Mit dieser englischen Adaption ihres zusammen mit Henrik Horstbøll geschriebenen „Grov Konfækt – Tre vilde år med trykkefrihed 1770–73“ bringen Ulrik Langen und Frederik Stjernfelt dem internationalen Publikum eine ungewöhnliche Episode der dänischen Geschichte näher: In den Jahren 1770 bis 1772, als der junge, geistig labile König Christian VII. (1749–1808) unter maßgeblichem Einfluss seines Arztes und späteren Kabinettsministers Johann Friedrich Struensee (1737–1772) stand, initiierte dieser ein breites Reformprogramm. Aufklärerischen Werten verpflichtet, enthielt es neben der Zurückdrängung der Adelsmacht, einer signifikanten Lockerung der Sittengesetze sowie zahlreichen Sozialreformen die Aufhebung jeglicher Zensur (S. 1f.). Dänemark-Norwegen wurde damit zum ersten Land, in dem unbeschränkte Pressefreiheit galt. Doch Struensees Reformtätigkeit währte nicht lange: Im Januar 1772 fiel er einem Staatscoup zu Opfer, dem seine Verhaftung und Hinrichtung folgten. Hatte er sich selbst im Oktober 1771 gezwungen gesehen, die Pressefreiheit zu relativieren, so folgte nun deren langsame, aber entschiedene Eindämmung durch die neue Regierung, die 1773 ihren Abschluss fand (S. 17).
Zentrale Basis der Untersuchung ist die Sammlung von Pressefreiheitsschriften – Schriften, denen zeitgenössisch unterstellt wurde, dass sie nur durch die Aufhebung der Zensur veröffentlicht werden konnten (S. 17) –, welche der dänische Regierungsbeamte Bolle Willum Luxdorph (1716–1788) anlegte und die 47 Bände mit über 900 Einzelschriften umfasst (S. 4, 212). In der Forschung wurden diese Schriften lange als literarisch minderwertig erachtet und kaum einer Analyse gewürdigt (S. 4f.). Erst seit Neuerem gelten sie als Zeugnisse des aufkommenden öffentlichen Diskurses und der Meinungsfreiheit, die unabhängig von ihrer Qualität untersuchenswert sind (S. 6).
Ausgangspunkt der Analyse ist Jürgen Habermas’ These der Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, welche die Autoren übereinstimmend mit der neueren Forschung für revisionsbedürftig halten: Es sei keineswegs ein rein rationaler, auf die Bekämpfung von Vorurteilen und Unwissen gerichteter Diskurs, der sich in den Quellen spiegele. Vielmehr bringen diese in breitem Ausmaß auch Vorurteile, Irrationalitäten, Gerüchte bis hin zu Diffamierung zum Ausdruck. Das Ziel der Studie ist folglich nicht die Affirmation der entstehenden Öffentlichkeit als eine aufgeklärte, sondern die Untersuchung der dahinter stehenden Dynamiken: die Interaktion von veröffentlichten Meinungen und politischen Entwicklungen sowie die Eigendynamik des publizistischen Betriebs, in dem neben Wahrheitssuche auch Meinungsmache, Gewinnabsichten und bisweilen persönliche Eitelkeiten eine Rolle spielen.
Für alle, die keine besonderen Kenntnisse der dänisch-norwegischen Geschichte haben, dürfte der historische Überblick über die Vorgeschichte und den Untersuchungszeitraum im zweiten Kapitel hochwillkommen sein. Daran schließt sich in Kapitel drei bis elf die Quellenanalyse an. Hier finden sich Kapitel, die sich auf klassische Themenfelder der Zeit wie Regierungsform, Wirtschaft sowie Religion fokussieren, die Rahmenbedingungen von Schreiben, Drucken und Buchhandel in den Blick nehmen oder die Wechselwirkungen mit der politischen Entwicklung thematisieren: die wachsende Kritik an Struensee, seinen Sturz sowie die Rechtfertigungsbemühungen des neuen Regimes. Kapitel zwölf und dreizehn ergänzen den Widerhall der Ereignisse in der internationalen Presselandschaft und das abschließende vierzehnte Kapitel beschreibt das langsame Ende der Pressefreiheit.
Im Fazit werden die Untersuchungsergebnisse zusammengeführt und in zwei Hinsichten perspektiviert: In diachroner Sicht wird die damalige Einführung neuer Kommunikationsmöglichkeiten mit heutigen Erfahrungen mit Internet und social media verglichen. In synchroner Perspektive erfolgt ein Vergleich mit der Lockerung der Zensur im Österreich Josephs II. (1741–1790) und der Pressefreiheit im revolutionären Frankreich. Dabei beschränken sich die Autoren nicht auf assoziative Ähnlichkeiten und offenkundige Unterschiede, sondern bieten eine Systematisierung, die Strukturähnlichkeiten und gemeinsame Mechanismen hervorhebt. Neben dem umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis enthält der Anhang eine enzyklopädische Übersicht über die wichtigsten Akteur:innen, der es den Lesenden erleichtern soll, den Überblick zu behalten.
Das allerdings ist tatsächlich nicht einfach und gerade das Changieren zwischen enzyklopädischem Gesamtanspruch und thesengeleiteter Analyse irritiert bisweilen. So recht wird nicht klar, was das Buch will: Geht es um die thematische Breite der Pressefreiheitsschriften, ihre Interaktion untereinander oder mit den politischen Rahmenbedingungen? Diese Schwierigkeit entspringt daraus, dem umfangreichen Bestand an Quellen gerecht zu werden, die zahlreiche thematische, diskursive und zeitliche Berührungspunkte aufweisen. Das macht die Darstellung selbstverständlich kompliziert. Um dem roten Faden folgen zu können, wäre jedoch eine klarere Perspektivierung hilfreich gewesen.
Dieses Manko zeigt sich etwa in der Kapiteleinteilung: Das Ziel, die Dynamik des Diskurses aufzuzeigen, hätte dafürgesprochen, das Material gemäß den einzelnen Debatten zu sortieren, die auf Seite 465 – und damit unverständlich spät – dargestellt werden. Stattdessen ist die Anordnung uneinheitlich. Der thematische Zuschnitt der ersten Kapitel weicht ab der Hälfte des Buchs dem zeitlichen Ablauf. Dazwischen steht Kapitel acht zur Infrastruktur der Presselandschaft – das wiederum früher passender gewesen wäre. Diese Uneinheitlichkeit wiederholt sich bei den Unterkapiteln, die sich mal auf Autoren, mal auf Debatten, Themen oder Zeitabschnitte fokussieren. Mit diesem Zuschnitt ändert sich auch der je zum Verstehen notwendige Kontext: etwa der vorherige Debattenstand, biografische Einordnungen, Erläuterungen zu den politischen Ereignissen. All dies wird am jeweiligen Ort gegeben, macht aber viele Querbezüge notwendig und führt zu Wiederholungen. Auch wenn bei der gegebenen Komplexität keine ideale Anordnung möglich ist, wäre eine Beschreibung des Vorgehens oder eine Einteilung in größere – intern einheitliche – Abschnitte sinnvoll gewesen, um die Übersichtlichkeit zu stärken.
So jedoch gerät das Argumentationsziel bisweilen aus den Augen. Denn die Hauptthese, dass es sich bei der Pressefreiheit um ein „radikales Experiment“ handelt, ist zwar überzeugend, vermag aber den Blick nicht genug zu steuern: Was genau bedeutet radikal und worin äußert sich die Radikalität? Da die Autoren sich bei der politischen Einordnung an Jonathan Israels Unterscheidung zwischen moderater und radikaler Aufklärung anlehnen1, scheint es zunächst naheliegend, „radikal“ inhaltlich als politische Richtung zu verstehen. In diesem Sinne wird Struensees Reformprogramm als von der radikalen Aufklärung inspiriert beschrieben (S. 17) – selbst dem in Israels Konzeption unverzichtbaren metaphysischen Monismus wird der Arzt anscheinend gerecht (S. 391). Inwieweit dies allerdings auch für den öffentlichen Diskurs gilt, erscheint differenzierungsbedürftig. Weder Adels- oder Kirchenkritik noch die Forderung nach Wirtschaftsliberalisierung sind in der Zeit per se radikal. Die Schriften, deren „Radikalität“ am überzeugendsten ist – ein Verfassungsentwurf, der eine konstitutionelle Monarchie mit gewähltem Parlament ohne Privilegierung des Adels vorschlägt (S. 71–73) sowie ein Dokument, das die Autoren als „virtual declaration of human rights“ bezeichnen (S. 82) – wurden gerade nicht veröffentlicht. Im öffentlichen Diskurs selbst zeigt sich auch keine Dynamik immer weiter fortschreitender politischer Forderungen, die als Radikalisierung beschreibbar wäre. Eher im Gegenteil: Vielen Schreibenden gingen schon Struensees Reformen offenkundig zu weit. Sie stellten sich dem dadurch einsetzenden Sittenverfall, Libertinismus und Freidenkertum entschieden entgegen.
In dieser Hinsicht kann man – bis Anfang 1772 – von einer Radikalisierung sprechen, jedoch nicht in der inhaltlichen Ausrichtung, sondern im aggressiver werdenden Ton, in den sich bisweilen fremdenfeindliche, antisemitische und misogyne Topoi mischten. Die sich schließlich auch gewaltsam entladende Spannung richtete sich dann keineswegs gegen Adel oder Eliten, sondern gegen Prostituierte. Die mit der Pressefreiheit geöffnete Büchse der Pandora führt also nicht zur Bedrohung der Ordnung durch nach unbeschränkter Freiheit und Gleichheit strebende Volksmassen, wie es Beobachter zur Zeit der Französischen Revolution schilderten. Vielmehr zeigen sich die Stimmen am aggressivsten, denen es gerade um die Wiederherstellung der guten Ordnung und der Moral ging und die damit am ehesten als reaktionär zu bezeichnen sein dürften. Dass entsprechende Beobachtungen an einigen Stellen des Buches (S. 154–156, 163, 248, 252–254, 315, 326) nicht systematisch zusammengeführt werden, erscheint mir als das größte Desiderat – sowohl die synchrone wie die diachrone Perspektivierung des Fazits hätte dafür den passenden Ort geboten. Dazu wäre es allerdings auch ratsam gewesen, im Fall des revolutionären Frankreichs Israels Analysekategorien zu überdenken: Dass die dortigen ultrarevolutionären Strömungen übereinstimmend mit diesem als „populist und authoritarian“ (S. 477) eingeordnet werden, verstellt hier eher den Blick auf Unterschiede der Diskursdynamik und ist zumindest diskussionswürdig.2
Ungeachtet dieser Kritikpunkte ist das Buch absolut lesenswert für diejenigen, die sich für Dänemark-Norwegen im späten 18. Jahrhundert oder aufklärerisch inspirierte Reformprozesse und gesellschaftliche Reaktionen auf solche interessieren. Darüber hinaus bietet es auch in allgemeiner Hinsicht wertvolle Einblicke in Medienwandel, die Entwicklung der veröffentlichten Meinung und ihre Dynamiken.
Anmerkungen:
1 Vgl. Jonathan I. Israel, Radical Enlightenment. Philosophy and the Making of Modernity 1650–1750, Oxford 2001. Siehe auch die Rezension von Thomas Hippler, in: H-Soz-Kult, 21.07.2003, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-3312 (02.10.2024).
2 Vgl. Jonathan I. Israel, Revolutionary Ideas. An Intellectual History of the French Revolution from The Rights of Man to Robespierre, Princeton 2014.