Ihre beruflich erfolgreichste Zeit hatte Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000) in Frankfurt am Main. Im Jahr 1926 holte Stadtbaudirektor Ernst May die junge Wiener Architektin in die Mainmetropole, wo sie am „Neuen Frankfurt“ mitarbeitete. Dieses umfangreiche Stadtplanungsprojekt, das die Wohnungsnot in der wachsenden Stadt lindern sollte, setzte Maßstäbe. Das galt auch für Schütte-Lihotzkys bekanntestes Werk, das in dieser Zeit entstand: die Frankfurter Küche – die Vorläuferin der modernen Einbauküche.
Nun, knapp 90 Jahre später, ist die Österreicherin zurück in der Stadt – und zwar nicht nur, weil sich ein Exemplar ihrer berühmten Küche im soeben eröffneten neuen Historischen Museum befindet. Auch im Deutschen Architekturmuseum (DAM) wird Schütte-Lihotzky präsentiert. Sie ist gewissermaßen das Gesicht der Schau „Frau Architekt“. Während ihrer Frankfurter Zeit hatte der Maler Lino Salini eine Zeichnung von Schütte-Lihotzky angefertigt, die sie bei der Arbeit am Zeichentisch zeigt. Mit Bubikopf-Friseur und Matrosenkragen erscheint sie darauf als klassische Vertreterin der „neuen Frau“ der Weimarer Republik. Dieses Bild prangt nun auf den Plakaten, die für die Ausstellung werben.
Abb. 1: Margarete Schütte-Lihotzky – Porträtzeichnung von Lino Salini (1927) auf dem Plakat zur Ausstellung. Salini schrieb damals als Kommentar unter die Zeichnung: „Die erste Frankfurter Architektin auf dem Hochbauamt.“
(Design: Gardeners, Frankfurt am Main; mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Architekturmuseums)
Ziel von „Frau Architekt“ ist es, „Frauen in der Architektur besser sichtbar [zu] machen“, heißt es auf einer Tafel im Eingangsbereich der Ausstellung – „sie aus der Anonymität heraus[zu]holen und ihnen Gesicht und Stimme [zu] geben“. Dass hier auch Schütte-Lihotzky eine Rolle spielt, kommt nicht von ungefähr. Schließlich gehörte sie zu den Pionierinnen, zur ersten Generation, die den Beruf im deutschsprachigen Raum ausübte. Architektur fand „bis in das 20. Jahrhundert hinein in nahezu frauenfreiem Raum statt“.1 Nur in wenigen Staaten wie den USA durften Frauen das Fach bereits im 19. Jahrhundert studieren. Im Deutschen Reich war dies auch um die Jahrhundertwende nur im Ausnahmefall möglich – und selbst dann wurde Frauen oftmals die Teilnahme an den Abschlussprüfungen verweigert. Erst ab 1903 erhielten sie in Bayern, ab 1908 auch in Preußen das Recht, einen Diplomabschluss an einer Technischen Hochschule zu erwerben.
Die Ausstellung verdeutlicht, dass es Architektinnen bis heute schwer haben, sich zu etablieren. Obwohl inzwischen deutlich mehr Frauen als Männer Architektur studieren, kommen nicht alle im Beruf an. Die „missing group“, die Diskrepanz zwischen der Anzahl der Studentinnen und der Zahl der Frauen, die bei den Architektenkammern als Mitglied geführt werden, beträgt rund 20 Prozent. Die Gründe hierfür erfahren die Besucherinnen und Besucher in einem kleinen Filmraum, wo kurze Porträts von insgesamt neun Architektinnen der Geburtsjahrgänge zwischen 1933 und 1991 präsentiert werden. Dort berichtet beispielsweise Anna Heringer (geb. 1977), dass Architektur kein familienfreundlicher Beruf sei. Die 40-Jährige aus dem bayerischen Lauffen muss es wissen: Sie arbeitet seit anderthalb Jahrzehnten als Architektin im eigenen Büro. Genau wie die Studentin Meike Kimmel beobachtet sie einen „Zwang zum Spätarbeiten“, der es vor allem Frauen mit Familien erschwere, sich im Baugewerbe zu etablieren.
Hauptsächlich aber widmet sich die Schau der Historie. Im Rundgang um den kleinen Kinosaal herum werden Fotos, Skizzen und Modelle von 22 deutschsprachigen Frauen präsentiert, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als Architektinnen tätig waren. Damit wollen die Kuratorinnen Mary Pepchinski, Christina Budde und Kurator Wolfgang Voigt auch ein Versäumnis aus der eigenen Geschichte begleichen. Von etwa 370 Ausstellungen, die das DAM seit seiner Gründung im Jahr 1984 gezeigt hat, waren knapp 100 einzelnen männlichen Architekten gewidmet. Nur vier hingegen zeigten das Werk einer Frau. Das ist keineswegs untypisch. Auch in der Forschung spiegelt sich dieses Ungleichgewicht wider. In den Archiven finden sich kaum Nachlässe, und es existieren nur wenige Monografien zum Leben und Werk einzelner Architektinnen.2 Wenn überhaupt, wurden Frauen im Architekturberuf bislang eher in Form von Sammelbänden oder Kollektivbiografien gewürdigt.3
Abb. 2: Entrée der Ausstellung
(Deutsches Architekturmuseum / Foto: Moritz Bernoully)
Die Ausstellung im DAM präsentiert vor allem bekannte Vertreterinnen der Zunft. Zu nennen ist hier Emilie Winkelmann (1875–1951), die ab 1902 – als Gasthörerin – an der Königlichen Technischen Hochschule in Hannover studiert hatte und den Beruf seit dem späten Kaiserreich selbstständig ausübte. Sie gilt als erste deutsche Architektin. Durch ihre Mitgliedschaft in der Berliner Frauenvereinigung Lyceum Club sei sie an ihre Kundschaft gekommen, erfahren die Besucherinnen und Besucher: „Ihr Büro florierte, und sie realisierte Wohngebäude und Gewerbeprojekte für private Auftraggeber und Frauenorganisationen in Berlin und Nordostdeutschland.“
Auch Lilly Reich (1885–1947) begann ihre Karriere im Kaiserreich. Der Schwerpunkt ihrer Arbeiten lag auf Innenausstattungen, sie gestaltete Möbel und konzipierte Ausstellungen. 1912 wurde sie in den Deutschen Werkbund aufgenommen, dessen Vorstand sie später angehörte. Während der Weimarer Republik unterhielt sie ein eigenes Büro und arbeitete eng mit Ludwig Mies van der Rohe zusammen. Ihre gemeinsamen Arbeiten wurden beispielsweise 1927 bei der Weißenhofausstellung in Stuttgart und bei der Weltausstellung 1929 in Barcelona gezeigt.
Abb. 3: Ausstellungsraum mit biografischen Informationstafeln, Fotos, Zeichnungen und Modellen. Lilly Reich ist rechts im Bild zu sehen, Margarete Schütte-Lihotzky im Hintergrund.
(Deutsches Architekturmuseum / Foto: Moritz Bernoully)
Eine der ersten deutschen Architektinnen, die ihr Glück im Ausland versuchten, war die gebürtige Berlinerin Lotte Cohn (1893–1983). Im Jahr 1921 ging sie ins Mandatsgebiet Palästina und eröffnete später ein eigenes Architekturbüro in Tel Aviv. Während der 1930er-Jahre entwarf sie vor allem Wohnanlagen für jüdische Migranten aus Deutschland. Bis zu ihrem Tod schuf sie mehr als 100 Bauten, die „ein facettenreiches Bild des Kulturtransfers modernistischer Strömungen in der Architektur in die Landschaft des Nahen Ostens“ zeigen (Raumtext in der Ausstellung).
Selbstverständlich wird auch Schütte-Lihotzky hier präsentiert – und zwar wenig überraschend als „Architektin im Neuen Frankfurt“. In einem kurzen Nebensatz erfahren die Besucherinnen und Besucher zudem, dass die Wienerin später im Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv war – und deshalb sogar mehrere Jahre im Gefängnis saß. Ganz anders ihre Kollegin Gerdy Troost (1904–2003): Sie war eine Verehrerin des Nationalsozialismus. Obwohl sie kein Studium absolviert hatte und auch keine offizielle Position innehatte, beriet sie seit 1930 Adolf Hitler in Architekturfragen und führte nach dem Tod ihres Mannes Paul Ludwig Troost (1934) dessen Tätigkeit für das NS-Regime weiter. Beispielsweise entwarf sie die Innengestaltung des Berghofs am Obersalzberg. Nach dem Krieg wurde sie als „Minderbelastete“ eingestuft und arbeitete noch lange weiter als Innenarchitektin.
Am Aufbau der jungen Bundesrepublik beteiligt war die Bauhaus-Schülerin Wera Meyer-Waldeck (1906–1964). Unter anderem gestaltete sie die Innenausstattung des Bonner Bundeshauses mit. Später konzipierte die engagierte Frauenrechtlerin in der damaligen Hauptstadt ein Wohnheim für Studentinnen, in das ein Parkplatz für Mopeds, Fahrräder und Autos integriert war. „Wir müssen an die Zukunft denken, in der viele Studentinnen ein eigenes Auto besitzen werden“, erklärte Meyer-Waldeck, kurz bevor sie während der Planung dieses Projekts starb.
Im anderen Teil Deutschlands agierte derweil Iris Dullin-Grund (geb. 1933), die als eine der einflussreichsten Architektinnen der DDR galt. Sie hatte mit Ernst May und Hermann Henselmann zusammengearbeitet. Von 1970 bis 1990 war sie Stadtarchitektin von Neubrandenburg. Nach der deutschen Einheit betrieb sie ein eigenes Architekturbüro in Berlin.
Eine wichtige Vertreterin der Architektur des wiedervereinigten Deutschlands ist Gesine Weinmiller (geb. 1963). In der Ausstellung wird sie deshalb auch als „FRAU ARCHITEKT heute“ präsentiert. Weinmillers Entwurf zum Umbau des Reichstags landete im Wettbewerb gleich hinter Norman Fosters Konzept auf dem 2. Platz. Später erhielt sie den Zuschlag für den Neubau des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt. Derzeit ist sie Professorin an der HafenCity Universität in Hamburg.
Die Frankfurter Ausstellung spannt also einen großen Bogen und präsentiert exemplarisch mehr als 100 Jahre weibliche Architekturgeschichte. Neben den bereits Genannten zeigt sie zudem die Lebensläufe von Victoria zu Bentheim und Steinfurt (1887–1961), von Therese Mogger (1875–1956), Marie Frommer (1890–1976) und Marlene Moeschke-Poelzig (1894–1985). Auch Leben und Werk von Lotte Stam-Beese (1903–1988), Karola Bloch (1905–1994) und Lucy Hillebrand (1906–1997) werden präsentiert, ebenso von Grit Bauer-Revellio (1924–2013), Sigrid Kressmann-Zschach (1929–1990), Merete Mattern (1930–2007), Gertrud Schille (geb. 1940), Verena Dietrich (1941–2004), Ingeborg Kuhler (geb. 1943) und Almut Grüntuch-Ernst (geb. 1966). Diese Namen seien hier ausdrücklich erwähnt, um sie auch jenseits von Fachkreisen etwas bekannter zu machen.
Abb. 4: Ausstellungsraum mit filmischen Porträts (rechts)
(Deutsches Architekturmuseum / Foto: Moritz Bernoully)
Die Macher der Schau erfüllen ihr selbstformuliertes Ziel, den Architektinnen „Gesicht und Stimme [zu] geben“. Leider gewähren sie jedoch den einzelnen Lebensläufen der Frauen und auch ihren konkreten Arbeiten kaum Platz. Jede Architektin wird lediglich anhand weniger Exponate präsentiert: ein paar Fotos, Skizzen und Zeichnungen, einige Dokumente und meist noch ein Holzmodell. Ganze Lebensläufe werden hier nur selten erzählt, wichtige Epochen oftmals ausgespart. Hinzu kommen kleinere inhaltliche Fehler: Margarete Schütte-Lihotzky wurde beispielsweise nicht – wie es im Begleittext heißt – aufgrund ihrer antifaschistischen Tätigkeit zum Tode, sondern lediglich zu zehn Jahren Haft verurteilt. Auch kam sie nicht frei, „als Wien 1945 durch die Amerikaner befreit wurde“. Vielmehr war sie in den letzten Kriegsjahren in der Frauenvollzugsanstalt im bayerischen Aichach inhaftiert, die bei Kriegsende von kanadischen Truppen befreit wurde.
Schwerwiegender ist, dass der Ausstellung eine Synthese fehlt, die versucht, die einzelnen Biografien zusammenzubringen. Selbstverständlich ist die weibliche Architektur ebenso divers wie die männliche. Trotzdem fallen während des Rundgangs einige Gemeinsamkeiten auf. So waren viele der Frauen politisch engagiert – etwa als Frauenrechtlerinnen, Kommunistinnen oder auch als Nationalsozialistinnen. Ist das Zufall und der Auswahl geschuldet? Oder trieben – gerade in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – die Arbeitsbedingungen die Architektinnen in die Politik?
Ebenfalls auffällig ist, dass viele der Frauen im Privatleben prominente Männer an ihrer Seite hatten: Karola Bloch war die Ehefrau des Philosophen Ernst Bloch, Lucy Hillebrand die des Soziologen und SPD-Politikers Erich Gerlach. Ebenfalls mit einem Sozialdemokraten, dem Kreuzberger Bürgermeister Willy Kressmann, war Sigrid Kressmann-Zschach verheiratet. Viele andere hatten einen Architekten zum Lebenspartner: Lilly Reich war mit Mies van der Rohe liiert, Marlene Moeschke-Poelzig war mit Hans Poelzig verheiratet, Margarete Schütte-Lihotzky mit Wilhelm Schütte und Gerdy Troost mit Paul Ludwig Troost. Lotte Stam-Beese hatte ein Verhältnis mit dem Bauhaus-Direktor Hannes Meyer und ehelichte später Mart Stam. Hier drängt sich die Frage auf: Welchen Einfluss hatten die Männer auf die Karrieren der Frauen? Gab es möglicherweise auch Auswirkungen auf die Architektur? Leider werden solche Fragen im Rahmen der Ausstellung nicht gestellt. Auch gehen die Kuratoren kaum der Tatsache nach, dass einige Architektinnen der Zwischenkriegszeit nach 1945 beruflich nur schwer wieder im deutschsprachigen Raum Fuß fassen konnten.
Mehr Hintergrund liefert der Katalog, der inhaltlich weit über die Ausstellung hinausgeht. Neben den in der Schau vorgestellten Architektinnen wird hier auch die im vergangenen Jahr verstorbene Zaha Hadid (1950–2016) porträtiert. Einzelne Beiträge widmen sich zudem deutschsprachigen Architektinnen im Mandatsgebiet Palästina, dem Frauenzentrum Schokofabrik in West-Berlin oder aber der Frage, mit welch negativem Image Frauen im Architekturberuf während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik konfrontiert waren. Vor allem aber gibt es hier jenen zusammenfassenden Überblick zu „100 Jahre Architektinnen in Deutschland“, der in der Schau selbst fehlt – auch wenn einige der oben gestellten Fragen im Begleitband ebenfalls nicht beantwortet werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Pepchinski, Budde und Voigt – trotz der genannten Schwächen – eine wichtige Ausstellung konzipiert haben. Sie verdeutlicht, dass die deutschsprachige Architektur des 20. Jahrhunderts tatsächlich weiblicher war als oftmals dargestellt. Zugleich macht sie darauf aufmerksam, dass es noch ein weiter Weg bis zur endgültigen Gleichstellung von Architektinnen mit ihren männlichen Kollegen ist. „Ich war eigentlich keine Feministin“, konstatiert entsprechend Anna Heringer in ihrem Video-Beitrag. „Aber jetzt bin ich’s. Also der Architekturberuf macht einen schon dazu.“ Noch bis zum Frühjahr 2018 ist die Ausstellung „Frau Architekt“ zu sehen. Sie endet am 8. März – dem Internationalen Frauentag.
Anmerkungen:
1 Regine Jautz, Frauen in der Architektur. Karrierewege und berufliches Handeln selbständiger Architektinnen, phil. Diss. Eberhard-Karls-Universität Tübingen 2000, S. 32.
2 Eine der seltenen Monografien ist: Ines Sonder, Lotte Cohn. Baumeisterin des Landes Israel. Eine Biographie, Berlin 2010. Hinzu kommen einige Ausstellungs- und Werkkataloge. Ich selbst arbeite derzeit an einer Biografie unter dem Titel „Küche, Karriere und Kommunismus. Das Jahrhundertleben der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000)“. Siehe auch die Projektskizze in: The International Newsletter of Communist Studies Online XX/XXI (2014/15), No. 27-28, S. 28-34, https://incs.ub.rub.de/index.php/INCS/article/view/453/0 (24.11.2017).
3 Siehe z.B. Uta Maasberg / Regina Prinz, Die Neuen kommen! Weibliche Avantgarde in der Architektur der zwanziger Jahre, Hamburg 2004, 2. Aufl. 2005; Kerstin Dörhöfer, Pionierinnen in der Architektur. Eine Baugeschichte der Moderne, Tübingen 2004.