medien & zeit 33 (2018), 2

Titel der Ausgabe 
medien & zeit 33 (2018), 2
Weiterer Titel 
Inmitten des Digitalen. Internationale Programmatiken und österreichische Fallbeispiele

Erschienen
Wien 2018: Selbstverlag
Erscheint 
vier Ausgaben jährlich
Anzahl Seiten
72 S.
Preis
6,50 €

 

Kontakt

Institution
medien & zeit. Kommunikation in Vergangenheit und Gegenwart
Land
Austria
c/o
Arbeitskreis für historische Kommunikationsforschung (AHK) Währinger Straße 29 A-1090 Wien <redaktion@medienundzeit.at>
Von
Krakovsky, Christina

Der Wissenschaft begegnet das Digitale, verknappt gesprochen, zumeist in drei Formen, die sich disziplinübergreifend finden lassen: in der Digitalisierung analoger Bestände, in der Erstellung digitaler Daten und in den neuen Möglichkeiten IT-gestützter Durchdringung digitaler Repositorien. Das Beforschen, Erschließen und Vermitteln von Quellen vor einem Horizont, der nicht mehr analoges Material, vornehmlich Gedrucktes, als notwendiges Zentrum bedeutet und eine veränderte Öffentlichkeit mitmeint, erzeugte und erzeugt insbesondere in den Sozial- und Geisteswissenschaften ein Bündel von Erwartungshaltungen gegenüber den Möglichkeiten digitaler Technologien, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Einmal mehr scheint sich Umberto Ecos titelspendendes Diktum von „Apokalyptikern“ und „Integrierten“ zu bewahrheiten: Da ist einerseits ein Raunen über die angeblich schier unüberwindlich scheinenden Hürden, die das Drohgespenst Digitalisierung mit sich bringt, zu vernehmen. Müssen nun etwa alle Sozial- und GeisteswissenschafterInnen ausgeklügelte Programmieraufgaben lösen? Kann die Masse an digitalen Inhalten überhaupt bearbeitet, sinnvoll vermittelt und auch langfristig bewahrt werden? Verstellt nicht die Auswahl dessen, was digitalisiert wird, den Blick auf die eigentlichen Bestände, erleben wir also einen verzerrten Eindruck davon, was tradiert und erhalten wird? Und wie können diese Inhalte wieder aufgespürt, rechtlich einwandfrei erschlossen und durchsuchbar gemacht werden? Woher die Ressourcen nehmen, um die täglich produzierten Massen an Digitalisaten und digitalen Inhalten feinsäuberlich zu ordnen, zu strukturieren und – so sie vorhanden sind – gemäß standardisierten Normen zu annotieren? Andererseits wird zugleich ein fröhliches Jauchzen über das Betreten dieses für die wissenschaftliche Bearbeitung nach wie vor als Neuland gesehenen Forschungsfeldes vernehmbar. Getragen von der Hoffnung auf präzise, angeblich auf Knopfdruck zu leistende Durchleuchtungen riesiger Datenmengen sowie auf vermeintlich mühelose und lukrative inter- und transdisziplinären Zusammenarbeiten, könnte man fälschlicherweise annehmen, mit der Digitalisierung sei die Arbeit ja schon so gut wie getan. Ähnliches ließe sich über die Öffnung der Wissenschaft und die direkte Einbindung einer großen Allgemeinheit durch partizipative Digitalisierungsprojekte sagen. Man denke auch an die Möglichkeit zumindest den zugänglichen Ausschnitt der (Alltags-)Kommunikation quer durch soziale Schichten, die sich in den Gefilden der social media tummeln, auszuwerten oder ArchivarInnen von der Last der knappen Raumressourcen durch digitale Speicherung zu befreien. Man denke aber auch an die Tradition medien- und kommunikationshistorischer Disziplinen, die gerade in der Handhabung mit zweifelhaftem oder unvollständigem Datenmaterial auf einen beträchtlichen Erfahrungsschatz rückgreifen können. Man denke an ihre Lösungskompetenzen, Rekonstruktionsstrategien und Reflexionsvermögen im Umgang mit der Auffindbarkeit und Flüchtigkeit von mitunter mangelhaften Quellenkorpora. Berechtigte Freude und honest mistakes scheinen, so der Gesamteindruck, gleichermaßen gut verteilt.

Die vorliegende medien & zeit Ausgabe "Inmitten des Digitalen" beschäftigt sich mit dem Für und Wider beider hier angedeuteter Seiten und bringt dabei programmatische Standpunkte als auch forschungspraktische Einsichten aufs Tapet.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt:

ERIK KOENEN, CHRISTIAN SCHWARZENEGGER, LISA BOLZ, PETER GENTZEL, LEIF KRAMP, CHRISTIAN PENTZOLD & CHRISTINA SANKO:
Historische Kommunikations- und Medienforschung im digitalen Zeitalter. Ein Kollektivbeitrag der Initiative „Kommunikationsgeschichte digitalisieren“ zu Konturen, Problemen und Potentialen kommunikations- und medienhistorischer Forschung in digitalen Kontexten, S. 4–19

Das Initiativ-Netzwerk „Kommunikationsgeschichte digitalisieren: Historische Kommunikationsforschung im digitalen Zeitalter“ der Fachgruppe „Kommunikationsgeschichte“ der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und des Nachwuchsforums „Kommunikationsgeschichte“ NaKoge, das sich mit diesem Beitrag vorstellt, verfolgt vor dem Hintergrund des nachhaltigen und tiefgreifenden digitalen Strukturwandels wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung und der zunehmenden Relevanz digitaler Forschungskontexte, wie sie aktuell auch in der Kommunikations- und Medienwissenschaft intensiv diskutiert werden, das Ziel, die historische Kommunikations- und Medienforschung für die vielfältigen Herausforderungen der Digitalisierung und die Zukunft fit zu machen. Im Mittelpunkt stehen die Fragen, wie sich im Kontext der Digitalisierung feldspezifische Erkenntnisinteressen, Methoden und Themen verändern und verschieben und welche spezifischen Fragestellungen, Herausforderungen und Perspektiven hieraus für die Kommunikations- und Mediengeschichte resultieren. Mit diesem Kollektivbeitrag sondieren die Initiatoren gemeinsam mit ProtagonistInnen der ersten Stunde wesentliche Schauplätze und Themenbereiche, die eine Diskussion zur historischen Kommunikations- und Medienforschung in digitalen Zeiten zu bearbeiten und zu berücksichtigen hat, und wollen damit zugleich Impulse für die weitere Diskussion und Forschung setzen. Programmatisch vermessen und reflektiert werden die Konturen, Probleme und Potentiale der Digitalisierung historischer Kommunikations- und Medienforschung und kommunikations- und medienhistorischer Erforschung der Digitalisierung in den Dimensionen (1.) Erkenntnisfokus, Gegenstandsbereich und theoretische Perspektiven, (2.) Methoden sowie (3.) Quellen.

CLAUDIA RESCH:
„Zeitungs Lust und Nutz“ im digitalen Zeitalter Partizipative. Ansätze zur Erschließung historischer Ausgaben der Wiener Zeitung, S. 20–31

Das "Wien(n)erische Diarium" (heute: "Wiener Zeitung") liegt seit seiner Gründung 1703 als Quellenbestand geschlossen vor. An seiner Nutzung in einer digitalen Umgebung besteht großes wissenschaftliches Interesse, das aus mehreren geisteswissenschaftlichen Disziplinen hervorgeht: u.a. aus der Mediengeschichte, Kunstgeschichte, Musikgeschichte, Literaturwissenschaft, Zeremonialforschung, Namenforschung oder der historischen Linguistik. Ausgangspunkt dieses Beitrags ist die Vorstellung eines Projekts, das sich mit der digitalen Erschließung dieses wertvollen Datenschatzes beschäftigt und für das 18. Jahrhundert eine repräsentative Sammlung von verlässlichen Volltexten erarbeitet. Das Vorhaben erprobt dabei auch partizipative, digitale Methoden und lädt Forschende dazu ein, ihr Fachwissen über die Texte bei deren Erschließung einzubringen. Zukünftige NutzerInnen sind daher frühzeitig in den von Beginn an interdisziplinär und kollaborativ angelegten Erschließungsprozess involviert – darin besteht die Herausforderung, aber auch die Innovation dieses Vorhabens.

CHRISTIAN ZOLLES, LAURA TEZAREK & ARNO HERBERTH:
Den Aufstieg der Digital Humanities mit Andreas Okopenko denken, S. 32–40

Nach langer Vorlaufzeit hat der ‚digital turn‘ auch die Geisteswissenschaften erfasst und zum neuen institutionalisierten Forschungsfeld der Digital Humanities geführt. Ihr Aufgabenbereich umfasst die Adaption und Reflexion der neuen digitalen Kommunikationsformen, Anwendungsbereiche und Methoden in Forschung und Lehre sowie die zeitgemäße Archivierung, Vernetzung und Vermittlung relevanter ‚kultureller Informationen‘. Diese Vorhaben treffen auf eine im deutschsprachigen Raum traditionell eher hierarchisch, insular und mittlerweile außerordentlich prekär strukturierte Hochschullandschaft, die sich nur langsam den Prinzipien eines freien Datenaustausches, offener Kollaborationen und flexibler Problemlösungsstrategien öffnet. Es wird sich weisen, ob und welche Versprechen von Digitalität eingelöst werden können. Eines der Versprechen hat der österreichische experimentelle Autor und ‚Hypertext-Pionier‘ Andreas Okopenko, dessen Tagebücher derzeit hybrid ediert werden, bereits früh vorgegeben. Zukünftigen HistorikerInnen hat er Denkfiguren an die Hand gegeben, anhand derer nachvollziehbar wird, was es geheißen haben könnte, Kommunikation unter digitalen Gesichtspunkten zu emanzipieren: das Denken ‚fluidisch‘ nicht den Algorithmen, die Navigation ‚konkretionistisch‘ nicht den Domains zu überlassen.

THOMAS BALLHAUSEN:
Preservation im Zeitalter der Drohnen. Aus den Vorarbeiten zu einer Archivpolitik der Sorge, S. 41–48

ANDREA REISNER:
Im Zeichen der Rotationsmaschine Zum Bild des Journalismus in Heimito von Doderers Roman "Die Dämonen", RESEARCH CORNER, S. 49–63

In diesem Beitrag werden für die historische Kommunikationsforschung relevante Teile meiner Dissertation über Schreibszenen in Heimito von Doderers "Dämonen" präsentiert. Welches Bild zeichnet Doderer, der sich vor allem in der Zeit der Ersten Republik selbst als Journalist versuchte, in diesem 1956 erschienenen Roman von der Zeitungsbranche? Dieser Frage wird anhand einer genauen textlichen Analyse des Romankapitels „Die Allianz“ nachgegangen. Das redaktionelle Personal ist in ein Geflecht teils verborgener Beziehungen und Abhängigkeiten verstrickt und streng hierarchisch unterteilt, von einer grauen Eminenz an der Spitze des Konzerns bis hin zu den ganz unten stehenden anonymen freien Mitarbeitern („Larven“). Aufschlussreich ist es auch, einen genaueren Blick auf das fiktive Verlagsgebäude zu werfen, das als Labyrinth aus Gängen und Treppen erscheint. Journalistisches Schreiben wird in den Dämonen nicht als intellektuelle Tätigkeit, sondern – in Abgrenzung etwa zum schriftstellerischen oder wissenschaftlichen Schreiben – als körperlich anstrengende Schufterei, als Drecksarbeit geschildert. Ein Vergleich von Doderers Darstellung des Journalismus mit einer NS-Propagandaschrift fördert zuletzt etliche Parallelen in der Verwendung antisemitischer Klischees zutage.

Rezensionen, S. 64–71

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