Titel
Der Gau der guten Nerven. Salzburg im Nationalsozialismus


Autor(en)
Hanisch, Ernst
Erschienen
Salzburg / München 1997: Anton Pustet Universitätsverlag
Anzahl Seiten
272 S., zahlr. schw.-w. Abb.
Preis
DM 47,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Prof. Dr. Frank-Rutger Hausmann, Romanisches Seminar der Albert-Ludwigs-Universität

Die vorliegende Studie stellt die Bearbeitung eines bereits 1983 erschienenen Buchs dar. Der damalige Titel lautete Nationalsozialistische Herrschaft in der Provinz. Salzburg im Dritten Reich. Die jetzige Version hat mit der früheren nur noch den Kern gemein, denn in der Zwischenzeit hat die Erforschung der NS-Zeit einen beachtlichen Aufschwung genommen, und zwar in methodischer wie in faktischer Hinsicht. Dem Autor, Universitätsprofessor für Neuere Österreichische Geschichte an der Universität Salzburg und Autor grundlegender Arbeiten zur österreichischen Gesellschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, ist mit dieser Studie ein neuartiger Typ von Territorial- oder Regionalgeschichte gelungen, der bisher meist von lokalen Heimatforschern verfaßt wurde, denen jedoch das methodische Rüstzeug dazu fehlte. Hanisch widmet sein Buch der Erinnerung an den französischen Historiker Marc Bloch, den Begründer der modernen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, dem wir jedoch auch bahnbrechende Untersuchungen zur Darstellung der agrarischen Welt verdanken.

Der Titel "Gau der guten Nerven" ist erklärungsbedürftig. Salzburg mit seiner grandiosen Alpenkulisse und seinen berühmten Festspielen sollte im System der nationalsozialistischen Arbeitsteilung neben den Industrie- und Rüstungszentren ein Gau der Erholung und des Urlaubs sein und in der schon bald beginnenden Kriegszeit als Lazarettgau dienen. Nach Fläche und Bevölkerung einer der kleinsten der zweiundvierzig Gaue, wurde Salzburg einer von insgesamt zehn Reichsgauen, darunter sieben in der Ostmark, deren Name den alten Namen Österreichs ersetzt hatte. Ihr Gebiet stimmte einer nie zu Ende geführten Reform der Reichsgliederung entsprechend mit dem Territorium des jeweiligen NSDAP-Gaus überein, so daß an ihrer Spitze ein Reichsstatthalter stand, der zugleich Gauleiter war. Die Verschmelzung der beiden Funktionen erlaubte der Partei einen besseren Zugriff auf die staatliche Verwaltung.

Hanisch legt seine Darstellung zunächst einmal chronologisch an und gliedert sie in drei Phasen, die 'Anschluß' (1938-39), 'Stabilisierung und Höhepunkt der NS-Herrschaft' (1939-42) sowie 'Der totale Krieg' (1942-45) überschrieben sind. Das von ihm entworfene Bild setzt sich jedoch immer mosaikartig aus unterschiedlichen Quellen (Archivmaterialien, Zeitungsberichte, Nachlässe und gedruckte wie unpublizierte Erinnerungen von Zeitgenossen, Feldpost- und andere Briefe, Zeugnissen der oral history und vor allem ein vorzüglich ausgewähltes umfangreiches Korpus von Abbildungen) zusammen, die durch ein breites Panorama zeitgeschichtlicher Forschungen ergänzt werden. Dabei kann das benutzte Material den drei Bereichen Institutionen, Individuen und Ideologien zugeordnet werden.

Der Gang der so entworfenen Ereignisgeschichte wird aber seinerseits durch methodische Vorüberlegungen gelenkt, die vor allem die hohe Zustimmung erklären, den zunächst der 'Anschluß' und dann die NS-Herrschaft selber in Salzburg fanden.

Eine erste These geht von der Spannung zwischen Zentrum und Peripherie, Metropole und Provinz, aus. Der Einfluß Wiens, häufig als bedrückende Bevormundung und imperiales Gehabe empfunden, wurde gebrochen und durch den der viel weiter entfernten Reichshauptstadt Berlin abgelöst, was der Provinz vorerst einmal ein höheres Maß an Selbständigkeit und Autonomie gewährte. Hand in Hand damit geht das Faktum, daß die Provinz in der ersten Phase der nationalsozialistischen Herrschaft Anschluß an die Moderne fand und somit entprovinzialisiert wurde. Noch dem abgelegensten Ort wurden neue Verkehrsmittel versprochen, wenngleich nur z.T. realisiert, Parteigliederungen nahmen dort ihren Sitz, so daß sich die 'Hinterwäldler' als nützliche Glieder der Volksgemeinschaft fühlen konnten, und der überwiegend agrarisch strukturierte Reichsgau profitierte davon, daß im Rahmen der Gleichschaltung auch ein einheitlicher Reichsnährstand geschaffen wurde, so daß er am ökonomischen Marktgeschehen partizipierte. Langfristig erwies sich die hier beschriebene Modernisierung jedoch als "regressive Modernisierung" (S. 13). Das dürfte vor allem damit zusammenhängen, daß die Kriegswirtschaft eine Art ökonomischen Ausnahmezustand darstellte. Wenn man bedenkt, daß die 'Ostmark' nur knapp anderthalb Jahre Friedenszeit unter NS-Herrschaft kannte, ist, und da ist Hanisch gegen seine Kritiker Recht zu geben, der konstatierte Aufschwung beachtlich, wenngleich nicht mit dem zu vergleichen, der dann ab 1950 einsetzte.

Es wurde bereits gesagt, daß Hanisch, wenn er dies auch nicht systematisiert, im Rahmen seiner Regionalgeschichte eines Gaus im Nationalsozialismus Institutionen, Individuen und Ideologien vorstellt. Die wichtigsten Mächte sind die Partei mit ihren Untergliederungen, vor allem Deutsche Arbeitsfront und Reichsnährstand, die Wehrmacht, die Wirtschaft und, immer noch, die katholische Kirche. Die zentralen Gestalten sind die beiden Gauleiter, der Kärntner Friedrich Rainer und sein Nachfolger, der ehemalige Reichsstudentenführer Gustav Adolf Scheel, dazu der Gauleiterstellvertreter Anton Wintersteiger und der Gauschulungsleiter Karl Springenschmid. Die im Widerstreit liegenden Ideologien waren das alte liberalkonservative Österreichertum, der radikale Nationalsozialismus, der pazifistische Sozialismus und der kompromißlose Katholizismus, wobei sich alle diese Strömungen im Fluß der politischen Veränderungen modifizierten.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Teile des Buchs, die Salzburg als Kunststadt gewidmet sind sowie diejenigen, die den Ausbau von Schloß Kleßheim betreffen, das 1942 zu einem 'Gästehaus des Führers' ausgebaut wurde. Die Salzburger Festspiele wurden zwar aufgewertet, doch durften in Salzburg nur Mozart und verwandte Komponisten aufgeführt wurden, d.h. Musik aus Barock und Klassik. Wagner wurde für Bayreuth reserviert, aber das Mozarteum wurde immerhin Reichshochschule für Musik. Kleßheim erhielt einen eigenen Bahnhof, und hier empfingen Hitler oder Ribbentrop der Reihe nach die Oberhäupter der süd- und osteuropäischen Vasallenstaaten - Mussolini, Antonescu, Horthy, Tiso und Pavelic - zum Befehlsempfang.

Der Alltag in der Provinz war vielgestaltig, und Salzburg erfüllte seine Funktion als Urlaubsgau meist zur vollen Zufriedenheit. Darüber darf aber nicht vergessen wesen, daß es in und um die Stadt herum ein Zigeuner-, ein Gefangenen- sowie ein KZ-Nebenlager gab, in dem Menschen ermordet oder der Ermordung zugeführt wurden. Der in der Nähe des Obersalzbergs gelegene Gau wurde in der Endphase des 'Dritten Reichs' zur Fluchtburg hoher NS-Hierarchen, aber auch prominenter Gefangener des Reichs wie König Leopolds von Belgien. Erst am 8. Mai wurde auch Salzburg befreit, vierzig Mitglieder der Parteielite vom Oberbürgermeister bis zum Oberstaatsanwalt nahmen sich das Leben, um sich durch diese Selbstvernichtung der Verantwortung zu entziehen.

Es ist keine Floskel, wenn man sich derart eindringliche, hervorragend disponierte und methodisch untermauerte Studien für andere Bereiche des NS-Imperiums wünscht. Hinzu kommt, daß der Verlag ein aufwendig und liebevoll gestaltetes Buch erstellt hat, wie man es für diesen Preis nur noch selten findet. Man möchte Hanischs Studie viele Leser, auch außerhalb Österreichs, wünschen.

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