Als die alte Pressemetropole Berlin 1945 in Schutt und Asche und obendrein mitten in der sowjetischen Zone lag, mauserte sich Hamburg erstaunlich schnell zum neuen dominierenden Pressestandort in Westdeutschland. Anscheinend stand gerade hier ein Personal bereit, das über journalistische Erfahrung verfügte, politisch weitgehend unbelastet war und trotz aller Widrigkeiten über genügend Kapital, Initiative und Ideenreichtum verfügte, moderne Zeitungen und Zeitschriften zu machen. Von den Hamburger Verlegerpersönlichkeiten der frühen Nachkriegszeit geht für Historiker auch deshalb eine große Faszination aus, weil sie Politik und Gesellschaft der Zeit nicht nur in ihren Blättern beschreiben ließen, sondern zum Teil mitgestalteten. Anhand einer Verlegerbiografie lässt sich folglich anschaulich und spannend die Geschichte der jungen Bundesrepublik auf ihrem Weg in die politische, gesellschaftliche und ideelle demokratisch-westliche Gemeinschaft nachzeichnen. Dies gilt nicht nur für Axel Springer und seinen Zeitungsverlag. Doch Springers rasanter Aufstieg zum erfolgreichsten Zeitungsverleger Deutschlands, die schiere Zahl und Auflagenhöhe der Publikationen seines Verlages und die Vehemenz, mit der er über Jahre hinweg die öffentliche Meinung polarisierte, macht aus ihm ein besonders reizvolles historisches Thema.
Diesem Thema hat sich Hans-Peter Schwarz nun in seinem fulminanten Buch angenommen. Der ausgewiesene Kenner der bundesdeutschen Geschichte und profunde Adenauer-Biograf ist bestens geeignet, am Beispiel Axel Springers Zeitgeschichte, Verlagsgeschichte und Biografie parallel und mit Erkenntnisgewinn zu betrachten. Schwarz arbeitet Springers Biografie fast ausschließlich aus archivalischen Quellen und Interviews mit Beteiligten heraus, übernimmt aber nicht gutgläubig die Binnensicht des Verlegers, sondern stellt diese auf den Prüfstand der zeithistorischen Fakten. Das Ergebnis ist eine umfangreiche und gut lesbare Studie, die Axel Springer freundlich, zugleich aber aus kritischer Distanz porträtiert.
Das Buch folgt, wie für eine Biografie naheliegend, weitgehend der Chronologie der Ereignisse. Detailreich, ohne sich aber in Einzelheiten zu verlieren, zeichnet der Biograf den Werdegang Axel Springers und seines Verlages nach. Wie alle Biografen vor ihm steht auch Hans-Peter Schwarz vor dem Problem, dass aus Kindheit, Jugend und den verlegerischen Anfängen Springers nur wenige schriftliche Zeugnisse vorliegen, dafür aber um so mehr Legenden, die oft von Springer selbst kolportiert wurden – die „Springer-Saga“, wie Schwarz sie nennt. Um die frühen Jahre überhaupt umreißen zu können, muss auf diese Springer-Saga zurückgegriffen werden. Schwarz bindet sie jedoch sehr aussagekräftig immer wieder an die Persönlichkeit und den Werdegang Springers zurück und schildert zum Beispiel, wie der junge Mann dank seines unternehmungslustigen Lebenswandels in der Vorkriegszeit gut in Hamburg vernetzt war – eine Tatsache, die ihm nach 1945 bei seinem Streben nach Zeitschriftenlizenzen äußerst hilfreich war.
Ausführlich arbeitet Hans-Peter Schwarz die frühen Prägungen des späteren „Mammutverlegers“ (so Springer über sich selbst) heraus. Neben dem preußisch-hanseatischen Einfluss nennt er vor allem die elterliche Prägung: wirtschaftsbürgerlich-patriarchalisch der Vater, bildungsbürgerlich-schöngeistig die Mutter. Damit verkörpere Springer die komplette bürgerliche Wertewelt – eine interessante Perspektive, die Schwarz in seinem Buch leider nicht weiter vertieft. Doch der Spagat zwischen diesen beiden Polen, den Springer sein Leben lang zu vollbringen suchte, zieht sich als ein roter Strang durch die Biografie: Auf der einen Seite der extrem geschäftstüchtige Großverleger, auf der anderen Seite der harmoniesüchtige Sunnyboy und Ästhet. Deutlich macht Schwarz auch, wodurch Springer im Gegensatz zu vielen – vor allem männlichen – Altersgenossen nicht geprägt wurde. So interessierte sich der junge Axel weder für die Jugendbewegung, noch spielte das Militär eine besondere Rolle – letzteres ist vor dem zeithistorischen Hintergrund besonders erstaunlich. Wohl nicht zuletzt dank der inneren Distanz zu Militär und der in Teilen durchaus konformistisch und nach dem Führerprinzip funktionierenden Jugendbewegung kam Axel Springer relativ unbehelligt durch die nationalsozialistische Zeit. Sie stellte zwar, so Schwarz, kein besonderes Ruhmesblatt in Springers Leben dar, doch konnte man ihn trotz kurzzeitiger Mitgliedschaft im Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) eigentlich nicht einmal als Mitläufer bezeichnen.
Den chronologischen Verlagsaufbau untersetzt Schwarz mit Kapiteln, in denen er konzentrierter auf Axel Springers Persönlichkeit eingeht. 1957 war für den Verleger ein persönlich schwieriges Jahr. Es ist wohl nicht ganz klar, ob seine tiefe Religiosität dieser Zeit mit Ursache der Sinnkrise war, die er durchlebte, oder eher der Versuch, sie auf diese Weise zu meistern. Doch auch hier bleibt der Biograf nicht bei der reinen Biografie stehen, sondern verknüpft Springers psychische und religiöse Probleme mit der generellen politischen Entwicklung und der politischen Linie seiner Blätter. Springers Sinnkrise erscheint so als ein persönliches Drama des Verlegers, mitverursacht durch die Sorge um die bundesdeutsche Politik und mit Auswirkungen auf die Linie der Verlagspublikationen.
Auch bei der berüchtigten Moskau-Reise des Verlegers im Januar 1958 verfährt Schwarz nach diesem Muster. Springer reiste offenbar in der festen Überzeugung zu Chruschtschow, diesen mit einem eigenen Plan zur deutschen Wiedervereinigung überzeugen zu können. Stattdessen düpierten die Russen Springer nach dem Gespräch durch die Verbreitung eines vorgefertigten Interviews. Schwarz arbeitet Springers Motivation zu diesem Gespräch ebenso klar heraus wie die damit inkompatible sowjetische Interessenlage 1958. Dabei wird deutlich, wie naiv unpolitisch Springer an das Gespräch heranging, doch beschreibt Schwarz die ganze „törichte“ Aktion so, dass die Rezensentin eher Mitleid mit dem blauäugig vorgehenden Großverleger empfand.
Die höchst gelungene, informative Verquickung der drei Erzählstränge a) Person des Verlegers, b) Entwicklung des Verlages und c) bundesdeutsche Rahmenbedingungen sind eindeutig die große Stärke des Buches. Der Ansatz ist nicht neu, wird von Schwarz aber in erfreulicher Konsequenz verfolgt. So kann, ein letztes Beispiel, der Leser oder die Leserin gut nachvollziehen, wie aus dem zuvor weitgehend beliebten und erfolgreichen Verleger Ende der 1960er-Jahre der große Buhmann der Nation werden konnte – und auch warum Axel Springer selbst für diese Entwicklung keinerlei Verständnis aufbringen konnte. „Seid nett zueinander“, das berühmte Motto seines „Hamburger Abendblatts“, war für ihn in gewisser Weise auch ein Lebensmotto. Dass er nun einer der meistgehassten Männer der Republik wurde, passte daher nicht zu Springers Selbstbild. Zudem sah er sich aufgrund des anhaltenden Verkaufserfolges seiner Blätter weiterhin in Übereinstimmung mit dem deutschen mainstream und entwickelte kein Gespür für die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen der 1960er-Jahre und deren zunehmende Meinungsmacht.
Die zweite Stärke des Buches ist in gewisser Weise auch eine Schwäche: die starke Konzentration auf Archivalien. Schwarz vermeidet dadurch eine konkrete Auseinandersetzung mit der bisherigen – immerhin gerade bei Axel Springer und seinem Verlag recht zahlreichen – Literatur, will sich aber dennoch immer wieder von dieser distanzieren. Dies wird besonders in dem Kapitel „Der politische Verleger“ deutlich. Hier versucht Schwarz den Nachweis zu führen, dass Axel Springer nicht erst durch die Reise nach Russland 1958 wie „später häufig behauptet“ (S. 204), sondern bereits durch den Kauf der „Welt“ 1953 zu einem politischen Verleger wurde. Als Verleger der damals noch auflagenstärksten überregionalen Qualitätszeitung habe er politische Meinungen gehabt und sei von führenden Politikern wie zum Beispiel Konrad Adenauer auch für die Artikel in seinen Blättern zur Rechenschaft gezogen worden. Dies ist zwar zutreffend, doch Springers Ziel war in dieser Zeit vor allem die Auflage seiner Blätter zu verbessern; eine politische Botschaft wollte er noch nicht unter das Volk bringen. Im Unterschied zu der Zeit ab etwa 1958 erteilte der Verleger seinen Chefredakteuren und Journalisten daher noch keine Direktiven zugunsten einer einheitlichen politischen Linie. Schwarz‘ Distanz zur weitgehend ungenannten bisherigen Literatur vermag hier nicht recht zu überzeugen, und eine direktere Auseinandersetzung mit der älteren Forschungsliteratur wäre wünschenswert gewesen.
Hans-Peter Schwarz stellt Axel Springer nicht in wirklich neuem Licht dar. Die Frage, warum Springer zu „einer der Schlüsselfiguren deutscher Zeitgeschichte“ (S. 16) werden konnte, wurde bereits von mehreren Wissenschaftlern und Journalisten behandelt, so dass die große Linie schon seit längerem bekannt ist. Auch die Ankündigung des Propyläen-Verlags, es handele sich um die erste aus Archivalien gearbeitete Biografie, ist etwas hoch gegriffen, denn die umfangreichen und informativen Hamburger Archivalien des Unternehmensarchivs der Axel Springer AG stehen bereits seit etwa 15 Jahren Journalisten und Wissenschaftlern zur Verfügung. Doch Hans-Peter Schwarz konnte auch auf den bis dahin gesperrten Berliner Archivalienbestand zurückgreifen, wodurch das Buch an Detailreichtum gewinnt und Axel Springers Biografie um einige neue Facetten ergänzt wird. In seiner Ausführlichkeit und in seinem gut zu lesenden Stil wird das Buch daher sicherlich zu einem Standardwerk zu Axel Springer und seinem Verlag werden.