Wenige Themen der Beziehungsgeschichte Deutschlands und des Nahen Ostens haben ein so großes Interesse erfahren wie die Tätigkeit ehemaliger Militärs und Funktionäre aus dem Nationalsozialismus in Ägypten und Syrien während der 1950er- und 1960er-Jahre. Lange Zeit beschäftigten sich vor allem Artikelserien und Bücher aus der Feder von Journalisten mit dem Thema. In den letzten Jahren sind mehrere geschichtswissenschaftliche Beiträge hinzugekommen – etwa ein Aufsatz von Benjamin Brendel in „Geschichte und Gesellschaft“ oder Martin Finkenbergers hervorragende Biographie über Johann von Leers, die dessen Zeit in Ägypten auf nicht weniger als 223 Seiten behandelt.1
Albrecht Hagemanns Buch „Die Straße der Störche“ ist Teil dieser neueren Forschung. Der Titel geht zurück auf den belgischen Widerstandskämpfer Hubert Halin, der 1970 in einem Text den Weg von Deutschen nach Ägypten mit dem Zug der Störche von Europa an den Nil verglich. In seinem Buch spannt Hagemann ein breites Netz auf, indem er ganz unterschiedliche „Experten“ aus Deutschland und Österreich in Syrien und Ägypten über einen Zeitraum von 20 Jahren (1947–1967) untersucht. Österreich ist Teil der Analyse, da es ein Nachfolgestaat des „Dritten Reichs“ und Ausgangspunkt einiger der untersuchten Experten war, die zuvor in Wehrmacht, SS und anderen nationalsozialistischen Organisationen tätig gewesen waren. Hagemann fokussiert vor allem auf solche Akteure, deren „fachmännische […] Tätigkeit […] in einem weiteren Sinne als bedrohlich für den Staat Israel und seine Bewohner interpretiert werden“ konnte (S. 15). Im Zentrum des Erkenntnisinteresses steht die Frage, was Experten aus Deutschland und Österreich dazu bewog, Staaten zu unterstützen, die erklärte Feinde Israels waren. Welche Rolle spielte Antisemitismus? Wie wichtig waren materielle Motive?
Hagemann nähert sich diesen Fragen in vier umfangreichen Kapiteln. Am Anfang steht die Beschreibung der politischen Lage im Nahen Osten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das erste Kapitel geht nicht nur auf Schlüsselereignisse in der Region wie die Gründung Israels, die Nakba oder die Suez-Krise ein. Hagemann beleuchtet auch die Beziehungen der jungen Bundesrepublik zu Israel und den arabischen Staaten. Dabei wird bereits eine Schwierigkeit der herangezogenen Quellen deutlich: Der Autor wendet sich der Thematik immer wieder auf Grundlage (west-)deutscher Einschätzungen zu. So erfährt man beispielsweise eher, dass der „Spiegel“ über den syrischen Präsidenten Adib al-Shishakli (1953/54) schrieb, dieser wolle sein Land zum „Preußen Arabiens“ (S. 36) machen, anstatt etwas über die Syrische Soziale Nationalistische Partei oder den arabischen Nationalismus zu lesen, die in anderen Darstellungen al-Shishaklis im Vordergrund stehen.2
Im zweiten Kapitel behandelt Hagemann die Tätigkeit sehr verschiedener Experten aus Österreich und Deutschland, die nach dem Krieg in Syrien und Ägypten tätig waren. So beschäftigt sich ein Großteil des Kapitels mit einer Gruppe um den ehemaligen „Wehrwirtschaftsführer“ und SS-Funktionär Wilhelm Voss, die in den frühen 1950er-Jahren das ägyptische Militär beriet. In seiner quellengesättigten Rekonstruktion gibt Hagemann einen detaillierten Einblick in diese Gruppe von 20 bis 30 früheren Offizieren aus dem Nationalsozialismus. Gleichzeitig setzt sich das Kapitel auch mit einer Figur wie Johann von Leers auseinander, dem antisemitischen Propagandisten, der seit 1956 für den ägyptischen Staat und die Arabische Liga tätig war.
Das dritte Kapitel wendet sich wiederum Experten zu, die auf Forschung und Herstellung von Raketen und Düsenjägern spezialisiert waren. Hagemann zeigt unter anderem eindrücklich, wie persönliche Netzwerke, die auf die Heeresversuchsanstalt Peenemünde zurückgingen, Sachverständige für den Raketenbau nach Ägypten brachten. Dabei konnte deren Tätigkeit zwischen ziviler und militärischer Nutzung schwanken. Während der Ingenieur Eugen Sänger ab 1960 zur Entwicklung einer meteorologischen Höhensonde beitragen sollte, waren Forscher wie der Ingenieur Wolfgang Pilz klar am Bau militärisch nutzbarer Raketen beteiligt, die 1962 in Ägypten der Öffentlichkeit präsentiert wurden.
Die israelische Reaktion auf die Tätigkeit deutscher und österreichischer Experten in mit dem jüdischen Staat verfeindeten Nachbarländern steht im Mittelpunkt des vierten Kapitels. Der Autor betont, dass besonders mit der Präsentation der ägyptischen Raketen 1962 eine zunehmende Reaktion und Überwachung der Experten von Seiten Israels einsetzte. In der Bewertung möglicher Einschüchterungs- und Vergeltungsmaßnahmen ist Hagemann überlegt und reflektiert. Er zeichnet Drohanrufe und Sprengstoffanschläge auf Akteure wie Pilz nach, neigt jedoch nicht zu Spekulationen. Im Fall eines Flugzeugabsturzes, bei dem 1962 die Frau eines ägyptischen Hintermanns ums Leben kam, zeigt Hagemann überzeugend, wie abwegig eine Beteiligung Israels erscheinen muss.
Im Fazit wendet sich der Autor wieder seiner Leitfrage zu. Er betont, wie schwer es sei, die Motivationen der Experten für ihre Tätigkeit in Ägypten und Syrien zu klären, da es kaum Selbstzeugnisse gebe. Antisemitische Äußerungen und Einstellungen lassen sich bei einigen der geschilderten Akteure klar nachweisen. Gleichzeitig urteilt Hagemann, dass die materielle Dimension einer guten Verdienstmöglichkeit und die Option, weiterhin im früheren Beruf tätig zu sein, wohl als wichtigste Motivationen der Experten gelten müssen.
Mit seinem Buch liefert Albrecht Hagemann eine ebenso informierte wie gut lesbare Gesamtschau zu deutschen und österreichischen Experten in Syrien und Ägypten. Das vom Autor zusammengetragene Material ist in seiner Breite und Dichte beeindruckend – es reicht von Autobiographien über Interviews und Zeitungsartikel bis hin zu Akten des Bundesnachrichtendienstes. Immer wieder finden sich in dem Buch originelle Einblicke, etwa über den Weg einzelner Nationalsozialisten aus der europäischen Kriegsgefangenschaft in den Nahen Osten oder das Innenleben der Gemeinschaft alter Nationalsozialisten in Kairo. Wer Hagemanns Buch liest, wird besser verstehen, wie es dazu kam, dass sich nur wenige Jahre nach dem Holocaust Deutsche und Österreicher an militärischer Rüstung gegen den jüdischen Staat beteiligten.
Gleichzeitig verweist das Buch auf einige Fallstricke in der Auseinandersetzung mit diesem Thema. Hierzu gehört besonders die von Hagemann selbst angesprochene Problematik der Quellen. Häufig greift der Autor auf zeitgenössische Berichte aus deutschsprachigen Zeitschriften und Illustrierten zurück. Dabei ist er sich der potenziellen Einwände gegen solche Quellen durchaus bewusst, denn er schreibt, dass „der diesen Publikationen eigene, oft recht farbige und plastische Stil […] das Berichtete nicht a priori unwahr machen“ müsse (S. 14). An mehreren Stellen im Buch fragt man sich aber doch, ob sich das so mitreißend Berichtete tatsächlich genauso zugetragen hat. Gerade bei Tatsachenbehauptungen wäre eine stärkere Quellenkritik zu wünschen gewesen. Nicht zuletzt birgt die unkritische Wiedergabe dieser Quellen die Gefahr, orientalistische Stereotypen zu reproduzieren, die mehr über deren deutsche Verfasser als über Syrien oder Ägypten aussagen. Hierzu gehört etwa die als Faktum präsentierte Anekdote, dass ein Bruder des saudi-arabischen Königs „zehn Kamele“ für die Frau eines deutschen Militärberaters in Syrien angeboten habe (S. 85).
Wie bei fast allen Studien zu diesem Thema fehlt schließlich der Einbezug arabischer und hebräischer Quellen. So bleibt es beispielsweise weiterhin ein zentrales Forschungsdesiderat, einen Blick auf deutsche und österreichische Experten auch aus ägyptischer und syrischer Perspektive zu werfen. Nicht zuletzt ließen sich damit einige Fragen, die Hagemann aufwirft, noch einmal anders diskutieren. Welche Rolle spielten arabische Netzwerke aus dem Nationalsozialismus, die die Bundesrepublik auch nach 1945/49 mit dem Nahen Osten verbanden? Wie wurde die Frage des Antisemitismus bei der Auswahl deutscher und österreichischer Experten reflektiert? Und wie gestaltete sich die öffentliche Wahrnehmung dieser Experten in den Ländern, in denen sie tätig waren? Arabische und hebräische Quellen versprechen hier noch stärker über eine deutsche Perspektive hinauszugehen. Zu dem Beitrag Albrecht Hagemanns, der äußerst detail- und aufschlussreich die eine Seite dieser Geschichte darstellt, könnte damit ein genauerer Blick auf die andere Seite dieser Beziehungen hinzutreten – Israel, Syrien und Ägypten in den 1950er- und 1960er-Jahren.
Anmerkungen:
1 Benjamin Brendel, Experten von Krieg, Hass und Gewalt. Deutsche Nationalsozialisten im Ägypten der 1950er und 1960er Jahre im Blick von AA und CIA, in: Geschichte und Gesellschaft 44 (2018), S. 526–553; Martin Finkenberger, Johann von Leers (1902–1965). Propagandist im Dienste von Hitler, Péron und Nasser, Göttingen 2023, S. 610–833.
2 Vgl. etwa James A. Reilly, Fragile Nation, Shattered Land. The Modern History of Syria, London 2019, S. 128–130.