Titel
The Aryan Jesus. Christian Theologians and the Bible in Nazi Germany


Autor(en)
Heschel, Susannah
Erschienen
Anzahl Seiten
339 S.
Preis
€ 24,85
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Gailus, Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität Berlin

Am 6. Mai 1939 versammelte sich eine freudig gestimmte Festgesellschaft von evangelischen Theologieprofessoren, Kirchenführern, Pfarrern und Kirchenvolk auf der Wartburg bei Eisenach, wo Martin Luther 1521 das Neue Testament ins Deutsche übersetzt hatte, um in feierlicher Zeremonie das kirchliche „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ zu begründen. Ein Streichquartett spielte Mozart und Schubert. Neben diversen Begrüßungsansprachen sangen alle gemeinsam „Wir glauben das Neue“. Was dieses „Neue“ exakt sein sollte, war den Versammelten noch nicht sehr klar, nur so viel wussten sie genau: sehr völkisch-deutsch und entschieden antisemitisch sollte der neue Glauben sein. Walter Grundmann, der seit 1936 „Völkische Theologie“ an der Universität Jena lehrte und als Spiritus Rector des gesamten Unternehmens gelten kann, hielt den programmatischen Festvortrag: „Die Entjudung des religiösen Lebens als Aufgabe der deutschen Theologie und Kirche“. Genau in diesem Geist arbeitete das wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs begründete kirchliche Propagandainstitut bis zu seiner Auflösung bei Kriegsende 1945.

Susannah Heschel, Professorin für Jewish Studies am Dartmouth College (Hanover/NH, USA) erzählt in ihrem jüngsten Buch die bizarre Geschichte dieses kirchlichen „Entjudungsinstituts“, wie es seinerzeit kurz genannt wurde. Bis 1990 wusste man kaum etwas von dieser kirchlichen Einrichtung, die während der NS-Zeit inmitten des geschichtsträchtigen, protestantischen Kulturraums zwischen Eisenach, Jena und Weimar entstanden war. So kam es – wohl beiderseits – zu einer Begegnung der besonderen Art, als die US-amerikanische Forscherin im Sommer 1991 an die Tür des verschlafenen Eisenacher Kirchenarchivs klopfte: „ I was the first American, the first Jew, and the first person with a laptop, I was told, to appear at the Eisenach archive.“ (S. XI) Seither hat Heschel wiederholt in Aufsätzen Zwischenergebnisse zum „Entjudungsinstitut“ publiziert und jetzt die Summe ihrer Forschungen in einer bedeutenden Monographie zusammengefasst. Das Buch ist in eine Reihe zu stellen mit den bahnbrechenden Publikationen von Robert P. Ericksen „Theologians under Hitler“ und Doris L. Bergens „Twisted Cross“, der ersten modernen Überblicksstudie zu den völkischen „Deutschen Christen“ (DC) während der Hitlerzeit.1 Es ist kein Zufall, dass alle drei substanziellen Beiträge zu einer kritischen Protestantismusgeschichte des 20. Jahrhunderts nicht aus dem Bereich der deutschen theologisch-kirchenhistorischen Fakultäten hervorgegangen sind, die derartige Forschungen „in eigner Sache“ zuallererst hätten anpacken müssen.

Der Leser findet einen weit ausgreifenden theologie- und ideengeschichtlichen Rückblick auf national-völkische Umprägungen des Christentums vor 1933 (Kap. I) sowie eine eingehende Analyse der Vorbereitungs- und Gründungsphase des Eisenacher Instituts 1936-39 im hochgradig nazifizierten Kirchenmilieu der deutschchristlichen Hochburg Thüringen (II). Dargestellt werden zudem die wichtigsten „Projekte“ des Instituts wie eine entjudaisierte neue Bibel „Die Botschaft Gottes“ (1940) und das 1941 publizierte „judenreine“ neue Kirchengesangbuch „Großer Gott, wir loben dich“(III). In „The Making of Nazi Theologians“ werden die biographischen Prägungen der wichtigsten Mitarbeiter untersucht, allen voran diejenigen des maßgeblichen Institutserfinders Walter Grundmann (S. IV). Schließlich wird die elementare Verknüpfung des Kircheninstituts mit der kleinen, sehr nationalsozialistisch eingestellten theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena herausgearbeitet, die das eigentliche Gravitationszentrum der theologischen Dejudaisierungsbestrebungen bildete (V). Abschließend erfahren wir Erstaunliches über die teilweise verblüffenden kirchlichen und theologischen Nachkriegskarrieren führender Mitarbeiter in Ost und West, die sich nun gern als „christliche Widerstandskämpfer“ gegen den antichristlichen Nationalsozialismus präsentierten (VI).

In ihrer Conclusion betont Heschel vor dem Hintergrund des aufgezeigten reichsweiten (sogar internationalen) Mitarbeiterstabs des Instituts, dass pro-nationalsozialistische Theologiepositionen an den Hochschulen, wie sie Ericksen für renommierte Universitätsprofessoren wie Gerhard Kittel, Paul Althaus und Emanuel Hirsch bereits nachgewiesen hatte, viel umfassender verbreitet waren, als bislang vermutet. Die von den meisten Historikern und Theologen vollzogene scharfe Trennung zwischen einem christlichen, theologischen Antijudaismus und dem modernen, rassistischen Antisemitismus habe den Nachkriegsmythos genährt, Theologen hätten nicht „to the Nazi murder of the Jews“ (S. 286) beigetragen, wie auch zu der verbreiteten Auffassung, der Nationalsozialismus sei eine antichristlich-neuheidnische Bewegung gewesen. „As the texts discussed in this book indicate, however, the boundary between theology and race was highly porous. The affinities between theology and race were more than elective. Theologians gravitated toward racism as a tool to modernize Christianity and to demonstrate that its principles were in accord with those of racial theory. In addition, they considered racial theory a tool to grant scientific legitimation to religion: racial claims of a natural order and a hierarchy of plants, animals, and humans within it. (…) What marks the distinction between Aryan and Jew, in the writings of Institute members, is not physical appearance but spiritual and moral qualities.”(S. 286)

Zu Recht steht Walter Grundmann, der theologiepolitische Inspirator des „Entjudungsinstituts“, ganz im Zentrum des Buches. Seine Biographie repräsentiert den karrierebewussten Typ des jungen völkischen Theologen, der unter den politischen Bedingungen von 1933 rasch zum Zuge kam. Geboren 1906 in Chemnitz, durchlief er eine zeittypische nationalprotestantische Sozialisation, studierte bei renommierten Tübinger theologischen Größen wie Adolf Schlatter und Gerhard Kittel, dessen Assistent er seit 1930 war und durch den er promoviert wurde. Bereits 1930 schloss er sich der NSDAP an, was unter Theologiestudenten zu jener Zeit nichts Ungewöhnliches darstellte. Die von Deutschen Christen beherrschte sächsische Landeskirche berief den Jüngling im Alter von 27 Jahren zum theologischen Führer und Oberkirchenrat. Mit seinen „28 Thesen der sächsischen Volkskirche zum inneren Aufbau der Deutschen Evangelischen Kirche“ (November 1933) avancierte Grundmann zu einem reichsweit bekannten Theologen der Deutschen Christen. In zahllosen Publikationen verbreitete er obsessiv eine dejudaisierte Darstellung des frühen Christentums, so exemplarisch in „Jesus der Galiläer und das Judentum“ (1940), worin sich der christliche Nationalsozialist abmühte, eine nichtjüdische („arische“) Identität des historischen Jesus nachzuweisen. Grundmann verkörperte das Eisenacher „Entjudungsinstitut“ wie kein anderer und seine Biographie macht deutlich, dass er nicht eine skurrile Randfigur des zeitgenössischen Protestantismus war, sondern aus seiner Mitte kam, mit respektablen Lehrern, geradezu ein theologisches Wunderkind seiner Zeit, das sich darin hervortat, ein der NS-Weltanschauung kompatibles, zeitgemäßes Christentum zu erfinden. Wie alle völkischen Protestanten stieß er damit bei den radikalen NS-Ideologen wie Alfred Rosenberg, Heinrich Himmler, Joseph Goebbels oder Martin Bormann auf wenig Gegenliebe. Für sie war und blieb jede Art von Christentum jüdisch kontaminierter, „undeutscher“ und damit falscher Glaube, der Gift für das zukünftige Reich sei und langfristig verschwinden müsse. Nach 1945 gelang Grundmann dennoch die Rückkehr in den thüringischen Kirchendienst. Als Rektor des Katechetischen Seminars der Landeskirche Thüringens (1954-75) bildete er angehende Pfarrer in der DDR aus. Gleichzeitig diente er sich dem neuen Staat als Mitarbeiter der Stasi an und lieferte kircheninterne Informationen.

Natürlich gibt es, wie bei jedem guten Buch, auch Kritisches anzumerken, auf drei Punkte sei hingewiesen: Nationalsozialismus als „politische Religion“, als „neuer Glaube“, wird in dieser Studie zu selten und zu marginal thematisiert. Wäre dies stärker geschehen (und das müsste es), so würde sich der Stellenwert des Instituts im Gesamtzusammenhang des „Dritten Reiches“ erheblich relativieren, denn so sehr dessen kirchlich-theologische Akteure mit ihren anbiedernden „Entjudungen des Christentums“ den NS-Chefideologen auch entgegen kommen mochten, so unvermindert stießen sie dort auf Granit, weil dort längst ein anderer, definitiv nichtchristlicher „neuer Glaube“ als Zukunftsreligion des germanischen Großreiches in Vorbereitung war. Zweitens: Ungeachtet der weit verzweigten Aktivitäten des Instituts während des Krieges erscheint es nicht angebracht, die Kriegsjahre als „Zenit“ der DC-Bestrebungen zu kennzeichnen (S. 282); das waren sie definitiv nicht. Die deutschchristliche Massenbewegung fand ihre maximale Breitenwirkung 1933-1936; danach war sie deutlich rückläufig und das gilt allemal für die Kriegsjahre. Drittens: An vielen Stellen dieser Untersuchung wird eine Art übergreifende antisemitische Gemeinsamkeit von Deutschen Christen und Bekennender Kirche (BK) behauptet oder angedeutet (etwa auf den Seiten 7, 112, 114, 161, 242, 277, 286). Das ist überzogen formuliert und entspricht nicht den Realitäten: der rassistische Antisemitismus der Deutschen Christen war ein anderer als der traditionelle Antijudaismus und verhaltene Antisemitismus in den Reihen der BK. Das drückt sich beispielsweise an unmittelbaren Verfolgungsmaßnahmen in deutschchristlich beherrschten Kirchen (etwa diejenigen des sippenforschenden Pfarrers Karl Themel in Berlin; oder die Praxis der kirchlichen Sippenkanzlei der Mecklenburgischen Landeskirche in Schwerin) einerseits sowie an vielfachen Beispielen demonstrativer Inklusion der „Nichtarier“ und praktischer Solidarität mit Verfolgten in Kreisen der Bekennenden Kirche andererseits aus. Diese Unterschiede sollten nicht verwischt werden. Schließlich und zuletzt: Es ist bedauerlich, dass ein so wichtiges Buch ein so schlechtes Lektorat erhielt. Wann immer deutschsprachige Literatur zitiert wird, stellen sich Fehler über Fehler ein. Ein so renommierter Verlag wie Princeton University Press sollte sich solche Nachlässigkeiten nicht erlauben.

Susannah Heschels wichtige, historisch im besten Sinne aufklärende Studie bestätigt die späte, inzwischen jedoch rasch wachsende Einsicht: Protestanten haben im Kontext der sogenannten „Judenfrage“ der Hitlerzeit nicht nur nicht genug für die Verfolgten getan (wie in der Stuttgarter Schulderklärung vom Oktober 1945, zumindest indirekt, eingestanden), sondern sie haben zu nicht geringen Teilen selbst aktiv an der antisemitischen Ausgrenzung und praktischen Judenverfolgung mitgewirkt. Protestantismusgeschichte im „Dritten Reich“ ist in dieser Hinsicht auch Täter- und Mittätergeschichte.

Anmerkungen:
1 Robert P. Ericksen, Theologians under Hitler: Gerhard Kittel, Paul Althaus and Emanuel Hirsch, New Haven 1985 (dt.: Theologen unter Hitler: Das Bündnis zwischen evangelischer Dogmatik und Nationalsozialismus, München, Wien 1986); Doris L. Bergen, Twisted Cross: The German Christian Movement in the Third Reich, Chapel Hill 1996.

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