Vor einiger Zeit ist das Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) in das nach Plänen des Architekten Eike Becker 2023 fertiggestellte Bürohaus ACHTUNDEINS in Berlin-Wilmersdorf gezogen. Das Quartier um das Wilmersdorfer Gebäude ist von großer kulturhistorischer Bedeutung. Seit Ende des 19. Jahrhunderts haben hier zahlreiche Kulturschaffende gelebt, u.a. Autor:innen, Künstler:innen, Wissenschaftler:innen; an einige von ihnen erinnern heute Berliner Gedenktafeln, aber vieles zur Geschichte dieser Personen ist noch unbekannt. Unter der Leitfrage nach dem Wechselverhältnis, in dem urbane Bauten und Räume, Nachbarschaften und Netzwerke mit der Produktion von Kunst und Kultur stehen, möchte das ZfL in den nächsten Jahren die Kulturgeschichte dieser Nachbarschaft genauer untersuchen.
Den Auftakt bildet ein öffentlicher Workshop, »Von der Carstenn-Figur bis in die Gegenwart: Kulturgeschichte der Moderne in Berlin-Wilmersdorf«. Die Keynote wird Eike Becker, Architekt von ACHTUNDEINS, halten.
Um 1870 entwarf der Kaufmann und Stadtentwickler Johann Anton Wilhelm Carstenn eine netzartige Figur, die vier symmetrisch um eine Mittelachse (die heutige Bundesallee) gelegene Plätze verbindet (Fasanenplatz, Prager Platz, Nikolsburger Platz und den nur noch in Rudimenten bestehenden Nürnberger Platz). Die Figur hat sich zwar erhalten, aber über und unter der Erde hat sich die Stadt laufend verändert. Gegenüber der Investitionsbank und direkt am U-Bahnhof Spicherstraße und der Bundesallee befindet sich seit Kurzem inmitten der alten Carstenn-Figur das Bürohaus ACHTUNDEINS (mit der Postadresse Pariser Str. 1/Meierottostr. 8). Der Architekturkritiker Michael Mönninger hat die Geschichte der Nachbarschaft aus städtebaugeschichtlicher Perspektive auf dem ZfL Blog rekapituliert. Der Literaturwissenschaftler Detlev Schöttker hat in einem Beitrag für die FAZ erstmals skizziert, in welcher Weise Architektur (Johann Heinrich Strack, Fritz Bornemann, Gottfried Böhm), Literatur (Gerhard Hauptmann, Heinrich Mann, Mascha Kaléko) und Kunst (Galerie Bremer, Georg Baselitz) ausgehend von diesem vergleichsweise kleinen Areal kulturgeschichtliche Bedeutung entfaltet haben. Diese Ansätze wollen wir erweitern und vertiefen.
Unser Workshop richtet sich nicht nur an etablierte Wissenschaftler:innen, sondern in besonderer Weise auch an unsere Nachbarschaft, Amateur- und Lokalhistoriker:innen, deren Wissen bei Gelegenheit dieser Veranstaltung im Sinne von Citizen Science fruchtbar gemacht werden soll. Erwünscht sind Beiträge zur Stadtbau-, Architektur-, Literatur-, Theater-, Kunst- und Bildungsgeschichte vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Folgende Schwerpunkte sind besonders erwünscht: Stadt- und Verkehrsplanung, einzelne Wohnhäuser, Straßen oder Plätze, herausragende Bauten (z.B. Joachimsthalsches Gymnasium, Kirche am Hohenzollernplatz, Neue Volksbühne/Haus der Berliner Festspiele); Leben und Werk einzelner Schriftsteller:innen, Künstler:innen und Kulturschaffender (Erich Kästner, George Grosz, Franz Pfemfert, Herwarth Walden, Else Lasker-Schüler, Bertolt Brecht, Walter Benjamin, Mascha Kaléko, Heinrich Mann u.v.a.); die Bedeutung von Verlagen, Redaktionsbüros, Galerien, Cafés und Restaurants, die in der unmittelbaren Nachbarschaft angesiedelt waren. Denkbar sind sowohl Fallstudien wie auch Beiträge zu übergreifenden Fragestellungen.
Wir bitten Interessierte um Einreichung eines Kurzexposés von maximal einer Seite bis zum 31. Dezember 2024 an naguschewski@zfl-berlin.org. Anfahrts- und Unterkunftskosten können nur in Ausnahmefällen erstattet werden.