H. Thode-Arora: From Samoa with Love?

H. Thode-Arora: From Samoa with Love?

Veranstalter
Staatliche Museum für Völkerkunde, München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.01.2014 - 05.12.2014

Publikation(en)

: From Samoa with Love?. Samoa-Völkerschauen im Deutschen Kaiserreich - eine Spurensuche. München 2014 : Hirmer Verlag, ISBN 978-3-7774-2237-4 216 S. € 39,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Thomas Schwarz, Rikkyo University Tokyo

Joachim Ringelnatz hatte sich Mitte der 1890er Jahre als Schüler auf einer Völkerschau von einer Samoanerin eine kleine Tätowierung stechen lassen. Zu diesem Zweck musste er Unterricht schwänzen, wofür er einen Schulverweis kassierte (S. 194). Diese Anekdote hat Hilke Thode-Arora für den Katalog einer Ausstellung im Münchener Völkerkundemuseum recherchiert, die sie als Kuratorin betreut hat. Das Buch bietet Einblicke in die Rückwirkungen der deutschen Kolonisationsbemühungen im Pazifik auf die koloniale Kultur in den europäischen Metropolen.

Der westliche Teil des samoanischen Archipels war von 1900 bis zum Ersten Weltkrieg deutsche Kolonie. Einführend erklärt Gulamalemana A. Hunkin, ein Experte für Samoa-Studien an der Victoria University Wellington, die Fa'a Samoa, die samoanische Kultur und Lebensweise, vom System der matai, also der 'Häuptlingstitel', bis zur aiga, dem Verband der Großfamilie. Der neuseeländische Historiker Peter Hempenstall hat einen souveränen Abriss der deutsch-samoanischen Geschichte beigesteuert, der vom Engagement des Hamburger Handelshauses Godeffroy seit 1857 über die Etablierung der deutschen Kolonialmacht bis zu deren Ablösung im Ersten Weltkrieg durch Neuseeland führt. Zu den starken Seiten des Buches gehört, dass Hempenstall einen konzisen Überblick über die Wirren der samoanischen Bürgerkriege gibt. Über den deutschen Gouverneur Wilhelm Solf schreibt er, dass es ihm darum gegangen sei, "die Einheimischen zu einer Übernahme der rationalen, kulturellen Ideale des Europas der Aufklärung zu führen". Solfs Amtszeit bewertet Hempenstall als getragen von Bemühungen, "deutsche Rechtsnormen und bürokratische Regeln in die samoanische Gesellschaft einzuführen", gegen den "pränationalistischen Kampf der Samoaner um Erhalt ihrer traditionellen politischen Kultur" (S. 41).

Thode-Arora hat für den Katalog die Biographien der Brüder Fritz und Carl Marquardt rekonstruiert, der wichtigsten Organisatoren der Samoa-Völkerschauen. Fritz hat auf Samoa 1891 die Stelle eines Polizeisergeanten angetreten. Er soll in dieser Eigenschaft gegen Samoaner Strafen wegen Exhibitionismus verhängt haben, wenn sie zum Beispiel nackt badeten oder anderweitig gegen "europäische Regeln der sittlichen Kleidung verstießen". 1893 soll er einen Dieb ausgepeitscht haben (S. 48). Verheiratet war Fritz mit der Tochter eines Franzosen und einer Samoanerin (S. 52f.). Sein Bruder Carl machte sich einen Namen mit der Publikation eines Buches über samoanische Tätowierungen (S. 54f.). Thode-Arora erklärt, dass die Brüder nicht zur Bildungs- und Geldelite gehörten, sondern darauf angewiesen waren, sich ihren Lebensunterhalt mit verschiedenen Jobs zu verdienen (S. 57).

Bereits vor den Marquardts hatte im Jahr 1889 der für einen Zirkusbesitzer tätige Robert Cunningham eine Völkerschau-Reise mit neun Samoanern organisiert, von denen sieben an Masern, Mangelernährung und Lungenerkrankungen starben. In Belgien zog man einem tätowierten Toten die Haut ab, um sie für wissenschaftliche Zwecke zu konservieren. Der mumifizierte Körper eines anderen Verstorbenen wurde in Denver ausgestellt. Eine Berlinerin hat die beiden Überlebenden angeblich bei sich aufgenommen und mit Mitteln ihres wohlhabenden Mannes deren Rückreise finanziert. Thode-Arora deutet einen Kriminalfall an, wenn sie berichtet, dass der Ehemann der hilfsbereiten Berlinerin in dieser Zeit "unter verdächtigen Umständen" ums Leben gekommen sei (S. 89).

Zwischen 1895 und 1897 fand die erste Samoa-Schau der Marquardts statt. In Berlin gastierte die Truppe im Passagen-Panoptikum. Auf Nachfrage von Künstlern soll es dort auch eine Privatséance gegeben haben, bei der sich eine "geschlossene Gesellschaft" im "Interesse der Kunst und Wissenschaft" am Tanz der Samoanerinnen mit nacktem Oberkörper ergötzen durfte. Die prominenteste Samoanerin hieß Fai, der Maler Nathaniel Sichel hat 1896 einen Halbakt von ihr angefertigt, der als Holzschnitt zirkulierte (S. 100-103). Die Ironie dieser Geschichte besteht darin, dass die Kolonialherren die Polynesier in Deutschland auf die Schaustellung ihrer Haut verpflichteten, während sie dieselbe Handlung auf Samoa unter Strafe gestellt hatten.

Die Völkerschau der Jahre 1900/01 präsentierte die Samoaner als die "neuen Landsleute" der Deutschen. Die Darsteller begriffen ihre Reise als malaga, als "traditionelle samoanische Besuchsreise" (S. 115). Die dritte Reise führte 1910/11 auch den samoanischen Würdenträger Tamasese nach Deutschland. Gouverneur Solf wollte ihn außer Landes schaffen, um ihn daran zu hindern, Anspruch auf das Amt des Alii Sili, des samoanischen Oberhäuptlings, zu erheben (S. 138). Die Kolonialmacht verfolgte mit der Reise darüber hinaus ein Ziel, das man épater les indigènes nennt. Tamasese durfte während des Gastspiels in Breslau in einem Parseval-Luftschiff mitfliegen (156). Nach einer Militärparade in Berlin gewährte ihm Kaiser Wilhelm II. eine Audienz (S. 165). Es waren die Kolonialherren selbst, die sich hier zur Schau stellten, um die Samoaner mit ihrer Macht zu beeindrucken.

1910 war die Samoa-Truppe eine der Sensationen des Münchener Oktoberfestes. Prinzregent Luitpold wohnte sichtlich amüsiert einer Vorführung bei (S. 178f.). Das sichert ihm und seiner Epoche, der sogenannten "Prinzregentenzeit", einen längeren Beitrag im Katalog. Die Ausstellungsmacher möchten den "kulturellen Dialog" dadurch befördern, dass sie ihre Exponate auch in Samoa zeigen (S. 13). Vermutlich wäre es für das Publikum im Pazifik sinnvoll, einem samoanischen Anthropologen im Katalog Platz einzuräumen, um aus der Außenperspektive in die bayrische Lebensweise und in die Verwerfungen der deutschen Bürgerkriege einzuführen.

Thode-Arora legt Wert auf die Feststellung, dass "die Völkerschau-Teilnehmer ihren Impresarios während der Europareise nicht komplett und schutzlos ausgeliefert waren" (S. 199). Die Nachfahren der Völkerschau-Reisenden hätten in Gesprächen mit ihr den "menschenverachtenden Aspekt der Völkerschauen, Drangsalierungen, Besucherandrang und Voyeurismus" auch auf Nachfrage hin ausgespart (S. 201). Aus dem kulturellen Gedächtnis der samoanischen Seite scheint die Tatsache verdrängt zu sein, dass man ihre Landsleute während ihrer Europatour auf rassistische Weise in die Nähe von wilden Tieren gerückt hat.

Für eine zweite Auflage könnte die Übersetzung des Textes von Hempenstall durchgesehen werden: "Ein zur elften Stunde wütender Orkan, dem auf seiner Route 93 deutsche und 117 amerikanische Seeleute zum Opfer fielen", ist wohl eher ein Orkan, der die Kriegsparteien USA, Großbritannien und Deutschland im Jahr 1889 'in letzter Minute' (at the 11th hour) "zur Vernunft" brachte (S. 36). Im Interesse der Völkerverständigung betont der Katalog Verbindendes zwischen der deutschen und samoanischen Kultur. So heißt es beispielsweise, dass ein deutscher Militärberater namens Eugen Brandeis in seiner Funktion als "Premier" von "König" Tamasese dessen Tochter geheiratet habe (S. 47). Wer die von Thode-Arora an dieser Stelle ausgewertete Quelle für zuverlässig hält, muss auch andere, wesentlich brisantere Informationen aus diesem zeitgenössischen Bericht des Obermatrosen Adolph Thamm prüfen. Der Autor hält die Wirkung des Beschusses von Samoa durch deutsche Schiffsartillerie im Dezember 1888 fest. Eine Granate allein habe 38 Frauen und 10 Kinder zerfetzt, insgesamt seien 300-400 Samoaner verwundet oder getötet worden. Hempenstall informiert zwar darüber, dass die Samoaner unmittelbar zuvor 16 Blaujacken eines deutschen Landungskommandos umgebracht und weitere 30 verletzt haben (S. 36). Es wäre konsequent, auch die Zahl der samoanischen Opfer dieses Konflikts zu diskutieren und auf die Traumatisierung der samoanischen Seite durch den kolonialen Terror hinzuweisen. Der deutsche Marinearzt Augustin Krämer hat in seiner Samoa-Anthropologie (1903) ein ‚Kriegstanzlied‘ aufgezeichnet, das die Furcht der Samoaner vor den deutschen Strafexpeditionen unmissverständlich zum Ausdruck bringt.

1910 machte eine Samoa-Schau in Dresden Station, wo sich fünf Jahre zuvor die Künstlervereinigung der ‚Brücke‘ formiert hatte. Ernst Ludwig Kirchner hat sich zu einem Holzschnitt mit dem Titel Rudernde Samoanerin anregen lassen, Erich Haeckel zu einem Werk, das einen samoanischen Tanz zeigt (S. 196). Für die Ausstellung in München hat der neuseeländische Künstler Michel Tuffery verschiedene seiner Kunstwerke bereitgestellt. Seine Vorfahren stammen aus Samoa, aber auch von Tahiti und den Cook Islands, so dass der Künstler die pazifische Hybridität gleichsam verkörpert. Ein Holzkamm Tufferys mit dem Titel From Mulinu'u to Berlin zeigt einerseits das Motiv eines samoanischen Versammlungshauses, andererseits das Brandenburger Tor (S. 207). Der Rat der Samoaner verständigt sich hier ohne Worte, das korrespondiert der Tatsache der lückenhaften Überlieferung einer Kolonialgeschichte, die man gegen den Strich kämmen muss. Dieses Kunstwerk lässt dem Publikum Raum, sich Gedanken darüber zu machen, was in Tufferys fono, seiner samoanischen Ratsversammlung, debattiert wird. Auf diese Weise integriert die Kuratorin Thode-Arora auch die kritische Aufarbeitung der traumatischen Erfahrungen Samoas mit der ehemaligen Kolonialmacht aus postkolonialer Perspektive. Mit Michel Tuffery schnitzt das Imperium zurück.

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