H. Leppin (Hrsg.): Antike Mythologie in christlichen Kontexten

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Titel
Antike Mythologie in christlichen Kontexten der Spätantike.


Herausgeber
Leppin, Hartmut
Reihe
Millennium-Studien / Millennium Studies 54
Erschienen
Berlin 2015: de Gruyter
Anzahl Seiten
VIII, 318 S., 16 Tafeln
Preis
€ 109,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Beier, Evangelisch-Theologische Fakultät, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Bei den zwölf Beiträgen, die dieser Sammelband enthält, handelt es sich um die schriftliche Fassung der Vorträge, die im Rahmen einer gleichnamigen Tagung im Jahre 2012 in Frankfurt am Main gehalten wurden. Schon im Vorwort wird konstatiert, dass die Konstellation der Beiträge keine Vollständigkeit hinsichtlich der Behandlung aller denkbaren Themen abbilde, sondern es darum gehe, „den Facettenreichtum des Gegenstandes“ (S. V) zu verdeutlichen.

In der ausführlichen, 18 Seiten umfassenden Einleitung grenzt sich Hartmut Leppin zunächst von dem im Jahre 1971 erschienenen, von Manfred Fuhrmann herausgegebenen Sammelband mit dem Titel „Terror und Spiel“ ab, der sich ebenfalls dem Begriff des Mythos gewidmet hatte (S. 1ff).1 Zwar wird seine auch heute noch bestehende Bedeutung für die Behandlung der Mythenrezeption herausgestellt, doch distanziert sich Leppin gleichzeitig von der seiner Ansicht nach problematischen Tendenz des Werkes, einen starken Gegensatz zwischen Christentum und Heidentum herzustellen sowie moderne politische Begriffe auf den antiken Umgang mit Mythen anzuwenden. Zudem habe sich dieser Band vorrangig auf die Präsenz des Mythos innerhalb der lateinischen Literatur beschränkt, nicht aber sein Erscheinungsbild außerhalb schriftlicher Zeugnisse berücksichtigt (S. 3). Stattdessen möchte Leppin dem von ihm herausgegebenen Sammelband eine „relativ allgemeine Definition“ (S. 5) des Mythosbegriffs zugrunde legen: „Mythen waren kollektiv bedeutsame, durch Tradition bekannte Erzählungen von Göttern und Heroen oft in ihrer Interaktion mit Menschen; auf jeden Fall haben es die Mythen der Antike, wie sie hier behandelt werden, mit personal gedachten Gestalten zu tun.“ (S. 5) Als Ziel des Sammelbandes hält der Herausgeber fest, die verschiedenen Erscheinungsformen der griechisch-römischen Mythologie in der Phase der Christianisierung in der Spätantike zu betrachten und exemplarisch ihre christliche Kontextualisierung zu untersuchen (S. 8f). Die Anordnung der Beiträge richtet sich gemäß Leppin nach den Medien und Gattungen, die Mythen aufgreifen, also nicht nach einer Chronologie oder nach mythologischen Motiven (S. 9). Die einzelnen Autoren gehören unterschiedlichen Disziplinen an. Fünf von ihnen sind (zumindest auch) Klassische Philologen (Schindler, Accorinti, Schmitzer, Ando, der Professor of Classics, History and Law ist, und Rüpke, der seit 1999 einen Lehrstuhl für Religionswissenschaft innehat). Meier und Zilling decken den Bereich der Alten Geschichte ab, Schäfer und Jourdan gehören der Philosophie(-Geschichte) an, Löhr ist Theologe, Bassett Kunsthistorikerin und Kristensen Klassischer Archäologe. Der Schwerpunkt dieses Sammelbandes liegt also, ebenso wie derjenige, von dem sich Leppin in seiner Einleitung abgrenzt, auf der Auswertung literarischer Quellen. So beschäftigen sich lediglich die letzten beide Aufsätze von Bassett und Kristensen hauptsächlich mit außerliterarischen Quellen, namentlich mit Statuen und Textilien.

Claudia Schindler zeigt, dass Claudian „den Mythos […] in den Dienst seiner panegyrischen Aussagen stellt“ (S. 41). Die mythologischen Figuren seien funktionalisiert worden, indem ihnen zugeschriebene Attribute auf die spätantiken Herrscher angewandt wurden. Zudem sei die Überbietung des Mythos durch die christlichen Herrscher der Gegenwart betont und damit der mythologische Held durch den realen, politischen ersetzt worden. Ebenso lasse sich bei Claudian die Ableitung aktueller Herrschaftsansprüche aus der Geographie des Mythos feststellen (S. 41–42).

Domenico Accorinti stellt die als heidnisch bewerteten Dionysiaka und die Paraphrase des Johannesevangeliums des Nonnos nebeneinander, wobei er die Bedeutung von Tod und Auferstehung als Gemeinsamkeit beider Werke hervorhebt. Aus dem Vergleich einzelner Szenen, die sich mit der Auferweckung von Toten befassen, leitet er die Schlussfolgerung ab, dass „der Dichter der Dionysiaka und der Paraphrase eher Kontinuität als Bruch zwischen der klassischen und christlichen Kultur in der Spätantike wahrnahm“ und durch seine Interpretation des Mythos beide Bereiche miteinander verknüpfen konnte (S. 68).

Ulrich Schmitzer untersucht exemplarisch die Panegyrik in den carmina maiora sowie die Kleindichtung der carmina minora des Sidonius Apollinaris und kommt zu dem Ergebnis, dass der Mythos hier als „Teil des kulturellen Gemeinguts“ (S. 91) und nicht als Identifikationsmerkmal des heidnischen Glaubens geradezu selbstverständlich in die christliche Dichtung integriert wurde. Dieser Befund verbindet Schmitzers Beitrag mit dem Accorintis.

Christian Schäfer untersucht den Umgang mit dem Mythos von Christen und Heiden, die platonischen Denkweisen folgen. Er stellt heraus, dass christliche Autoren bisweilen die platonisch ausgerichtete, heidnische Mythenkritik an anstößigen Elementen übernehmen (S. 103ff), und zeigt am Beispiel des Neuplatonikers Sallustius, dass die ursprüngliche platonische Auffassung von der vermeintlichen Unangemessenheit des Mythos durch die Konfrontation mit dem Christentum im 4. Jahrhundert seitens der Heiden wieder aufgenommen worden sei, diese aber wiederum auch auf die christliche Auslegung biblischer Texte gewirkt habe (S. 100ff).

Winrich Löhr fragt nach dem Umgang christlicher Bischöfe mit der antiken Mythologie. Er zeigt, dass der Mythos für sie grundsätzlich kein theologisches Problem darstellt (S. 115). Ähnlich wie Schmitzer konstatiert auch Löhr, dass die Mythen als Kulturgut verstanden worden seien, sofern sie nicht öffentlich, also zum Beispiel im Kult, präsent waren oder ihnen ein „theologische[r] Sinn“ (S. 136) zugesprochen wurde. Zudem sollten nur diejenigen heidnischen Texte rezipiert werden, die einen moralischen Nutzen brachten (S. 121ff).

Henrike Maria Zilling geht von Auerbachs Mimesis-Theorie aus, der vorrangig „die literarischen Verbindungen zwischen Altem und Neuem Testament“ (S. 143) untersuchte. Sie erweitert seine Theorie, indem sie sie auf die Beziehung zwischen biblischen Texten und paganen Mythen ausweitet und besonders in christlicher Märtyrerliteratur deutliche Spuren antiker Mythologie nachweist (S. 164ff).

Mischa Meier befasst sich mit der Panegyrik des Georgios Pisides auf den Kaiser Herakleios. Einerseits verwende dieser Dichter des 7. Jahrhunderts die mythologische Figur des Herakles für sein Herrscherlob, indem er die Leistungen des Heros durch die des Herakleios überhöht, andererseits stelle er aber auch Analogien zu Jesus Christus her, wenn der Kaiser als „Erlöser der Welt“ präsentiert wird (S. 180). Auch in dem nun vollständig christianisierten Reich bewahrt sich der alte Mythos also seine Aktualität.

Fabienne Jourdan zeigt auf, wie unterschiedlich die Figur des Orpheus seitens der Christen bewertet werden konnte. So stellt sie einerseits fest, dass Orpheus eher in polemischen Kontexten erwähnt wird, so zum Beispiel bei Clemens von Alexandrien, der die Grausamkeit paganer Traditionen anhand der Figur des Orpheus aufzeigt (S. 196). Andererseits aber habe Orpheus auch als Modell für eine gelungene Konversion gedient, da er in Übereinstimmung mit der biblischen Botschaft „gesungen“ habe (S. 197).

Clifford Ando weist anhand des Kodex-Kalenders Origo gentis Romanorum, der die Vorgeschichte der Stadt Rom und ihrer Gründungsväter behandelt, nach, dass sich die pagane Welt durch jüdisch-christliche Narrative offenbar genötigt fühlte, eine Tradition darzustellen, die es mit der Torah aufnehmen konnte (S. 220).

Jörg Rüpke zeigt anhand des Inhaltes des sogenannten Chronographen von 354, als dessen Adressaten er den Sohn eines römischen Senatoren ausmacht, dass dort erwähnte christliche Kulte und Traditionen in eine Grundstruktur eingebettet sind, die sich durch Astrologie, Göttervorstellungen und römische Institutionen auszeichnet. Ähnliches stellt Rüpke bei der Betrachtung der Wandmalereien in den Katakomben der Via Latina fest. Daraus zieht er den Schluss, dass zumindest im „privaten Raum“ oft nicht zwischen dem Proprium des Christentums und dem des Heidentums unterschieden worden sei (S. 237f).

Sarah Bassett untersucht am Beispiel der Stadt Konstantinopel den Einfluss des Christentums auf mythologische Statuen. Für das beginnende 4. Jahrhundert stellt sie eine Häufung von Figuren fest, die zum Zweck der Legitimierung des Herrschaftsanspruches der Stadt zum Beispiel durch die Darstellung des Aeneas auf den Gründungsmythos der Stadt Rom verweisen (S. 248f). Ab dem 5. Jahrhundert finden sich mythologische Statuen eher im privaten Raum neben Darstellungen exotischer Tiere, woraus Bassett schließt, dass hier nun eher ästhetische als religiöse Gesichtspunkte eine Rolle spielten (S. 255ff). Ab dem 6. Jahrhundert schließlich seien auch diese Darstellungen durch christliche Symbolik ersetzt worden (S. 260f).

Troels Myrup Kristensen kommt aufgrund seiner Untersuchung von Textilien, die vorrangig aus Gräbern in Ägypten stammen, zu dem Schluss, dass christliche und mythologische Symbolik lange koexistiert haben müssen (S. 281), da pagane Symbolik ebenso in christlichen Gräbern gefunden wurde, wie es umgekehrt der Fall war. Dies führt er auf die Intensität der pagan-christlichen Interaktion zurück. Gleichzeitig macht er deutlich, dass solche Befunde nur regionale Gültigkeit haben, da zum Beispiel eine Untersuchung nordafrikanischer Öllampen ab dem 5. Jahrhundert einen starken Rückgang mythologischer Symbolik aufzeigt (S. 282).

Insgesamt ermöglicht der vorliegende Band einen guten Einblick in die Komplexität der Verbindung, die in der Spätantike zwischen Heidentum und Christentum bestanden haben muss. Die Ergebnisse aller Beiträge deuten darauf hin, dass der „krasse Gegensatz“ (S. 2), von dem die ältere Forschungsmeinung noch ausging, zumindest nicht zu allen Zeiten bestanden hat, sondern der Mythos als gemeinsames kulturelles Erbe seine Bedeutung behalten hat, wenn auch teilweise in modifizierter Form.

Anmerkung:
1 Manfred Fuhrmann (Hrsg.), Terror und Spiel. Probleme der Mythenrezeption (Poetik und Hermeneutik 4), 2. Auflage, München 1990.

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