Polizei im 21. Jahrhundert: Regionale und nationale Tradition - internationale Ambition - historische Reflektion

Polizei im 21. Jahrhundert: Regionale und nationale Tradition - internationale Ambition - historische Reflektion

Veranstalter
Dr. Andreas Schneider (Bildungszentrum der Thüringer Polizei, Meiningen); Michael Sturm (Geschichtsort Villa ten Hompel, Münster/Westfalen)
Veranstaltungsort
Bildungszentrum der Thüringer Polizei
Ort
Meiningen
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.07.2011 - 09.07.2011
Deadline
25.04.2011
Website
Von
Dr. Andreas Schneider, Michael Sturm

Das 22. Kolloquium zur Polizeigeschichte wird in diesem Jahr vom Bildungszentrum der Thüringer Polizei in Kooperation mit dem Geschichtsort Villa ten Hompel organisiert. Die Tagung findet vom 7. bis 9. Juli 2011 in Meiningen (Thüringen) statt.

Das Kolloquium zur Polizeigeschichte trifft sich seit nunmehr über zwei Jahrzehnten einmal jährlich, um aktuelle Ansätze und Ergebnisse der historischen und sozialwissenschaftlichen Polizeiforschung zu diskutieren. Der interdisziplinäre und in den letzten Jahren auch zunehmend internationale Charakter der Tagung bietet vor allem jüngeren WissenschaftlerInnen die Möglichkeit, ihre Forschungsprojekte vorzustellen. Das 22. Kolloquium zur Polizeigeschichte wird sich in diesem Jahr schwerpunktmäßig mit polizeilichen Praktiken und Erfahrungen in transnationalen Kontexten befassen.

Weltweite Ordnung durch grenzenlose Polizei?
Infolge von Globalisierung und Europäisierung hat in den vergangenen Jahren auch die grenzüberschreitende, inter- wie transnationale Polizeiarbeit stark an Bedeutung gewonnen. So sind gegenwärtig über 900 Beamte und Beamtinnen aus Bund und Ländern in internationalen Polizeimissionen eingesetzt. Deutsche PolizistInnen tun Dienst beispielsweise unter dem Dach der EU und der UN u.a. im Kosovo, im Sudan, in Georgien und in Afghanistan. Darüber hinaus haben seit 1990 zahlreiche bilaterale Polizeiverträge, das Schengener Durchführungsabkommen, das EU-Rechtshilfeübereinkommen sowie die Gründung von Europol zu einer kontinuierlichen Internationalisierung bzw. Europäisierung der Polizei nicht nur in der Bundesrepublik geführt.

Freilich - diese aktuellen Einsätze nicht nur deutscher Polizeien, besonders in Krisen- und Kriegsgebieten, sind im Gegensatz zu militärischen Missionen kaum ein öffentliches Thema. Dabei haben sich die Einsatzfelder grenzüberschreitender Polizeiarbeit erheblich ausdifferenziert. An den Außengrenzen der EU, besonders im Mittelmeerraum und entlang der griechisch-türkischen Grenze agiert unter Beteiligung deutscher BundespolizistInnen die europäische Grenzschutzagentur „FRONTEX“, um das Territorium der Europäischen Union vor dem vermeintlichen Ansturm von Flüchtlingen und Asylsuchenden abzuschotten. Zugleich werden im Rahmen von Protestereignissen und internationalen Großveranstaltungen verstärkt auch Polizeiverbände aus benachbarten Ländern zur Unterstützung der einheimischen Polizeien herangezogen. So kamen während der Fußball Europameisterschaft 2008 in Österreich und in der Schweiz mehre Hundertschaften deutscher Bereitschaftspolizei zum Einsatz.

Der vielfältige Einsatz von Polizei in inter- und transnationalen Kontexten stellt keine gänzlich neue Entwicklung dar. So gehörte es bereits im Europa des 19. Jahrhundert zur Praxis obrigkeitsstaatlicher Regime, exilierte Oppositionelle durch eingeschleuste polizeiliche Spitzel in ihren Zufluchtsländern überwachen zu lassen – dies oftmals mit Unterstützung oder wohlwollender Duldung der einheimischer Polizeibehörden. Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen überall auf der Welt Polizeiverbände europäischer Staaten zum Einsatz, die nicht selten mit militärischer Gewalt koloniale Macht- und Sicherungsansprüche durchzusetzen versuchten.

Mörderische Dimensionen nahm der „auswärtige Einsatz“ der Polizei des NS-Staates an. Nicht nur die berüchtigten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, des SD und der SS waren maßgeblich an der Shoah und am Vernichtungskrieg zumal in Osteuropa und in der Sowjetunion beteiligt, sondern auch zahlreiche Polizeibataillone, in denen tausende „ganz normale“ Polizisten ihren Dienst verrichteten. In befreundeten Staaten sorgten sogenannte Polizeiverbindungsführer (Polizeiattachés) für die Einhaltung und Kontrolle der NS-Politik. Reinhard Heydrich und Ernst Kaltenbrunner als Präsidenten von INTERPOL waren ein Tiefpunkt polizeilicher „Zusammenarbeit“.

Nach 1945 bildeten zunächst der Kalte Krieg, seit den 1970er Jahren verstärkt die Drogen- und Terrorismusbekämpfung die Matrix, auf der sich in jeweils unterschiedlichen Konstellationen eine Internationalisierung polizeilicher Arbeit vollzog.

Die historische Polizeiforschung hat sich diesen Themenfeldern lange Zeit nur äußerst sporadisch zugewandt. Während die Beschäftigung mit der Polizei im NS-Staat besonders im Anschluss an Christopher Brownings Studie „Ganz normale Männer. Das Reserve-Bataillon 101 und die ‚Endlösung’ in Polen“ (1991/93) zugenommen hat, sind – zumindest in Deutschland – kolonialpolizeiliche Praktiken erst in allerjüngster Zeit stärker in den Fokus gerückt. Die vielfältigen Auswirkungen der gegenwärtigen inter- und transnationalen Erweiterung polizeilicher Einsatzfelder eröffnen darüber hinaus zahlreiche weitere historiographische und sozialwissenschaftliche Fragestellungen, die auf dem 22. Kolloquium zur Polizeigeschichte diskutiert werden sollen.

Die Beiträge des Kolloquiums könnten sich daher folgenden Aspekten widmen:

- Welche Auswirkungen haben internationale bzw. transnationale Einsätze von Polizeien auf die polizeilichen Praktiken in den jeweiligen Entsendeländern?
- Fördern internationale Polizeimissionen in Krisen- und Kriegsgebieten Militarisierungstendenzen in den an den Einsätzen teilnehmenden Polizeibehörden?
- Umgekehrt nehmen militärische Einheiten in Krisen- und Kriegsgebieten zunehmend auch polizeiliche Funktionen wahr. Lässt sich daher in Deutschland, aber auch in anderen Staaten im Rahmen internationaler Einsätze eine Verpolizeilichung des Militärs feststellen? Verschwimmen zukünftig die Grenzen zwischen Polizei und Militär?
- Welche individuellen Auswirkungen haben die an internationale Polizeimissionen geknüpften Erfahrungen auf die PolizistInnen, die an diesen Einsätzen teilgenommen haben? Welche Karriere-Folgen haben sie? In welchem Ausmaß sehen sich TeilnehmerInnen solcher Polizeimissionen mit posttraumatischen Belastungsstörungen (Posttraumatic stress disorder: PTSD) konfrontiert?
- Wie werden die Einsätze auswärtiger Polizeikräfte von den einheimischen Bevölkerungen wahrgenommen? Die historischen Forschungen zu Polizeien in kolonialen Kontexten verweisen auf ein breites Spektrum an Wahrnehmungs- und Handlungsweisen, von (bewaffnetem) Widerstand über partielles Sich-Arrangieren bis zu bereitwilliger Kollaboration.
- Die Polizei ist bei ihren Einsätzen an nationale und regionale Gesetze gebunden. Im Rahmen von inter- und transnationalen Polizeimissionen verfügen PolizistInnen jedoch oftmals über weitgehendere Befugnisse, die auch Eingriffe in Grundrechte ermöglichen, die in den Entsendeländern rechtlich höchst problematisch wären. Welche Rolle spielt demnach die Beachtung von Menschenrechten in auswärtigen Einsätzen der Polizei?
- Welche PolizistInnen nehmen an internationalen Polizeimissionen teil, und aus welchen Motiven?
- Welche pädagogischen Angebote zur Menschenrechtsbildung gibt es innerhalb der Polizeibehörden in Deutschland, aber auch in anderen Staaten?

Wir bitten alle, die ihre Forschungsergebnisse im Rahmen des Kolloquiums präsentieren möchten, um die Zusendung eines kurzen Abstracts von maximal einer Seite, das den Titel und eine Inhaltsskizze des geplanten Beitrags (Länge: 20 Minuten) enthält.

Zudem wird es – wie stets - eine offene Sektion für Angebote geben, die andere Themen stellen oder aufgreifen.

Die Zusendung von Abstracts (per E-Mail) werden erbeten bis zum 25.04.2011 an:
Dr. Andreas Schneider
kolloquium@polizei.thueringen.de

Formlose Anmeldungen für das 22. Kolloquium zur Polizeigeschichte sind bis zum 20. Juni 2011 unter oben genannter Adresse möglich.
Leider können Fahrt- und Unterkunftskosten nicht übernommen werden.

Meiningen und Münster, den 18.02.2011
Dr. Andreas Schneider
Michael Sturm

Programm

Kontakt

Schneider Andreas

Bildungszentrum der Thüringer Polizei, Friedenssiedlung 6, 98617 Meiningen

kolloquium@polizei.thueringen.de