen (THOMAS LYNGBY, Hillerød) zu Wort. Der nach einer Königskrone Ausschau haltende Vittorio Amedeo II. von Savoyen ließ sich in seiner 1690–95 von Daniel Seiter ausgemalten Galerie im Ostflügel des Turiner Palazzo Reale als kriegerischer Held darstellen, der von Jupiter in den Olymp aufgenommen wird. Das Bildschema der Apotheose hatte um 1700 Konjunktur, doch brachte Vittorio Amedeo damit vermutlich seine von ELISABETH WÜNSCHE-WERDEHAUSEN (München) betonte Sonderstellung als Reichsfürst zum Ausdruck, die ihn aus dem Kanon der italienischen Fürstenhäuser heraushob. Künstlerisch blieb er der römischen Monumentalmalerei treu, indem seine Wunschvorstellungen zunächst bei Andrea Pozzo und Carlo Maratta lagen.

Zur Abrundung und Ausdifferenzierung der italienischen Errungenschaften der Deckenmalerei stellte MARTINA FRANK (Venedig) abschließend wegweisende Ausstattungen des venezianischen Villen- und Palastbaus vor. In der speziellen Theatertradition Venedigs bildeten sich hier besonders raumgreifende Effekte heraus, denen offenbar auch die Ausmalung der Herrenhauser Galerie als freistehendem Festgebäude zuzurechnen ist. Im zerstörten und nur unzureichend dokumentierten hannoverischen Residenzschloss finden sich hingegen verhaltenere Deckendekorationen.

Als Ergebnisse der sehr dichten, gut besetzen und zur Klärung prinzipieller Fragen anregenden Tagung darf man festhalten, dass die Gemeinsamkeit der „Sprache an der Decke“ die Konkurrenz feinsinnig, konfessions- und länderübergreifend werden ließ. Künstlerisch war Italien das große Vorbild. Hier hat man zur Ausdifferenzierung der Rezeptionsgeschichten die verschiedenen Zentren zu unterscheiden, die jeweilige Art der Künstlerausbildung, die jeweiligen Schwerpunkte der Themen und Darstellungsmodi sowie die Art ihrer Verbreitung, sei es über Künstler oder über Reproduktionsgraphiken.

Konferenzübersicht:

Steffi Roettgen (München): Götterhimmel und Theatrum sacrum - zur Erfolgsgeschichte der Deckenmalerei im barocken Italien

Thomas Wilke (Aachen): Französisch – die gemeinsame europäische Sprache!? Innendekoration und Deckenmalerei am französischen Hof um 1700

Ulrike Seeger (Stuttgart): „weil es dauerhaffter ist und lufftiger aussiehet“. Die gänzlich freskierte Zimmerdecke um 1700 – Modus oder Medium?

Heiko Laß (München): Das Galeriegebäude in Herrenhausen, die Stellung des Hannoversche Hofs um 1700 und seine Wand- und Deckenmalerei

Sara Fuentes (Madrid): The Works of Luca Giordano to the Service of Charles II around 1700 (Manuskript wurde verlesen)

Herbert Karner (Wien): Austria vor Jupiter: Deckenbildnerei in Schloss Schönbrunn um 1700

Werner Telesko (Wien): Thematische Multiperspektivität. Die Grazer Katharinenkirche und das Haus Habsburg um 1700

Martin Mádl (Prag): The Palace of Prince Bishop Carl II of Lichstenstein-Castelcorn in Olomouc and Its Decoration

Andrzej Kozieł (Breslau): A Jesuit Academy as a Symbol of Habsburgian Power. The Building of the University of Wrocław and Its Fresco Decoration

Ute Engel (München): Deckenmalerei und „Schönbornscher Reichsstil“? Lothar Franz von Schönborn als Auftraggeber in Bamberg, Mainz und Pommersfelden

Konrad Pyzel (Warschau / Wilanów): King Jan III Sobieski’s Wilanów Residence. Universal Patterns, Universal Stories – Unique Iconographical Message?

Doris Gerstl (Erlangen / Regensburg): Aristokratie versus Monarchie? Zu Klöckner von Ehrenstrahls Deckenbild im Stockholmer Riddarhuset

Martin Olin (Stockholm): War and Peace: Jacques Foucquet’s Paintings in the State Apartment of the Royal Palace in Stockholm

Thomas Lyngby (Hillerød): The Audience Chamber of Frederiksborg Palace

Alexander Dencher (Leiden): Daniel Marot as a designer of Wall and Ceiling-Painting in the Age of William & Mary

Lydia Hamlett (Cambridge): Mural Cycles of the Later Stuart Courts: Continental Influences and British Reception

Christina Strunck (Erlangen): Flammende Liebe, höfische Intigen und internationale Politik. Antonio Verrios Ausmalung der Queen's Audience Chamber in Windsor Castle

Elisabeth Wünsche-Werdehausen (München): Genealogie versus Mythologie: Die Galleria di Daniele im Palazzo Reale und die Tradition savoyischer Raumausstattung in Turin

Martina Frank (Venedig): Neue Decken für neue Räume. Der Wandel im venezianischen Palast- und Villenbau


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