J. A. Greene: The Doctor Who Wasn’t There

Cover
Titel
The Doctor Who Wasn’t There. Technology, History, and the Limits of Telehealth


Autor(en)
Greene, Jeremy A.
Erschienen
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
$ 29.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Held, Fachhochschule Münster, MSD/Münster School of Design

Jeremy A. Greene präsentiert in seiner Monografie auf rund 260 Textseiten einen Schnelldurchlauf der Telemedizin im Gesundheitswesen. Das Buch bietet dabei einen umfassenden Einblick in die Geschichte, Gegenwart und mögliche Zukunft der Telemedizin und ihrer Entwicklungen.

Greene, selbst nicht nur als Medizinhistoriker, sondern auch als praktizierender Arzt tätig, beginnt seine Darstellung damit, die Voraussetzungen der Telemedizin zu untersuchen, darunter die Entwicklung von Telegrafie und Telefonie im 19. Jahrhundert sowie die Verwendung von Radio- und Fernsehtechnologie im 20. Jahrhundert. Dabei beschreibt er auch die Pionierarbeit von Visionären und Erfindern wie Hugo Gernsback und John Logie Baird, die sich mit der Entwicklung von medizinischen Geräten beschäftigten. Im weiteren Verlauf des Buches behandelt Greene verschiedene Aspekte der Telemedizin, darunter die Verwendung von Videotelefonie, Telediagnostik, Telesurgery und Telemedikation für medizinische Beratung, die Entwicklung von medizinischen Bildgebungsverfahren und telemedizinischen Anwendungen, die sich auf die Überwachung und die Fernbehandlung von Patienten konzentrieren. Greene untersucht dabei die verschiedenen Technologien und Anwendungen, die im Laufe der Jahre entstanden sind, sowie ihre Auswirkungen auf die medizinische Praxis und auf die Patientenversorgung. Dabei geht er auf die Herausforderungen ein, mit denen die Telemedizin konfrontiert ist: beispielsweise die Notwendigkeit einer sicheren Datenübertragung, die Einhaltung von Datenschutzbestimmungen, aber auch ethische, moralische und/oder politische Hürden.

Greenes Buch zeichnet sich durch einen klaren Aufbau und eine verständliche Sprache aus. Er erklärt Fachbegriffe und Konzepte so, dass auch Leser ohne medizinischen Hintergrund den Inhalt gut erfassen können. Ohne Zweifel ist positiv, dass die Darstellung so nicht nur für Mediziner, Technikhistoriker oder Kommunikationswissenschaftler geeignet, sondern auch für Laien leicht verständlich und gut lesbar ist. Dennoch sei an dieser Stelle angemerkt, dass obwohl das Buch insgesamt gut strukturiert ist, es Abschnitte gibt, die sich wiederholen oder zu ausführlich sind, während andere Themen nur oberflächlich behandelt werden. Eine bessere Balance und Strukturierung, aber auch ein weniger konservatives Layout des Buches, hätten den Lesefluss sicherlich verbessert und es dem Autor ermöglicht, wichtige Themen detaillierter zu behandeln.

Zugutehalten muss man dem Buch, dass es neben den Optionen zur telemedizinischen Behandlung – insbesondere der Videotelefonie – auch andere technische Neuerungen der Zeit in den Blick nimmt. Insbesondere die Entwicklung des Pagers (Kapitel drei) sowie dessen enorme Relevanz für den berufsmedizinischen Alltag sind hierbei hervorzuheben. Wie schon das Telefon erwies sich auch der Pager als zweischneidiges Schwert: Die größere Konnektivität bedeutete mehr Flexibilität – ein Arzt konnte privat eingebunden sein und trotzdem erreichbar sein, wenn sich der Zustand eines Patienten verschlechterte –, aber auch mehr Verantwortlichkeit und Gebundenheit. Wenn ein Arzt erreicht werden konnte, dann sollte er auch erreicht werden.

Dies ist überhaupt eines von Greenes wiederkehrenden Themen: Der größte Enthusiasmus für neue medizinische Technologien war oft vor allem auf der Seite derjenigen zu finden, die von ihrer Einführung finanziell profitieren würden. Die Ärzte, die zu den vermeintlichen Nutznießern gehör(t)en, waren in der Regel eher skeptisch, nicht nur wegen der zusätzlichen Anforderungen, die diese neue Technologie an sie stellen könnte, sondern auch wegen der möglichen Beeinträchtigung der Arzt-Patienten-Beziehung. "The medium of care is always contested by different parties with very real professional, political, and financial stakes at play.” (S. 8) – so Greene.

Der Autor beleuchtet den sozialen wie technischen Kontext, in dem die Telemedizin erdacht und in die Praxis umgesetzt wurde, und zeigt auf, was damals wie heute für diejenigen auf dem Spiel stand, die in den „neuen Medien“ die Mittel für eine gerechtere Zukunft des (amerikanischen) Gesundheitswesens suchten. Das ist insofern spannend, als durch die Bezüge Greenes auf die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren, welche die Entwicklung der Telemedizin beeinflusst haben, auch Kritik an der medizinischen Praxis, der Patientenversorgung im Allgemeinen sowie am Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten in Gänze deutlich werden. Dies betrifft zum Beispiel die Rolle von Krankenversicherungen und der Regierungspolitik. Zugleich verpasst er es jedoch – und das ist bedauerlich – spezifischer auf die ethischen und sozialen Implikationen der Telemedizin einzugehen, wie beispielsweise die mögliche Verschärfung von Ungleichheiten im Gesundheitswesen durch den Zugang zu teurer Technologie.

Obwohl das Buch sehr umfassend und gut recherchiert ist, gibt es einige Kritikpunkte, die benannt werden sollten. Einerseits könnte das Buch, wie eben beschrieben, mehr kritische Reflexion und zeithistorische Einordnung bieten. Greene beschreibt die Entwicklung der Telemedizin und ihrer verschiedenen Anwendungen sehr detailliert, jedoch werden die Vor- und Nachteile nicht immer ausreichend diskutiert. Es wäre wünschenswert, wenn das Buch stärker die negativen Auswirkungen der Telemedizin auf Patienten und Ärzte berücksichtigen würde, insbesondere in Bezug auf ethische Fragen. Was ebenso fehlt, ist, dass Telemedizin in der zeitgenössischen Wahrnehmung lange Zeit nicht als gesellschaftsfähig galt und als Störung der Beziehung zwischen Arzt und Patient abgelehnt wurde. Insofern wäre hier auch die nur sehr zögerlich stattfindende kulturelle Aneignung der neuen Kommunikationstechnik seitens der Beteiligten zu diskutieren gewesen. Überhaupt kommen kommunikationswissenschaftliche Fragen sowie Aspekte der Wahrnehmung und Rezeption im Buch nicht vor, was in Anbetracht des fachlichen Hintergrunds Greenes jedoch auch nicht weiter verwundert.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das Buch sich stark auf die US-amerikanische Perspektive konzentriert und nur begrenzt Einblicke in Entwicklungen in anderen Ländern bietet. Obwohl Greene kurz auf Entwicklungen in Europa, Asien und Afrika eingeht, bleibt dieser Aspekt der Geschichte der Telemedizin unterbelichtet. Das ist insofern schade, als sich durch die Verbindung, aber auch den möglichen Vergleich, durchaus fruchtbare Erkenntnisse hätten ergeben können.

Ebenso kritisch sehe ich den Mangel an praktischen Beispielen. Obwohl das Buch viele Informationen über die Geschichte und Entwicklung der Telemedizin bietet, fehlen oft konkrete Beispiele oder Fallstudien, die die Anwendung der Technologie in der Praxis illustrieren. Dadurch bleibt das Buch an einigen Stellen sehr abstrakt und entfernt sich von der Realität der Telemedizin. Selbiges gilt für den Bezug zu Kulturgeschichte, insbesondere der Popkultur. Gerade jene Bezüge zum Einsatz telemedizinischer Einrichtungen in Literatur, Film und Fernsehen hätten zu einem reicheren Gesamtbild der Arbeit beitragen können.

Dem Buch ist deutlich anzumerken, dass es zu einem großen Teil während der Pandemie geschrieben wurde, als die Telemedizin für das Gesundheitspersonal die wichtigste und zugleich verheißungsvollste medizinische Technologie war. Obwohl sie in den USA bereits vor dem Aufkommen von Covid-19 beträchtliche Unternehmensinvestitionen anzog, befand sie sich noch im Anfangsstadium der Umsetzung. Durch die weitverbreiteten Schließungen im Jahr 2020 wurde das Gesundheitspersonal in den Vereinigten Staaten und vielen anderen Ländern, die über digitale Ressourcen verfügten, rasch auf diese Art der Leistungserbringung umgestellt. Besonders interessant ist, wie Greene die Rückwirkungen der Pandemie auf die Telemedizin diskutiert. Er zeigt, wie sich Fernkonsultationen und die Verwendung von medizinischen Geräten zur Überwachung von Patienten zu Hause verstärkt haben. Dabei geraten jedoch die allgemeinen gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen und Entwicklungen etwas aus dem Blick.

Insgesamt bietet The Doctor Who Wasn't There einen faszinierenden Einblick in die Geschichte der Telemedizin und ihre Entwicklung im Laufe der Jahre. Das Buch ist sehr gut geschrieben und recherchiert; es bietet eine klare und umfassende Darstellung der verschiedenen Technologien und Anwendungen der Telemedizin. Empfehlenswert ist es damit für alle, die sich einen breiten Einstieg in die Geschichte und Zukunft der Telemedizin und Technologie im Gesundheitswesen wünschen.

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