U. Rebhun u.a.: Israeli Jews in Contemporary Germany

Cover
Titel
A Double Burden. Israeli Jews in Contemporary Germany


Autor(en)
Rebhun, Uzi; Kranz, Dani; Sünker, Heinz
Reihe
SUNY series in National Identities
Erschienen
Anzahl Seiten
264 S., 68 Abb.
Preis
€ 89,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Musch, Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien / Historisches Seminar, Universität Osnabrück

Dieser von einem dreiköpfigen deutsch-israelischen Autor:innenkollektiv verfasste Band ist eine wichtige Ergänzung der bisherigen migrationswissenschaftlichen Zugriffe auf die deutsch-jüdische Nachkriegsgeschichte und die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen. Uzi Rebhun, Dani Kranz und Heinz Sünker untersuchen die Immigration jüdischer Israelis nach Deutschland, besonders seit den 2000er-Jahren, die in Medien und Feuilletons oftmals mit Faszination wahrgenommen und kommentiert, bisher aber nur unzureichend wissenschaftlich erfasst wurde. Einen ersten Versuch, dieses Phänomen zu ergründen, hat die israelische Historikerin Fania Oz-Salzberger bereits 2001 in einem sehr persönlichen Buch unternommen und dabei unter anderem die vielfältigen deutsch-israelischen Verflechtungen betont.1 Daneben hat Lianne Merkur mit ihrer 2019 bei Brill veröffentlichten Dissertation „Pillars of Salt. Israelis in Berlin and Toronto“ einen vergleichenden Blick auf „Israeliness“ und den performativen Gebrauch des Hebräischen als Identitätsmarker durch ethnographische Forschungen in den zwei Großstädten geworfen.2

Dennoch blieb der jüdisch-israelische Immigrant in Deutschland ein unbekanntes Wesen – zumindest jenseits der in der medialen Öffentlichkeit oftmals in Selbstlob abgleitenden Erklärung, man nehme in Israel also ein anderes, weltoffenes Deutschland wahr und emigriere daher – ausgerechnet – ins Land der ehemaligen Täter. Rebhun, Kranz und Sünker bestätigen in ihrer Untersuchung diese Erklärung nur zum Teil.

In ihrem Buch gelingt es ihnen, durch einen mit allen sozialwissenschaftlichen Wassern gewaschenen Mixed-Method-Ansatz eine in sich diverse, aber gleichzeitig erstaunlich kohärente Gruppe zu vermessen. Nach dem Vorwort im ersten Kapitel, das einen weiten Bogen von der Migrationsforschung zur jüdischen Geschichte schlägt und überblicksartig die Schwerpunkte für die diskursive Basis der folgenden qualitativen sowie quantitativen Untersuchungen vorbereitet, widmen sich Rebhun, Kranz und Sünker in fünf empirisch gestützten Hauptkapiteln jeweils einem aus Sicht der Autor:innen hervorstechenden Merkmal der jüdisch-israelischen Migration nach Deutschland. Dazu gehören im zweiten Kapitel der sozio-kulturelle und -ökonomische Background, Gründe und Begründungen der Auswanderung nach Deutschland sowie Reaktionen im familiären Umfeld in Israel. Das dritte Kapitel dreht sich um den Prozess der Migration selbst, besonders die soziodemographischen Eigenschaften der israelischen Migrant:innen. Im vierten Kapitel richtet sich der Fokus auf die Integration in der deutschen Gesellschaft, Sprachkenntnisse sowie die Eheschließung mit deutschen Partner:innen ebenso wie den Anteil an Hausbesitzer:innen unter den jüdisch-israelischen Migrant:innen – also alles Faktoren, die auf die Integration in der deutschen Gesellschaft und auf Zukunftsplanungen in Deutschland Rückschlüsse erlauben. Das fünfte Kapitel untersucht Identitätsfragen beziehungsweise Selbstidentifizierung im israelisch-jüdisch-deutschen Dreieck. Das sechste Kapitel widmet sich der Wahrnehmung und Erfahrung des Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft. In einer konzisen Konklusion rekapitulieren die Autor:innen ihre Erkenntnisse.

Wie aus dieser kurzen Übersicht hervorgeht, präsentiert der Band eine Menge an detaillierten und kleinteiligen Ergebnissen, die sich im Rahmen dieser Rezension in ihrer Gesamtheit weder beschreiben noch bewerten lassen und vielmehr den Boden für weitere qualitative Analysen bieten. Einige – für den Rezensenten – zentrale Resultate sollen dennoch kurz skizziert und eingeordnet werden.

Die Autor:innen gehen von rund 20.000 in Deutschland ansässigen jüdischen Israelis aus, von denen die meisten (rund 70 Prozent) erst in den 2010er-Jahren nach Deutschland gekommen sind. Sie sind zumeist jung, säkular und verfügen über ein hohes Bildungsniveau. Dies ist eine vielleicht wenig überraschende Erkenntnis. Überraschend ist eher, dass die dem Band titelgebende doppelte Last („Double Burden“), einerseits aus Israel auszuwandern und damit dem zionistischen Ethos zuwiderzuhandeln und andererseits ausgerechnet nach Deutschland, das Land, aus dem der Holocaust seinen Ursprung nahm, zu immigrieren, für die meisten jüdisch-israelischen Migrant:innen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die doppelte Last wird wahrgenommen, hat aber an Schwere verloren. Das zionistische Stigma der Auswanderung – nicht umsonst werden in der zionistischen Diktion Auswandernde als Jordim (also: Absteigende) im Gegensatz zu Einwandernden als Olim (also: Aufsteigende) bezeichnet – hat im post-zionistischen Israel des 21. Jahrhunderts zumindest teilweise an Schärfe verloren und wird als Realität in einer globalisierten Welt anerkannt. Rebhun, Kranz und Sünker zeigen, dass die Migrationsentscheidungen nach Deutschland nur bedingt unter ideologischen und historischen Gesichtspunkten gewertet werden. Obwohl die Erinnerung an den Holocaust und Erfahrungen mit Antisemitismus in Deutschland für die jüdisch-israelischen Migrant:innen als Faktoren für die Migrations- ebenso wie die Bleibeentscheidung präsent sind, dominieren ökonomische Erwägungen, unter anderem die vielfältigen Beschäftigungs- und Bildungsmöglichkeiten in Deutschland sowie die im Vergleich zu Israel – besonders im Vergleich zwischen Berlin und Gusch Dan (Großraum Tel Aviv) – niedrigeren Lebenskosten. Die allgemeine, konstant als prekär wahrgenommene Sicherheitslage in Israel und oftmals die familiäre Herkunft aus Deutschland spielen auch eine wichtige Rolle. In Deutschland bleibt die Selbstidentifizierung als Israeli stark, auch wenn alle weiteren Faktoren auf eine gelungene Integration hinweisen. Das Verhältnis der jüdisch-israelischen Migrant:innen zu den jüdischen Gemeinden in Deutschland gestaltet sich hingegen ambivalent. Kulturelle und linguistische Barrieren verhindern eine Integration, obwohl das Judentum und besonders der Synagogenbesuch an Feiertagen auch unter säkularen Migrant:innen an Bedeutung gewinnen und als Band nach Israel gedeutet werden. Wichtiger noch als die Gemeinden erweisen sich hingegen informelle Netzwerke, in denen die israelische Identität ausgelebt und gestärkt wird.

Die jüdisch-israelische Migration nach Deutschland stellt – wie die Autor:innen mit ihrem Fazit festhalten – ein weiteres Puzzleteil in den soziodemographischen Verwerfungen dar, mit der die jüdischen Gemeinden seit den 1990er-Jahren konfrontiert sind. Somit erweist sich der Band zudem als Baustein in der Nachkriegsgeschichte der jüdischen Migration nach (und aus) Deutschland, die sich bisher um wenige historische Episoden drehte. Dies waren zum einen die unmittelbaren Rückkehrer:innen nach dem Holocaust in das besetzte Deutschland beziehungsweise später BRD und DDR, oft noch in der zweiten Hälfte der 1940er- und 1950er-Jahre, zum anderen die jüdische Zuwanderung in den 1990er-Jahren aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Beiden Aspekten wurde – und wird – zurecht seitens der Geschichtswissenschaft, der Jüdischen Studien, angrenzenden Teildisziplinen und anderen historisch arbeitenden Fächern erhebliche Aufmerksamkeit gewidmet. Wenn auch weiterhin Forschungsbedarf innerhalb beider Kontexte besteht, kann ein dezidiert migrationshistorischer Blick auf die deutsch-jüdische Nachkriegsgeschichte die Binarität zwischen Phasen der Zu- sowie Abwanderung und Phasen der vermeintlichen Stabilität, in denen die jüdische Nachkriegsgeschichte in Deutschland nicht von Migration geprägt war, hinterfragen. Vermehrt haben wissenschaftliche Arbeiten der letzten Jahre gezeigt, dass im Besonderen die Geschichte der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik und – allgemeiner – jüdisches Leben in der Bundesrepublik sowie DDR transnational gedacht werden muss und Migration die jüdischen Gemeinden (zumindest in der Bundesrepublik) entscheidend geprägt hat. Rebhun, Kranz und Sünker haben mit „Double Burden“ einen vorbildhaften Schritt hin zu einer sozialwissenschaftlichen Ergänzung der jüdischen Migrationsgeschichte gemacht. Gleichzeitig weist der Band auch auf die Notwendigkeit hin, die Geschichte der Juden und Jüdinnen im Nachkriegsdeutschland vermehrt unter migrationshistorischen und transnationalen Gesichtspunkten zu betrachten.

Anmerkungen:
1 Vgl. Fania Oz-Salzberger, Israelis in Berlin, Frankfurt am Main 2001.
2 Vgl. Lianne Merkur, Pillars of Salt. Israelis in Berlin and Toronto, Leiden 2020.

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