Eugenik und Anthropologie in Osteuropa

: Homo Imperii. A History of Physical Anthropology in Russia. Lincoln 2013 : University of Nebraska Press, ISBN 978-0-803-23978-4 486 S. € 59,10

: Eugenics and Nation in Early 20th Century Hungary. . Basingstoke 2014 : Palgrave Macmillan, ISBN 978-1-137-29352-7 343 S. € 90,50

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Björn Felder, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August Universität Göttingen

In letzter Zeit kommt der Wissenschaftsgeschichte eine immer größere Bedeutung bei der Betrachtung politischer und sozialhistorischer Geschichtsschreibung der Moderne zu. Immer mehr stellen Historiker fest, dass Nation, Volk und Bevölkerung spätestens seit dem 19. Jahrhundert in zunehmendem Maße mit biologischen, biopolitischen und sozialdarwinistischen Vorstellungen verbunden waren. Nationen wurden mit „Rassen“ gleichgesetzt oder in den taxonomisch-anthropometrischen Kategorien der Anthropologie gemessen und eingeordnet. Die neue Biologisierung der Nation diente nicht nur der wissenschaftlichen Unterscheidung und nationalen Selbstvergewisserung in Form von Rassenidentitäten, sondern begünstigte auch Vorstellungen, die sich mit deren biologischer Formung im Bereich der Demographie, Genetik und Gesundheit befassten: der Eugenik. Es ist kein Geheimnis, dass die rassenbiologischen und eugenischen Exzesse der Nationalsozialisten nur die Spitze des Eisbergs im Meer der biopolitischen und rassenbiologischen Utopien im Europa des 20. Jahrhunderts darstellen. Zumindest im 19. Jahrhundert galt „Rasse“ und Rassenforschung als Ausdruck der Moderne; sie war nicht nur Sinnbild einer fortschreitenden Verwissenschaftlichung, sondern auch der Verwirklichung nationaler Emanzipation, des Nationalstaates sowie einer gesellschaftlichen Egalisierung und Demokratisierung. So entstehen vermehrt Arbeiten wie die von Marina Mogil’ner und Marius Turda, die nach den Ursprüngen der Vermengung von Wissenschaft und Politik von „Rasse“, Nation und Eugenik im europäischen Kontext suchen. Rassismus – die Kategorisierung von Menschengruppen – war freilich immer ein Teil der europäischen Rassenforschung, zumindest war dies bisher die landläufige Meinung.

Gerade für Russland ist die Kenntnis von Rassenforschung und Rassismus eine große Leerstelle. Forscher wie Francine Hirsch haben argumentiert, dass es zwar Rassenforschung gab, diese aber zumindest in der Sowjetunion keine Rolle gespielt habe.1 Dies ist Teil eines Narrativs von Historikern aus Russland sowie dem Westen, die behaupten, die ethnische Gewalt und Xenophobie in der Sowjetunion unter Stalin hätten mit dem biologischen Rassismus des übrigen Europas nichts zu tun, stellten also einen Sonderweg dar. Neben der Kritik an den apologetischen Absichten dieses Narrativs stellt sich die Frage, wo der koloniale Habitus und extreme Antisemitismus der sowjetischen Nachkriegszeit seinen Anfang nahm. Ist der staatlich organisierte Rassismus des Putinismus ebenfalls gänzlich eine Neuschöpfung der 1990er-Jahre?

Diesen Fragen geht Marina Mogil’ner, Lehrstuhlinhaberin in Chicago, anhand der Geschichte der Anthropologie im Zarenreich und der Sowjetunion nach. Nun wurde ihre Studie ins Englische übersetzt.2 In ihrem umfangreichen Band gibt Mogil`ner eine Übersicht der unterschiedlichen anthropologischen Schulen im russischen Zarenreich mit einem abschließenden Ausblick auf die Sowjetunion. Sie legt dar, dass die physische Anthropologie auch im russischen Kontext stark politisiert war. Mogil’ner stellt zunächst drei der bedeutendsten anthropologischen Schulen vor, die sie in St. Petersburg, Moskau und Kiew verortet. In Moskau wurde 1879 der Ethnologe und Anthropologe Dimitrii Anučin auf den ersten anthropologischen Lehrstuhl berufen, im selben Jahr in dem Johannes Ranke in München den ersten deutschen eröffnete. Mit dem Institut entstand in Moskau auch eine anthropologische Gesellschaft, die die Fachzeitschrift „Russkij anthropologičeskij Žurnal“ herausgab. Für Mogil’ner steht die Moskauer Schule für eine „liberale“ Anthropologie, die sich vehement gegen eine kolonial-rassistische Sichtweise auf indigene Völker richtete und versuchte, eine „imperiale“ Rasse zu schaffen, in die die nicht-russischen Völker einbezogen wurden (S. 133). Konsequenterweise vermied diese Richtung die Bezeichnung „Rasse“ und verwendete dafür den Begriff „Typ“. Zudem vermied man die Konzentration auf eine Ethnie und präferierte stattdessen die Betrachtung einer Region. Für Mogil’ner war die Anthropologie aus der damaligen Sicht ein Motor der Moderne und die akademische Disziplin ein Ausdruck der Selbstbildungsbestrebungen der jungen bürgerlichen Eliten. Neben der einflussreichen Moskauer Schule konstatiert sie eine weitere in St. Petersburg, die sich regierungstreu gab und eher mit kolonial-rassistischen Kategorien arbeitete, die aber überraschender Weise im Gegensatz zum Pendant in Moskau keine staatliche Unterstützung erfuhr. Der russische Nationalist Ivan Sikorskij etablierte zudem an der Universität Kiew eine dritte Schule, die bereits damals die Biologisierung der Russen als Nation betrieb, sich dezidiert gegen eine vermeintlich „jüdische Rasse“ wandte und auch eugenischen Vorstellungen nicht abgeneigt war. Seiner slawophilen Haltung und dem damit verbundenen imperialistischen Machtanspruch folgend subsummierte er allerdings sämtliche Nicht-Russen wie Finnen, Ukrainer etc. unter den „Russen“ und war damit quasi ähnlich inklusiv wie die Moskauer Schule – freilich unter völlig anderen Vorzeichen. Mogil’ner zeigt weiter, wie die Kategorie „Rasse“ auch in den Bereichen Psychiatrie, speziell der Kriminalanthropologie, Einzug hielt und dort eher der westeuropäischen Tendenz der Biologisierung des Sozialen folgte als der „liberalen“ Anthropologie, wie das Beispiel des Dorpater Psychiaters Vladimir Čiž’ zeigt (S. 331). Es waren vor allem die zarischen Militärärzte, die nach der Jahrhundertwende die ethnische Komponente ihren Untersuchungsbögen hinzufügten und somit die Verbindung von Rasse und Nation herstellten. In den Überlegungen und Zuschreibungen der Militäranthropologen entstanden auf staatlicher Ebene die ersten biopolitischen Planspiele im späten Zarenreich, so Mogil’ner; sie befanden sich, möchte man anmerken, im damaligen europäischen Mainstream (S. 292).

Es ist ein Hauptanliegen der Autorin, das Verdikt der des angeblichen „Sonderwegs“ zumindest im Bereich der physischen Anthropologie zu widerlegen. Als Beleg dient ihr die „liberale“ Anthropologie: Rassenforschung sei ein Ausdruck von Modernität, und auch deren inklusive und nicht-rassistische Spielarten ein zeitgenössisches Phänomen. Ihr Paradebeispiel ist der Berliner Anthropologe, Arzt und Revolutionär Rudolf Virchow, der für Anučin sowohl politisch wie wissenschaftlich Vorbild gewesen sei (S. 136). Doch scheint zumindest das letzte Argument fraglich, da Virchows Vermessungsaktion von Schulkindern gerade auf eine taxonomische Unterscheidung von Deutschen und Juden sowie deren Biologisierung abzielte: von Liberalität keine Spur.

Auch die Verwendung des Begriffs „liberal“ für die Anučin-Schule ist fragwürdig. So war die „liberale“ Anthropologie keinesfalls offen, pluralistisch, tolerant oder demokratisch, sondern im Gegenteil im höchsten ideologisiert. Man könnte von einer Anti-Rassismus-Doktrin sprechen, die typisch war für den Denkstil der russischen Intelligencija in jener Zeit.3 Dies verzögerte die Verwissenschaftlichung der Disziplin um Jahrzehnte. Wie das Beispiel der Petersburger Militärärzte zeigt, erfolgte aber auch in Russland eine Biologisierung und Eugenisieung der gesamten Disziplin spätestens im Ersten Weltkrieg, der die Phasenverschobenheit in der Anthropologie beendete.

Was in Mogil’ners Band fehlt ist das Gegennarrativ der nicht-russischen Minderheiten, die Rasse als Instrument der Modernisierung und nationalen Emanzipation entdeckten und in eine rein biologische und sozialdarwinistische Richtung argumentierten.4 Auch würde gern man für den russischen Fall mehr zum Kontext von Eugenik und Biopolitik im Kontext der Rassenforschung erfahren. Die sowjetische Rassenforschung nach 1917 wird kursorisch am Beispiel von Viktor Bunak erzählt, der 1924 auf dem Lehrstuhl von Anučin als dessen Schüler nachfolgte. Für Mogil’ner ist die Anthropologie in der Sowjetunion eine Fortführung der „liberalen“ Anučin-Schule, die sich kaum veränderte, international isoliert war und versuchte, angesichts der sowjetischen und vor allem stalinistischen Wissenschaftspolitik eine akademische Mimikry zu betreiben (S. 358). Dies ist sicher das schwächste Kapitel des Buches, da gerade die Anthropologie in der Sowjetunion den Anschluss an den westlichen Wissenschaftsbetrieb erreichte, sich international vor allem nach Deutschland vernetzte und letztlich auch eine gesellschaftliche Wirkungsmacht entfaltete, die freilich bis in die 1990er-Jahre nicht reflektiert wurde. Letztlich gab es auch in der Sowjetunion sowohl Rassenforschung als auch biologischen Rassismus. Auch methodisch bewegte man sich auf dem neusten Stand und experimentierte etwa mit der Blutserumsmethode – die sowjetische Anthropologie bleibt nach wie vor ein weites und unbekanntes Terrain.

Insgesamt ist das Buch trotz der genannten Kritik ein Meilenstein nicht nur für die Erforschung der russischen Anthropologie, sondern insgesamt für die Erforschung der russischen Biomedizin und der Lebenswissenschaften im späten Zarenreich. Die Studie bewegt sich methodisch auf dem neusten Stand und belegt auch erfrischende Weise die Nichtexistenz eines russischen „Sonderweges“ in der Hochmoderne. Man wartet gespannt auf die zukünftigen Arbeiten von Marina Mogil’ner.

Für Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg sieht Marius Turda, Dozent an der Oxford Brookes University, keinerlei Anzeichen für Sonderwegstendenzen. Vielmehr zeigt er in seiner Studie die enge Vernetzung von Wissenschaft und Wissenschaftlern des K.u.K.-Imperiums mit der Forschung im restlichen Europa, speziell in England und Deutschland, sowie in den Vereinigten Staaten. Turda widmet sich nicht einer einzelnen, akademischen Disziplin sondern der Debatte zur Eugenik in den Jahren zwischen 1890 und 1918. Seine Arbeit ist eine klassische Diskursgeschichte, die Akteure – Personen wie Institutionen oder Vereine – sowie deren Positionen, Debatten sowie Vernetzung beschreibt und historisch kontextualisiert. Hinzu kommen Exkurse zu den europäischen Ideengebern und den internationale Diskussionen sowie deren Rezeption in Ungarn. Turda betrachtet vor allem Akteure aus dem biomedizinischen und lebenswissenschaftlichen Bereich, also Ärzte, Hygieniker, Psychiater, aber auch Soziologen und Gesundheitspolitiker.

Turda beginnt seine Studie mit den proto-eugenischen Debatten zur Degeneration und dem Darwinismus im späten 19. Jahrhundert. Bereits hier fällt auf, dass die ungarischen Wissenschaftler die Ideen Darwins unmittelbar debattierten und es im Gegensatz zu Russland zu keiner Verzögerung der Rezeption kam. Auch spielte bereits zu dieser Zeit die Nation eine große Rolle im Kontext von kollektiver Gesundheit und sozialdarwinistischen Überlegungen. Um die Jahrhundertwende kam es zu einer breiten Debatte eugenischer Vorstellungen: zeitgleich mit den Debatten etwa in Deutschland – und damit viel früher als in Russland und vielen anderen mittelost- und osteuropäischen Gesellschaften. So waren es auch vor allem deutsche und englische Theoretiker der Eugenik wie Wilhelm Schallmayer, Alfred Ploetz, Max von Gruber oder Karl Pearson, die die ungarische Debatte dominierten und sich an ihr durch die Teilnahme an Kongressen in Ungarn selbst beteiligten. Durch die enge Verzahnung der wissenschaftlichen Landschaften im deutschen und österreichischen Imperium waren ungarische Wissenschaftler in die frühen Debatten unmittelbar involviert. Ein Beispiel hierfür ist der ungarische Diplomat Geza von Hofmann, der um die Jahrhundertwende in den USA Dienst tat und sich dort für die eugenische Debatte begeisterte. Sein 1913 erschienener Bericht zur Eugenik in den USA fand europaweit Widerhall und beeinflusste die europäische Debatte maßgeblich. Turda argumentiert, dass es in Ungarn keine einheitliche eugenische Debatte gab, sondern einen breitgefächerten Diskurs mit unterschiedlichen Positionen. Durch den deutschen Einfluss der Rassenhygiene dominierten im katholischen Ungarn freilich Vorstellungen der so genannten protestantischen Eugenik, die interventionistische Methoden wie die Sterilisation bevorzugte.

Ungarn gehörte zu den wenigen europäischen Ländern, in denen noch vor dem Ersten Weltkrieg eine eugenische Gesellschaft, ähnlich wie in England oder Deutschland, gegründet wurde. Im April 1914 fand die erste Sitzung des „Eugenischen Komitees“ unter Federführung von Istávn Apáthy, einem führenden Eugeniker, statt, deren Mitglieder unterschiedliche Gesellschaften vertraten, die sich mit Medizin und Gesundheit befassten. Hervorzuheben ist hier die „Gesellschaft für Mutter- und Kinderschutz“, die eugenische Vorstellungen sehr stark rezipiert hatte, und der während des Weltkrieges von den ungarischen Eugenikern eine zentrale Rolle bei der eugenischen „Rettung“ der Nation zugesprochen wurde (S. 153). Es ist Turdas Verdienst, auf dieses Phänomen hinzuweisen, da solche Gesellschaften in ganz Europa existierten und die eugenische Agenda der Mutter- und Kinderschutzvereine bisher kaum beachtet worden ist.

Der Weltkrieg stellte für die ungarischen Eugeniker grundsätzlich eine Katastrophe dar, die wie ihre Kollegen im übrigen Europa davon ausgingen, dass an der Front die „wertvollsten“ Teile der Bevölkerung starben und somit im Krieg eine „negative Selektion“ erfolgte. Die Vorstellung einer nationalen Eugenik, die durch unterschiedliche Instrumente erreicht werden sollte, wurde von medizinischen und gesundheitspolitischen Akteuren sowohl in der Räterepublik unter Bela Kun 1918 als auch im darauffolgenden rechtsgerichteten Horthy-Regime fortgesetzt. Deutlich wird, dass bis Anfang der 1920er-Jahre die Eugenik in Ungarn jedoch ohne jede praktische Anwendung blieb.

Indem Turda die Form der Diskursgeschichte wählt, werden unterschiedliche Positionen geschildert. Offen bliebt aber die Frage, was an der Debatte nun das spezifisch „Ungarische“ war im Vergleich zu den europäischen oder osteuropäischen Debatten. Problematisch ist vor allem der Umgang mit dem Begriff „Rasse“, der an keiner Stelle definiert wird, den Turda aber häufig nutzt. Tatsächlich hatte der Begriff unterschiedliche Konnotationen und hätte daher der Klärung bedurft. Insgesamt erfährt man kaum etwas über die ungarische Rassenanthropologie und sehr wenig über biologische und biologisierte Vorstellungen der ungarischen Nation oder dem Mythos der Turan, dem Panhungarismus. Gerade die Verbindung zum Nationalismus, die Bezüge zu „Rasse“ und Eugenik in politischen bzw. nationalistischen Debatten hätte Aufschluss geben können über Verbindungen zu biologischem Nationalismus, Rassismus und Xenophobie im Horthy-Regime der Zwischenkriegszeit und zum heutigen Nationalismus in Ungarn. Zudem hätte man sich eine Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes auf die Zwischenkriegszeit gewünscht, die bisher nur marginal beschrieben worden ist – auch von Turda. Insgesamt überzeugt die Arbeit von Turda nicht durch ein innovatives Forschungs- und Methodenkonzept, sondern stellt viel mehr eine detaillierte Übersichtsdarstellung zur eugenischen Debatte in Ungarn in den Jahren bis zum Ende des Ersten Weltkrieges dar, die sich vor allem an Spezialisten wendet.

Im weiteren Verlauf, in den 1920er- und 1930er-Jahren, nahmen die Biopolitik, die biologisierte Nation und die Rassenkunde als „nationale Wissenschaft“ in Ungarn und der Sowjetunion scheinbar ganz unterschiedliche Entwicklungen. Ungarn wandelte sich unter Diktator Horthy wie mancher mittel- und mittelosteuropäische Staat immer mehr zu einem Rassestaat, der autoritär konstituiert war, die Bevölkerung in nationalistisch-rassischen Kategorien maß und eine eugenische Agenda verfolge. 1940 wurde ein nationales Eugenisches Institut eingerichtet, 1941 folgte ein eugenisches Gesetz, das eugenische Eheverbote, Ehezertifikate und Ehestandsdarlehen einschloss. Die Sowjetunion ging bekanntermaßen einen anderen Weg. Eugenik, Genetik und physische Anthropologie wurden professionalisiert, und näherten sich dem westlichen Standards an. Erst im Lauf der stalinistischen Kulturrevolution wurde diesen Disziplinen die staatliche Unterstützung entzogen, die Naturwissenschaft wieder ideologisiert – hierfür steht sinnbildlich die Anti-Genetik des Lyssenkoismus. Doch trotz des erklärten Anti-Rassismus und der Anti-Eugenik unter Stalin, nahm Sowjetrussland Teil an der Standardisierung jener Disziplinen in Wissenschaft, Medizin und auch im Alltag. Es wurden ebenfalls eugenische Eheverbote, Eheberatungsstellen eingerichtet und selbst noch 1936 die eugenische Abtreibung eingeführt, nachdem die „freie“ Schwangerschaftsunterbrechung verboten worden war. Zeitglich entwickelte Stalin seine eigene Form von Biopolitik und Rassismus, indem ganze Völker stigmatisiert, deportiert und zum Teil ermordet wurden. Auch die neo-koloniale Sichtwiese auf die nicht-russischen und indigenen Völker sowie die Hervorhebung des Europäisch-Russischen im Spätstalinismus und der Nachkriegszeit transportierten die eurozentrischen Paradigmen des „weißen Europäers“. Insgesamt kann man also von einer europäischen Entwicklung sprechen, an der sowohl Ungarn wie auch Russland Teil hatten. Die heutigen Phänomene des Putinismus und Orbanismus verweisen auf ein solche europäische Tradition, die offensichtlich noch nicht aufgearbeitet ist.

Anmerkungen:
1 Francine Hirsch, Race without the Practice of Racial Politics, in: Slavic Review 61 (2002), S. 30–43.
2 Marina Mogil’ner, Homo imperii. Istorija fizičeskoj antropologii v Rossii, Moskau 2008.
3 Vergl. Björn Felder, Rückständigkeit als selbstgewählter Sonderweg? Biomedizin, Intelligenzija und ideologisierte Wissenschaft im späten Zarenreich 1890–1917, in: David Feest / Lutz Häfner (Hrsg.), Zukunft der Rückständigkeit. Festschrift für Manfred Hildermeier, Köln 2015. (im Druck)
4 Ders., Eugenics, Sterilisation and the Racial State: the Baltic States, Russia, and the Global Eugenics Movement, in: ders. / Paul Weindling (Hrsg.), Baltic Eugenics. Bio-Politics, Race and Nation in interwar Estonia, Latvia and Lithuania. Amsterdam 2013, S. 5–29.

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