B. Potthast (Hrsg.); Christian Friedrich Daniel Schubart und die Französische Revolution

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Titel
Christian Friedrich Daniel Schubart und die Französische Revolution.


Herausgeber
Potthast, Barbara
Erschienen
Stuttgart 2022: Anton Hiersemann
Anzahl Seiten
175 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Holger Böning, Deutsche Presseforschung, Universität Bremen

Nirgendwo erscheint der Publizist Christian Friedrich Daniel Schubart nach seiner Entlassung aus dem Kerker weniger in seiner Freiheitsbegeisterung gebrochen als in seinen Urteilen über das Epochenereignis Französische Revolution. Ausgerechnet im Land des herzoglichen Despoten Karl Eugen, der ihm mehr als ein Jahrzehnt seines Lebens geraubt hatte, durfte er zensurfrei seine berühmte „Deutsche Chronik“ zunächst als „Vaterlandschronik“ und zwischen 1790 und seinem Tod 1791 als „Chronik“ fortsetzen, die zuletzt mindestens 3.000 Abnehmer fand und ihrem Autor die beträchtliche Einnahme von einem Gulden für jedes abonnierte Stück bescherte. Schon in der tüchtigen Dissertation des bedeutenden Journalisten Erich Schairer aus dem Jahre 1914 ist zu lesen, es sei auffallend, wie viel Schubart sich nach seiner Zeit auf dem Hohenasperg in seiner Zeitschrift herausnehmen konnte, sein enthusiastisches Eintreten für die Französische Revolution sei „einfach frappierend“, wenn man bedenke, dass die billigende Sprache und die Urteile der „Chronik“ in französischen Blättern auf begeisterte Reaktionen stießen. 1 Es ist tatsächlich nahezu beispiellos, mit welcher jugendlichen Frische und Begeisterung Schubart Stellung bezog. Er straft damit alle diejenigen Lügen, die seiner Zeitschrift in der Geschichte der Schubartrezeption der vergangenen zwei Jahrhunderte zu bescheinigen können meinten, sie sei nach der Gefangenschaft ihres Herausgebers ein vollständig anderes Blatt gewesen. Der Hass auf Fürsten- und Priesterherrschaft ist jedenfalls ganz unverändert, von einer Verleugnung seiner jugendlichen Überzeugungen kann keine Rede sein. „Wem ist Frankreichs Freiheit heiliger, als mir?“, so fragte er noch wenige Monate vor seinem Tod in Nr. 51 seiner „Chronik“ vom 28. Juni 1791, und sprach zugleich von dem Verdruss, den er sich mit seinen Urteilen zugezogen habe.

Schubarts Zeitschrift gehört zu den Periodika, die man auch heute noch mit viel Vergnügen und noch größerem Gewinn lesen kann, wenn der geistreiche Autor, wahrlich einer der ganz großen Journalisten des 18. Jahrhunderts, seine Blicke auf das Nachbarland mit seinen welterschütternden Geschehnissen richtet. Es ist somit sehr zu begrüßen, dass eine der wohl besten Schubartkennerinnen zum 230. Jahrestag von 1789 im Februar 2019 in Aalen nicht nur eine Tagung zum Thema organisiert hat, dessen Ergebnisse mit dem hier vorliegenden Sammelband dokumentiert werden, sondern der Rahmen dieser Tagung auch zur Gründung der Schubart-Gesellschaft genutzt wurde.

Der Einleitung der Herausgeberin folgt aus der Feder von Sabine Holtz eine Darstellung des Sturms auf die Bastille in den politischen Zeitungen des deutschen Südwestens. Die Pariser Erhebung charakterisiert Holtz zu Recht als mediales Großereignis, über das nahezu alle deutschen Zeitungen berichtet haben. Die Presse lieferte damit der deutschen Bevölkerung die maßgeblichen Informationen und war für einen Wissensstand verantwortlich, der die Brisanz der französischen Ereignisse und deren grundlegende Bedeutung auch für die deutschen politischen Verhältnisse erkennbar werden ließ. Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass Schubarts „Vaterländische Chronik“ zwar „ziemlich gut“ über das Pariser Geschehen informiert habe, die politischen Zeitungen jedoch deutlich mehr und detailliertere Informationen geboten hätten, ja, dass alle Zeitungen angesichts des binnen kaum acht Tagen vollzogenen politischen Wechsels begeistert gewesen seien, sie dabei aber nicht geahnt hätten, welche Folgen dies noch für das europäische Ancien Régime haben sollte. Die politischen Zeitungen im deutschen Südwesten hätten unter Verzicht auf Propaganda die Rolle eines Vermittlers annähernd ungefilterter Nachrichten aus Frankreich übernommen und sich durch eine exakte, faktenreiche Berichterstattung ausgezeichnet, die auch die Begeisterung in Frankreich an die deutschen Leser vermittelt habe. (S. 30f.) Der Rezensent möchte hinzufügen, dass dies nicht nur für die südwestdeutschen Zeitungen gilt, sondern auch für so einflussreiche und überall in Deutschland ausgeschriebene Blätter wie die Hamburger Zeitungen mit ihren großen Auflagen und selbst für solche Nachrichtenorgane, die sich, wie die „Zeitung für Städte, Flecken und Dörfer“ oder der „Bote aus Thüringen“, mit ihrer Berichterstattung an den „gemeinen Mann“ wandten.

Schaut man auf Schubarts Zeitschrift, dann fällt zuallererst die Abhängigkeit seiner politischen Berichterstattung von den Zeitungen auf. Nahezu alles, was der große Kritiker seiner Journalistenkollegen und des deutschen Zeitungswesens wusste, hatte er paradoxerweise aus den Zeitungen oder aus den politischen Zeitschriften, die ebenfalls ohne die Zeitungen kaum etwas zu diskutieren gehabt hätten. Seine Urteile über eine devote deutsche Zeitungsberichterstattung hatten sicherlich ihre Berechtigung, so nichtssagend und uninformativ, wie Schubart dies so häufig behauptete, waren die Zeitungen jedoch keineswegs. Erst der durch sie geschaffene Informationsstand ermöglichte Urteile über die politischen Ereignisse, handelte es sich um die Zeitungsleser:innen oder um Journalisten wie Schubart.

Der Analyse der Zeitungsberichterstattung folgt durch Benjamin Specht die der Sprachbildlichkeit in Schubarts Zeitschrift. Hier wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Haltung Schubarts zur Französischen Revolution so untypisch für die deutsche Publizistik nicht war, denn unter zahllosen Aufklärern herrschte die Hoffnung vor, dass in Deutschland ein so radikaler Umbruch wie im Nachbarland nicht nötig und durch Aufklärung verhinderbar sei. Schubarts nicht-bildhafte Berichterstattung, so heißt es weiter, habe stark zur Personalisierung und Moralisierung geneigt, mentalitäts- und stilgeschichtliches Paradigma für seine Bildlichkeit sei der Schwärmerdiskurs des 18. Jahrhunderts gewesen. Schubart habe nicht nur die rationalen Bewusstseinsanteile ansprechen wollen, sondern „dezidiert und ganz konform mit der Epochentendenz“ den ganzen Menschen. (S. 48)

Größten Zweifel hat der Rezensent daran, dass Schubart tatsächlich Dienstboten und Handwerker als Zielpublikum seiner Zeitschrift vor Augen hatte, wie dies seit mehr als einem Jahrhundert in der Forschungsliteratur immer wieder behauptet und sich auch bei Specht findet, ergänzt um die Feststellung, Schubart sei es darum gegangen, den wenig gebildeten Leserinnen und Lesern als neuer Gruppe in der medialen Öffentlichkeit in „voller Würdigung ihrer Leistungen und Werte ein eigenes Verständnis komplexer Sachverhalte zu ermöglichen“. (S. 48f.) Nicht allein die zahllosen Bildungsanspielungen, die häufigen lateinischen Zitate und die Rezensionen vorzugsweise von Schriften für gebildete Leser, sondern auch die häufige ausdrückliche Ansprache von Lesern aus den sogenannten „gesitteten Ständen“ scheinen mit dagegen zu sprechen. Schubart war, das zeigt seine Zeitschrift ebenso wie das von ihm ab 1775 redigierte „Ulmische Intelligenzblatt“ 2, mit den zeitgenössischen volksaufklärerischen Bemühungen intim vertraut und wusste um deren von seinen eigenen publizistischen Bemühungen unterschiedenen Charakter.

Es folgen mehrere anregende Beiträge zum Umgang mit der Französischen Revolution durch Schubart sowie die deutschen Journalisten und Historiker insgesamt. Dirk Niefanger befasst sich mit Schubarts Kultur- und Sozialgeschichte in Anekdoten, Fabeln und moralischen Geschichten, wobei es um ein Erzählen geht, wie es sich zeitgleich auch in der volksaufklärerischen Literatur, in Kalendern und Intelligenzblättern findet. Gerhard Sauder konzentriert sich in seiner Studie zum Wie des Berichtens über die Revolution auf Ernst Ludwig Posselt, den Freund Schubarts, vorgestellt als ein faszinierender, aber auch widerspruchsvoller Publizist und Historiker, der bis zu den Napoleonischen Kriegen Parteigänger der Revolution blieb und seine Schrift „Krieg der Franken gegen die wider sie verbündeten Mächte“ 1793 zunächst in lateinischer Sprache veröffentlichte, was Sauder als „eine Art Arkandisziplin“ interpretiert. (S. 75) Auch wird auf die Widersprüche in Schubarts Texten hingewiesen, der wie Posselt einerseits Freund der Revolution war, andererseits aber unbeirrbarer Verehrer Friedrichs II. wie Josephs II. und aller auch nur ansatzweise aufgeklärter Fürsten war. Ähnliche Widersprüche, die vielleicht nur scheinbar sind und in der Persönlichkeit Schubarts ihre Erklärung finden, diskutiert Barbara Potthast mit ihrer Studie zu Schubarts Fürstenbild, in dem die Alternative „Menschenquäler oder Völkervater“ keine so große Rolle spielte, wie man vielleicht meinen könnte. Ganz zu Recht wird darauf hingewiesen, dass man für das Verständnis von Schubarts politischer Haltung seine Lebenssituationen und biographischen Umstände, die Rahmenbedingungen und Kontexte seines Schreibens berücksichtigen müsse, es spreche vieles dafür, dass Schubart das Feudalsystem auch in seiner aufgeklärten Spielart abgelehnt und auf eine nahe Überwindung der Fürstenherrschaft gehofft habe. (S. 119, 121) Mit gutem Grund hat schon Erich Schairer bemerkt, dass nur ein schlechter Psychologe oder Historiker die Lobhudeleien ernst nehmen könne, die Schubart etwa seinem despotischen Herzog gönnte.

Aufschlussreich ist Joachim Kremers Würdigung des Dichterkomponisten Schubart am Beispiel von dessen Klavierlied „Die Fürstengruft“. Kaum ein anderes seiner poetischen Werke hat dermaßen großes Aufsehen und weite Verbreitung gefunden. Ebenfalls mit philologischer Gründlichkeit beschäftigen Franz Schwarzbauer zwei politische Gedichte Schubarts und Klopstocks, wobei er sich auch grundsätzlich mit der Gattung des politischen Gedichts auseinandersetzt. Schubarts „O Freiheit, Freiheit“ wird hier als Aufforderung zum Selbstgespräch interpretiert, die dem „einfachen Mann“ gegolten habe, der im Medienhype des Jahres 1789 nach Orientierung verlangt habe. Schubart habe dabei – anders als Klopstock – die „einfachen Leute“ ansprechen wollen. (S. 158, 160)

Etwas abseits vom Hauptthema, aber doch eng mit ihm verbunden, bietet die Studie von Andreas Bässler zu Schubarts Autobiographie als Gefangenenliteratur mit Überlegungen zur totalen Institution Gefängnis eine berührende Lektüre, die Schubarts publizistische Leistungen nach seiner Kerkerzeit, deren Ende so willkürlich war wie ihr Beginn, erst ins rechte Licht stellen.

Den Abschluss dieses Tagungsbandes, der ein im Augenblick nicht gerade im Zentrum der Aufmerksamkeit stehendes Thema behandelt und dessen Lektüre sich gleichwohl sehr lohnt, bildet ein Essay Ulrich Gaiers über revolutionäre Damen in Paris und Stuttgart, zu denen Schubart ein ebenfalls höchst widersprüchliches Verhältnis hatte, bewunderte er doch zwar Kaiserinnen wie Katharina und Dichterinnen wie die Karschin, doch hing er selbst doch eher einem traditionellen Frauenbild an und bevorzugte in seinem Leben eher eine solch leidensfähige Gefährtin wie seine Frau Helene, die ihm während seiner Kerkerzeit treu zur Seite stand. Ob, wie Gaier meint, die Emanzipation der Frauen die eigentliche Revolution am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts darstellte, wäre Thema eines anderen Sammelbandes.

Anmerkungen:
1 Erich Schairer, Christian Friedrich Daniel Schubart als politischer Journalist. Tübingen 1914, S. 177.
2 Siehe dazu die Überlegungen im Kapitel zum „Ulmischen Intelligenzblatt“ in Holger Böning, Das Intelligenzblatt. Gemeinnutz und Aufklärung für jedermann. Studie zu einer publizistischen Gattung des 18. Jahrhunderts, zur Revolution der Wissensvermittlung und zu den Anfängen einer lokalen Presse, Bd. I–II, (Presse und Geschichte. Neue Beiträge 160 u. 161), Bremen 2023.

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