Obwohl es mittlerweile eine ganze Reihe von Untersuchungen zu einzelnen Verlagen im „Dritten Reich“ gibt, liegt immer noch keine übergreifende Geschichte zum Verlagswesen dieser Zeit vor. Lange Zeit dominierten vor allem im Rahmen von Verlagsjubiläen entstandene Sammelbände die Forschungslandschaft, deren Intention es oft gerade nicht war, auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 einzugehen.1 Problematisch bei den meisten dieser Studien ist der fehlende Vergleich zu anderen Verlagen und ein oftmals apologetischer Grundtenor.2 Auch tendieren viele Autoren dazu, ihre Verlagsgeschichten ideengeschichtlich zu schreiben und der ökonomische Seite nur geringe Aufmerksamkeit zu widmen.3 Umso erfreulicher sind Studien wie die jüngst von Wiebke Wiede vorgelegte, die verlagsübergreifend ausgerichtet sind und sich dem Thema aus ideen- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive nähern.4
Es ist der Verdienst des hier besprochenen Bandes, diese Perspektiven bei der Untersuchung des deutschen Verlagswesens zwischen 1933 und 1945 nicht aus dem Blick zu verlieren und dabei nicht nur die scheinbar abrupten Brüche von 1933 aufzuzeigen, sondern auch die vielen Traditionslinien, die diese erst ermöglichten.
Der Herausgeber Klaus G. Saur, der selbst mehrere renomierte Verlage leitete, hat dafür eine Reihe von Aufsätzen versammelt, die sich mit einigen der wichtigsten Verlage, darunter Reclam, Oldenbourg, Walter de Gruyter, Ullstein, F. A. Brockhaus sowie dem Bibliographischen Institut, dieser Zeit beschäftigen. Ergänzt wird dieser Überblick durch Studien zum Konzern Koehler und Volckmar AG & Co., zur Bedeutung von US-amerikanischer Literatur für die Verlage des „Dritten Reiches“, zu den Auswirkungen des „Anschlusses“ auf das österreichische Verlagswesen sowie zur buchhändlerischen Vermarktung des Zweiten Weltkriegs und die deutschen Verleger im Exil.
Schon ein Blick in das Inhaltsverzeichnis macht klar, dass es sich bei dem Band nicht um ein Handbuch handelt. Wesentliche Themen, wie zum Beispiel der Eher Verlag, werden nicht angeschnitten und auch die publizierten Aufsätze sind sehr heterogen. Während Wolfgang Wippermann in einem bereits zuvor veröffentlichten Aufsatz (Eule und Hakenkreuz. Ullstein und Deutscher Verlag im „Dritten Reich“ 1933 bis 1945)5 einen Überblick über die Geschichte des Ullstein-Verlags bietet, präsentiert Karolin Schmahl in ihrem Beitrag zur Programmpolitik des Reclam Verlages vor allem Zwischenergebnisse zu ihren Untersuchungen im Reclam-Archiv. In den meisten der weiteren Beiträge werden einzelne Episoden aus den jeweiligen Verlagsgeschichten thematisiert, die ohne gute Vorkenntnisse teils schwer einzuordnen sind.
Hat man sich indes von der Erwartung, einen möglichst umfassenden Überblick über das zeitgenössische deutsche Verlagswesen zu erhalten, frei gemacht, dann ist der Band von großem Interesse. Deutlich wird beispielsweise, dass die Nationalsozialisten in vielen Bereichen nicht auf eine direkte Zensur zurückgreifen mussten, sondern sich die Verlage weitgehend eigenständig an das neue politische Klima anpassten. Thomas Keiderling arbeitet heraus, dass ca. 97 Prozent der „Buchunternehmer“ keiner persönlichen Verfolgung ausgesetzt waren, sondern die Zeit nach 1933 gar „ökonomische Entwicklungsmöglichkeiten“ bot (S. 111). So gesehen stellte das Jahr 1933 für einen Großteil der deutschen Verleger keinen so starken Bruch dar, wie man vielleicht meinen sollte. Zwar wurde das Programm eingeschränkt, da keine Werke von jüdischen oder anderweitig von der Reichsschrifttumskammer abgelehnten Autoren mehr erscheinen konnten, wobei es auch hier Ausnahmen gab, doch stellte dies die meisten Verlage nicht vor den finanziellen Ruin. Mehr noch: Siegfried Lokatis macht in seinem Beitrag deutlich, dass der Kriegsbeginn die Verkaufszahlen ganz wesentlich steigerte, was vor allem für belletristische, aber auch politische Bücher zutraf (S. 182).
Saur unterscheidet zwischen sieben Typen von Verlagen: direkt verbotene, teil- oder ganzemigrierte, „kompromisslose“, angepasste und schließlich Parteiverlage. Dazu kommen noch als eigene Kategorie die Lexikonverlage Brockhaus und das Bibliographische Institut. Abgesehen von kleineren Unachtsamkeiten (so erschien das „Handbuch der Judenfrage“ beispielsweise nicht 1914 (S. 13), sondern als „Antisemiten-Katechismus“ bereits 1887 – die Umbenennung erfolgte mit der 26. Auflage von 1907) und diskussionswürdigen Feststellungen (wie zum Beispiel die Annahme, dass Hans F. K. Günther „die Ideen von Hitler weitgehend“ vorweggenommen hätte (S. 12)) kann diese Typologie voll überzeugen. Umso bedauerlicher ist es, dass nicht alle Typen in den Beiträgen abgedeckt werden. Besonders ein Beitrag zum Gustav Kiepenheuer Verlag wäre wertvoll gewesen, um die (Un-)Möglichkeiten der Unangepasstheit aufzuzeigen.
Die Heterogenität der Beiträge hat indes auch Vorteile. So können viele Akzente gesetzt werden, die fortführende Forschung anregen. Hervorzuheben ist hier der zweite Beitrag von Karolin Schmahl („Wie Phönix aus der Asche. Vom Kampf des Reclam Verlages gegen Zerstörung und Untergang“). Sie beschäftigt sich dort mit den materiellen Folgen des Krieges und zeigt am Beispiel des Reclam-Verlags auf, wie Verlage auf die Zerstörung ihrer Einrichtungen reagierten und um ihren Neuaufbau und die dafür nötigen Ressourcen kämpfen mussten. Damit macht sie deutlich, dass die Geschichte der Verlage im „Dritten Reich“ nicht nur ideen- und sozialgeschichtlich zu schreiben ist. Auch der abschließende Aufsatz von Klaus G. Saur („Deutsche Verleger im Exil (1933 bis 1945)“) öffnet eine spannende, oft unberücksichtigte Perspektive: Erst die Emigration der deutschen (Wissenschafts-)Verleger bewirkte das Entstehen eines wissenschaftlichen Verlagswesens in den USA. Damit zeigt Klaus G. Saur die transnationale Perspektive des Themas auf, die weitere Forschung anregen wird.
Anmerkungen:
1 Solche Bände liegen zu nahezu allen großen Verlagen vor, vgl. z.B. Heinrich Beck (Hrsg.), Festschrift zum zweihundertjährigen Bestehen des Verlages C.H. Beck 1763–1963, München 1963; Ernst Piper / Bettina Raab, 90 Jahre Piper. Die Geschichte des Verlages von der Gründung bis heute, München 1994; Hundert Jahre Kohlhammer 1866–1966, Stuttgart 1966; Dietrich Bode (Hrsg.), Reclam. 125 Jahre Universal-Bibliothek 1867–1992. Verlags- und kulturgeschichtliche Aufsätze, Stuttgart 1992; Heinz Sarkowski, Der Springer-Verlag. Stationen seiner Geschichte. Teil 1: 1842 – 1945, Berlin 1992. Mit Gangolf Hübinger (Hrsg.), Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag – Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme, München 1996, und zuletzt Siegrid Stöckel (Hrsg.), Die „rechte Nation“ und ihr Verleger. Politik und Popularisierung im J.F. Lehmanns Verlag 1890–1979, Berlin 2002, liegen zwei sehr bemerkenswerte Ausnahmen vor, die sich nicht zuletzt aufgrund der hohen Bedeutung beider Verlage für die deutsche Rechte ausführlich mit der Zeit zwischen 1933 und 1945 beschäftigen.
2 Das deutlichste Beispiel für eine solche Apologie stellt ein Sammelband zum Bertelsmann-Verlag dar, der Bertelsmann gar zu einem Verlag des Widerstands stilisierte: 1835–1985. 150 Jahre Bertelsmann. Die Geschichte des Verlagsunternehmens in Texten, Bildern und Dokumenten, München 1985. Aufgrund dieses Mangels entstand später mit Saul Friedländer u.a. (Hrsg.), Bertelsmann im Dritten Reich, 2 Bände, München 2002, eine Gegendarstellung, die sich deutlich kritischer mit der Thematik befasste, allerdings auf den Vergleich zu anderen Verlagen weitgehend verzichtete.
3 So z.B. auch in Saul Friedländer u.a. (Hrsg.), Bertelsmann im Dritten Reich. Dabei zeigte Siegfried Lokatis bereits 1992 in seiner verlagswirtschaftlich ausgerichteten Arbeit zur Hanseatischen Verlagsanstalt das Erkenntnispotential solcher Herangehensweise: Siegfried Lokatis, Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im „Dritten Reich“, Frankfurt am Main 1992.
4 Wiebke Wiede, Rasse im Buch. Antisemitische und rassistische Publikationen in Verlagsprogrammen der Weimarer Republik, München 2011.
5 Zuvor bereits veröffentlicht in: Anne Enderlein (Hrsg.), Ullstein-Chronik: 1903–2011, Berlin 2011, S. 198-219.