Auch der emeritierte Bonner Althistoriker Klaus Rosen hat nun eine klassische Biografie zu Kaiser Konstantin (306–337 n.Chr.) vorgelegt. Der Autor begründet die Notwendigkeit eines weiteren monografischen Beitrags zur uferlosen biografischen Literatur über den ersten christlichen Herrscher damit, ihm sei „Einiges aufgefallen, das ich in bisherigen Biographien und Untersuchungen nicht gelesen, vielleicht auch überlesen habe oder wo ich zu einer anderen Auffassung als meine Vorgänger gekommen bin“ (S. 10). In 23 Kapiteln – über knapp 400 Seiten hinweg – zeichnet Rosen also Schritt für Schritt Konstantins Aufstieg von den Anfängen als Militärtribun im Dienste des tetrarchischen Herrscherkollegiums über die Zeit seiner Etablierung als Mitherrscher zunächst in Gallien, dann im gesamten Westen des Imperiums bis hin zur Zeit der Alleinherrschaft nach. Da Rosen für die Darstellung keinen besonders innovativen Zugang wählt – im Gegensatz etwa zu Van Dam, der sich in seiner Monografie den Quellen zu Konstantins Herrschaft in umgekehrter chronologischer Reihenfolge genähert hat1 –, sondern vergleichbar mit zahlreichen anderen Herrscherbiografien quellennah die Ereignisgeschichte durchgeht, die ja im Grunde bekannt ist, ist der annoncierte Neuigkeitswert auch für den Kenner nicht immer unmittelbar offenkundig – auch wenn der Autor erkennbar darum bemüht ist, selbst die entlegensten Quellen noch aufzuspüren und für seine Darstellung nutzbar zu machen.
Im dicht besetzten Feld der Deutungen bleibt Rosens Blick auf die teils noch heute erbittert geführten Kontroversen um Zeitpunkt und Qualität der conversio Constantini dann zunächst einmal angenehm unaufgeregt: Über eine gesunde Skepsis gegenüber der Darstellung Eusebs, ergänzt durch einige interessante Überlegungen zu den quellenarmen und in der Forschung noch immer unterbelichteten Jahren von 317 bis 324, bemüht sich Rosen einen Konstantin zu zeichnen, dessen Aufmerksamkeit primär dem Funktionieren des Staates galt, der also vergleichsweise ideologiefrei daherkommt. Dennoch kann natürlich auch Rosen nicht die Frage nach der Christianisierung der römischen Monarchie und dem persönlichen Beitrag Konstantins ausblenden: Der Kaiser erscheint in Rosens Darstellung zunächst als religiös undogmatischer „Monotheist“ (ein Terminus, der freilich nie wirklich geklärt wird), der einen langen Weg „bis zum Verehrer des Erlösers“ (S. 173) zurückgelegt habe. Auch Jahre nach den ersten Anzeichen eines religionspolitischen Wandels (so argumentiert Rosen gegen Euseb, aber im Einklang mit einem Großteil der Forschung), sei von den Zeitgenossen noch gar nicht eindeutig zu erkennen gewesen, ob Konstantin nun Christ oder Nichtchrist gewesen sei; bis 324 jedenfalls sei noch keine konsequente Ablehnung der paganen Religion nachweisbar. Dem widerspricht auch nicht die interessante Beobachtung, dass Konstantin mit dem Schreiben von 321 an die Bischöfe und die katholischen Gemeinden in Africa erstmals das christliche Gesetz auch auf sich selbst bezog: „Es war jetzt sein Gesetz geworden […] Seine Forderung nach Versöhnung schloss also unmittelbar an seine bisherigen Bemühungen um die Eintracht der Christen an. Nur erhob er sie jetzt nicht mehr nur als Kaiser, sondern als Christ unter Christen“ (S. 211f.). Auch für die Folgezeit aber bleibt Konstantin bei Rosen ein toleranter Herrscher, und zwar nicht im Sinne einer unwilligen Duldung des Paganen, sondern im Sinne einer quasi-humanistischen Anerkennung überkommener Kultverständnisse (z.B. S. 158, 192 u. 337–343). Allerdings deutet Rosen an anderer Stelle (ähnlich wie Klaus Martin Girardet) den „Widerstand“ aus den Reihen der Paganen als „naheliegendste Erklärung“ dafür, dass das Imperium christianum nur das „Fernziel“ Konstantins geblieben und nicht sogleich in vollem Umfang verwirklicht worden sei (S. 30). Wie diese Deutungen zusammenpassen sollen, bleibt offen.
Wird der Blick über die skizzierten Eckpunkte des Konstantinbildes Rosens hinaus auf die Details des zu Grunde liegenden Geschichtsmodells gelenkt, gewinnt die Frage an Bedeutung, wie das geschichtswissenschaftliche Grundverständnis des Autors operiert und welche Konsequenzen sich daraus für die Überzeugungskraft des biografischen Narrativ´s der Studie ergeben. Denn Rosen sieht seine Aufgabe offenbar vor allem darin, die antiken literarischen Quellen zum Sprechen zu bringen – streckenweise kann den Leser sogar durchaus der Verdacht beschleichen, der Autor hielte sich für den besseren Aurelius Victor. Drei wesentliche Konsequenzen ergeben sich aus Rosens Vorgehensweise:
Erstens erzeugt die Vorstellungskraft des Autors im Sog der fantasiereichen Ausdeutungen antiker Autoren hin und wieder genügend Auftrieb, die empirische Bodenhaftung zu überwinden. Ein beliebiges Beispiel, hier zur Zeit vor Konstantins Herrschaftsantritt, sei herausgegriffen: Auf Seite 75 räsoniert Rosen, der Grund für Galerius’ Abneigung gegen Konstantin könne in dem Umstand begründet gewesen sein, „dass der Tribun [d.h. Konstantin] dem strengen Götterverehrer [d.h. Galerius] mit dem sachlichen Einwand widersprach, man solle den Christen keine Schwierigkeiten bereiten, solange sie tüchtige Soldaten waren“. Die Aussage wirkt zunächst wie ein unverfängliches Gedankenspiel, hat aber weitreichende Konsequenzen für Rosens Einschätzung der Stellung Konstantins in der Tetrarchie vor 306, für die Frage nach der Haltung Konstantins zum Christentum in jener Zeit und zur Entwicklung des Konflikts zwischen Konstantin und Galerius. Rosen entwirft bereits für die Zeit vor Konstantins Herrschaftsantritt einen ambitionierten Thronanwärter, der sich aktiv für die Christen eingesetzt und für sein religiöses Engagement sogar einen Konflikt mit Galerius riskiert hat. Faktisch liegen uns freilich die frühesten gesicherten Erkenntnisse über Spannungen zwischen Konstantin und Galerius erst aus dem Frühjahr 307 vor, über Konstantins Positionierung gegenüber dem Christentum lässt sich für die Zeit vor 311 wenig, für die Zeit vor 306 fast gar nichts mit Sicherheit sagen. Dem Leser stellt sich hier die Frage, wie weit der Historiker mit Hilfe des Vorstellbaren die Grenzen des sicher Sagbaren über das empirische Fundament hinaus verschieben kann, ohne das Feld der Geschichts-Wissenschaft zu verlassen, und wann dabei das Vorstellbare und das historisch Plausible auseinanderzudriften beginnen. Immer wieder jedenfalls zeigt sich in vergleichbaren Passagen, wie präzise Rosen selbst über die Details der historischen Ereignisse – und teilweise sogar über die Gemütslagen der beteiligten Akteure, etwa des „misstrauischen“ Galerius (S. 75), des „ängstlichen“ Diocletian (S. 247) oder des „erregten“ Konstantin (S. 303) – auch dort informiert ist, wo uns die historisch belastbaren Angaben der antiken Quellen längst im Stich gelassen haben. Die Darstellungen antiker Autoren werden dabei zunächst um vermeintlich Inkonsistentes und Unplausibles bereinigt, verbleibende Lücken dann mit hypothetischen Überlegungen großzügig überbrückt. Besonders problematisch ist, dass sich Rosen dabei auch offenkundig tendenziöse Lesarten der antiken Texte zu eigen macht. Zwar wird den Berichten Eusebs, wie gesagt, Skepsis entgegengebracht, der Umgang mit Laktanz und anderen Quellen ist dagegen vergleichsweise unkritisch, was besonders deutlich im Bereich der Religionspolitik zum Tragen kommt: So meint Rosen in der Politik Constantius’ I. etwa „das tolerante Verhalten […] gegenüber den Christen“ (S. 158) erkennen zu können – eine direkte Übernahme der apologetischen Deutung des Laktanz, die schon insofern unplausibel ist, als Constantius die Christenverfolgungen faktisch nicht einstellen ließ, als er 305 zum ranghöchsten Tetrarchen aufgestiegen war. Dass Euseb (vit. Const. 1,16) von einer Beteiligung des Constantius an den Verfolgungen ausgeht und dass sogar Laktanz (mort. pers. 15,7) Kirchenzerstörungen unter Constantius erwähnt und die Freiheit der christlichen Religion erst mit dem Herrschaftsantritt Konstantins wieder hergestellt sieht (mort. pers. 24,9), ficht Rosen nicht an.
Zweitens konzentriert sich die Erzähllogik der Geschichtsdeutung Rosens klar auf diejenigen Akteure, die auch in den antiken Quellen im Zentrum des Interesses stehen – dort aus nachvollziehbaren, nicht aber zwangsläufig auch für die heutige Forschung maßgeblichen Gründen: auf den Kaiser, die Mitglieder der kaiserlichen Familie und die engsten Gefolgsleute des Herrschers. Der Verwaltungsapparat dagegen spielt im Geschichtsbild dieser Konstantinbiografie kaum eine Rolle, obgleich auf Seite 302 sogar die gewichtige Erkenntnis Max Webers zitiert wird, „Herrschaft ist im Alltag primär Verwaltung“. Speziell in religionspolitischen Belangen ist Rosens Kaiser – ganz wie der Herrscher der spätantiken Kirchengeschichtsschreibung – höchstens noch beeinflusst von seinen formellen und informellen (christlichen) Beratern. Schon der Senat aber wird ebenso passiv, willenlos und gefügig dargestellt wie in den tendenziösesten Passagen der antiken Literatur: So muss etwa das Gremium erst von Konstantin veranlasst werden, ihm nach 312 den Titel maximus zu verleihen (S. 165) oder 321 das Fünfjahresjubiläum der Caesaren zu feiern (S. 234) – zum Verständnis des kommunikativen Handelns ambitionierter Aristokraten dürfte durchaus mehr Eigeninteresse unterstellt werden. Die Beharrungskräfte und Dynamiken der mittleren und unteren Ebenen der Administration finden dann fast keinen Niederschlag mehr. Die gesamte Komplexität der antiken Gesellschaftsordnung schnurrt damit zu einem Verständnis des Imperiums als Verfügungsmasse großer Männer auf dem Herrscherthron zusammen. Dass Rosens Konstantin nicht vergessen hatte, „dass es neben dieser oberen Ebene eine untere Ebene gab“ (S. 254), entfaltet in der historischen Analyse seines Regierungshandelns jedenfalls kaum Konsequenzen. Aus dem weitgehend fehlenden Blick auf die eingespielten Verwaltungs- und Rechtskulturen resultiert nicht nur ein wenig plausibles Bild von der Gestaltungsmacht und den Handlungsspielräumen römischer Kaiser, sondern auch ein unausgereiftes Instrumentarium zur Analyse der strukturellen Rahmenbedingungen römischer Herrschaft in tetrarchisch-konstantinischer Zeit, dem dritten konzeptionellen Manko der Studie, das hier abschließend noch kurz angesprochen werden soll.
Denn obgleich die Ratio von Konstantins Regierungshandeln bei Rosen stets auf das Funktionieren des Staates ausgerichtet ist, bleibt in der Studie letztlich auch unklar, wie dieser Staat unter Konstantin eigentlich funktioniert und wie er sich entwickelt hat. Welche strukturellen Auswirkungen hatte die Auflösung der Mehrkaiserherrschaft tetrarchischer Couleur? Was folgte aus der sich beschleunigenden Normalisierung der Stadt Rom und der damit Hand in Hand gehenden Dezentralisierung des Imperiums? Wie wirkte sich die Rückkehr von einem System der Bestenauslese zur dynastischen Sukzession aus? Welche Kommunikationskanäle und Interaktionsforen schuf Konstantin für die Begegnung mit christlichen Funktionsträgern? Welche Rückwirkungen hatte dies auf die Interaktion zwischen dem Herrscher und dem administrativen Personal, auf die Palastkultur und auf das Militär? Fragen wie diese, die das Fundament der römischen Herrschaftsordnung in tetrarchisch-konstantinischer Zeit betreffen, werden höchstens gestreift, plausible Antworten sucht der Leser vergebens. Die Biografie berichtet viel – vor allem über den Kaiser –, erklärt aber kaum. Dass bei Rosen immer wieder „der Mensch Konstantin […] zum Vorschein“ kommt (S. 288), vermag dies Manko nicht zu kompensieren.
Im Vorwort (S. 11) kokettiert der Autor mit seiner begrenzten Kenntnis der Forschungsgeschichte (S. 11: „Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen“). Literatur- und Quellenkenntnis vermögen sich bisweilen aber auch gegenseitig zu befruchten. Tatsächlich wirkt sich, wie gezeigt, die mangelnde Vertrautheit des Autors mit dem aktuellen Stand speziell der methodischen Diskussion in mancher Hinsicht nachteilig auf die Quellenarbeit aus. Freude an der Auseinandersetzung mit der Geschichte Konstantins hatte Rosen dennoch, wie er im Vorwort versichert, und dies kann der Rezensent auch durchaus nachvollziehen.
Anmerkung:
1 Raymond Van Dam, Remembering Constantine at the Milvian Bridge, Cambridge 2011.