T. Nagl: Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino

Cover
Titel
Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino


Autor(en)
Nagl, Tobias
Anzahl Seiten
832 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Pablo Dominguez, Transcultural Studies, Universität zu Heidelberg

Am 10. Juli 2010 veranstaltete der Zoo Eberswalde unter dem Titel „Weckt die Löwen!“ eine „Afrikanische Zoonacht“. Eine Werbebroschüre lockte potentielle Besucher und Besucherinnen nicht nur mit „afrikanische[m] Flair mit temperamentvoller Live-Musik und Tanz der Band Odjadike und Ballet Zebola aus dem Kongo“, sondern auch mit einem guten Zweck: „Diese Veranstaltung soll die Volksgruppe der San, den ‚letzten ersten Menschen’, durch Hilfe zur Selbsthilfe bei der sanften Integration in unsere moderne Zeit unterstützen.“1 Dass auch 2010 wieder in bester Völkerschau-Tradition die vermeintlich primitive Kultur von Menschen afrikanischer Herkunft in einem Zoo ausgestellt wird, verweist auf das weitgehende Fehlen eines rassismuskritischen Bewusstseins und Vokabulars in der deutschen Öffentlichkeit.2 Tobias Nagl liefert nun mit seiner im letzten Jahr unter dem Titel „Die Unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino“ veröffentlichten Dissertation einen wichtigen Beitrag zur Genealogie solcher und anderer rassistischer Vorstellungen über Menschen nicht-weißer Hautfarbe in Deutschland.

Die Unheimliche Maschine ist eine umfangreiche und grundlegende Studie über Repräsentationen von Rasse im Kino der Weimarer Republik. Nagl plädiert hierbei bereits in seiner Einleitung für nichts weniger als einen „Paradigmenwechsel in der Untersuchung des Weimarer Kinos.“ (S. 30) Entgegen der verbreiteten Praxis rein filmimmanenter Analysen, die er als fundamental unhistorisch kritisiert, fordert Nagl eine stärkere Einbindung des Produktions- und Rezeptionskontextes von Filmen, um das Kino im Allgemeinen und rassistische Repräsentationsformen im Besonderen als soziale Praxis historischer Akteurinnen und Akteure sichtbar werden zu lassen. Nagl selbst löst diese Forderung vor allem durch eine immens breit gestreute Quellenbasis vorbildlich ein. Die interdiskursive Zirkulation der in den Filmen vorgefundenen Motive und Bilder verfolgt er in so unterschiedlichen Quellen wie Programmheften, Zensurkarten, Kritiken in Film- und Tagespresse, Literatur, Illustrierten, Groschenheften und Parlamentsdebatten. Was Nagl so ausgehend von der Auseinandersetzung mit dem Medium Film auf knapp 800 Seiten entfaltet, geht weit über eine „rein“ filmhistorische Arbeit hinaus: „Die Unheimliche Maschine“ ist eine eindrucksvolle Kultur- und Sozialgeschichte (post-)kolonialer Rassismen in der Weimarer Republik.

Dabei macht die Studie einmal mehr deutlich, welch wissenschaftliches und politisches Potential nach wie vor in der Anwendung postkolonialer Theorie auf Themen der deutschen Geschichte schlummert. Nagl geht souverän und reflektiert mit seinem komplexen Theorierahmen um und kommt so zu dem Schluss, dass offen kolonialrevisionistische Forderungen in den 1920er-Jahren zwar eher ein Minderheitenphänomen gewesen seien. Andererseits habe die Imagination und Repräsentation des „Exotischen“ und „Primitiven“ einen zentralen Ort in der Herausbildung einer weißen, deutschen Identität nach dem 1. Weltkrieg gehabt. Besonders wertvoll macht die Studie die Tatsache, dass Nagl sich nicht auf diese hegemoniale Perspektive beschränkt: Innerhalb der gerade in ihrer schieren Masse und Gewalt oftmals erdrückend rassistischen Repräsentationsformen macht Nagl immer wieder Momente des Widerstandes, der Subjektivität und der Handlungsmacht nicht-weißer Menschen aus und stellt diese ins Zentrum der Analyse. So entsteht ein differenziertes Bild von Rassismus als historisch-spezifisches und vor allem umkämpftes Machtverhältnis, zu dem antirassistische Strategien und Handlungsspielräume ebenso gehör(t)en, wie rassistische Diskurse und Praktiken.

Angesichts des Umfangs der Studie muss eine Inhaltsangabe sich auf einige Schlaglichter beschränken. Im ersten Kapitel analysiert Nagl die monumentalistische Abenteuerfilmreihe „Die Herrin der Welt“ als Ausdruck nationaler Wiederaufbauversuche nach dem Ende des 1. Weltkriegs. In die Filme hinein verfolgt Nagl die Diskurse der „weißen Sklaverei“ und der „gelben Gefahr“. Hierbei stützt er sich überzeugend und differenziert auf die vorhandenen Theoriedebatten aus der entsprechenden angloamerikanischen Forschung und macht den Nutzen eines solchen kritischen Theorieimports deutlich. Den in der Einleitung eingeforderten Perspektivwechsel auf Momente des antirassistischen Widerstands löst Nagl am Ende des Kapitels ein, indem er die in der Forschung zum Film bisher unerwähnten Proteste des chinesischen Studentenvereins in Berlin gegen die rassistische Darstellung von Chinesen in „Die Herrin der Welt“ darstellt und analysiert.

Kapitel zwei widmet sich der filmischen Repräsentation der rassistischen Kampagne um die „Schwarze Schmach am Rhein“. Der neueren Forschungsliteratur zu diesem Thema3 kann Nagl einige interessante Aspekte hinzufügen. Neben der wechselseitigen Bedingtheit der Kategorien Nation, Geschlecht und Rasse stellt er einige interessante Parallelen zum amerikanischen Rassismus während der Zeit der Reconstruction (und deren kinematographischer Verewigung in Griffith’s „Birth of a Nation“) fest: „In beiden historischen Konstellationen artikulierte sich ein Rassismus in der Defensive, dessen Beitrag zum imaginären nation building im Versuch des aggressiven Ausschlusses eines rassischen Anderen bestand.“ (S. 175)

Kapitel drei und vier beschäftigen sich vor allem mit Afrika als Imaginationsraum. Während im dritten Kapitel Verbindungen von kolonialrevisionistischer Bewegung und dem Medium Film primär anhand der Person „des populären Großwildjägers, selbsterklärten Afrikaforschers, Reiseschriftstellers und Filmemachers“ (S. 230) Hans Schomburgk und dessen filmischem Oeuvre analysiert werden, blickt das vierte Kapitel auf Kulturfilme und romantische Ethnographie in Afrika und damit auf einen vermeintlich unschuldigen, weil rein wissenschaftlich interessierten Blick auf den „schwarzen Kontinent“. Hierbei scheint insbesondere interessant, dass die Rezeption von ethnographischen Kulturfilmen parteiübergreifend (das heißt vom völkisch-deutschnationalen bis ins rechts-sozialdemokratische Spektrum) fast durchgehend positiv bis begeistert war, dass exotistisch-primitivistische Vorstellungen und Rassismen also keineswegs auf die politische Rechte beschränkt waren. Den kommunistischen Rezeptionen solcher ethnographischer Kolonialphantasien attestiert Nagl zwar ebenfalls einen essentialistischen Rassebegriff, beschreibt sie jedoch in ihrem Internationalismus als die „einzige politische Option auf einen Bruch mit der Ideologie der weißen Suprematie“ (S. 335) in der Weimarer Republik.

Das fünfte Kapitel stellt das Verhältnis von Geschlecht und Rasse in den Mittelpunkt. Hier analysiert Nagl vor allem die begrenzten Repräsentationsmodi schwarzer Frauenfiguren im Weimarer Kino. Zwar inszenierten unzählige Filme ein (weißes, männliches) sexuelles Begehren nach nicht-weißen, „exotischen“ Frauen. Solche Phantasien seien jedoch in der Regel im orientalischen Raum angesiedelt, nie in Afrika. Grund für diese tendenzielle „Verbannung schwarzer Frauen aus dem Feld des Sichtbaren“ (S. 440) sei die in zeitgenössischen Diskursen als besonders gefährlich, animalisch, und unkontrollierbar konstruierte Hypersexualität schwarzer Frauen gewesen.

Kapitel sechs widmet sich ausführlicher dem angesprochenen Perspektivwechsel auf die Handlungsspielräume ehemals kolonisierter bzw. migrantischer Subjekte. Nach einem theoretischen Vorspann, der die Nutzbarmachung des Black Atlantic- Konzeptes von Paul Gilroy für den deutschen Kontext diskutiert, bringt Nagl anhand der Schauspieler Louis Brody, Peter Makembe und Wilhelm Munumé drei schillernde Biographien afrodeutscher Geschichte zum Sprechen. Hiermit leistet er einen wertvollen Beitrag zum Forschungsfeld der Afro German Studies4 und macht deutlich, dass sich der aufgrund der schwierigen Quellenlage enorme Aufwand, der mit einer solchen „Gegenhistoriographie“ verbunden ist, in der Tat auszahlt. Im siebten und letzten Kapitel bewegt sich Nagl dann mit den Themen Modernismus, Amerikanismus und Jazz auf verhältnismäßig gut erforschtem Terrain. Auch hier legt er mit dem Abschnitt über Blackface/ Minstrelsy in der Weimarer Kultur jedoch die Geschichte einer kulturellen Praktik frei, die in Deutschland über eine lange, aber weitgehend unbekannte Tradition verfügt. Deren kritische Aufarbeitung steht im Gegensatz etwa zu den USA noch fast vollständig aus, wie die Diskussion um Günter Wallraffs Film Schwarz auf Weiß jüngst erneut gezeigt hat.

Die Unheimliche Maschine ist ein theoretisch reflektiertes, quellenreich fundiertes und politisch wichtiges Grundlagenwerk zur Kulturgeschichte postkolonialer Rassismen in der Weimarer Republik. Trotz seines Umfangs macht es gerade in seiner Materialfülle deutlich, dass die kritische Analyse dieser Geschichte erst an ihrem Anfang steht. Zur deren weiterer Erforschung hat Tobias Nagl ein unverzichtbares Grundlagenwerk geschaffen.

Anmerkungen:
1 <http://blog.derbraunemob.info/wp-content/uploads/2010/07/Zoo1.pdf> (29.10.2010). <http://blog.derbraunemob.info/wp-content/uploads/2010/07/eberswalde_english.pdf> (14.11.2010).
2 Die Schwarze media-watch-Organisation Der Braune Mob skandalisierte die Vorgänge auf ihrer Website: <http://blog.derbraunemob.info/2010/07/01/3-10-7-2010-berlin-und-eberswalde-augsburg-reloaded-afrika-und-namibia-tage-im-zoo/> (29.10.2010).
3 Vgl. Iris Wigger, Die „Schwarze Schmach am Rhein“. Rassistische Diskriminierung zwischen Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse, Münster 2006.
4 Vgl. z.B. Fatima El-Tayeb, Schwarze Deutsche. Der Diskurs um „Rasse“ und nationale Identität 1890-1930, Frankfurt am Main 2001.

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