Der Begriff "Antiamerikanismus" droht - je mehr er in der öffentlichen Diskussion und Polemik verwandt wird - zum reinen politischen Schlagwort zu werden. Dabei erscheint gerade vor dem Hintergrund der Wahlkampfdebatten des vergangenen Sommers eine tiefergehende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem vielschichtigen und historisch in der Moderne tief verwurzelten Phänomen dringend geboten. Ziel des Workshops "Antiamerikanismus in der Epoche des Kalten Krieges", der gemeinsam vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam und dem Centre Marc Bloch Berlin (CMB) veranstaltet wird, ist es einerseits, dem Begriff durch eine Systematisierung und Historisierung mehr Trennschärfe zu geben und andererseits, dieses moderne Ideologem in vergleichender Perspektive zu analysieren. Auf dem Workshop sollen Fragen verhandelt werden, die bisher in vielen Debatten übersprungen wurden: Was bedeutete Antiamerikanismus in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten? Wie paßt sich das Ideologem an spezifische politische und kulturelle Umgebungen an? Gibt es eine gemeinsame Basis aller "Antiamerikanismen"? In welchen Zusammenhängen sollte die Forschung den Begriff aufgreifen, wo gilt es, ihn zu vermeiden, welche alternativen Begriffe ("Antimodernismus") bieten sich zur Analyse ideologischer Dispositionen an?
I. Der Vorläufer: Workshop "Antiamericanism" in Washington, Juli 2001
Auf einem von Patrice G. Poutrus und Jan C. Behrends konzipierten Workshop des Deutschen Historischen Instituts, Washington, und der dortigen George-Washington-University wurde im Juli 2001 ein erster Versuch zur Historisierung des "Antiamerikanismus" in vergleichender und transatlantischer Perspektive unternommen. Zwei Tage lang diskutierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Europa und den USA verschiedene Aspekte und historische Ausprägungen des Phänomens in so unterschiedlichen Staaten wie Frankreich oder Ungarn, der DDR und der Sowjetunion. Trotz des produktiven Gesprächs warf dieser erste Workshop zunächst mehr Fragen auf, als er zu beantworten vermochte. Als Ergebnis der Washingtoner Konferenz konnte man festhalten, daß zur Schärfung des Begriffs eine Konzentration auf wenige, aber eng miteinander verknüpfte Untersuchungsfelder, sowie eine klare räumliche und zeitliche Begrenzung der Thematik notwendig sind. Auf diese Weise rückt der jeweilige historische Kontext stärker in den Focus der Untersuchungen; ein von den konkreten historischen Bedingungen abstrahierender pauschaler Gebrauch wird vermieden. Mit einer auf die Epoche des Kalten Krieges zugespitzten komparativen Fragestellung sollen die offenen Probleme nun gezielt auf einem weiteren Workshop angegangen werden.
II. Problemstellung: Antiamerikanismus, Kalter Krieg und Moderne 1945-68
Auf der für den 13. und 14. Dezember 2002 geplanten Tagung wird "Antiamerikanismus" als Ideologem der "klassischen Moderne" (Detlev Peukert) diskutiert werden, das schon vor dem Kalten Krieg eine eigene Denktradition entwickelt und Konjunkturen durchlaufen hatte, aber ab 1946/47 durch den globalen Systemkonflikt erneute Brisanz bekam. Die amerikanische Dominanz in der westlichen Welt, die dort die Kritik an den Vereinigten Staaten und die Antiamerikanismen neu beflügelte, soll auf der Tagung in Beziehung zur Omnipräsenz der Vereinigten Staaten als Feindbild in den Gesellschaften des sowjetischen Machtbereichs gesetzt werden. Bereits das erste Treffen in Washington verdeutlichte, daß zum besseren Verständnis der Nachkriegsepoche ein Blick zurück auf die unterschiedlichen Amerikabilder des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts produktiv ist, wenn man verstehen will, aus welchem Ideenreservoir sich der Antiamerikanismus in der Epoche des Kalten Krieges speiste. Um die Diskussion stärker zu fokussieren, stellen wir dem Workshop eine Arbeitsdefinition von "Antiamerikanismus" voran, an der sich die Teilnehmenden orientieren können.
III. Zum Begriff des "Antiamerikanismus"
"Antiamerikanismus" wird von den Veranstaltern als politische Weltanschauung definiert, die Aporien und Pathologien der Moderne auf das Wirken der Vereinigten Staaten von Amerika zurückführt und die USA in den Rang einer unmoralischen "Macht des Bösen" emporhebt, die dann für die verschiedensten globalen Konflikte, gesellschaftlichen Fehlentwicklungen oder lokalen Mißstände in anderen Staaten verantwortlich gemacht wird. Es geht demnach im antiamerikanischen Denken nicht um die Kritik an konkreten Entscheidungen der Politik oder Erscheinungen in der Kultur und Gesellschaft der Vereinigten Staaten, sondern um eine ideologische Konstruktion, die der amerikanischen Gesellschaft unterstellt, sie habe genetische Defizite und exportiere diese. Im antiamerikanischen Weltbild erscheinen die USA als dunkle Seite der Moderne; sie können so zu einem zentralen Feindbild der eigenen Nation avancieren. Die Wirkungsmächtigkeit des "Antiamerikanismus" als Deutungsmuster von Konflikten in der modernen Welt rekurriert wiederum auf verschiedene nationale Identitätskonstruktionen, die - obwohl sie die USA als permanente Bedrohung wahrnehmen - die eigene Nation und ihre Kultur als der amerikanischen Gesellschaft strukturell überlegen darstellen.
IV. Zeitliche und räumliche Dimensionen: Antiamerikanismus und Kalter Krieg
Antiamerikanisches Denken läst sich in fast allen Ländern ausmachen, die an der "klassischen Moderne" teilhatten. Zunehmend konnte, wer über die moderne Welt reden wollte, nicht mehr zu Amerika schweigen. Offensichtlich hatte sich im 20. Jahrhundert der Amerikadiskurs weitgehend von jenen Themen emanzipiert, die ihn während der Aufklärung und in der Romantik dominiert hatten. Ganz gleich ob Bertolt Brecht, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno oder Jean-Paul Sartre das Wort ergriffen und auch auf der antiamerikanischen Klaviatur spielten - es handelte sich nun durchgängig um eine Auseinandersetzung mit der modernen Gesellschaft und dem modernen Menschen. Der antiamerikanische Diskurs der Intellektuellen und die Bilder, die massenhaft in den Gesellschaften Verbreitung fanden, ähnelten sich häufig: Massengesellschaft, Wurzellosigkeit, Oberflächlichkeit und ungezügeltes Profitstreben standen als negative Metapher für den amerikanischen Weg. In seiner Radikalität steht das antiamerikanische Ideologem in einem Spannungsverhältnis zu anderen Weltanschauungen des 20. Jahrhunderts und bildet mit ihnen Schnittmengen. Besonders zu betrachten wäre etwa die Beziehung zum Faschismus, zum Kommunismus stalinistischer Prägung oder zum modernen Antisemitismus, einer vergleichbar holistischen Weltdeutung, die ebenfalls immun gegenüber rationaler Argumentation ist und ebenso von einer apokalyptischen Moderneauffassung getragen wird. Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust bekam antiamerikanisches Denken eine neue Dimension, weil die USA nun quasi alleine als Synonym für die moderne Welt dastanden.
Sowohl in Europa als auch in Asien zwangen die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges und der Beginn des Kalten Krieges die Eliten zu einer Neuinterpretation der eigenen Nation. Während einerseits Rückgriffe auf antiamerikanische Bilder der Zwischenkriegszeit zu konstatieren sind, kann man andererseits beobachten, daß ehemals antiwestliche Eliten ihren Standpunkt veränderten und sich etwa mit Hans Freyer ein Protagonist der Konservativen Revolution gedanklich dem amerikanischen Gesellschaftsmodell annährte. Ähnlich widersprüchlich wie in Westdeutschland gestaltete sich die Situation in Japan. Sie war einerseits von Annäherung an die neue Schutzmacht gekennzeichnet, während sich andererseits ein konkurrierendes Verständnis der japanischen Geschichte entwickelte, das den Inselstaat in den letzten hundert Jahren im permanenten Konflikt mit dem Westen sah. Die neuen kommunistischen Regime in Ostmitteleuropa und Ostdeutschland versuchten an tradierte antiamerikanische bzw. antiwestliche Gefühle in ihren Bevölkerungen zu appellieren, um so die Sowjetisierung der Verhältnisse und das Bündnis mit der Sowjetunion zu legitimieren. So verglichen die kommunistischen Propagandisten den Warschauer Kulturpalast mit einem amerikanischen Wolkenkratzer um hervorzuheben, wie sehr sich die warme "Volkstümlichkeit" der sowjetischen Architektur von der "seelenlosen" amerikanischen Moderne unterscheide. Während also westlich der Elbe die Amerikanisierung eine Alltagserfahrung darstellte, bildete der Antiamerikanismus eine permanente Konstante in der kontrollierten Öffentlichkeit des Staatssozialismus - mit weitreichenden Folgen, wie die Gefühlshaltungen gegenüber den USA in Ostdeutschland oder Rußland bis in die Gegenwart zeigen. Obwohl es symbolisch in den Kreis der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges aufgenommen wurde, entwickelte sich in Frankreich ein besonders wirkungsmächtiger Antiamerikanismus, dem in der politischen Öffentlichkeit des Landes immer wieder eine prominente Rolle zukam.
Man kann demnach im Kalten Krieg politische Konversionen, das Aufbrechen, aber auch die Verhärtung älterer Denkpositionen beobachten. Dies geschah in der unmittelbaren Nachkriegszeit in einer Atmosphäre des ungebrochenen Fortschrittsglaubens, des Vertrauens in die technischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten der Moderne, die sich erst gegen Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre verflüchtigte. Die Amerikakritik der Antikriegs- und der Ökologiebewegung stellte eine neue Dimension dar und die ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen der siebziger Jahre produzierten auch wiederum einen neuen Antiamerikanismus. Diese Schwelle zur postmodernen Epoche bildet darum auch die chronologische Begrenzung für die Tagung, die sich chronologisch und geographisch auf die "klassische Moderne" konzentrieren wird.
Diese oben angerissenen Probleme werfen für Historiker zahlreiche Fragen auf, die in dem geplanten Workshop am ZZF angegangen werden sollen:
In welchen Traditionen stand der Antiamerikanismus des Kalten Krieges? Lassen sich differentia specifica in den verschiedenen untersuchten Ländern isolieren? Welche sozialen Trägerschichten des Antiamerikanismus kann man benennen? Worin bestand seine spezifische Wirkungsmächtigkeit und welche Milieus konnte der Antiamerikanismus nicht penetrieren? Welchen politischen Gruppen gelang es, den Antiamerikanismus im Kalten Krieg erfolgreich zu instrumentalisieren? Wie reagierten die Träger des Antiamerikanismus auf die Erfolge des "amerikanischen Modells"? Wie beeinflußte der Antiamerikanismus-Diskurs die politische Praxis im Kalten Krieg insgesamt?
Diese Leitfragen sollen die kritische Historisierung eines der am meisten verbreiteten und bis in die Gegenwart wirkungsmächtigen Ideologeme der Moderne vorantreiben, um im Ergebnis deutlicher zwischen politischer, auch polemischer Kritik an den Entscheidungen verschiedener US-Administrationen und antiamerikanischen Weltanschauungen differenzieren zu können.