Dass die Verfasser des Repertoriums der deutschen Königspfalzen ein ausgeprägtes Gespür nicht nur für die mittelalterlichen Wege und Aufenthalte der Könige, sondern auch für die Königswege historischer Grundlagenforschung besitzen, wird dem Leser bereits auf den ersten Seiten des neuen Bandes „Westfalen“ (6.3) eindrucksvoll vor Augen geführt. Denn den Autoren ist es trotz oder vielleicht gerade wegen der vielseitigen und komplexen Problemlagen des westfälischen Raumes (s.u.), aber auch des seit 1956 existierenden Projektes gelungen, ein gut lesbares, reflektiertes, ja in einigen Bereichen fast schon packendes Handbuch zu verfassen, das unterschiedliche Rezipienten anzusprechen in der Lage ist und zum Weiterdenken und historischen Arbeiten beinah zwangsläufig anregen muss.
Dies gelingt insbesondere durch den neuartigen und doch herkömmlichen Gebrauch des bereits auf dem Ulmer Historikertag (1956) vorgestellten Schemas für die Bearbeitung deutscher Pfalzenorte (S. VIII), das auf diese Art neuere Erkenntnisse der historischen Forschung mit einzubeziehen fähig ist. Dieses In-Beziehung-Setzen des tradierten grundhistorischen Vorhabens, alle Orte mit Königsaufenthalten bzw. -handlungen zu bestimmen und zu charakterisieren, mit den Notwendigkeiten des stetigen Stroms der Kultur (Otto Gerhard Oexle), also den disziplinimmanent unausweichlichen Neuerungen der Geschichtswissenschaft1, hat seinen Niederschlag nicht nur qualitativ in den jeweiligen Ortsartikeln gefunden (siehe v.a. die „Vorbemerkungen“, S. 52; S. 161; S. 212; S. 325; S. 434), sondern auch mit einem zusammenfassenden Artikel Manfred Balzers (S. 496–538), der die Ausgabe im Verhältnis zu früheren Bänden strukturell erweitert.
Dabei blieben aber Forschungsintention und -modalität des Projekts insgesamt unangetastet. Auch für Westfalen wurde also die Aufbereitung königlicher Herrschaftsorte des Mittelalters in dem seit den 1950er-Jahren etablierten Schema (A = Stätten mit Eigentum des Herrschers; B = Handlungsorte ohne Eigengut) durchgeführt, in das – wie in dieser Reihe üblich – alle Orte aufgenommen wurden, in denen ein mittelalterlicher Herrscher bis zum Jahr 1198 mindestens einmal historisch nachgewiesen werden kann. Diese Orte werden stets in Bezug auf ihre Namensherkunft, historisch-geographischen Beschreibungen, Siedlungsgeschichte, Königsaufenthalte, Besitz und servitien der dortigen Institutionen sowie ihre Bedeutung in den jeweiligen Perioden verhandelt, bei nachweisbarem königlichem Besitz treten noch die Betrachtung von Königtum und Pfalz sowie deren Ausstattung und weitere Entwicklung hinzu. Trotz der Fokussierung des Repertoriums auf die Zeit zwischen 800 und 1300 – danach nimmt die Bedeutung von Itineraren deutlich ab – wird zusätzlich versucht, die Entwicklung des jeweiligen Ortes bis zum Ende des Mittelalters, in einigen Fällen sogar darüber hinaus, nachzuzeichnen. Dabei liefert der vorliegende Band je nach Quellenlage und dem Stand archäologischer Forschung in unterschiedlichem Umfang Quellen, Literatur und Kontextualisierungen der 16 Königsorte Westfalens sowie eine Einleitung von Thomas Zotz und ein Resümee von Manfred Balzer. An der Abfassung waren elf Autoren beteiligt.
Jedem Ortsartikel sind moderne topographische Karten beigefügt, die eine (annähernde) Lokalisierung von Pfalzen, bischöflichen Palästen und anderen Gebäuden in der Raumstruktur der modernen Stadt zulassen. Darüber hinaus werden kleinteilige Karten geliefert, um die mittelalterliche Stadtstruktur im Kontext von Wegen, Mauern und administrativen Gebäuden genauer zu charakterisieren. Auch heute noch erhaltene Gebäude oder Mauerreste lassen sich durch farbliche Differenzierung in diesen Karten bestimmen. Zusätzlich finden sich eine Übersichtskarte der Aufenthaltsorte mit eingezeichneten mittelalterlichen Wegen und modernen Orientierungspunkten (S. XLII), eine Übersichtskarte über das nachweisbare Königsgut (S. 495) und bei Orten mit einer besonderen Aufenthaltsfrequenz Zeitstrahle (Dortmund S. 112f.; Paderborn S. 420f.). Umfassende Lagepläne sowie Rekonstruktionsversuche der Pfalz- und Kirchenbauten sind darüber hinaus für Paderborn beigefügt (Paderborn, S. 351–363; S. 416f.). Die Aufenthalte der Könige sind durch Regesten erschlossen, die nicht nur die Handlungen benennen (hier hätten eventuell einzelne Handlungen voneinander geschieden werden können, vgl. etwa S. 373), sondern auch das Itinerar durch die Benennung der vorherigen und nachfolgenden Aufenthalte interpretierbar machen. Zudem wird durchweg ein (manchmal vielleicht etwas zu) umfangreicher Quellenapparat geliefert, der aber beinahe – besonders markant im Falle Paderborns – die Nutzung als Edition möglich scheinen lässt (vgl. etwa S. 373–383). Die historischen Stätten sind alphabetisch sortiert und folgen keiner inhaltlichen Gliederung.
Der Gewinn des neuen Handbuchs liegt nicht nur in der nunmehr leichteren Zugänglichkeit der Königsaufenthalte in Westfalen, sondern gerade auch in der Bilanz am Ende des Bandes, durch die Problemlagen und Forschungsdefizite der Region und der Pfalzenforschung übergreifend ersichtlich werden. Denn hier gelingt es, Prämissen wie die Sortierung des Repertoriums nach modernen Bundesländern kritisch zu verhandeln, wodurch besonders die historische Region Westfalen aus ihren Wurzeln heraus und im mittelalterlichen Widerspruch von gelebter und gedachter rechtlicher Fixierung als Bezugsrahmen der historischen Forschung – besonders auch für mit dem Thema nicht vertraute Nutzer – zugänglich wird (S. 498–509). Daneben können die Pfalzenorte in besonderem Maße an den in Westfalen sehr bedeutsamen Hellweg und strategische Furten rückgebunden (S. 509–513), die Problemstellung von „Etappenstraße“ und Durchzugsgebiet thematisiert (S. 513–534) und nicht zuletzt auch die wechselnde Bedeutung in der Ottonen-, Salier- und Stauferzeit sowie im Spätmittelalter deutlich herausgestellt werden (besonders S. 508f.; S. 509–513). Westfalen lässt sich so in Bezug auf seine Bedeutung für die mittelalterlichen Herrscher verfolgen, beginnend mit den Anfängen als Bezeichnung des in dieser Region lebenden Herrschaftsverbandes und samt der vornehmlich militärisch bedingten Anlage von Pfalzen während der Sachsenkriege Karls des Großen, über die Königsnähe der Region unter den Ottonen bis hin zur Königsferne im 11. und 12. Jahrhunderts.
Auch aus den fünfzehn Einzelartikeln ergeben sich zahlreiche neue Erkenntnisse, vor allem aber Forschungsdefizite, die besonders in der Archäologie und der momentan unpopulären besitzgeschichtlichen Forschung zu suchen sind (S. 536). So lässt sich etwa für Dortmund ein Pfalzbau trotz seiner in einigen Zeitschnitten größeren Bedeutung für das Königtum als Paderborn weder in den schriftlichen Quellen noch als archäologischer Befund nachweisen (S. 72–81; siehe zu einem gefundenen Bleisarg, älteren Mauerresten und der Topographie als Indizien besonders S. 75; 77), wie auch Lippspringe – das ähnlich den roncaglischen Feldern wahrscheinlich nur als Versammlungsplatz des nahen Paderborns diente (S. 223) – keinen Pfalzbau aufweist (S. 237). Die daraus entstehende Frage nach der Verfasstheit baulicher Anlagen (Gebäude oder Zelte) wird dadurch wiederholt aufgeworfen (etwa Dortmund S. 52; Eresburg S. 126). Es ergibt sich aber auch – wie im Falle Herfords – der umgekehrte Fall, nämlich dass zwar eine imperatoria curtis (DO II 21) nachweisbar ist, aber der König wahrscheinlich – aufgrund seiner Verwandtschaftsverhältnisse und Handlungen – primär Aufenthalt im nahegelegenen Stift nahm (S. 161 u. 176–183). Die Entscheidung dieser Problemlage zwischen Pfalzbau, Bedeutung und Ort ist für Westfalen ohne weitere Untersuchungen nicht zu lösen. Weitere Forschungsdebatten finden sich zu allen Pfalzenorten durch eine umfassende Literaturkritik eingebunden, wobei besonders besitz-, namens- und siedlungsgeschichtliche Diskussionen thematisiert werden (markant S. 216–219).
Insgesamt ist mit diesem Werk ein bedeutender Beitrag zur Erforschung des Raumes Westfalen wie auch der Pfalzen im Allgemeinen entstanden, das sich insbesondere durch die Aufbereitung der Quellenlage und Forschungsdiskussionen auszeichnet, neue Impulse für Art und Charakter von Königspfalzen liefert und beinahe nicht durch kritische Anmerkungen zu relativieren ist. Doch wurde einmal – um zumindest einen Punkt nennen zu können – versehentlich die Zeugenliste in der Reihenfolge mit der Quellennennung vertauscht (S. 280 Nr. 11). Andere Kritikpunkte werfen eher allgemeine Fragen wissenschaftlicher bzw. erschließungstechnischer Natur auf (ein positives Prädikat des Bandes), etwa nach dem Umgang mit erschlossenen Regesten (etwa S. 130 Nr. 4; S. 154) oder eben der besonders in Westfalen erschwerten Einordnung der Orte in Schema A und B des Repertoriums. Umso deutlicher ist hier aber hervorzuheben, dass die registrierten Aufenthalte sogar Ergänzungen zum Projekt Regesta Imperii liefern können (etwa S. 28, Nr. 19; S. 91, Nr. 21) oder zumindest Datumsangaben spezifizieren (etwa S. 84, Nr. 8).2 Die nicht-aufgenommenen Orte wurden darüber hinaus umfassend begründet und kurz eingeordnet (S. XL).
Eine solch reflektierte und gründliche wissenschaftliche Aufbereitung mit zukunftsweisenden Neuerungen in dem seit den 1950er-Jahren existierenden Vorhaben bleibt daher auch für die noch ausstehenden Projektbände wünschenswert. Besonders die strukturellen und qualitativen Neuerungen sollten daher – wie natürlich auch die inhaltlichen Erkenntnisse – übernommen und die daraus entstehenden neuen Fragen weiter diskutiert werden, sodass die Werke nicht mehr nur als Handbuch, sondern darüber hinaus auch – wie es hier exemplifiziert wurde – als umfassende wissenschaftliche Analyse zu lesen wären.
Anmerkungen:
1 Otto Gerhard Oexle, Von Fakten und Fiktionen. Zu einigen Grundsatzfragen der historischen Erkenntnis, in: Johannes Laudage (Hrsg.), Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufbereitung, Köln 2004, S. 1–42, hier S. 42.
2 Vgl. RI II,2 Nr. 771a.