Demokratisierung des Kunstbetriebs? Transformationsprozesse zwischen Ost und West 1960-1990

Demokratisierung des Kunstbetriebs? Transformationsprozesse zwischen Ost und West 1960-1990

Organisatoren
Martin Hartung, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich; Norma Ladewig, Freie Universität Berlin; Abteilung Forschung und wissenschaftliche Kooperation der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD)
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.11.2019 - 11.11.2019
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Von
Lydia Bucher, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Fragen nach Demokratisierung der Kunst und des Kunstbetriebs stellten sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowohl in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in der DDR. In beiden Staaten und unter verschiedenen Systembedingungen keimten Bestrebungen in Richtung demokratischer Prinzipien wie Freiheit, Gleichheit, Partizipation und Pluralismus im Rahmen der Kunst auf. Die von der Fritz Thyssen Stiftung geförderte Tagung lieferte empirische Beispiele, die eine vergleichende Perspektive auf Auslegungen, Realisierungsversuche und tatsächliche Umsetzungen von Demokratisierung im Kunstbetrieb der DDR sowie der Bundesrepublik ermöglichte. So eröffneten sich Perspektiven auf historisch variable Demokratiebegriffe und -diskurse.

Der Auftakt der Tagung verband sich mit der Veranstaltungsreihe Zukunftsforum im Rahmen der Ausstellung Die Erfindung der Zukunft im Japanischen Palais der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Gilbert Lupfer (Dresden), Leiter der Abteilung Forschung und wissenschaftliche Kooperation der SKD, diskutierte mit den Kunsthistorikerinnen Nora Sternfeld und Monica Juneja und der Generaldirektorin der SKD Marion Ackermann über die Fragen „Wer schreibt wessen Kunstgeschichte?“ und „Wie sieht das demokratische Museum von morgen aus?“.

NORA STERNFELD (Kassel) warf zunächst einen Blick auf die Revolutionsgeschichte der Museen. Sie sah in der Wiederaneignung der Dinge im Zuge der Französischen Revolution einen Moment der Demokratisierung: Die Kunst gehörte fortan nicht mehr ausschließlich dem Adel, den Herrschern und der Kirche, sondern auch und vor allem dem Citoyen (verstanden als wohlhabender, weißer, französischer Mann). Ihm diente das Museum als Ort der Identitätsbildung. Vor diesem Hintergrund forderte Sternfeld eine Hinterfragung des Konzepts des Museums zugunsten einer Radikaldemokratisierung des Sammelns, Bewahrens, Forschens, Ausstellens und Vermittelns. Sie verortete die Museen zukünftig fernab von institutionellen Bindungen, als offene Orte der demokratischen Aushandlung, an denen Menschen und Dinge aufeinandertreffen und Imaginationen der Zukunft möglich werden. In diesem Sinne sollten Museen allen gehören.

MONICA JUNEJA (Heidelberg) betonte in der historischen Perspektive das gleichzeitige Aufkommen der Museen und der Kunstgeschichte, die bis heute nicht getrennt voneinander zu denken seien. Für eine neue Geschichtsschreibung der Museen schlug Juneja die Verknüpfung mit dem Forschungsbereich der Globalen Kunstgeschichte vor. Letztere nehme nicht in Anspruch, eine weltumfassende Kunstgeschichte zu schreiben, sondern verorte sich postkolonial und quer zur nationalzentrierten Historiografie. Kultur sei schließlich nicht aus Nationengrenzen und festen Identitätszuschreibungen, sondern aus transkultureller Verflechtung erwachsen. Die Entnationalisierung der Kunstgeschichte ziehe folglich auch die der Museumsgeschichte nach sich. Entsprechend sollten Museen der Zukunft konventionelle Betrachtungsweisen irritieren. Vom Ort des stillen Betrachtens solle das Museum zum Ort der Kommunikation und der demokratischen Teilhabe werden, an dem Visionen und Alternativen für die Zukunft Gestalt annehmen können.

MARION ACKERMANN (Dresden) verortete das ideale Museum ebenfalls innerhalb der Möglichkeiten einer Demokratisierung seiner institutionellen Bedingungen. Sie betonte Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Multiperspektivität und die didaktische Rolle musealer Einrichtungen. Museen sollten Neugierde und Innovation entfachen und die künstlerische Produktion „mit der Hand am Material“ fördern, um in einer technisierten Welt die Frage zu erlauben, was den Menschen eigentlich ausmache. Unter Generationengerechtigkeit verstand sie die Dekolonisierung der Zukunft in einem Sinne, der die derzeitige Aushandlung über relevante Themen der Zukunft nicht zementiert, sondern reflektiert. In der Entwicklung neuer Konzepte des shared heritage sah Ackermann Potenzial zur Kooperation von Museen weltweit, hob allerdings gleichzeitig die Bedeutung lokal orientierter Projekte und Anbindungen hervor.

Am darauffolgenden Tag eröffneten Norma Ladewig und Martin Hartung die Tagung. In ihrer Einleitung arbeiteten sie heraus, dass der Demokratiebegriff in historisch variablen Kontexten mit unterschiedlichen Bedeutungen gefüllt war. Für den hier sondierten Zeitraum wurde die Hypothese zugrunde gelegt, dass neben der Bundesrepublik auch in der DDR Demokratisierungsversuche aufkamen, etwa im Zusammenhang mit der betrieblichen Kulturarbeit oder der Laienkunstförderung. Die Tagung werde Fallstudien aus beiden Staaten gegenüberstellen und nach Verflechtungen und Transferprozessen suchen, um die bildende Kunst für eine shared history zu erschließen und als Schauplatz politischer Kultur ernstzunehmen.

Im Rahmen der Tagung wurden ausgewählte Dokumente aus dem Archiv der Avantgarden (AdA) der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gezeigt, das in seiner Sammlung von 1,5 Millionen Objekten eine Vielzahl von Materialien zur Fragestellung der Demokratisierung von Kunst und Kunstbetrieb beherbergt. Die gezeigten Archivmaterialien konzentrierten sich auf die Aushandlung demokratischer Grundprinzipien im westdeutschen Kunstbetrieb im Zeitraum zwischen 1960 und 1990, insbesondere auf die Aktivitäten von Joseph Beuys. Martin Hartung begründete und kontextualisierte diese Auswahl in seiner Einleitung: Joseph Beuys‘ künstlerische Erscheinung begleiteten zahlreiche Debatten um Autonomie und gesellschaftliche Funktionen von Kunst. Die politische Überzeugung des Künstlers von der direkten Demokratie rieb sich in diesem Spannungsfeld sowohl an kapitalistischen Mechanismen des Kunstmarkts als auch am Parteiensystem der Bundesrepublik.

Im ersten Panel der Tagung standen Demokratisierung und Partizipation im Ausstellungsbetrieb im Fokus. CHRISTIAN SAEHRENDT (Thun) beschäftigte sich mit der herausragenden Stellung der documenta-KuratorInnen. Seit 1972 dominiere das Format der Thesenausstellung: Ein Kurator bzw. eine Kuratorin verfolge die Absicht, eine zeitdiagnostische These zu illustrieren und zu untermauern, und wähle zu diesem Zweck ohne öffentliche Ausschreibung KünstlerInnen und Kunstwerke aus. Diese von Saehrendt polemisch als „Diktatur“ bezeichnete Autorität und Ausschlussmacht der KuratorInnen resultiere in der Kontrolle des künstlerischen Arbeitsprozesses und sei auf vielseitige Kritik gestoßen. Auf Basis von Recherchen im documenta-Archiv Kassel nahm Saehrendt insbesondere unaufgefordert eingesandte Mappen, Kataloge und Manuskripte in den Blick. Die Zahl der ohne Aussicht auf Erfolg eingereichten Selbstbewerbungen sei bis heute kontinuierlich gestiegen. Ihre Betrachtung gebe den Blick auf eine Gegenkunstgeschichte frei, die zeige, dass der Aufstieg der KuratorInnen von gegenläufigen Entwicklungen und dem Wunsch nach Teilhabe begleitet wurde.

ANGELIKA WEISSBACH (Berlin) widmete sich anhand der AG Leonhardi-Museum Dresden bildenden KünstlerInnen in der DDR, die selbst als KuratorInnen tätig wurden. Im Zeitraum zwischen 1963 und 1990 schlossen sich KünstlerInnen immer wieder zu Arbeitsgruppen zusammen, um insgesamt mehr als einhundert Ausstellungen im großen Saal des Leonhardi-Museums zu veranstalten. Kern der Arbeit der AG waren Einzelausstellungen meist junger KünstlerInnen, die ihr Werk abseits des offiziell vorgegebenen Weges entwickelten. Den institutionellen Anbindungen und zunehmenden Kontrollmechanismen der DDR zum Trotze sei es der AG gelungen, Eingriffe in die inhaltliche Ausstellungsarbeit fernzuhalten und ihre kreative Dynamik und Kompetenz demokratisch zu bündeln, um einen nachhaltigen Freiraum innerhalb des Kunstbetriebs der DDR zu schaffen und für sich zu nutzen.

PAULA-MARIE KANEFENDT (Leipzig) und THOMAS LAND (Erfurt) setzten sich mit der Theorie und Praxis von Demokratisierung anhand des Westberliner Kunstvereins neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) zwischen 1969 und 1990 auseinander. Als Gegenmodell zum bürgerlichen Kunstverein sollte die nGbK durch eine basisdemokratische Arbeitsweise und partizipatorische Vereinspraxis die Demokratisierung im Kunstbetrieb verfolgen, die sie in der „bürgerlichen Gesellschaft“ nicht erreicht sah. Innerhalb der nGbK seien vorwiegend didaktische Ausstellungskonzepte, neue Präsentationsformen und Kataloge mit didaktischen Zielsetzungen entwickelt worden. In den 1970er-Jahren traten zeitgenössische, feministische und queere Kunst- und Ausstellungskonzepte sowie Themen der Friedensbewegung und Nachbarschaftsinitiativen in den Vordergrund. Kanefendt und Land betrachteten den Anspruch der nGbK, ein basisdemokratisches Vereinsmodell zu etablieren, als ein erfolgreiches, die Demokratisierung des gesamten Kunstbetriebs allerdings als ein gescheitertes Vorhaben.

EDITH RAIM (Augsburg) illustrierte anhand der Bayerischen Akademie der Schönen Künste einen Fall verweigerter Demokratisierung. Seit der Gründung 1948 habe die Akademie nach Zuwahl KünstlerInnen aus den Bereichen Architektur, bildende Kunst, Literatur und Musik angezogen, die durch Gutachten und Preisvergaben das Kunstleben Münchens und Bayerns, wenn auch in geringem Maße, beeinflussten. Raim stufte sie als hartnäckige alte Elite mit reaktionärem Denken und Verhalten ein: Weder wurden neue Kunstbewegungen gefördert noch AußenseiterInnen (Frauen, jüngere KünstlerInnen, EmigrantInnen, Jüdinnen oder Juden sowie nach 1989 Menschen aus der DDR) gewählt, stattdessen rekrutierten sich die Mitglieder auf Lebenszeit aus Netzwerken. Demokratisierung und Forderungen danach seien praktisch ungehört geblieben und gesellschaftliche Prozesse, kunstpolitische Entscheidungen oder die Kunstpraxis mit der dort versammelten Elite nicht vereinbar gewesen. Erst die Studentenbewegung ab 1968 habe einen langsamen Demokratisierungsprozess in Gang gesetzt, in dessen Folge sich die Mitgliederaufnahme- und Preisvergabepraktiken öffneten.

Im zweiten Panel zur Demokratisierung der Kunstproduktion sprach PAUL KAISER (Dresden) zunächst über Demokratisierungsversuche und Partizipationschancen von ArbeiterInnen im DDR-Kunstbetrieb der 1960er- und 1970er-Jahre. Er rekonstruierte die seiner Ansicht nach „historisch einzigartig erscheinende Begegnungsdichte und Allianzbildung zwischen bildenden KünstlerInnen und IndustriearbeiterInnen“ seit den frühen 1960er-Jahren. Empirische Beispiele entnahm er dem Umkreis der SDAG Wismut mit Stammsitz in Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz. Die folgenreiche Begegnung von Kunstschaffenden und Werktätigen sei Ergebnis neuer Verhältnisse in der Kunstproduktion gewesen: Die ArbeiterInnenklasse trat als Auftraggeberin, zentrales Thema sowie Hauptadressatin dreifach in Erscheinung. Im umfassenden Auftrags- und Ankaufsystem der DDR-Planwirtschaft führte das auf die Zielgruppe ausgerichtete Kunstprogramm zu einer unweigerlichen systemischen Verkoppelung von ArbeiterInnen und KünstlerInnen und vollzog sich nicht nur im klassischen Arbeitsraum der KünstlerInnen oder vor Ort in den Kombinaten und Betrieben. Unter den kulturpolitischen Leitlinien entstanden so neue Bildprogramme, die Betriebe direkt in die Kunstproduktion einbanden und dazu beitrugen, dass einst kunstferne Menschen mit bildender Kunst in Berührung kamen und diese entscheidend prägten. Insofern sprach Kaiser von einer Demokratisierung, allerdings im sozialistischen Sinne.

BJÖRN EGGING (Dresden) behandelte die künstlerische Strategie in der Druckgrafik KP Brehmers. Politisch argumentierender Künstler und gelernter Reproduktionstechniker, standen massenmediale Bilder und ihre Distributionswege und Manipulationsstrategien im Fokus von Brehmers Interesse und seiner Kritik. Die Motive seiner Druckgrafiken, Klischeedrucke und Briefmarkenarbeiten der 1960er-Jahre entnahm er aus massenmedialen, Presse- oder Werbekontexten und bezeichnete sie selbst als Trivialgrafiken. Entsprechend konzipierte er die Auflagezahlen seiner Werke in unbegrenzter Höhe. Eingebettet in Entwicklungen künstlerischer Strömungen seit dem Ende der 1950er-Jahre, insbesondere im Kontext der Kunstrichtungen Pop und Fluxus, lasse Brehmers Werk Rückschlüsse auf sein Verständnis von künstlerischer Autonomie, Originalität, Kopie, Unikaten, traditionellen Techniken, Institutionen und künstlerischen Produktionsbedingungen zu. Unter der demokratischen Losung „Kunst für die Massen“ hinterfragte Brehmer in seiner egalitär gedachten Kunst Missstände in der westdeutschen (Konsum- und Wohlfahrts-)Gesellschaft.

Das dritte Panel nahm sich der Demokratisierung auf dem Kunstmarkt an. DOROTHEE WIMMER (Berlin) setzte sich mit Partizipation als antiautoritärem Demokratisierungsprinzip auseinander und betrachtete künstlerische Veränderungsprozesse um 1960 anhand von Niki de Saint Phalle, Yves Klein und den Nouveaux Réalistes. Die transformativ partizipatorische Veränderung bestand laut Wimmer in der Dekonstruktion des Malens als Akt des individuellen Handelns, verbunden mit einem neuen Menschenbild fern von Hierarchisierungen und autoritären Zügen. Die Kunsterzeugung sollte möglichst von der individuellen und somit autoritären Handschrift der KünstlerInnen getrennt werden. Dieser antiautoritären Loslösung des künstlerischen Subjekts vom Werk setzten die KünstlerInnen paradox erscheinende persönliche, teils öffentliche Inszenierungen entgegen, um sich selbst nichtsdestotrotz mit der Kunst in Verbindung zu bringen. Yves Klein verwirklichte sein Ziel der Immaterialisierung des Subjekts in der Kunst, indem er menschliche (meist weibliche) Körper unter seiner Regie als Pinsel einsetzte. Niki de Saint Phalle überließ für ihre „blutigen Bilder“ anderen Menschen ohne Anweisung ein Gewehr, mit dem diese auf mit versteckten Farbbeuteln präparierte Leinwände schossen.

MARTIN HARTUNG (Zürich) sprach über die Protestaktion „Wir betreten den Kunstmarkt“ aus dem Jahr 1970, die im Kontext des Kölner Kunstmarkts und der frühen Messen für zeitgenössische Kunst erprobte, wie das Element der Kritik beim Ruf nach Demokratisierung im Kunstsystem produktiv genutzt werden konnte und letztlich dem exklusiven Kunstgeschehen weniger entgegenstand als vielmehr auf dessen Etablierung hinwies. Die unter anderem von Joseph Beuys angeführte Aktion brachte ein Beharren auf demokratischen Prinzipien in der Kunst zum Ausdruck, indem die Teilnehmenden am Eröffnungstag des Kölner Kunstmarkts lautstark Einlass forderten, der ihnen letztlich gewährt wurde. In einem Akt der künstlerischen Selbstdarstellung und von medialer Aufmerksamkeit begleitet, sei so der Wunsch nach Teilhabe am Marktgeschehen buchstäblich und metaphorisch artikuliert worden. Der Kunsthändler und Mitgründer des Kölner Kunstmarkts Rudolf Zwirner interpretierte Beuys‘ Engagement bei der Aktion nicht als den Wunsch nach gleichen Marktchancen für alle HändlerInnen und KünstlerInnen, sondern als Doppelmoral einer marktstrategischen Selbstinszenierung – schließlich habe Beuys‘ Kunst den Markt längst mit großem kommerziellem Erfolg betreten. Hartung verwies demgegenüber auf Beuys‘ Wirken auch jenseits der eigenen Interessen. Er und seine Mitstreiter hätten auf nachhaltige soziale Veränderungen gedrängt.

NORMA LADEWIG (Berlin) fragte nach der gesellschaftlichen Rolle der bildenden Künste im westdeutschen Wohlfahrtsstaat der 1960er- und 1970er-Jahre und klopfte die Debatten über die Alterssicherung bildender KünstlerInnen nach Demokratisierungsansätzen ab. Sie zeichnete den Wandlungsprozess der Diskurse über die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die soziale Sicherheit von KünstlerInnen von der Gründung der Deutschen Künstlerhilfe 1953 über die Urheberrechtsreform 1965 bis hin zum Künstlersozialversicherungsgesetz 1981. Die Auseinandersetzungen über die jeweiligen Gesetzesänderungen seien stets von Diskussionen begleitet gewesen, die zeitgenössische Vorstellungen von künstlerischer Arbeit sowie ihrer Stellung in der Gesellschaft offenbarten und um die Rolle von Staat und (Kunst-)Markt in der Versorgung von KünstlerInnen rangen. Das demokratische Prinzip der künstlerischen Freiheit habe im Aushandlungsprozess um sozialstaatliche Regelung eine Umwertung zugunsten eines erweiterten Konzepts erfahren, das materielle Absicherung voraussetzte.

Die Tagung versammelte Beiträge von WissenschaftlerInnen aus unterschiedlichen Disziplinen, die den Demokratiebegriff im Feld der bildenden Kunst zu historisieren vermochten. Die Fallstudien illustrierten künstlerische Aushandlungsprozesse um Demokratisierungssemantiken der 1960er- bis 1980er-Jahre und verorteten diese in übergreifenden Phasen von Demokratisierungsdebatten in der Bundesrepublik und in der DDR. Die Diskussionen verrieten ein großes Interesse an Fragen nach strukturellen Machtverhältnissen in der Gesellschaft und somit auch im Kunstbetrieb. Viele Analysen bieten Anknüpfungspunkte für postkoloniale, gender- und klassenzentrierte Perspektiven, die vom Publikum an vielen Stellen aufgerufen wurden. Ein Befund lautete, dass die Beiträge überwiegend Männer zu Protagonisten hatten. Welche historischen Bedingungen begünstigten vorwiegend weiße, privilegierte Cis-Männer, Ausschlussmechanismen im Kunstbetrieb zu etablieren, aufrechtzuerhalten und zu fördern? Wen hatten diese Männer im Blick, als sie zu unterschiedlichen Zeiten Demokratisierungsforderungen stellten? Wer nahm an diesen Debatten teil, wer nicht? Welche Bedeutung hatten die jeweiligen Demokratiebegriffe und -diskurse für FLTI-Personen und BIPoCs? Entlang herrschaftskritischer Leitgedanken könnten die von der Tagung aufgeworfenen Fragen weiterführend systematisch an die einzelnen Fallstudien angelegt werden. Gerade danach fragten die OrganisatorInnen der Tagung: Wer bestimmt, was in einer Ausstellung hängt? Für wen und von wem soll Kunst gemacht werden? Wie sollen Geld und Aufmerksamkeit verteilt werden? Kann der Kunstmarkt demokratisch sein?

Konferenzübersicht:

Gilbert Lupfer (Dresden), Monica Juneja (Heidelberg), Nora Sternfeld (Kassel), Marion Ackermann (Dresden): Zukunftsforum: Wer schreibt wessen Kunstgeschichte? Wie sieht das demokratische Museum von morgen aus?

Norma Ladewig (Berlin), Martin Hartung (Zürich): Einführung

Panel 1: Demokratisierung und Partizipation im Ausstellungsbetrieb
Moderation: Agnes Matthias (Dresden)

Christian Saehrendt (Thun): Der Kurator als Diktator. Die provozierende Macht der documenta-Chefkuratoren – Eine Recherche im Kasseler documenta-Archiv

Angelika Weißbach (Berlin): Künstler als Kuratoren. Die AG Leonhardi-Museum in Dresden (1963-1990)

Paula-Marie Kanefendt (Leipzig), Thomas Land (Erfurt): Theorie und Praxis der Demokratisierung anhand des Westberliner Kunstvereins neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) von 1969 bis 1990

Edith Raim (Augsburg): Verweigerte Demokratisierung (am Beispiel der Bayerischen Akademie der Schönen Künste)

Panel 2: Demokratisierung der Kunstproduktion
Moderation: Gilbert Lupfer (Dresden)

Paul Kaiser (Dresden): Folgenreiche Begegnung. Demokratisierungsmotive von Künstlern und Partizipationschancen von Arbeitern im DDR-Kunstbetrieb der 1960er/70er-Jahre

Björn Egging (Dresden): Trivialgrafik und Massenauflage. Zur künstlerischen Strategie in der Druckgrafik KP Brehmers

Panel 3: Demokratisierung auf dem Kunstmarkt
Moderation: Romy Kraut (Dresden)

Dorothee Wimmer (Berlin): Niki de Saint Phalle, Yves Klein und die Nouveaux Réalistes. Partizipation als antiautoritäres Demokratisierungsprinzip?

Martin Hartung (Zürich): „Wir betreten den Kunstmarkt“. Zur Erprobung von Demokratie in den Anfangsjahren der Kölner Kunstmesse

Norma Ladewig (Berlin): Freiheit und Gerechtigkeit in den westdeutschen Debatten um Alterssicherung bildender Künstler in den 1960er und 1970er Jahren