Die interdisziplinäre Tagung stellt die Erforschung von Kultur- und Forschungsinstitutionen zur DDR-Zeit in den Mittelpunkt und fragt, welche Aushandlungsprozesse das Schaffen und Wirken dieser speziellen Institutionen und ihrer Akteure prägten. Ein exemplarischer Anlass dazu ist die anvisierte Erforschung der „Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (NFG)“ (1953–1991). Diese verweist als bedeutende Institution auf den Umgang mit Kulturerbe und die spezifische Situation von Forschung und Kulturarbeit in der DDR: Einerseits war sie vom Prinzip des demokratischen Zentralismus geprägt und unterlag der strukturbildenden Parteidisziplin. Als Teile des Staates waren Kultur- und Forschungsinstitutionen in ein komplexes Berichts- und Weisungswesen eingebunden, was das Entstehen unabhängiger Einrichtungen verhinderte. Andererseits war aber auch die DDR keine monolithische Einheit und zudem waren es Individuen, die politische Setzungen oft sehr unterschiedlich ausgestalteten. Das Prinzip war menschengemacht und lebte davon, wie die Akteure mit politischen Vorgaben, systematischen Pflichten und Rechten und auch miteinander umgingen. Deren Kompetenzen, Aufgabenverständnis oder Interessen stimmten nicht zwangsläufig mit den übergeordneten Interessen und Erwartungen überein. Das schuf Konflikte und Freiräume. Was bedeutete dabei die ambivalente Haltung der DDR zwischen Abschottung und dem Wunsch nach internationaler Integration ihrer Kultur- und Forschungsinstitutionen? Welche spezifischen Konflikte und Freiräume prägten das Verhältnis von Politik, Individuum und Institution in Kultur und Forschung in den verschiedenen Phasen der DDR? Inwieweit wurden solche Freiräume genutzt, toleriert oder gar gefördert bzw. geschlossen? Gerade der komplex aufgeladene Symbolort Weimar galt in der DDR als Möglichkeitsraum, an dem Dinge gängig und denkbar waren, die an anderen Orten unmöglich erschienen. Wo also verlief – und wie veränderte sich – die Grenze zwischen erwünschten und unerwünschten Freiräumen in Kultur und Forschung innerhalb der DDR?
Die Tagung will genau das diskutieren: Interessen, Konflikte und Freiräume. Im Fokus steht das Beziehungsdreieck zwischen Institutionen, Individuen und Politik. Dieses ergründen wir anhand folgender zentraler Fragen: Mit welchen Zielen, Methoden und Konsequenzen wurde diese Beziehung ausgehandelt? Wie verliefen solche Aushandlungen und wann bzw. durch was stießen sie an Grenzen? Wie veränderten sich die Prozesse und maßgeblichen (strukturellen) Faktoren zwischen Staatsgründung und Fall der Mauer? Im Besonderen interessiert dabei, ob und wie die thematische Schwerpunktsetzung und inhaltliche Ausrichtung der Kultur- und Forschungsarbeit, aber auch die Personalpolitik der jeweiligen Institutionen und deren Organisationsstruktur ausgehandelt bzw. durch Aushandlungsprozesse beeinflusst wurden. Dies ermöglicht es, ganz konkret nach Wandel und Kontinuitäten im zugrundeliegenden Kulturverständnis sowie der Verflechtung mit der (Kultur)Politik zu fragen.
An der Schnittstelle zwischen Diktatur-, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte sowie Institutionsforschung gilt es Kultur- und Forschungsinstitutionen im Staatskommunismus komplex zu beleuchten. Damit soll das Thema interdisziplinär stärker in der gegenwärtigen Forschung zu DDR, zum geteilten Deutschland und einer europäischen Zeitgeschichte verorten werden. Ziel ist es, neue Forschungen zu diskutieren, Ergebnisse zu bündeln und zugleich Desiderate und weiterführende Fragen offenzulegen.
Wir laden Forscherinnen und Forscher aus allen relevanten Disziplinen ein, Vorschläge für Vorträge einzureichen. Uns interessieren Präsentationen von Ergebnissen und von laufenden Projekten ebenso, wie Einblicke in entstehende Qualifikationsarbeiten. Besonders willkommen sind interdisziplinäre und vergleichende Beiträge.