Die Tagung wird verschoben, ein Termin noch bekannt gegeben.
Strukturbildungen in langfristigen Konflikten des Spätmittelalters (12501500)/ Structural formations in the protracted conflicts of the Late Middle Ages (1250-1500)
Workshop mit methodischer Ausrichtung zum Projekt EXPRO 19-28415X.
Konflikte sind eine anthropologische Gestaltungskonstante, die Staaten, Nationen, Gesellschaften allerdings auch ideelle Entitäten formt. Bis heute beherrscht Ihre Untersuchung allerdings die Analyse des kurzfristigen, zumeist kriegerischen Konflikts. Die Spezifika langfristig ungelöster Konflikte und ihre strukturellen Folgen sind bis heute deutlich weniger stark erforscht, denn sie beruhen auf einer langsameren und wechselvollen Entwicklungsdynamik, die mit den üblichen Kategorien von Prävention, Ursache, Verlauf und Wirkung nur bedingt fassbar ist. Während in kurzen Konflikten oftmals Eskalation und deren Auflösung im Vordergrund stehen, wechseln sich in langfristig ungelösten Konflikten „heiße“ Phasen mit solchen des Stillstandes ab. Zu den Merkmalen langwieriger Konflikte gehört nämlich ein ideeller Basiskonflikt, der sich mit den gängigen Instrumenten der Politik (d.h. Gewalt, Recht und Diplomatie) nicht auflösen lässt. Dadurch wird er nicht nur in die Länge gezogen, sondern auch stabilisiert. Letzteres hat Folgen für die oftmals vielschichtigen Vernetzungen der Streitparteien, die somit gezwungen werden, den ‚Konsens auf niedrigsten Niveau‘ zu suchen: Die Aufrechterhaltung der ökonomischen, sozialen und politischen Ordnung macht die Entwicklung von ‚Umgehungskreisläufen‘, d.h. konfliktspezifischen Institutionen und Instrumenten zu einer Frage des Überlebens und wirkt nach dessen Beendigung auch auf seine praktische und diskursive Verarbeitung ein.
Die komplexe Gemengelage langfristiger Konflikte spielgelt vor allem im Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts wieder, hat allerdings auch vormoderne Vorläufer: etwa den Dreißigjährigen Krieg im 17. oder den Hundertjährigen Krieg im 14. und 15. Jahrhundert. In der Vormoderne treten die skizzierten Begleiterscheinungen langfristig ungelöster Konflikte am häufigsten im Zusammenhang mit konfessionellen Auseinandersetzungen zutage. Bereits eine ihrer ältesten Manifestationen, die Hussitische Revolution in Böhmen, die mit den Basler Kompaktaten 1436 den Zustand eines perpetuierten Konflikts erreichte, weist zahlreiche der besagten Charakteristika auf: Eine ideologisch fundierte und somit unüberwindbare Verhärtung zwischen der katholischen Seite und ihren hussitischen Gegenspielern; mehrere erfolglose und kostspielige Ketzerkreuzzüge, die eine Atempause auf beiden Seiten dringend nötig machen; politische und persönliche Netzwerke zwischen den Eliten Zentraleuropas, die über den konfessionellen Graben hinweg Bestand haben; der Schutz der wirtschaftlichen Interessen in den betroffenen Regionen sowie Institutionen, die innovative Kompetenzen entwickeln – z.B. der Böhmische Landtag, welcher zum Wahlgremium für den ‚Hussitenkönig‘ Georg von Podiebrad wurde.
Die hussitische Kontroverse, welche das geradezu paradigmatische Beispiel für einen verschleppten, ungelösten Konflikt im Spätmittelalter darstellt, drängt nach einem strukturellen und methodischen Abgleich mit anderen Themenbereichen aus der Mittelalterforschung. Das Ziel der Tagung ist daher ein zweifaches: Zum einen sind die Referentinnen und Referenten eingeladen, Fallbeispiele aus der eigenen Forschungspraxis einzubringen; zum anderen soll versucht werden, den dabei festgestellten Phänomenen einen allgemeinen und methodischen Rahmen zu geben, welcher das vermeintlich moderne Konzept des perpetuierten Konflikts für das Mittelalter fruchtbar macht. Zur inhaltlichen Orientierung dienen die einzelnen Sektionen:
1. Die Dynamik von Frieden, Krise, Konflikt und Krieg in Terminologie und politischer Praxis; ihre Interpretation auf dem Hintergrund der jeweiligen Machtverhältnisse, die zeitspezifischen Medien und persuasiven Strategien der involvierten Parteien.
2. Die ordnenden und ordnungsgefährdenden Aspekte perpetuierter Konflikte; Fragilisierungen und Verschiebung bestehender politischer und ökonomischer Machtverhältnisse; Ideologie als stabilisierende Alternative mit einem eigenen diskursiven Raum.
3. Die Lebenswelten in Zeiten des institutionalisierten Konfliktes; die politische, soziale und ökonomische Versatilität der Akteure, Broker zwischen den Parteien, grenzüberschreitende Instrumente und Institutionen.
4. Der historiographische Umgang mit langfristig ungelösten Konflikten im Mittelalter; die Transformation der Narrative und Diskurse, welche in der Moderne etwa zur Konstruktion nationaler Sonderfälle benutzt wurden.
Die Tagung findet im Rahmen des GAČR-finanzierten Exzellenzclusters „From Performativity to Institutionalization: Handling Conflict in the Late Middle Ages (Strategies, Agents, Communication)“ (Nr. 19-28415X, web: http://cms.flu.cas.cz/conflicts/) statt, an welcher sowohl das Prager Zentrum für mediävistische Studien (CMS) und das Brünner Institut für Historische Hilfswissenschaften und Archivwesen (ÚPVH) von der Masaryk-Universität, beteiligt sind.
Tagungsort ist die Masaryk-Universität in Brünn (CZ).
Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist vorgesehen.