Mit der Entwicklung von höfisch-profaner Literatur und einer Etablierung von Skriptorien fernab der Klöster, ist ein Anstieg erotischer bis sexuell konnotierter Darstellungen in der Kunst allgemein und speziell in der Buchmalerei des Mittelalters feststellbar. Während im 12. und 13. Jahrhundert profane Bildthemen ikonografisch aus der christlichen Kunst hervorgehen, findet man im fortschreitenden 14. und 15. Jahrhundert eine freiere Entwicklung von zwischenmenschlichen Darstellungsweisen vor, wobei „frei“ sowohl im Sinne von künstlerischer Freiheit als auch Anzüglichkeit verstanden werden kann. Die Darstellung von Sexualität und Erotik in der Kunst im Hoch- und Spätmittelalter unterliegt damit einem faszinierenden Wandel, der transmedial bis in die frühe Neuzeit reicht und darüber hinaus wirkt. Dieser Veränderungsprozess ist geprägt durch komplexe Wechselwirkungen sozialer, gesellschaftlicher und religiöser Art: Neben dem Etablieren einer moraltheologischen Leitlinie für das Führen einer Ehe im decrretum gratiani, der ersten Liebeslyrik und Entwicklung von Liebestraktaten wie de amore von Andreas Capellanus, definiert sich darüber hinaus ein eigenes Ideal der höfischen Liebe, das sich in Helden- und Minneromanen ausdrückt. Faszinierend sind die Widersprüche bzw. Nachbarschaften unterschiedlicher Auffassungen von Liebe, Erotik und sexuellem Begehren: von der Ehe als ökonomisches Arrangement, der göttlichen Liebe als die einzige wahre Liebesform und der Sehnsucht nach körperlich-seelischer Annäherung, die sich gleichermaßen, wenn auch unterschiedlich ausgerichtet, in der profanen Literatur sowie sakralen Mystik wiederfinden lässt. Die daraus definierten Geschlechterrollen können jedoch in den Text- und Kunstwerken nicht minder widersprüchlich und subversiv unterwandert werden. Mit den fließenden Grenzen von Zeig- und den immer explizit werdenden Motiven wird deutlich, dass die in der Kunstgeschichte vielfach behandelten erotischen Darstellungen noch weit vor dem 16. Jahrhundert auf eine ikonografische Tradition blicken können, vielmehr noch die erotischen Darstellungen der sog. Renaissance auf einer ikonografischen Tradition des Mittelalters beruhen müssen, die sich mit der Profanisierung von Literatur und Kunst wenige Jahrhunderte davor entwickelt. Es bleibt zu hinterfragen, inwiefern ein Bruch mit der Kunst des sogenannten „Mittelalters“ vorliegt, wenn nicht vielmehr Verbindungslinien und Reflexionen zu antiken und mythologischen Themen nachweisbar sind, die weit über eine einseitige ikonografische Umwandlung einer antiken Venus in „Frau Minne“ reichen.
Das Symposium widmet sich dem ikonografischen Wandel erotischer und sexueller Darstellungen in der mittelalterlichen Kunst, wobei die stilistischen und bildinhaltlichen Entwicklungen von Darstellungen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Entstehungs-, Auftrags- und Bedeutungskontext des Kunstwerks betrachtet werden sollen. Im Zentrum steht die Untersuchung von Bildthemen und ihren Bedeutungen, dem Wegfall oder der Hinzunahme symbolischer Elemente, um nach einer Ikonografie der Erotik und Sinnlichkeit zu fragen. Das Symposium soll einen Blick auf die Entwicklung von subtileren Zeige- und Verweissystemen bis hin zu einer kühneren Exposition von Erotik werfen. Hierbei sind auch zeitgemäße Methoden wie Gender- und Queer Studies angesprochen, mit denen historisch gesetzte Geschlechterrollen und damit zusammenhängend künstlerische Ordnungen kritisch betrachtet und auf ihre Grenzen sowie Transgressionen hin untersucht werden zu können.
Der Workshop bietet eine Plattform für tiefgehende Diskussionen, interaktive Analysen und den Austausch von Ideen, um ein umfassenderes Verständnis für die Vielschichtigkeit, Kontinuität und Weiterentwicklung der Darstellung von Sexualität und Erotik in der mittelalterlichen Kunst zu fördern. Wir laden Expertinnen und Experten, Studierende und Interessierte gleichermaßen dazu ein, gemeinsam diese faszinierende die Geschichte der bildlichen Darstellung von Erotik vor der Renaissance zu erörtern.
Ablauf:
Das zweitägige Symposium ist in zwei Sektionen unterteilt, die sich auf die beiden Veranstaltungstage verteilen.
Sektion 1 setzt einen experimentelleren Zugang zu Kunstwerken, Diskursen und ausgewählten Texten in den Fokus.
- Geplant sind 30-minütige Formate, die sich durch Gruppendiskussionen über aktuelle Forschungs- und Methodenzugänge zum Thema Sexualität und Erotik im Mittelalter auszeichnen.
- Hierfür sind von Ihnen angeleitete Diskussionen (z.B. in Form von Fishbowl-Diskussionen oder World-Cafés) zu spezifischen Theorien, Texten oder Manifesten willkommen. Auch eine assoziative Pecha-Kucha-Einheit könnte in Betracht gezogen werden.
- Alternativ ist eine vorbereitete und moderierte Gruppenanalyse von ausgewählten Kunstwerken, unter Berücksichtigung ikonografischer und methodischer Ansätze, ebenfalls von Interesse.
- Gerne laden wir Sie dazu ein, im Vorfeld Texte, Bildmaterial oder andere Dokumente zur Vorbereitung für alle Teilnehmer einzureichen.
Sektion 2 konzentriert sich auf klassische Vorträge von 20 Minuten Länge, gefolgt von einer 15-minütigen Diskussion.
- Die Vorträge sollten einen transdisziplinären Fokus aufweisen, der literatur- oder geschichtswissenschaftliche Schwerpunkte mit der Kunstgeschichte austariert
Interdisziplinarität:
Um die Sinnlichkeit und Erotik in den Darstellungen der mittelalterlichen Kunst vollständig zu verstehen, bedarf es eines interdisziplinären Ansatzes, der verschiedene Fachgebiete miteinander verbindet. Die Kunstgeschichte steht vor der Herausforderung, nicht nur die visuellen Aspekte der Kunstwerke zu analysieren, sondern auch ihre symbolische Bedeutung und Wirkung auf die Sinne der Betrachter, aber auch die Gründe der Kunstproduktion zu verstehen. Literarische Werke aus dieser Zeit bieten Einblicke in die Vorstellungen von Liebesidealen und Begehren, die in den künstlerischen Darstellungen reflektiert werden. Sie bilden oftmals einen wechselseitigen Komplex in Form der illuminierten Handschriften, die Text und Bild dialektisch miteinander verbinden. Historische Ereignisse und gesellschaftliche Kontexte ermöglichen es uns, die gesellschaftlichen Kontexte zu untersuchen, in denen diese Kunst entstanden ist, und die Veränderungen in der Wahrnehmung von Sexualität und Erotik im Laufe der Zeit zu verfolgen. Schließlich ermöglicht die Buchwissenschaft einen tiefen Einblick in die Produktion und Verbreitung von Kunstwerken durch illustrierte Handschriften und später den Holzschnitt- sowie Buchdruck. Das Symposium bietet eine Plattform für den Austausch von Ideen und Forschungsergebnissen zwischen Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen. Wir laden Sie herzlich ein, Ihre Forschung und Erkenntnisse zu präsentieren und an Diskussionen teilzunehmen, die die Schnittstellen zwischen Kunstgeschichte, Literatur, Geschichte und Buchwissenschaft betonen. Gemeinsam können wir ein umfassenderes Verständnis dafür entwickeln, wie Erotik und Sinnlichkeit im Mittelalter erlebt, dargestellt und interpretiert wurde.
Ziel des Symposiums:
Förderung eines auf die aktuellen Methoden aufbauenden Verständnisses von dargestellter Sexualität und Erotik unterschiedlicher Dimensionen und Kunstgattungen im 12. bis 15. Jahrhundert. Erschließung der Möglichkeit von kontext- auftrags- sowie funktionsgebundenen Analysen und zugleich interdisziplinäre Verschaltung von innovativen Forschungsansätzen zur Erfassung und Beschreibung von Kunstwerken mit erotisch-codiertem Inhalt. Schaffung einer multidisziplinären Plattform für den Austausch von Ideen und Perspektiven
Benachbarte oder sich überschneidende Interessensfelder:
Minnesang, höfische Gesellschaft, Ehe, Liebes- und Ehetraktate, Romane, Liedersammlungen, Reflexion mythologischer (Liebes-)Geschichten (damit Rezeption von antiken Idealen), Moraltheologie, Kirchengeschichte, Sittengeschichte, Mystik (vor allem Brautmystik), Badekultur, Hagiografien, Fastnacht, Passion und Wunddarstellung (ostentatio vulnerum)
Thematischer Zeitraum:
Der Fokus liegt auf dem Zeitraum von 1200 bis 1500.
Regionen:
Europäischer Kontinent, Austausch innerhalb von europäischen Regionen,
Transfer jüdischer/arabischer/asiatischer Kulturkreise
Konferenzsprachen:
Deutsch/Englisch
Bitte senden Sie Ihre Abstracts in deutscher oder englischer Sprache (max. 3500 Zeichen inkl. Anschlag) bis zum 15.02.2025 an jekonrad@uni-mainz.de, um sich für einen Vortrag oder zur Teilnahme an den Diskussionspanels zu bewerben. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme an dieser spannenden interdisziplinären Tagung.