Editorial
tele visionen . historiografien des fernsehens
Monika Bernold
Fernsehen ist gestern. Medienhistorische Transformationen und televisuelles Dabeisein nach 1945, ÖZG 12/2001/4, 8-29. [Abstract]
Vrääth Öhner
Wiedersehen macht Freude. Über Archivierung und Rekonstruktion von Fernsehprogrammen, ÖZG 12/2001/4, 30-41. [Abstract]
William Urrichio
Reflections on a Forgotten Past. Early German Televisions as a History of Absences, ÖZG 12/2001/4, 42-59. [Abstract]
Sylvia Szely
Seismographen der Gegenwart? Die Transformationen des ORF-Fernsehspiels in den siebziger Jahren, ÖZG 12/2001/4, 60-72. [Abstract]
Lynn Spigel
High Culture in Low Places. Television and Modern Art, 1950-1970, ÖZG 12/2001/4, 73-112. [Abstract]
Gespräch
Joseph Vogl / Alessandro Barberi
Historische Epistemologie und Medienwissenschaft, ÖZG 12/2001/4, 115-128.
Forum
Siegfried Mattl
Back to the future. Die Neuregulierung des österreichischen Fernsehmarktes, ÖZG 12/2001/4, 129-135.
Barbara Köpplová / Jan Jirák
Der Prager TV-Streik und die Auseinandersetzung um das öffentlich-rechtliche Fernsehen in der Tschechischen Republik, ÖZG 12/2001/4, 136-143.
Heike Klippel
Verwaschene Geschichte. Zur Vergangenheit in der Seifenoper, ÖZG 12/2001/4, 144-149.
Elisabeth Büttner / Christian Dewald
Eine Geschichte des österreichischen Films von der Pionierzeit bis zum Kalten Krieg. Ein Autorenbericht zum Buchprojekt, ÖZG 12/2001/4, 150-152.
Anna Schober
Die doppelte Sprache der Kleider, Gebärden und Bauten. Öffentlichkeit und Raum in der Begriffswelt Hannah Arendts. Ein Workshop im Forum Stadtpark, ÖZG 12/2001/4, 153-159.
Editorial, ÖZG 12/2001/4
Auch HistorikerInnen sehen fern. Aber was bedeutet das für die Produktion geschichtswissenschaftlichen Wissens? Vor dem Hintergrund massiver ökonomischer und technologischer Veränderungsprozesse der transnationalen Medienlandschaften und im Kontext aktueller demokratiepolitischer Auseinandersetzungen um öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten präsentiert die Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften diesen Band. Seine Aufgabe ist es, die Relevanz eines differenzierenden und historisierenden Blicks auf 'die' Medien exemplarisch am Fernsehen zur Diskussion zu stellen. Der Band präsentiert Zugänge zum Fernsehen, die in unterschiedlicher Weise den Wandel von televisuellen Identitätspolitiken und Wahrnehmungsweisen thematisieren und an den Konstitutionsbedingungen historischer Wissens- und Machtformationen interessiert sind. Dabei zeigen sich heterogene Schnittflächen der Geschichts- und der Medienwissenschaften. Nicht zuletzt bieten sich Ausblicke auf künftige medienpolitische Entwicklungen.
Thematisch ist TeleVisionen an zwei Erkenntnisfeldern orientiert, die in allen ausgewählten Beiträgen auf verschiedene Weise berührt, verschränkt oder ins Zentrum gerückt werden: Erstens, der Zusammenhang von Fernsehen, Archiv und Gedächtnis. Er wird in den Beiträgen von Monika Bernold, Vrääth Öhners und William Urrichio erörtert. Zweitens, der Zusammenhang von Fernsehen und Identitätspolitiken in der (Post-)Moderne. Er wird in den Beiträgen von Lynn Spigel und Sylivia Szely untersucht. Dabei stehen Formen der Intermedialität im Zentrum des Interesses.
Der Band enthält mikrohistorische und konzeptive Zugänge zum Fernsehen, dokumentiert aktuelle Arbeiten zur Geschichte des Fernsehens in Österreich und eröffnet eine transdisziplinäre und internationale Forschungsperspektive. Dass die Herausgeberinnen zwei angloamerikanische Arbeiten in den Band aufgenommen haben, zeigt nicht nur den hegemonialen Status US-amerikanischer Medienkonzerne, sondern auch den hohen Rang der anglo-amerikanischen Forschung im Feld der Medientheorie und der Fernseh- und Filmwissenschaft.
Der einleitende Beitrag Fernsehen ist gestern von Monika Bernold fragt nach dem prekären Ort des Fernsehens in der Geschichtswissenschaft und thematisiert die wahrnehmungshistorischen Effekte der Television auf historische Wissensproduktionen. Ausgehend von dem Konzept der Augen/Zeit/Zeugenschaft beschreibt die Autorin Fernsehen als dispositive Anordnung der Zugehörigkeit und rekonstruiert die sich wandelnden televisuellen Angebote des 'Dabei-seins' nach 1945. Die These: In Österreich konstituierte sich während der 1960er und 1970er Jahre eine Fernseh-Nation, die sich im Zuge des Umbaus der Medienlandschaft seit den 1980er Jahren in andere Formen televisuell und intermedial vermittelter Zugehörigkeiten diversifiziert.
Vrääth Öhner thematisiert in seinem Beitrag Wiedersehen macht Freude den Zusammenhang von Archiv und Fernsehgeschichte. Er reflektiert jene theoretischen und praktischen Probleme, die sich einer an der Programmgeschichte interessierten Fernsehforschung entgegenstellen. Darüber hinaus skizziert Öhner aber auch die epistemologischen Bedingungen der Möglichkeit, das aufgefundene audiovisuelle Material im Sinne seiner gesellschaftlichen Relevanz historisch zu rekonstruieren.
William Uricchio unternimmt in seinem Artikel Reflections on a Forgotten Past: Early German Television as a History of Absences die Rekonstruktion einer als vergessen markierten Vergangenheit des deutschen Fernsehens zwischen 1935 und 1944. Die provokante Frage »How did German television disappear from popular memory?« mündet in der Untersuchung des Mediums selbst als Objekt des Gedächtnisses und des Vergessens und analysiert die Geschichte der Technologie vor dem Hintergrund eines belasteten Anfangs im nationalsozialistischen Deutschland. Eine Geschichte, die während der 1930er Jahre und über den Krieg hinaus von multinationalen Formen der Zusammenarbeit begleitet war. Die durch den Kriegsausgang legitimierte Praxis des vereinfachten Zugriffs auf die deutsche Fernsehtechnologie (als Kriegsbeute) hat, so die These, eine Leerstelle im populären Gedächtnis an das frühe Fernsehen aktiv mitgestaltet.
Der Text von Sylvia Szely zum österreichischen Fernsehspiel der 1970er Jahre kreist um Fragen der Intermedialität von Literatur, Film und Fernsehen. Vor dem Hintergrund des sozialliberalen Konsenses (Ernst Hanisch) und den spezifischen politischen Entwicklungen, die jene 1970er Jahre prägten, sollten sich die zu Beginn noch sehr spielerischen, offenen Formen fiktionaler Fernsehformate des österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks ORF schrittweise verfestigen. Dabei nahmen sie vielfach auf Literatur und Film Bezug. Was als die Aufarbeitung zeitgenössischer österreichischer Wirklichkeit beschworen wurde, stand in bestimmten inhaltlichen und ästhetischen Traditionen, denen Szely in ihrem Text kritisch nachzugehen versucht.
Lynn Spigel eröffnet mit ihrem Text High Culture in Low Places: Television and Modern Art, 1950-1970 einen Blick auf die Rolle des US-amerikanischen Fernsehens zwischen Kunst und Konsumkultur. Ausgangspunkt ist die Frage, in welcher Weise das US-amerikanische Fernsehen das Bild von Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg mittels der Popularisierung von Kunst definierte. Spigel zeigt, dass der Popularisierung amerikanischer Kunst (zum Beispiel der Pop Art) im Fernsehen in Abgrenzung von einer europäisch markierten Moderne hohe Bedeutung zukam. Der Beitrag rekonstruiert ein komplexes Feld dichotomischer Bedeutungskonstruktionen (high/ low, european/ american, modern/ postmodern), die mit der Herstellung des Bildes von 'amerikanischer' Kunst verbunden waren. Er analysiert dabei auch die geschlechtlich kodierten und die rassistischen Ökonomien der US-amerikanischen Kunstwelt der 1950er und 1960er Jahre, die über das Fernsehen ein weiblich identifiziertes, weißes Mittelschichtpublikum adressierten.
Die Beiträge im Forum des vorliegenden Bandes befassen sich mit aktuellen medienpolitischen Entwicklungen, in denen die Organisierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens als Einsatz demokratiepolitischer Transformationen lesbar wird. Köpplova und Jirak analysieren die demokratiepolitischen Auseinandersetzungen um das öffentlich-rechtliche Fernsehen in der Tschechischen Republik im Dezember 2000 aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. Siegfried Mattl rekonstruiert die politischen und medien- bzw. kulturtheoretischen Effekte der aktuellen Restrukturierung der österreichischen Medienlandschaft vor dem Hintergrund eines neuen Rundfunk- und Privatradiogesetzes in Österreich.
Dem haben wir aktuelle Werkstattberichte hinzugefügt, die für das disziplinenübergreifende Feld der Fernsehforschung und Fernsehgeschichte relevant sind. Heike Klippel stellt Überlegungen zur Vergangenheit in der Seifenoper an, Elisabeth Büttner und Christian Dewald präsentieren österreichischen Films von der Pionierzeit bis zum Kalten das Folgeprojekt zu Anschluß an Morgen, das eine Geschichte des Krieges entwirft. Anna Schober stellt das Konzept zu einem Workshop vor, der sich mit Öffentlichkeit und Raum in der Begriffswelt Hannah Arendts auseinandersetzen wird.
Das Gespräch, das Alessandro Barberi mit dem deutschen Medientheoretiker Joseph Vogl geführt hat, enthält vielfältige Korrespondenzen mit den Fragen und Überlegungen, die in den Aufsätzen dieses Bandes aufgeworfen werden, kreuzt oder durchkreuzt diese gewissermaßen absichtslos. Die Frage des Archivs und der Wiederholung etwa oder die der unterschiedlichen Zeitlichkeit. Für eine medienhistorische Perspektive, so Vogl, ginge es darum, neue Formen der Grenzüberwindung zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen zu forcieren und das Projekt der Entnationalisierung von Wissenschaften voranzutreiben. Beides basiere auf der Notwendigkeit, die Konstitutionsbedingungen von historischen Wissensformen immer wieder zu reflektieren. Das Heft TeleVisionen versteht sich als ein Beitrag dazu und wird an eben diesen Forderungen zu messen sein.
Monika Bernold / Sylvia Szely, Wien
Abstracts, ÖZG 12/2001/4, 113-114.
Monika Bernold: Television is yesterday: historical transformations of media and televisual »being there« since 1945, pp. 8-29.
The author outlines a number of conceptual approaches from media studies that are of interest for television history. In combining media studies and historical science perspectives, she argues for the historicisation of television and for the use of media studies theory in historical approaches to the subject. Taking J. Ellis’ concept of 'witness' as a starting point, the author utilizes the notion of eyes/time/witnessing in order to locate television in a complex relationship to history and memory. She describes television as a dispositive means of assigning a sense of belonging; the different historical forms that this process takes must then be considered as of fundamental importance to a history of collective mentalities and representations since 1945. By drawing on examples from the history of television in Austria in the 1960s, 1970s and 1990s, the author goes on to demonstrate how television was able to generate different forms of televisual »being there« (a »Television National«, a TV-based community of remembering, a cultural memory of the banal), which corresponded closely with the development of changing media landscapes.
Vrääth Öhner: The joy of re-watching. On the archivisation and reconstruction of television programmes, pp. 30-41.
The article attempts to analyse some of the problems arising from a program-oriented history of television by applying Michel Foucault’s definition of the »archive« as an historical apriori. Foucault proposes that the archive creates a boundary not only between what is lost and what is kept, but also between the positivity of what is collected and the time when the reading of the archived material takes place.
Accordingly, it is worthwhile concentrating on a symptomatic reading of historical programs, where the concern is not so much to measure the full range of everything transmitted during a particular historical period, but rather to focus on what differentiates television from other media such as the cinema. If, for example, social identity is mediated by the reflection of domestic fantasies rather than via the anxious or pleasurable experience of watching »others«, then it can be suggested that it is in fact nationally or culturally encoded identities which must be understood as constituting the »other« in televisual images.
William Uricchio: Reflections on a Forgotten Past: Early German Television as a History of Absences, pp. 42-59.
In March 1935, Germany announced the world’s first public, daily television service - a service that lasted more or less unbroken until the end of the war. Despite extensive publicity, despite a fabric of collaborations with allied countries, somehow the events of this nine year episode have largely vanished from popular memory. How might we account for this? And what might the implications be for thinking about our construction of history? This essay takes on the rather vast (and vexed) issue of forgetting through a case study of Fernsehsender Paul Nipkow, arguing that forgetting has patterns and texture, in the process trying to give form to that which has slipped away.
Sylvia Szely: Seismographs of the present? The transformation of television drama series on Austrian ORF in den 1970s, pp. 60-72.
The productions emanating from Austrian ORF for drama series in the 1970s oscillated between three different media: Firstly, the then still comparatively young medium of television itself, which at the start of the decade was characterised by openness, not just in terms of possible program content, but also as regards forms of presentation and representation. This fluidity derived from contemporary political circumstances, as well as from the fact that no clearly defined genre had yet developed in this area. Secondly, literature provided a large amount of program material, as was the case with most other publicly-owned state television channels at the time. However, much greater emphasis was placed now on contemporary Austrian literature. Lastly, film also played a specific role. Many of the drama series were produced on film and the ORF co-financed most of the relevant film projects because the Austrian film industry was in crisis: It had continued in the same direction since 1945, failing to undergo either an aesthetic renewal or a financial restructuring.
Lynn Spigel: High Culture in Low Places: Television and Modern Art, 1950-1970, pp.73-112.
This essay examines the role that television played in defining the American image after World War II. It focuses on how television served to popularize modern painting (especially abstract expressionism and Pop art), and it looks how television contributed to the nationalist goal of creating a uniquely »American« image - distinct from European painting, especially that of Paris. It argues that television valorized advertising art as the quintessential American and democratic form, and in the process led the way to the popular embrace of Popism. The essay also considers television’s role in the gendered economies of the postwar art world. In particular, it considers how television programs about the arts addressed a family/housewife audience, and it also shows how television portrayed artists in relation to gender and sexual politics.