Propaganda wird in der aktualitätsbezogenen wie historischen Kommunikations- und Medienforschung kaum als Konzept herangezogen, um strategische und persuasive Kommunikation in liberal-demokratischen Staaten zu analysieren. Stattdessen wird der Begriff fast ausschließlich pejorativ verwendet. Während Propaganda als typische Kommunikationsform autoritärer Staaten charakterisiert wird, betrachtet die Forschung politische Kommunikation in liberalen Demokratien zumeist ausschließlich als Public Relations. Denn Propaganda wird – nicht zuletzt aufgrund der Verwendung durch das NS-Regime – eng mit den faschistischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts verknüpft. Seit der Zeit des Kalten Kriegs wird Propaganda darüber hinaus mit sozialistischen Staaten assoziiert.
Mit der Ausbreitung von Onlinekommunikation rücken aktuell jedoch verstärkt Phänomene in den Blick der Forschung, die eng verknüpft sind mit Propaganda. Normative und unscharfe Begriffe aus populären Debatten zu digitaler Kommunikation wie „Fake News”, „Desinformation“ oder „Hate Speech“ werden als Analysebegriffe auch auf historische Kontexte übertragen. Vor diesem Hintergrund bringen Teile der Forschung die Frage nach dem Gewinn eines breiteren Propagandabegriffs als Alternative auf, der auch auf Forschung zur Kommunikation in liberalen Demokratien übertragen wird und der nicht notwendig negativ ist.1 Propaganda kann in diesem Zusammenhang grundsätzlich als persuasive Kommunikation zur Beeinflussung öffentlicher Meinung im Interesse bestimmter Akteure verstanden werden.
Der Band „Nordic Media Histories of Propaganda and Persuasion“ entwickelt ein solches breites Verständnis von Propaganda und eng damit verbunden Persuasion als Grundlage zur Untersuchung strategischer Kommunikation in und durch die nordischen Staaten im 20. Jahrhundert. Das Buch geht auf ein Symposium und Workshops der Beteiligten zurück. Entsprechend besteht ein klarer gemeinsamer Bezugsrahmen der Beiträge und die Darstellung ist stringent. Die disziplinären Hintergründe der versammelten Autor:innen sind vor allem die Geschichtswissenschaft sowie die Kommunikations- und Medienwissenschaft. Das Buch verbindet mehrere thematisch verwandte Projekte der Beteiligten. Der Sammelband profitiert von der damit verbundenen Tiefe der Beschäftigung der Autor:innen mit den im Band präsentierten Themen. Auch der medien- wie sozialgeschichtliche Kontext wird im gesamten Band kenntnisreich und ohne Redundanzen dargestellt.
In der Einleitung stellen die beiden Herausgeber und die Herausgeberin den Rahmen des Buchs vor. So soll die Mediengeschichte der Kommunikation zu Zwecken der Aufklärung, Information und Überzeugung in den nordischen Staaten Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland in ihren transnationalen Bezügen zwischen 1930 und 1980 dargestellt werden. Dabei folgen sie dem kommunikationswissenschaftlichen Propagandaverständnis von Garth S. Jowett und Victoria O’Donnell.2 Der Untersuchungszeitraum deckt die Epoche des nordischen Wohlfahrtstaats ab. Die Herausgeber:innen konstatieren, dass dessen medienhistorische Dimension bislang kaum beachtet sei, obwohl das „Nordic Model was built on propaganda and persuasion just as much as it was built on governance, social security and economic productivity.“ (S. 6) Ebenso breit wie der Propagandabegriff ist der zugrundeliegende Medienbegriff, der sich nicht allein auf Massenmedien beschränkt, sondern neben Presse, Rundfunk oder Film auch Versammlungen oder akademische Austauschprogramme einbezieht. Wie explizit der zu Beginn des Bands skizzierte theoretische Bezugsrahmen aufgenommen wird, variiert allerdings zwischen den einzelnen Beiträgen.
Die Aufsätze sind sinnvoll in drei thematische Abschnitte untergliedert. Die Beiträge beschreiben, wie die nordischen Staaten durch Kommunikation ihr Image als Marke etablieren konnten und wie unterschiedliche Interessengruppen einschließlich ausländischer Akteure in den Ländern Propagandaaktivitäten betrieben. Es ist bemerkenswert, dass sich sämtliche Beiträge auf Quellenanalysen stützen und sich kein Beitrag auf Zusammenfassungen der Sekundärliteratur beschränkt. Abbildungen geben einen guten visuellen Eindruck des Quellenmaterials. Die Beiträge werden dem Anspruch gerecht, den Blick über einzelne Länder und einzelne Medien hinaus auf transnationale Bezüge zwischen den nordischen Staaten oder die Zusammenarbeit mit anderen Ländern zu richten.
Im Hinblick auf propagandistische Aktivitäten ausländischer Akteure in den nordischen Staaten werden so unterschiedliche Aspekte beleuchtet wie die Kommunikation Hitler-Deutschlands und der Alliierten im neutralen Schweden während des Zweiten Weltkriegs (Emil Stjernholm) oder der kulturelle Austausch durch chinesische Filme im finnischen Fernsehen, der die Annäherung der Länder in Diplomatie und Handel in den 1970er- und 1980er-Jahren begleitete (Laura Saarenmaa). Auch der transatlantische Bildungsaustausch gehört dazu. Jukka Kortti beschreibt, wie darüber US-amerikanische Konzepte verstärkt Einzug in die skandinavischen Sozialwissenschaften erhielten. Emil Eiby Seidenfaden beschreibt die Netzwerke dänischer Journalisten im britischen Exil während des Zweiten Weltkriegs.
Die Beiträge zu Propaganda nordischer Akteure in ebendiesen Staaten unterstreichen die Bedeutung der sozialdemokratischen Parteien. Insbesondere Ruth Hemstad beschreibt die Etablierung nordischer Kooperation und ihre mediale Vermittlung in den 1930er-Jahren, die maßgeblich von den sozialdemokratischen Organisationen der Länder vorangetrieben wurde. Weitere Aufsätze streichen deren Bedeutung etwa bei den Initiativen für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der nordischen Staaten heraus (Øystein Pedersen Dahlen und Rolf Werenskjold). Im Bereich der Kulturpolitik kooperierten die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten Dänemarks, Schwedens und Norwegens, wie Mari Pajali ausführt.
Auch über die sozialdemokratische Arbeiterbewegung hinaus zeigen die Beiträge die Stellung korporativer Akteure für die beschriebenen Kommunikationsaktivitäten. Zivilgesellschaftliche Akteure rücken etwa zu Kampagnen gegen Abtreibungsrechte in Schweden in den Blick (Elisabet Björklund). Wie Björn Lundberg und David Larsson Heidenblad beschreiben, machten in Schweden und Norwegen nicht unabhängige Gruppen der Alternativbewegung auf Umweltbelange aufmerksam, sondern Versicherungsunternehmen in Kooperation mit Gewerkschaftsorganisationen. Schließlich waren es Regierungen, die das Verständnis des nordischen Wohlfahrtsstaats und die entsprechende internationale Selbstdarstellung hin zu einem „green people’s home“ modifizierten (Melina Antonia Buns und Dominic Hinde, S. 246). Lars Diurin zeigt, wie Hilfsorganisationen und Regierungsstellen in Schweden, Dänemark und Norwegen für Entwicklungshilfe warben. Fredrik Norén beschreibt die staatliche Öffentlichkeitsarbeit des schwedischen Board for Civic Information. Neben staatlichen Akteuren, den Parteien und Gewerkschaften rücken auch Unternehmen wie die Brauereien Tuborg und Carlsberg in den Fokus, deren Beitrag zur Vermittlung dänischer Wissenschaft und Kultur im Ausland C. Claire Thomson analysiert. Zwei Nachworte von Nicholas J. Cull und Peter Stadius betrachten den Band aus der Perspektive der Public Diplomacy und bieten eine Reflexion des verwendeten Propagandabegriffs.
Der Band liefert mit der medienhistorischen Perspektive einen wichtigen Beitrag zur Geschichte nordischer Wohlfahrtsstaaten. Insgesamt zeigt das Werk mit seiner theoretischen Fundierung und den vielfältigen, quellengesättigten Fallstudien zu den nordischen Staaten im 20. Jahrhundert gut, wie das Propagandakonzept für die Analyse der Kommunikation in demokratischen Kontexten fruchtbar gemacht werden kann. Eine Fortsetzung über die 1980er-Jahre hinaus wäre wünschenswert. So könnten die Einschnitte in den Wohlfahrtsstaat im Zuge der Globalisierung, Angriffe auf das Modell durch den Aufstieg äußerst rechter politischer Parteien auch im Norden oder Veränderungen durch Digitalisierung weiter medienhistorisch eingeordnet werden. Der vorliegende Band liefert dazu eine sehr gute Grundlage.
Anmerkungen:
1 Siehe jüngst beispielsweise Nelson Ribeiro / Barbie Zelizer, Media and Propaganda. Where Propaganda Lives On – Introduction, in: International Journal of Communication 18 (2024), S. 3641–3646.
2 Garth S. Jowett / Victoria O’Donnell, Propaganda and Persuasion, Thousand Oaks 2012.