Cover
Titel
Constantine. Dynasty, Religion and Power in the Later Roman Empire


Autor(en)
Barnes, Timothy D.
Reihe
Blackwell Ancient Lives
Erschienen
Chichester 2011: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
XIII, 266 S.
Preis
£ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Wie auch immer man die Leistungen Konstantins „des Großen“ beurteilen mag, so können auch seine größten Kritiker nicht leugnen, dass eines an ihm in der Tat groß ist: Die Anzahl der ihm gewidmeten Publikationen, die so rasant wie konstant anwächst.1 Zu den Titeln, die deutlich aus dieser Menge herausragen, gehört zweifellos die neue Konstantinsbiographie von Barnes, mit der dieser die Summe seiner Forschungen zum ersten christlichen Kaiser vorlegt.

Die Einführung (S. 1–26) nutzt Barnes nicht nur dazu, um in den Stand der Forschung, die wichtigsten zeitgenössischen Autoren und die Primärquellen (hierbei spielt er den Wert der Münzen als Quelle wohl zu sehr herunter) einzuführen, sondern auch, um sein Konstantinsbild zu verdeutlichen. Ein erstes Unterkapitel betrachtet die „offiziellen Lügen“ Konstantins (S. 2–6); Barnes behauptet hier, dass die zeitgenössischen Versionen über ein späteres Geburtsjahr Propaganda Konstantins mit dem Ziel gewesen seien, das fehlende Eingreifen Konstantins in die diokletianische Verfolgung zu rechtfertigen. Drei Punkte sind dem zu entgegnen: Wie das Beispiel des Kaisers Decius deutlich zeigt2, konnten die Angaben über das Alter eines Kaisers in den Quellen teilweise erheblich voneinander abweichen. Da das korrekte Alter Konstantins in der Überlieferung kursierte, hätte eine solche „offizielle Lüge“ zudem wenig Erfolg gehabt. Die Relativierung der Rolle des Constantius Chlorus in der Verfolgung durch die christliche Überlieferung trotz seines Vorgehens gegen Kirchenbauten in seinem Machtbereich belegt, dass auch eine aktive Teilnahme in einer Christenverfolgung erfolgreich relativiert werden konnte.3 Die übrigen von Barnes herausgearbeiteten „offiziellen Lügen“ gehen nicht über das hinaus, was aus der antiken Propagandistik bekannt ist.

Das zweite Kapitel ist Helena und ihrer Beziehung zu Constantius (S. 27–45) gewidmet. Auf Basis einer Angabe des Ambrosius betrachtet Barnes Helena als Tochter eines Stallmeisters des cursus publicus; sie sei somit von höherem sozialem Stand als bislang angenommen; eine legale Ehe mit Constantius sei daher möglich und wahrscheinlich.4 Die Scheidung und erneute Heirat habe bereits vor der Caesarerhebung des Constantius stattgefunden, vor der er einen Generalsposten, nicht aber die Prätorianerpräfektur innegehabt habe (S. 38–42). Im Anschluss daran rekonstruiert Barnes das Leben Helenas von der Scheidung bis zu ihrem Tod (S. 42–45). Auch wenn Barnes einige interessante Ideen bietet, steht und fällt vieles mit dem einleitenden Ambrosius-Beleg, dessen Zuverlässigkeit sicherlich bestritten werden kann.

Das dritte Kapitel behandelt die Rolle Konstantins in der Tetrarchie bis 305 (S. 46–60). Nach einem Abriss des tetrarchischen Systems und den Wegen zur Ernennung neuer Kaiser erörtert er den Status Konstantins im Osten, der nicht auf den einer Geisel zu reduzieren sei. Seine Thesen zum Machtwechsel von 305 (S. 56–60) verdienen eine Diskussion: Nach Barnes wurden Konstantin und Maxentius von Constantius und Galerius als Caesares bestimmt; beide seien dann aber vom überzeugten Heiden Galerius sowohl wegen ihrer Sympathien für das Christentum als auch zur Förderung von dessen Verwandten (Maximinus) und leicht kontrollierbaren Personen (Severus) aus dem Herrschergremium ausgeschlossen worden. Diese problematischen Thesen stützen sich allerdings zu stark auf den tendenziösen Bericht des Laktanz. Wenn Konstantin ohne sein Wissen von Galerius übergangen wurde, wäre ganz unverständlich, wieso seine potentiell gefährliche Anwesenheit bei der Proklamation der neuen Caesares zugelassen wurde. Zudem erscheint Galerius nur bei Laktanz (11,3) als Antreiber der Christenverfolgung, der von einem angeblichen Gespräch mit Diokletian unter vier Augen berichtet; der stärker die konstantinische Propaganda reflektierende Eusebios weiß davon nichts.

Den Zeitraum von der Erhebung Konstantins im Jahr 306 bis zum Beginn der Dyarchie 313 behandelt das vierte Kapitel (S. 61–89). Für Barnes ist Konstantin kein Usurpator, da ihn Constantius auf dem Totenbett zum Augustus erhoben habe. Dafür bleibt er allerdings nicht nur den Beleg schuldig, sondern gibt auch als alternative Möglichkeit an, dass dies nur eine allgemein verbreitete Ansicht gewesen sei, „which in political terms amounted to the same thing“ (S. 63). Die baldige Akzeptanz durch Galerius bedeutet nicht, dass Konstantin kein Usurpator war, sondern nur, dass er sich mit seiner Usurpation durchsetzen konnte.5 Ein wenig irreführend ist der Titel des Unterkapitels „Politics and warfare 306–310“ (S. 66–74), das die Kriege und Manöver bis zum Jahr 312 darstellt. Bei der Frage nach der Vision Konstantins schließt sich Barnes der These von Peter Weiß an, Konstantin habe das meteorologische Phänomen eines Halo beobachtet. Diese Interpretation verlangt allerdings den Berichten des Laktanz und im Panegyricus viel ab. Die Schlacht an der Milvischen Brücke stellt Barnes als glorifizierten Gründungsmythos eines tatsächlich nicht verlierbaren Kampfes dar. Schließlich skizziert er das Verhältnis zwischen Konstantin und dem Senat und stellt die Kirchenbauten der konstantinischen Zeit in Rom vor.

Das fünfte Kapitel ist Konstantin und Licinius gewidmet (S. 90–106). Nach der Erörterung der in Mailand festgelegten administrativen Reformen tritt Barnes für die Ansicht Seecks ein, das „Edikt von Mailand“ sei ein Mythos, tatsächlich handele es sich bei dem erhaltenen Dokument um einen Brief des Licinius an die Statthalter der ehemals Maximinus unterstehenden Provinzen. Schließlich zeichnet Barnes die Entwicklung und den Verlauf des Konfliktes zwischen Konstantin und Licinius nach. Im sechsten Kapitel werden die Transformationsprozesse im Osten behandelt (S. 107–143). Auf Basis eines Gesetzes des Constans, dem Bericht des Eusebios und des mit Wilkinson als Zeitgenossen Konstantins betrachteten Palladas unterstellt Barnes erneut ein allgemeines Opferverbot Konstantins. Auch nimmt er das Zeugnis des Palladas als Beweis dafür, dass Konstantinopel von Anfang an als christliche Stadt konzipiert worden sei. Das Zeugnis des Palladas kann jedoch ein Opferverbot nicht belegen, auch entkräftet es keines der vorhandenen Gegenargumente.6 Die Argumente gegen eine dezidiert christliche Neugründung Konstantinopels bietet Barnes selbst (S. 127), wohingegen der Bericht des Eusebios tendenziös und das Zeugnis des Palladas alles andere als eindeutig ist. Ein weiteres Argument kommt hinzu: Hätte es der von Barnes angenommene eindeutige Heidenfeind Konstantin geschafft, die Unterstützung des heidnischen Historikers Praxagoras von Athen zu gewinnen?

Daneben untersucht Barnes die Rede an die Versammlung der Heiligen, die er in den April 325 datiert und in Nicomedia verortet, Konstantins Aktivitäten auf dem Konzil von Nicaea sowie seine darauf folgende Kirchenpolitik. Nicht überzeugen können Barnes’ Überlegungen zur prochristlichen Gesetzgebung: Barnes’ Bild der Aktivität Konstantins auf den Konzilien beruht auf deutlich späteren Quellen von geringer Zuverlässigkeit (wie Rufinus) und auf Fälschungen (wie Optatus, Appendix 5).7 Drei von Sozomenos genannte Gesetze bedeuten nicht zwingend auch drei Gesetze im Codex Theodosianus (S. 134); in der Frage nach der Abschaffung der Kreuzigungsstrafe (S. 136) bleibt die Kreuzigung des Usurpators Calocaerus durch Konstantin (Aur. Vict. Caes. 41,12) vollkommen unbeachtet; auch ist der christliche Charakter dieser Maßnahme nicht zwingend, wie das Lob des Aurelius Victor zeigt. Zuletzt bedeutet die Judengesetzgebung Konstantins keineswegs einen Bruch mit der vorherigen Toleranzpolitik (S. 139f.), das Ziel der Verhinderung der Proselytenmacherei ist eine Konstante römischer Judenpolitik.8

Die dynastische Politik Konstantins ist Thema des siebten Kapitels (S. 144–172). Für den Tod von Crispus und Fausta bietet Barnes folgende Erklärung: Der auf Betreiben Faustas zugunsten ihrer Söhne fälschlicherweise des Hochverrats angeklagte Crispus wurde hingerichtet; der Tod Faustas wiederum ist das Resultat eines fehlgeschlagenen Abtreibungsversuchs – das Kind entsprang einer Affäre mit Crispus –, der zugleich ein Selbstmordversuch war, um einer Verurteilung durch Konstantin zuvorzukommen.9 Die Existenz einer dritten Frau und einer dritten Tochter Konstantins lehnt Barnes ab. Etwas unpassend wirken in diesem Kapitel die Abschnitte zur Organisation des Reiches (S. 153–163), zur Armee (S. 153–157) sowie zu den Quaestoren und Prätorianerpräfekten (S. 157–163). Weiterhin legt Barnes die dynastischen Pläne Konstantins dar: Er habe eine Tetrarchie nach diokletianischem Vorbild mit zwei Augusti und zwei Caesares beabsichtigt. Die Tatsache, dass Konstantin bis zu seinem Tod keinen Augustus ernannte, erklärt Barnes wenig zufriedenstellend mit seiner Nachahmung Trajans. Nicht erläutert wird dagegen, wie ein solcher Tetrarchie-Plan hätte realisiert werden sollen: Wie hätten zwei der designierten Nachfolger dazu bewegt werden können, nun die Position von Caesares einzunehmen? Wie hätte das Nachrückverfahren mit dynastischen Interessen in Einklang gebracht werden können? Wahrscheinlicher ist es, dass Konstantins tetrarchisches Modell vier Augusti vorsah. Es folgen ein kurzes Kapitel über Firmicus Maternus (S. 168–170), zwei dynastische Tabellen (S. 170f.) und ein Anhang zu den dynastischen Ehen von 335 und 336 (S. 171f.).

Der Epilog ist weniger eine resümierende Schlussbetrachtung, sondern vielmehr ein Schnelldurchgang durch Konstantins Leben (S. 173–175). Ihm folgen sieben Anhänge: die Karriere des Laktanz (S. 176–178); die Sarmatensiege des Galerius (S. 179f.); Konstantin und die Panegyrici (S. 181–184); eine Übersetzung von Eusebios’ Schrift über das Osterfest (S. 185–191); die Mission des Nicagoras in Ägypten (S. 192–194); eine Übersetzung der Überreste des Geschichtswerkes des Praxagoras von Athen (S. 195–197); eine Übersetzung der Bruchstücke des anonymen Panegyricus auf Julian, den Barnes mit wenig überzeugenden Argumenten als Panegyricus auf Konstantin deutet (S. 198–200). Die Anmerkungen sind als Endnoten am Schluss gebündelt (S. 201–225). Die Bibliographie (S. 226–253) bietet einige Lücken: So wird in der Liste der Quellen (S. 226–229) zwar Eutropius, nicht aber Aurelius Victor genannt. Auch in der Literaturliste (S. 229–253) wären relevante Titel zu ergänzen: Als Beispiele seien nur die weitgehend übergangenen Forschungen von Klaus Rosen, Kay Ehling und Wilhelm Enßlin genannt.

Auf der Rückseite des Einbandes kommt Paul Stephenson zu Wort: „This is a powerful, polemical and persuasive book.“ Diese Beurteilung ist insgesamt richtig. An manchen Stellen bietet Barnes wertvolle Überlegungen und ruft wenig beachtete Quellen in Erinnerung. An anderen Stellen schießt er oftmals über das Ziel hinaus und versteift sich auf problematische Thesen. Dieses Buch fordert so allerdings im positiven Sinne zum Widerspruch auf. Es als neues Standardwerk zu Konstantin zu bezeichnen, wäre verkehrt; es handelt sich aber um eine Arbeit, mit der sich jeder Erforscher Konstantins zweifellos auseinandersetzen muss.

Anmerkungen:
1 Vgl. jüngst Kay Ehling / Gregor Weber (Hrsg.), Konstantin der Große. Zwischen Sol und Christus, Mainz 2011; Pierre Maraval, Constantin le Grand, Paris 2011; Raymond Van Dam, Remembering Constantine at the Milvian Bridge, Cambridge 2011; Jonathan Bardill, Constantine, Divine Emperor of the Christian Golden Age, Cambridge 2012.
2 Nach der Epitome de Caesaribus (29,4) lebte Decius 50, nach dem Chronicon paschale (I p. 505, 6 zum Jahr 253) 60 Jahre.
3 Lact. mort. pers. 15,7. Nach Eusebios (v. Const. 1,13,2) tat Constantius nicht einmal das.
4 Die von Barnes (S. 34: „surprisingly“) unerklärte Feindseligkeit der Chronik des Hieronymus, der Helena als Konkubine betrachtet, dürfte auf Eunaps Historien zurückgehen, die von Hieronymus benutzt wurden, vgl. Thomas M. Banchich, Eunapius and Jerome, in: Greek, Roman and Byzantine Studies 27 (1986), S. 319–324.
5 Als Usurpator wertet Konstantin Joachim Szidat, Usurpator tanti nominis, Stuttgart 2010, S. 415.
6 Für ein allgemeines Opferverbot Konstantins sprach sich Barnes bereits in Constantine and Eusebius, Cambridge 1981, S. 210–212 aus. Für eine tolerante Heidenpolitik Konstantins plädierte zuletzt Martin Wallraff, Die antipaganen Maßnahmen Konstantins in der Darstellung des Euseb von Kaisareia, in: Johannes Hahn (Hrsg.), Spätantiker Staat und religiöser Konflikt, Berlin 2011, S. 7–18. Zu Palladas vgl. Kevin W. Wilkinson, Palladas and the age of Constantine, in: Journal of Roman Studies 99 (2009), S. 36–60.
7 Vgl. dazu jetzt Klaus Rosen, Constantin der Große, die Christen und der Donatistenstreit 312–314, Paderborn 2011.
8 Vgl. Ernst Baltrusch, Die Christianisierung des Römischen Reiches. Eine Zäsur in der Geschichte des Judentums?, in: Historische Zeitschrift 266 (1998), S. 23–46. Allgemein zur Gesetzgebung Konstantins wäre auch die von Barnes nicht berücksichtigte Dissertation von John N. Dillon, The legislation of Constantine the Great, Diss. Yale 2008 zu ergänzen (die überarbeitete Fassung der Dissertation wird im Sommer bei University of Michigan Press erscheinen: The Justice of Constantine. Law, Communication, and Control, Ann Arbor 2012).
9 Eine ähnliche Motivation unterstellt Konstantin Olbrich, Kaiser in der Krise, in: Klio 92 (2010), S. 104–116, der sich aber in einigen Punkten von Barnes unterscheidet und dessen Verknüpfung der Morde mit der Theologie des Konzils von Nicaea nicht überzeugen kann.

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