Der Name Fürstenberg hat in der Geschichte Westfalens einen guten Klang: Dietrich von Fürstenberg organisierte die Reform der katholischen Kirche im Bistum Paderborn und gründete 1615 eine Universität. Ferdinand von Fürstenberg galt zu Lebzeiten als „der gelehrteste Bischof in deutschen Landen“.1 Als Landesherr baute er das im Dreißigjährigen Krieg zerstörte Land wieder auf. Dem letzten Paderborner Fürstbischof, Franz Egon von Fürstenberg, schien die Trennung des Bischofsamtes von dem des Fürsten zeitgemäß; er zeigte sich als wahrer „pontifex“ von der alten in die neue Zeit. Noch als Landesherr hatte er die allgemeine Schulpflicht eingeführt.
Und damit sind wir bei seinem Bruder, Franz Friedrich Wilhelm von Fürstenberg, Paderborner und Münsteraner Domherr, dessen 2010 anlässlich seines 200. Todestages in Münster gedacht wurde. Die Kooperationspartner des Festaktes – Universität, Bistum, Altertumsverein und Historische Kommission – würdigten Fürstenberg vor allem als aufgeklärten Reformer des Bildungswesens.
In ihrem Grußwort verweist die Rektorin der Universität, Ursula Nelles, darauf, dass Fürstenberg an seinen Idealen trotz vieler Widrigkeiten festhielt; ihr Fazit: Bildungspolitik braucht Beharrlichkeit. Wenn der Generalvikar des Bistums, Norbert Kleyholdt, den Willen Fürstenbergs hervorhebt, sein Umfeld zu gestalten, so ist dies ein aussagekräftiger Hinweis für heutige Amtsbrüder, die auf Veränderungen oft nur noch reagieren. Michael Pavlicic vom Landschaftsverband erinnert daran, dass Fürstenberg in Bildung investierte, als das Fürstbistum hoch verschuldet war. Mechthild Black-Feldtrup vom Altertumsverein spricht von den Wurzeln eines Glaubens, der zur Tat drängt. – Bei so viel Vermächtnis ist ein Kolloquium über Franz von Fürstenberg wohl begründet.
Laut Alwin Hanschmidt sah Fürstenberg einen Zusammenhang zwischen dem Zustand der Staatsordnung und den Defiziten der Bildung: Die Fürsten gefährdeten durch Despotismus und Egoismus, die Aristokratie durch Üppigkeit und Pflichtvergessenheit die gegebene Ordnung (S. 33). Er war überzeugt, „wie sehr des Landes wahre Wohlfahrt von der Verbesserung des Schulwesens abhange.“ Sorge machte ihm, dass bei einem „falschen Geist der Aufklärung“ die Grundlagen der Sitten und des menschlichen Glücks untergraben würden (S. 25). Das Verhältnis zum Fürstbischof war sicher belastet durch Fürstenbergs eigene Bewerbung um den Münsteraner Bischofsstuhl sowie dadurch, dass der dortige Amtsinhaber Maximilian Franz von Österreich als Kandidat in Paderborn gegenüber Fürstenbergs Bruder unterlegen war (S. 20, 27). Als verbindend zu vermerken ist jedoch, dass sich auch der Habsburger schon als Hochmeister des Deutschen Ordens in Mergentheim mit dem Würzburger Franz Oberthür Gedanken über eine zeitgemäße Bildung gemacht hatte.
Werner Freitag beschäftigt sich mit „Tridentinische[n] Reform(en)? Zum Profil katholischer Aufklärung“. Sein Tenor: Die Tridentinischen Reformen waren erfolgreich umgesetzt, eine Verbesserung der Zustände im Sinne der Aufklärung lasse sich aber erst nach der Auflösung der Fürstbistümer konstatieren (S. 56f.). Fürstenberg steht aber nicht nur für die Universität, sondern auch für die Gründung des Priesterseminars zur Verbesserung der Seelsorge und damit für ein weiteres zentrales Anliegen der katholischen Aufklärung. Freitag folgt letztlich dem zeitgenössischen Osnabrücker Juristen Gruner, der sich mit seiner „Schilderung des sittlichen und bürgerlichen Zustands Westphalens“ jedoch wohl hauptsächlich um Einstellung in preußische Dienste bewarb. Der Festredner vermerkt bei der gedruckten Wiedergabe seiner Gedanken selbst, dass hierin Zuspitzungen formuliert sind, die dem mündlichen Vortrag geschuldet seien; so mutet manches stark apologetisch an, was an Adjektiven festgemacht werden soll: Freitag fragt nach einer „wirklich“ überzeugenden Merkantilpolitik oder definiert den „eigentlichen“ Zweck eines Fürstbistums (S. 44f.).2
Wilfried Reininghaus setzt in seinem Beitrag zum Kommerzienkollegium bei neueren Forschungsergebnissen an, die zu einer differenzierteren Sicht auf die geistlichen Staaten am Ende des Alten Reiches geführt haben. Nach Fürstenberg sollte Münster zum Umschlagplatz Englands auf dem Kontinent werden; Kanäle und Straßen gehörten zu seinem Förderprogramm (S. 61). Für den Niedergang der städtischen Handwerker und Kramer machte das Kommerzienkollegium die ländliche Konkurrenz verantwortlich (S. 69); die Landbevölkerung ihrerseits sollte zur festen Belieferung des Münsteraner Marktes mit Lebensmitteln verpflichtet werden (S. 71). Bettler sollten zur Arbeit gezwungen werden; im Zuchthaus zu Münster wollte Fürstenberg eine Tuchmanufaktur einrichten. Alle diese Maßnahmen zielten darauf ab, den Wohlstand seiner Untertanen zu fördern – das hätte auch von Friedrich II. stammen können (S. 75).
Bertram Haller liefert interessante Einblicke zum Buchmarkt und zur Lesekultur im Münster des 18. Jahrhunderts. Er berichtet über die Widerstände, die Aschendorff auf seinem Weg vom Universitätsbuchdrucker zum Buchhändler zu überwinden hatte (S. 86) und über die Unterschiede der Buchmessen in Frankfurt (Tauschhandel) und Leipzig (Verkauf gegen Geld). Wenig verwunderlich scheint, dass Buchhändler im katholischen Münster andere Bücher anboten als in protestantischen Orten (S. 90); auch dass zu jener Zeit eher unterhaltende Literatur bevorzugt wurde (S. 93). Haller konstatiert, dass „das aufgelöste frühere Fürstbistum durchaus nicht so intolerant und rückständig war, wie dies später von den territorialen Gewinnern der Säkularisation – nicht zuletzt zur Legitimierung ihrer Annexion der geistlichen Staaten – behauptet wurde“ (S. 105).
Gemäß Sabine Köttings Betrachtungen zu Fürstenberg als „Reforme[r] aus Überzeugung“ ging es ihm um eine Erziehungspolitik aus christlicher Verantwortung (S. 117). Als notwendige äußere Maßnahme sah Fürstenberg die Hebung des Ansehens der Lehrerschaft an, wozu auch eine angemessene Bezahlung gehörte. Geld war ebenfalls nötig, um den Schulen die Lehrbücher zur Verfügung zu stellen (S. 111). Kötting zeigt auch, wie Fürstenberg die neuen Medien, Zeitungen und Zeitschriften, nutzte (S. 119). Die Förderung der Persönlichkeit sowie das selbständige Denken und Argumentieren waren für Fürstenberg zentral: „Es ist viel besser wenige wissen, und ein sicheres gefühl der Wahrheit haben, als mehrere Sätze wie Papageien hersagen können.“ (S. 119)
Lena Krull befasst sich mit Fürstenbergs Absicht, die „Große Prozession“ gemäß der Feiertagsreduktion von 1770 terminlich zu verlegen. Für die Vertreter der Aufklärung waren solche Sakramentsprozessionen ein „Triumph des Aberglaubens“ (S. 131). Auch unter Fürstenbergs Ägide wandten sich Dekrete gegen das Überhandnehmen vor allem szenisch gestalteter Prozessionen (S. 133). Krull weist jedoch auch auf die politische Dimension dieser Auseinandersetzung hin, da in der Debatte mit Domdechant Spiegel ein Befürworter der preußischen Herrschaft gegen Fürstenberg stand. Die angesprochene Gegnerschaft zeigte sich auch in der Stellenbesetzungspolitik an der Universität, bei der Fürstenberg die katholische Prägung sichern, Spiegel aber aufweichen wollte. Fürstenberg gelang es jedoch, den ebenfalls eher preußenskeptischen Clemens August Droste zu Vischering als seinen Nachfolger durchzusetzen (S. 139). Krull zufolge war Fürstenberg „in seiner Jugend […] der aufklärerische Domherr […], später der christliche Politiker“ (S. 145).
Irmgard Niehaus widmet sich der „religiöse[n] Dimension in der Freundschaft zwischen Franz von Fürstenberg und Amalia von Gallitzin“. Als sie sich kennen lernten, war er gerade bei der Koadjutorwahl gescheitert, und sie kam aus Den Haag, nachdem sie sich von ihrem Mann entfremdet hatte; in dieser Situation waren beide offen für „das tiefere sich Einlassen“ aufeinander (S. 151). Nach einer Phase der Verliebtheit fanden sie bald den Weg, sich gegenseitig „allezeit hand in hand den steilen pfad der vervollkomnung hinauff zu helffen“ (S. 158). Nach dem Tod der Gallitzin sei laut Niehaus „auch für ihn [Fürstenberg] der Vorhang gefallen […], wobei ihm zugleich die jenseitige Vereinigung in Gott als hoffnungsvolle Perspektive erschien“ (S. 152).
In seinem Beitrag über Friedrich Leopold zu Stolberg (1750–1819) lässt uns Horst Conrad die Wandlung eines protestantischen Adligen zum überzeugten Katholiken miterleben. Von der protestantisch-pietistischen Richtung kommend war der Weg für Stolberg im münsterschen Kreis allerdings nicht allzu problematisch (S. 169). Die Zugehörigkeit zu „einer Kirche, die auf (felsen-)festem Fundament gegründet“ ist, half Stollberg auch den Untergang der alten Welt zu verkraften (S. 177); der Ständestaat aber blieb für ihn eine zu bewahrende Schöpfung Gottes (S. 185). Erinnert sei hier auch an seinen Sohn Joseph Theodor, den ersten Präsidenten des Bonifatius-Vereins; so erfüllte dieser die Hoffnung seines Vaters, „dass diese (katholische) Lehre tief in den Kindern wurzeln würde“ (S. 174).
Abschließend laden Beate Sophie Fleck und Mechthild Black-Veldrup zu einem Spaziergang auf den Spuren Fürstenbergs (S. 191–220): von seinem Standbild vor dem Fürstenberghaus über den Domplatz, an dem er wohnte, den Domherrenfriedhof mit seiner Grabplatte, zum Überwasserkirchplatz, wo ein Denkmal für Overberg steht, vorbei am Gymnasium Paulinum (einst baulich verbunden mit der Universität) zur Stelle von Gallitzins Haus in der Grünen Gasse, wo heute das Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium steht.
Im Anhang bietet Thomas Flammer eine tabellarische Biographie Fürstenbergs sowie eine Auswahlbibliographie; es schließen sich ein Autorenverzeichnis und Personen- und Ortsregister an. Insgesamt handelt es sich um ein sehr lesenswertes Buch mit den unterschiedlichsten Anregungen zur tieferen Auseinandersetzung mit einer interessanten Person und ihrer Zeit: einem Menschen, der dem Leser immer näher kommt, direkt sympathisch wird – für eine wissenschaftliche Tagung und Publikation, die auch dem Gedenken dienen sollen, sicherlich ein willkommener Begleiteffekt.
Anmerkungen:
1 Hans Jürgen Brandt / Karl Hengst, Geschichte des Erzbistums Paderborn, Bd. 2: Das Bistum Paderborn von der Reformation bis zur Säkularisation 1532–1802/21, Paderborn 2007, S. 153.
2 Bezüglich der angemahnten Frömmigkeitsformen mit aktiver Gemeindebeteiligung sei ebenfalls auf die Paderborner Bistumsgeschichte verwiesen; dort findet man auch weitere Ausführungen zur Verlegung der Marienwallfahrt vom kölnische Werl ins paderbornsche Verne – Wilhelm Anton wollte das Geld im Lande halten. Ebd., S. 493, 587.