Forum: C. Mathieu / I. Vogel (Stabi Berlin): FID Recht

Von
Christian Mathieu / Ivo Vogel, Staatsbibliothek Berlin

Über den Fachinformationsdienst für internationale und interdisziplinäre Rechtsforschung, der sich neben den Rechtswissenschaften auch der Rechtsgeschichte widmet, haben wir mit Christian Mathieu, Fachreferent an der Staatsbibliothek zu Berlin, und Ivo Vogel, dortiger Leiter des FID, ein schriftliches Interview geführt.

H-Soz-Kult: Vielen Dank an Sie für Ihre Bereitschaft zu einem kurzen Bericht über den derzeitigen Stand im Fachinformationsdienst für internationale und interdisziplinäre Rechtsforschung (FID). Können Sie kurz die wichtigsten Angebote des FID skizzieren, welche neuen Dienste wurden seit 2016 entwickelt?

Wie im Rahmen des ersten Diskussionsforums bei H-Soz-Kult angekündigt,1 wurde das Serviceportfolio unseres FID mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in den vergangenen Monaten ausgeweitet. Ihren augenfälligsten Ausdruck fand die Transformation des ehemaligen Sondersammelgebiets Recht (SSG) in einen FID in der Umgestaltung seiner zentralen Webpräsenz. Gemäß der konzeptionellen Neuausrichtung auf den Informationsspitzenbedarf der internationalen und interdisziplinären Rechtsforschung wurde der generische Titel Virtuelle Fachbibliothek Recht zu Gunsten von Virtuelle Fachbibliothek <intR>² https://vifa-recht.de/ aufgegeben.

Neben einer Suchmaschine für juristische Informationsressourcen und Neuerscheinungsübersichten stehen dort weitere Dienste zur Verfügung, die sich auch und gerade an rechtshistorisch Forschende richten: So wird ein personalisierter Fernleihservice für aktuelle Monographien und Sammelwerke aller Disziplinen aus den Beständen der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) flankiert von einem virtuellen Lesesaal https://vifa-recht.de/service/direkter-leihverkehr/. Über diesen macht der FID zahlreiche, teilweise in Deutschland bislang kaum erhältliche elektronische Produkte zugänglich – darunter etwa die Datenbanken Oxford Constitutions of the World, Entscheidungen des Reichsgerichts in Straf- und Zivilsachen (1880 bis 1945) sowie die rechtswissenschaftlichen Brill Research Perspectives, ein Bündel von Übersichtszeitschriften https://vifa-recht.de/service/virtueller-lesesaal/ mit transdisziplinärem Profil. Zudem ist die Integration weiterer Volltextdatenbanken zur Rechtsgeschichte der USA in Planung.

In Ergänzung dieser beiden Angebote bedient der FID die überregionale Nachfrage nach rechtshistorisch relevanten Quellen und Forschungsliteratur aus dem gemeinfreien Bestand der SBB mit einem On-Demand-Digitalisierungsdienst https://vifa-recht.de/service/digitalisierung-on-demand/, dessen Fokus auf Werke mit Erscheinungsjahr zwischen 1501 und 1920 ausgedehnt wurde. Neuerdings ist auch die Digitalisierung noch urheberrechtsbewehrter Monographien und Sammelwerke möglich, sofern sie vor 1966 in deutschen Verlagen erschienen und bei der Deutschen Nationalbibliothek als vergriffene Werke registriert sind. Ein komfortables Browsing durch den juristischen Altbestand der Staatsbibliothek zu Berlin ermöglicht die für die Onlinenutzung aufbereitete Systematik des Alten Realkatalogs.2

H-Soz-Kult: Wie wird für die Entwicklung Ihrer Online-Angebote die Fachcommunity einbezogen? Welche Rolle übernehmen Fachverbände und Beiräte?

Profilprägendes Leitbild des FID sind die 2012 als Ergebnis eines zweijährigen Evaluierungsprozesses durch den Wissenschaftsrat skizzierten Perspektiven der Rechtswissenschaft in Deutschland3, ein Positionspapier, in dem im Wesentlichen für die Aufwertung der juristischen Grundlagenfächer, die Förderung der Interdisziplinarität rechtwissenschaftlicher Forschung sowie deren stärkere Internationalisierung plädiert wird. Auf Grundlage sowohl dieser wissenschaftspolitischen Orientierung als auch unter Berücksichtigung der Förderziele der DFG wurden alle Angebote des FID in enger Abstimmung mit der rechtswissenschaftlichen Fachcommunity an Universitäten, Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen in Deutschland ausdifferenziert. Angesichts des hohen institutionellen Ausbaugrads von knapp 1.500 Professuren sowie mit Blick auf die Heterogenität der Disziplin erklärt sich denn auch die Entscheidung, das gesamte analoge wie digitale Serviceportfolio des FID auf das Segment der internationalen und interdisziplinären Rechtsforschung zu fokussieren. Während in der ersten Förderperiode die Einbeziehung der Fachcommunity vornehmlich über Online-Umfragen erfolgte, wird dieses Feld aktuell von einer exklusiv mit Kommunikationsaufgaben betrauten Projektkraft bespielt, die insbesondere die bestehenden Kontakte zu rechtswissenschaftlichen Fachgesellschaften vertiefen soll – namentlich durch Teilnahme an deren Jahrestagungen und Veranstaltungen. Die Gründung eines Beirats, von dem wichtige Impulse zur Weiterentwicklung zu erwarten sind, steht kurz bevor.

H-Soz-Kult: Welche Lizenz- und Erwerbungsmodelle haben Sie entwickelt, wie gestaltet sich der Übergang vom umfassenden SSG-Erwerbungsmodell zum Nutzungs- bzw. bedarfsgesteuerten Betrieb? Welche Überschneidungen zu anderen FIDs haben sich in der Praxis ergeben und wie stimmen Sie Lizenzierung und Erwerb ab?

Wie bereits angesprochen, ermöglicht der FID mit Unterstützung des Kompetenzzentrums für die Lizenzierung elektronischer Ressourcen interessierten Forschenden in ganz Deutschland Zugriff auf ein Bündel von hochspezialisierten Datenbanken und elektronischen Zeitschriften mit geringer Marktdurchdringung. Mit Blick sowohl auf die Breite der potentiellen Zielgruppe im Massenfach Rechtswissenschaft als auch auf die teils prohibitiven Preisvorstellungen der kommerziellen juristischen Fachverlage waren der Entwicklung innovativer Modelle jenseits der „klassischen“ FID-Lizenzen enge Grenzen gesetzt. Was hingegen das angesprochene Feld des nutzungsgesteuerten Bestandsaufbaus (Patron Driven Acquisition) anbetrifft, so konnte das bereits während der initialen Transformationsphase realisierte Angebot, die Erwerbung italienischer Buchpublikationen zur internationalen und interdisziplinären Rechtsforschung direkt über die Suchmaschine des FID oder den Online-Katalog der SBB auszulösen, inzwischen auf französischsprachige Werke ausgeweitet werden. In beiden Fällen ist bis auf Weiteres freilich nur eine Beschaffung gedruckter Monographien, Kommentare und Sammelwerke möglich, muss doch die deutschlandweite virtuelle Fernleihe von E-Books nach wie vor als Desiderat gelten. Durch die enge Abstimmung mit dem thematischen benachbarten FID Kriminologie an der Universitätsbibliothek Tübingen sowie mit dem Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft – ZBW in Hamburg und Kiel sind Doppelerwerbungen weitestgehend ausgeschlossen.

H-Soz-Kult: Welche Rolle spielen digitale Ressourcen (ebooks, Fachdatenbanken) und Open-Access Aktivitäten in Ihrem FID?

Die Etablierung des Open Access-Paradigmas in den Rechtswissenschaften ist dem FID ein wichtiges Anliegen, das er sowohl mit eigenen Informationsveranstaltungen bzw. der Unterstützung von Tagungen4 zu befördern sucht, als auch mit dem Betrieb von <intR>²Dok https://intr2dok.vifa-recht.de/, des ersten juristischen Fachrepositoriums in Deutschland für die (Zweit)Veröffentlichung von Textbeiträgen, wissenschaftlichen Blogposts, Konferenzaufzeichnungen und Forschungsdaten. In der Absicht, dabei auch die Rezeption von grauer Forschungsliteratur zu steigern, hat der FID ein Pilotprojekt zur Digitalisierung und Open Access-Zugänglichmachung der bislang nur gedruckt vorliegenden Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung realisiert – ein Vorhaben, das sich ausdrücklich als Einladung an andere rechtswissenschaftliche Fachgesellschaften versteht und durch die Deutsche Gesellschaft für internationales Recht in Hinblick auf die Digitalisierung der Mitteilungen Ihrer Vorgängerinstitution, der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, für die Jahre 1918 bis 1927 bereits dankbar angenommen wurde.5 Auch der expansiven rechtswissenschaftlichen Blogosphäre widmet der FID hohe Aufmerksamkeit, trägt sie doch maßgeblich dazu bei, die Akzeptanz des Open Access-Paradigmas in den Rechtswissenschaften zu befördern. Konkret ist damit ein seit Jahresbeginn 2018 produktiver Blog-Aggregator angesprochen, der die Inhalte ausgewählter deutsch-, englisch- und französischsprachiger Wissenschaftsblogs aus allen Bereichen der internationalen und interdisziplinären Rechtsforschung gebündelt oder in tagesaktuellen Tranchen präsentiert: https://vifa-recht.de/informieren/blog-aggregator/. Dabei besteht die Möglichkeit, die Beiträge der 140 bislang aggregierten Blogs in einer Gesamtübersicht bzw. differenziert nach thematischen Kollektionen – so auch zur Rechtsgeschichte – direkt auf den Seiten der Virtuellen Fachbibliothek <intR>² zu lesen oder als RSS-Feeds zu abonnieren. Unter Nutzung der technischen Blog-Aggregator-Infrastruktur konnte zugleich ein Informationsservice zur Anzeige aktueller Zeitschriftenaufsätze der internationalen und interdisziplinären Rechtsforschung https://vifa-recht.de/informieren/table-of-contents in Betrieb genommen werden. Gegenwärtig vermittelt dieses Instrument die Inhalte von mehr als 400 elektronisch erscheinenden Zeitschriften vorwiegend des deutsch- und englischsprachigen Raums – analog zum Blog-Aggregator untergliedert nach Themengebieten oder im Gesamtüberblick.

H-Soz-Kult: Welche laufenden (ad-Hoc)-Veränderungen haben sich während der Umsetzungsphase Ihrer geplanten Vorhaben im Vergleich zu ursprünglichen Vorhaben ergeben?

Größere Justierungen des vorgesehenen Arbeitsprogramms waren bislang nicht erforderlich – abgesehen von der bereits angesprochenen Nichtrealisierbarkeit einiger Lizenzierungsvorhaben. Ebenfalls einkalkuliert war von Anfang an die nun unmittelbar bevorstehende Öffnung des überregional zugänglichen virtuellen Lesesaals für den rechtswissenschaftlich forschenden akademischen Mittelbau an Universitäten und Hochschulen, konnte dieser aufgrund der aus Kostengründen limitierten Zahl an Nutzungslizenzen doch bislang nur von Inhaberinnen und Inhabern ordentlicher Professuren mit juristischer Denomination betreten werden.

H-Soz-Kult: Welche Evaluierungen, Nutzungsstudien etc. haben Sie oder Dritte vorgenommen? Lassen sich ggf. Veränderungen in Ihrem Angebotsportfolio hin zu digitalen Ressourcen bereits in einem veränderten Nutzungsverhalten messen? Welche Ziele und Perspektiven sehen Sie für Ihren FID, wie wird der weitere Ausbau gestaltet?

Wenngleich das gedruckte Buch weiterhin als Goldstandard der juristischen Wissenschaftskommunikation in Deutschland gelten dürfte, deuten die für alle FID-Angebote systematisch ermittelten Nutzungszahlen auf eine zunehmende Attraktivität elektronischer und insbesondere im Open Access verfügbarer Informationsressourcen hin.

Unter dem doppelten Vorbehalt der Fortführung des gegenwärtig von Seiten der DFG einer grundlegenden Evaluation unterzogenen FID-Programms sowie gegebenenfalls eines positiven Fördervotums der Gutachtenden soll die dritte Projektphase des FID daher vor allem zwei Ziele verfolgen: Durch Implementierung von Kalenderfunktionalitäten zur Bewerbung von Tagungen und anderen akademischen Veranstaltungen möchte der FID zum einen die Attraktivität seiner virtuellen Fachbibliothek als disziplinäre Agora erhöhen. Zum anderen aber ist beabsichtigt, die Transformation des subskriptionsbasierten wissenschaftlichen Publikationssystems weiter zu beschleunigen – vor allem durch Organisation von Finanzierungskonsortien für genuin im Open Access erscheinende Dissertationen zur internationalen und interdisziplinären Rechtsforschung sowie durch Bereitstellung zeitgemäßer Infrastrukturen (namentlich eigener Instanzen von Open Journal Systems und Open Monograph Press) für die Veröffentlichung frei zugänglicher Zeitschriften, Schriftenreihen und Monographien.

Anmerkungen:
1http://www.hsozkult.de/debate/id/diskussionen-3895 (22.10.2018).
2http://ark.staatsbibliothek-berlin.de/index.php?ebene=002.004&ACT=&IKT=&TX=&SET=&NSI=SYSamp;SET=&NSI=SYS (22.10.2018).
3 Perspektiven der Rechtswissenschaft in Deutschland. Situation, Analysen, Empfehlungen, Hrsg. v. Wissenschaftsrat, Hamburg 09.11.2012, https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2558-12.pdf (22.10.2018).
4http://www.juroa.de/ (22.10.2018).
5http://www.dgfir.de/veroeffentlichungen/berichte/0/ (22.10.2018).

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