Dieses Buch präsentiert die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Transformation from below“, in dem ein Team von Historikern und Sozialwissenschaftlern aus Wien und Regensburg zwei Werften im östlichen Europa, die Uljanik-Werft in Pula (Kroatien) und die „Pariser-Kommune“-Werft in Gdynia (Polen), vergleichend untersucht hat. Der Fokus auf staats- und postsozialistische Arbeitswelten ist verdienstvoll, fristet dieses Forschungsfeld im Kontext der Global Labour History doch immer noch ein Schattendasein. Als empirische Grundlage der Studie dienen neben Archivquellen rund 50 Expert:innen- und biographische Interviews sowie ethnographische Beobachtungen. Da das Projektteam als Autorenkollektiv auftritt, werden die Kapitel des Buches nicht einzelnen Autoren zugeordnet. Bei der Lektüre ist aber durchaus erkennbar, dass hier unterschiedliche Perspektiven auf den Forschungsgegenstand zusammenkommen.
Bezugnehmend auf Karl Polanyi verstehen die Autoren die Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft im östlichen Europa nicht als ein Ereignis, das auf das Jahr 1989 beschränkt war, sondern als einen längeren Prozess, dessen Beginn sie auf die 1970er-Jahre datieren und den sie mit dem EU-Beitritt der beiden Länder (Polen 2004 und Kroatien 2013) als abgeschlossen betrachten. Grundlegend für ihre Deutung ist das bekannte Narrativ, das den erfolgreich durchlaufenen Strukturwandel des kapitalistischen Systems nach dem Ölpreisschock 1973/74 dem gescheiterten Anpassungsprozess aufgrund „systeminhärenter Widersprüche“ der sogenannten Planwirtschaft gegenüberstellt (S. 16).
Zwar betonen die Autoren ausdrücklich, dass „Transformation von Menschen gemacht wird“ (S. 23). Die Fragen, wer damit gemeint ist und wie sich das konkret vollzieht, werden aber unterschiedlich beantwortet: Während in der Einleitung die „Werktätigen“ hauptsächlich als passive Subjekte dargestellt werden, deren Handlungsmacht sich darauf beschränkt, sich „an neue Vorgaben der Betriebsleitung an[zu]passen“ (S. 23), werden sie in späteren Kapiteln durchaus als selbstbestimmte Akteur:innen mit ihren Erfahrungen ernst genommen. Ungeachtet dessen stehen weniger konkrete Arbeitsbedingungen oder die Handlungsmacht von Arbeiter:innen im Zentrum des Interesses als vielmehr die Auflösung des „proletarischen Milieus“ (S. 52) und der damit verbundene Identitätswandel der Werktätigen. Auf dieser Ebene sucht das Autorenkollektiv eine Erklärung dafür, wieso der wachsende Wohlstand in beiden Ländern nicht zu mehr Zufriedenheit, sondern zu einer Entfremdung von der eigenen Arbeit und von der liberal-demokratischen Ordnung geführt hat.
Auf die Einleitung folgen fünf größere Kapitel, die von der Geschichte der beiden Werften bis zur „Zukunft des Schiffbaus“ reichen. Zunächst zeichnen die Autoren die Entwicklung der Uljanik-Werft in Pula und der „Pariser-Kommune“-Werft in Gdynia seit den 1970er-Jahren nach. Anders als die Werften im Westen, die mit staatlichen Subventionen ab Mitte der 1960er-Jahre umfangreiche Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt hatten, seien die staatssozialistischen Werften von den Auswirkungen der beiden Ölpreisschocks überfordert gewesen. „Reformunwilligkeit“ und „Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern“ hätten dazu geführt, dass beide Werften in den 1980er-Jahren beinahe zahlungsunfähig wurden (S. 86).
Gerade am Beispiel des Schiffbaus wird aber die Widersprüchlichkeit des Narrativs „erfolgreicher Westen“ versus „gescheiterter Osten“ evident. Schließlich hat die Rationalisierungswelle der 1960er- und 1970er-Jahre nur sehr wenigen westeuropäischen Werften das Überleben gesichert. Vielmehr verschwanden in relativ kurzer Zeit rund zwei Drittel aller Werften in Westeuropa. Die Autoren sehen darin einen „natürlichen“ Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ im Sinne Schumpeters (S. 151), reflektieren jedoch nicht, dass dieser Prozess maßgeblich mit Überrationalisierung, Spezialisierung von Produktionsanlagen und dem Abbau von staatlich subventionierten Überkapazitäten zusammenhing. Auch in Pula und Gdynia gab es zwar Rationalisierungsbemühungen, diese führten aber aus unterschiedlichen – nach Meinung der Autoren systemimmanenten – Gründen nicht zum gewünschten Erfolg. Lediglich die staatliche „Dauerausfallversicherung“ habe die Werften vor dem Zusammenbruch bewahrt (S. 107).
Auch während der Transformationszeit wurden die Werften in Kroatien wie in Polen von staatlichen Unterstützungsmaßnahmen getragen. Den Grund für die lange Persistenz der beiden Werften trotz der Konkurrenz zuerst aus Südkorea, später aus China, sehen die Autoren darin, dass diese auch nach 1989 nicht nach dem Primat der Profitmaximierung, sondern weiterhin wesentlich nach staatswirtschaftlichen Kriterien funktionierten. Die Werften seien „multifunktionale Einheiten“ gewesen, die nicht zuletzt soziale, politische und symbolische Funktionen zu erfüllen hatten (S. 80). Beide Werften mussten erst Konkurs anmelden, als sie den Wettbewerbsregeln der Europäischen Union nicht mehr standhalten konnten: die Gdynier Werft 2009 und die Uljanik-Werft 2019. In Gdynia siedelten sich nach der Schließung der Großwerft kleinere, aber wirtschaftlich durchaus erfolgreiche Firmen auf dem ehemaligen Werftgelände an, die entsprechend der Logik des transnationalisierten Schiffbaus Stahlkonstruktionen aller Art bauen, darunter auch Schiffsteile. In Pula hingegen war die Schiffbautradition mit der Schließung der Uljanik-Werft beendet. Das einstige Werftgelände wurde sukzessive vom Tourismus in Beschlag genommen.
Im dritten Kapitel wird herausgearbeitet, wie intensiv der polnische bzw. kroatische Staat auch nach 1989 an der Entwicklung der beiden Werften beteiligt war. Die Geschichte der beiden Werften passe deshalb „so gar nicht in die Meistererzählung der Durchprivatisierung ganzer Gesellschaften, der rücksichtslosen Schocktherapie und der Deklassierung der Arbeiterklasse“ (S. 158). Das Autorenkollektiv führt diese weiterhin enge Verflechtung von Staat und Werftindustrie unter kapitalistischen Bedingungen auf die lange „staatspaternalistische Tradition“ beider Länder sowie auf inkonsequent umgesetzte Reformen zurück. Angesichts der Tatsache, dass enge Verflechtungen zwischen Werften und Staaten aufgrund der branchenspezifischen Bedingungen der Schiffbauindustrie auch in kapitalistischen Ländern gang und gäbe sind, ist diese Erklärung wenig überzeugend. Für das Schicksal beider Werften bedeutsamer erscheint der Hinweis auf „mangelnde staatliche Kapazitäten“ (S. 184), die einen langfristigen Subventionswettbewerb mit den asiatischen Schiffbaunationen erschwerten.
Anschließend widmen sich die Autoren der „widersprüchlichen Erinnerung“ der Werftarbeiter:innen, die jedenfalls in Polen 1970 und 1980 an Streiks und Protesten gegen das kommunistische Regime teilgenommen haben, in den Interviews aber „Nostalgie für die fürsorgliche Werft des Staatssozialismus zum Ausdruck“ brachten (S. 202). Interessanterweise äußerten gerade auch diejenigen, die nach der Schließung der Werften weiterhin gute Jobs im Schiffbau hatten, das „Gefühl des Verlusts des sozialen Zusammenhalts, aber auch der Bedeutung der Arbeit“ (S. 242). Offenkundig höhlten die drastische Reduzierung der Belegschaft, die intensivierte Arbeitsteilung, neue Managementmethoden und die Ausgliederung betrieblicher Sozialleistungen das betriebsbezogene Gemeinschaftsgefühl mehr und mehr aus.
In diesem Teil des Buches arbeiten die Autoren eindrücklich heraus, dass der Output der Werften vor und nach 1989 nicht nur an den verkauften Schiffen zu messen war, sondern eben auch an ihren sozialen und kulturellen Leistungen und der damit verbundenen gemeinschaftlichen Sinnstiftung. Dass betriebliche Leistungen auch lange nach 1989 noch einen ökonomischen Wert für die Beschäftigen hatten, zeigt sich etwa an den betriebseigenen Werftwohnungen: Sie wurden in den 1990er-Jahren zu günstigen Konditionen an die Werftarbeiter:innen verkauft, sodass diese sie heute im Sommer gewinnbringend an Tourist:innen vermieten können. Die Beschäftigten profitierten zudem von der umfassenden fachlichen Aus- und Weiterbildung, welche die Werften auch nach 1989 aufrechterhielten. Diese ermöglichte es vielen von ihnen, in der Privatwirtschaft Arbeit zu finden (S. 230f.). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass der Sozialismus ihren Interviewpartner:innen „nicht so sehr als politisches System oder Ära im Gedächtnis geblieben [ist], sondern als Bündel arbeitsplatzbezogener Praktiken und Beziehungen“ (S. 249). Als Kernbestandteile des sozialistischen Modernisierungsprojekts sei beiden Werften eine überdeterminierte Bedeutung zugekommen, von der die Werftarbeiter:innen in Form von sozialer Anerkennung profitierten. Die ideologisch basierte Aufwertung der Arbeiter:innen im Staatssozialismus verwandelte sich nach dem Systemwechsel jedoch schnell in Abwertung. Das Autorenkollektiv unterstreicht damit die Befunde von David Ost und anderen, wonach die postsozialistische Transformation von den Arbeiter:innen mehrheitlich als Niederlage empfunden wurde.1
Dennoch verweigern sich die Autoren einem pessimistischen Deindustrialisierungsnarrativ, sondern stellen heraus, dass sowohl Pula als touristischer Anziehungspunkt als auch Gdynia mit seinem immer noch bedeutenden Schiffbausektor und einem wachsenden Container- und Passagierhafen Beispiele für einen erfolgreichen Übergang von der industriellen zur postindustriellen Moderne darstellen. Dabei profitierten beide Städte heute noch von der während des Staatssozialismus aufgebauten Infrastruktur und Expertise (S. 304). Da der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Gesamtbeschäftigung in Ostmitteleuropa in den letzten Jahren dank ausländischer Direktinvestitionen und EU-Strukturförderung sogar zugenommen habe, könne von einer umfassenden Deindustrialisierung der Region keine Rede sein (S. 307). Die Transformation im postsozialistischen Europa sei vielmehr als Teil einer globalen Entwicklung zu verstehen, die mit dem Ölpreisschock denselben Ausgangspunkt wie der „westliche“ Strukturwandel gehabt habe. Gleichwohl weisen die Autoren auch auf maßgebliche Unterschiede zwischen dem Strukturwandel in der Schiffbauindustrie in West und Ost hin.
Der Versuch, die Geschichte der „langen Transformation“ im östlichen Europa anhand zweier lokaler Fallbeispiele darzustellen, kann als gelungen betrachtet werden. Teilweise gestaltet es sich allerdings etwas schwierig, den Erzählsträngen über Gdynia und Pula zu folgen. Eine Übersicht mit den wichtigsten Daten zur Geschichte der beiden Werften im Anhang hätte die Lektüre womöglich erleichtert.
Insgesamt liest sich das Buch als eine auf ökonomische Faktoren orientierte Fortschrittserzählung, wenn auch konstatiert wird, dass dieser Fortschritt den betroffenen Akteuren einige Kosten abverlangt habe. Damit erzählt leider auch diese ambitionierte Studie die Geschichte der osteuropäischen Werften alles in allem aus der Perspektive einer nachholenden Entwicklung, die sich an westlichen Maßstäben zu messen hat. Es ist sehr erfreulich, dass dieses übergreifende Narrativ in einigen Passagen des Buches aufgebrochen wird und auch den sozialen und häuslichen Vermächtnissen der Werften sowie ihren Funktionen für die staats- und postsozialistischen Gesellschaften Beachtung geschenkt wird. Wünschenswert wäre es jedoch gewesen, den Erinnerungen der Werktätigen an Werte wie Gemeinschaft, Sinnstiftung über Arbeit und Solidarität auch in der Gesamtinterpretation mehr Gewicht zu geben. So bleibt letzten Endes von der versprochenen Rahmenerzählung einer „transformation from below“ nicht allzu viel übrig.
Anmerkung:
1 David Ost, The Defeat of Solidarity. Anger and Politics in Postcommunist Europe, Ithaca 2005.