GeschlechterRäume. Perspektiven der Zeitgeschichte

GeschlechterRäume. Perspektiven der Zeitgeschichte

Veranstalter
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (Ronny Grundig, Laura Haßler, Elisabeth Kimmerle, Annalisa Martin, Annelie Ramsbrock, Juliane Röleke)
Veranstaltungsort
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
PLZ
14467
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.10.2022 - 07.10.2022
Deadline
11.03.2022
Von
Annelie Ramsbrock, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung

GeschlechterRäume. Perspektiven der Zeitgeschichte

Auf der geplanten Tagung möchten wir geschlechtsspezifische Praktiken der Raumaneignung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts diskutieren und danach fragen, wie Raum durch soziale Akteur:innen geschlechtsspezifisch hergestellt und mit welchen Bedeutungen er versehen wurde, aber auch, welche strukturierenden Wirkungen vorgängige Räumlichkeit auf handelnde Individuen hatte.

GenderSpaces. Perspectives of Contemporary History

At the conference, we would like to discuss gendered practices of appropriating space in the second half of the 20th century and ask how space has been produced in a gendered manner by social actors, with what meanings it has been endowed, but also what structuring effects spatiality has had on actors.

GeschlechterRäume. Perspektiven der Zeitgeschichte

Im Zuge des spatial turn hat die Forschung Räume als sozial erzeugte (gleichwohl materialisierte) Orte erkannt, die zu weit mehr im Stande sind als nur Menschen, Tiere oder Dinge zu beherbergen. Räume beeinflussen Handlungen und Verhaltensweisen und sind zugleich Ergebnis dessen, weil sie umrissen, hergerichtet und mit Bedeutung versehen werden.

Innerhalb der Geschichtswissenschaft ist eine solche sozialkonstruktivistische Raumauffassung bislang vor allem herangezogen worden, um nationalräumliche Organisationsformen, Städtebaukonzepte oder Verkehrswege in den Blick zu bekommen. Gewöhnliche Alltagspraktiken, soziale Beziehungsmuster oder persönliche Erfahrungen hingegen sind auf ihre Raumbedingtheit nur am Rande befragt worden. Auch stehen Arbeiten, die Subjektivierungsprozesse und Raumerleben miteinander in Verbindung setzen, noch weitgehend aus.

Wichtige Impulse für eine solche Perspektive von Raum gehen von der Geschlechterforschung aus. Sie kann seit Langem epochenübergreifend zeigen, dass Konflikte um Raum maßgeblich im Geschlechterverhältnis ausgetragen wurden, weil geschlechtsbedingte Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe mit geschlechtsspezifischen Raumzuweisungen (privat und öffentlich) korrespondieren. Die Erkenntnis, dass Geschlecht und Raum also nicht unabhängig voneinander zu denkende Kategorien sind, sondern einander bedingen und bestätigen, ist innerhalb der Zeitgeschichte bislang allerdings nur in begrenztem Maße historisiert und alltagsgeschichtlich fruchtbar gemacht worden.

An dieser Stelle soll die geplante Tagung ansetzen, auf der wir uns mit geschlechtsspezifischen Praktiken der Raumaneignung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts befassen, konkret mit Situationen, in denen Räume geschlechtsspezifisch produziert, reproduziert, verändert und erfahren wurden. Zugleich geht es umgekehrt um die Bedeutung von Raum für geschlechtsspezifische Subjektivierungsprozesse und – das scheint uns besonders gewinnbringend – damit verbundenem Widerstand und Gegenreaktionen. Leitende Fragen sollen dementsprechend sein, wie Raum durch soziale Akteur:innen geschlechtsspezifisch hergestellt und mit welchen Bedeutungen er versehen wurde, aber auch, welche strukturierenden Wirkungen vorgängige Räumlichkeit auf handelnde Individuen hatte. Perspektiven auf Intersektionalität sind in diesem Rahmen ausdrücklich mit eingeschlossen, da ganz eigene Diskriminierungserfahrungen zwangsläufig ein besonderes Raumerleben herausfordern.

Wir laden interessierte Forscher:innen dazu ein, einen Beitragsvorschlag einzureichen. Folgende Themen und Fragestellungen sollen der Orientierung dienen, schließen aber andere Aspekte und Ideen nicht aus.

1. Raum als performativer Akt

- Durch welche Praktiken oder Handlungen werden Räume vergeschlechtlicht? Wie wirken sich Geschlechterverhältnisse auf die Produktion und Nutzung von Räumen aus bzw. inwiefern sind diese räumlich strukturiert und geprägt?
- Welche Akteure waren an der Vergeschlechtlichung von Raum(-Aufteilung) beteiligt, aus welcher Machtposition und mithilfe welcher Mittel wird sie durchgesetzt, beeinflusst, angeeignet oder verhindert? Inwiefern lassen sich performativ errichtete Räume (etwa der Exerzierplatz, die Oben-ohne-Demo oder der Straßenstrich) mit Foucault als Zeichen von Macht oder Strategie der Macht lesen?

2. Soziale Gegenräume (out of place-Konzept)

- Wie verhandelten und verschoben marginalisierte Gruppen die Bedingungen und Einschränkungen des Zugangs zu öffentlichem Raum zu unterschiedlichen Zeiten?
- Mit welchen Praktiken erkämpften sich marginalisierte Gruppen Sichtbarkeit, aber auch „safe spaces“ (etwa Frauenhäuser, feministische Wohnprojekte oder gay bars) – und welche Reaktionen riefen solche Gegenräume das hervor? Welche Folgen hatte die Errichtung von Gegenräumen in Bezug auf Geschlechterdifferenz oder Raumverteilung?
- Welche Praktiken, Techniken, Medien, Symbole oder Semantiken kamen bei der Umdeutung von Räumen, der Schaffung eigener Räume oder dem Widerstand gegen geschlechterspezifische Raumdeutungen oder -verteilungen zum Einsatz?

3. Raumfolgen der Globalisierung

- Wie veränderten sich durch Migration Geschlechterverhältnisse sowie die Produktion und die Nutzung öffentlicher und privater Räume über Grenzen hinweg?
- Wo wird das vergeschlechtlichte Aushandeln von Zugang zu sowie die Aneignung von lokalen sowie transnationalen Räumen (in den Quellen) sichtbar?
- Inwiefern kann der transnationale soziale Raum als eine erweiterte öffentliche Sphäre des Herkunftslandes begriffen werden?

4. Staging gender-Konzept

- Inwiefern waren Praktiken der künstlerischen Inszenierung von Geschlecht oder der geschlechtsspezifischen Rollendarstellung raumgreifend?
- Wie beeinflussten bestimmte Räume und Orte – die Disco, das Theater, die Dragshow – die Aufführung von Geschlecht?

Explizit laden wir zur Reflektion methodischer und quellenbezogener Fragen ein:

- Fordert der Fokus auf die Verschränkung von Raum und Geschlecht eine spezifische Form der Quellenkritik?
- Auch in der zeitgeschichtlichen Überlieferung dominiert die Perspektive männlicher, weißer Akteure, die auch für Zeitzeugengespräche einfacher zu gewinnen sind. Zusätzlich geht die Alltagsgeschichte mit ihren ganz eigenen Quellenproblemen einher. Wie kann diesen Schwierigkeiten begegnet werden? Auf welche Weise lassen sich die Erfahrungen marginalisierter Akteure aus den Quellen erarbeiten, welche neuen Quellenbestände können Auskunft geben?

Wir erbitten Beitragsvorschläge für etwa 20-minütige Vorträge (Titel und Exposé) bis zum 8. März 2022 an laura.hassler@zzf-potsdam.de oder ramsbrock@zzf-potsdam.de. Eine Bahnreise 2. Klasse, Flugreise nach Absprache und die Unterbringung für zwei Nächte werden übernommen.

GenderSpaces. Perspectives of Contemporary History

In the course of the ‘spatial turn’, research recognised spaces as socially produced (but nonetheless materialised), capable of much more than just housing people, animals or things. Spaces influence actions and behaviours and are at the same time the result of them, because they are circumscribed by them, arranged and given meaning.

Within the discipline of history, such a social constructivist conception of space has so far been used primarily to focus on nation-based spaces, urban planning concepts or transport routes. Ordinary everyday practices, patterns of social relations or personal experiences, on the other hand, have only been marginally examined in terms of their relation to and dependence on space. Work that connects processes of subjectification to how space is experienced is also largely still to be done.

Important impulses for such a perspective on space come from gender studies. The field has long been able to show, across epochs, that conflicts over space have been fought out decisively within gender relations, because gender-related opportunities for social participation correspond to gender-specific allocations of space (private and public). The realisation that gender and space are not categories that can be thought of independently of each other, but that they condition and confirm each other, has so far only to a limited extent been historicised within contemporary history and applied to the history of everyday life.

This is the point of departure for the planned conference, where we will deal with gendered practices of appropriating space in the second half of the 20th century, specifically with situations in which spaces were produced, reproduced, changed and experienced in a gendered way. At the same time, we are concerned with the significance of space for gendered processes of subjectification and - this seems to us to be particularly profitable - related counter-reactions or resistance. Accordingly, we are guided by the questions of how space is gendered by social actors and what meanings it is given, but also what structuring effects previous spatialities have had on actors. Intersectional perspectives are explicitly included in this framework, as particular experiences of discrimination inevitably challenge how space is experienced.

We invite interested researchers to submit a proposal for a paper. The following topics and questions are intended to provide guidance, but do not exclude other aspects and ideas.

1. Space as a performative act

- Through which practices or actions are spaces gendered? How do gender relations affect the production and use of spaces, or to what extent are these spatially structured and shaped?
- Which actors have been involved in the gendering of space (and its divisions), from which positions of power and with the help of which means has it been enforced, influenced, appropriated or prevented? To what extent can performatively constructed spaces (such as the parade ground, the topless protest or street prostitution) be, following Foucault, understood as signs or strategies of power?

2. Social counter-spaces ('out of place' concept)

- How have marginalised groups negotiated and shifted the conditions and restrictions of access to public space at different times?
- What practices have marginalised groups used to fight for visibility or for "safe spaces" (e.g. women's shelters, feminist housing projects, gay bars) - and what reactions have such counter-spaces provoked? What consequences has the creation of counter-spaces had in relation to gender difference or the distribution of space?
- Which practices, techniques, media, symbols or semantics have been used in the reinterpretation of spaces, the creation of separate spaces or the resistance against gender-specific interpretations or distributions of space?

3. Spatial consequences of globalisation

- How has migration changed gender relations and the production and use of public and private spaces across borders?
- Where does the gendered negotiation of access to and appropriation of local and transnational spaces become visible (in historical sources)?
- To what extent can transnational social spaces be understood as extending the public sphere of the country of origin?

4. Staging gender

- To what extent has the artistic staging of gender or gender-specific performance been spatial?
- How have certain spaces and places - the disco, the theatre, the drag show - influenced the performance of gender?

We explicitly invite reflections on questions of methodology and sources:

- Does the focus on the entanglement of space and gender demand a particular form of source criticism?
- The perspectives of white, male actors, who are also easier to win over for eyewitness interviews, dominate in the field of contemporary history. In addition, the history of everyday life is accompanied by its very own source problems. How can these difficulties be countered? In what ways can we deduce the experiences of marginalised actors from the sources, what new source material could provide insight?

Proposals for a 20-minute presentation (title and synopsis) should be sent to laura.hassler@zzf-potsdam.de or ramsbrock@zzf-potsdam.de by 8 March 2022. The costs for second class train travel, or air travel upon consultation, and accommodation for two nights will be covered.

Kontakt

Laura Haßler
E-Mail: laura.hassler@zzf-potsdam.de

Annelie Ramsbrock
E-Mail: ramsbrock@zzf-potsdam.de

Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
Sprache der Ankündigung