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Titel
The Consuming Temple:. Jews, Department Stores, and the Consumer Revolution in Germany, 1880–1940


Autor(en)
Lerner, Paul
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
$ 39.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlef Briesen, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Das Thema Warenhaus hat seit einigen Jahren wieder Konjunktur – nach einer gut zehnjährigen Unterbrechung der geschichtswissenschaftlichen Befassung mit diesem Thema. Neben der jüngst erschienenen Studie von Uwe Lindemann liegt daher nun mit „The Consuming Temple“ eine weitere Auseinandersetzung mit diesem Thema von Paul Lerner vor. Sein Ausgangspunkt ist die inzwischen gut beschriebene Tatsache, dass das Warenhaus eine wichtige Innovation des Einzelhandels war, die zeitgenössisch enorme Beachtung gefunden hat. Daher war mit dem Warenhaus besonders in Frankreich und den deutschsprachigen Ländern eine intensive gesellschaftliche Debatte verbunden. Nach Ansicht von Lerner war deren Intensität vor allem in Deutschland auch darauf zurückzuführen, dass der Weg in eine moderne Gesellschaft, die unter anderem durch Industrialisierung, Urbanisierung und Massenkonsum geprägt ist, sich dort später als im westlichen Ausland vollzog. Der dann umso rapider einsetzende Wandel erzeugte, so weiter Lerner, enorme soziokulturelle Verwerfungen bzw. eine insgesamt über die Moderne und ihre Folgen desorientierte Gesellschaft. Im Rahmen einer Grundsatzdebatte, die über die Gegenwart und Zukunft Deutschlands geführt wurde, kam – so nun die Kernthese von Lerner – den diversen Konjunkturen und Ausprägungen des Antisemitismus eine entscheidende Rolle zu. Er bildete einen pathologischen Reflex auf die Formierung der Moderne in Deutschland, was sich insbesondere in der Konsum- als Warenhauskritik offenbarte. Diese war nach Sicht Lerners eben deshalb antisemitisch, weil die moderne Konsumgesellschaft und besonders das Warenhaus als Werk der Juden galten. Lerner versucht diese These in insgesamt fünf Kapiteln zu belegen, wobei er sich überwiegend auf die zeitgenössische Kulturkritik in Zeitungen, Zeitschriften und erzählerischer Literatur und durchaus im Schwerpunkt auf antisemitische Pamphlete stützt. Diese Quellenauswahl erzeugt einen Bias, denn sie lässt zum einen zu vieles außer Acht, was im deutschsprachigen Raum zwischen 1880 und 1940 über das Warenhaus veröffentlicht worden ist. Zum anderen bleiben die Strukturen des Konsumverhaltens der Bevölkerung ebenso unberücksichtigt, als dass eine intensivere Auseinandersetzung mit dem kulturkritischen Denken erfolgt. Der Blick auf eine historisch sehr vielfältige gesellschaftliche Praxis der Konsumgesellschaft in Deutschland wird verstellt.

In „Jerusalem’s Terrain“, dem ersten Kapitel, arbeitet Lerner die nach seiner Ansicht signifikanten realen und imaginativen Verbindungen zwischen Juden und Warenhaus heraus, die in der Warenhausdebatte bereits vor der Jahrhundertwende verbreitet waren und seit den 1920er-Jahren zunehmend in die NS-Propaganda einmündeten. Dann zeigt er im folgenden Kapitel „Dreamworlds in Motion“ auf, wie sich diese spezifische Befassung mit dem Warenhaus zu Imaginativen zu verdichten begann, die dann in einem weiteren Kapitel als Folgen einer durch das Judentum ausgelösten Kommerzialisierung der Gesellschaft überhaupt gefasst wurden. Deren Konsequenzen, der (vermeintliche) moralische und gesellschaftliche Verfall, werden dann in „Unscanny Encounters“ an drei Idealtypen der jüdisch geprägten Warenhaus- bzw. Konsumgesellschaft genauer umrissen, dem Dieb, dem Ladenmädchen und dem Warenhauskönig. Ein weiteres Kapitel „Beyond the Consuming Temple“ beschreibt die architektonischen Innovationen durch das Warenhaus, die ebenfalls als jüdisch apostrophiert werden konnten. Das letzte Kapitel „The Consuming Fire“ befasst sich dann mit den Gewalthandlungen gegen Warenhäuser und deren Eigentümer gegen Ende der Weimarer Republik bzw. in der frühen NS-Zeit. Die Resultate seiner Analyse fasst Lerner schließlich dahingehend zusammen, dass die Warenhausdebatte in Deutschland im Wesentlichen eine antisemitisch motivierte Kontroverse war. Sie identifizierte und attackierte über die Grundidee einer jüdisch dominierten kommerzialisierten Gesellschaft die Zeitläufte.

So gelungen die Analyse der antisemitischen Elemente in der Warenhausdebatte sein mag, so ist mir die Zuspitzung auf den Antisemitismus, die bei Lerner erkennbar wird, zu einseitig. Ohne Zweifel gab es spätestens seit der Jahrhundertwende antisemitische Strömungen in Deutschland, die sich in ihrer üblen Polemik, ja Hetze auf das „jüdische“ Warenhaus oder die „jüdische“ Konsumwelt schlechthin fokussierten. Eine solche Reaktion auf die moderne Konsumgesellschaft war jedoch nur ein Teil einer sehr viel breiter gefassten Debatte und einer insgesamt sehr vielfältigen Reaktion der deutschen Gesellschaft auf die Chancen und Gefahren, die man in einem derart grundlegenden Wandel wie der Konsumrevolution erblickte. So gab es zum einen eine größere Vielfalt an soziokulturellen Imaginativen in Deutschland als dies Lerner vermutet. Diese Variabilität ist etwa jüngst von Uwe Lindemann aufgezeigt worden. Dementsprechend wurde das Warenhaus nicht nur als Matrize des Antisemitismus missbraucht, das Warenhaus konnte auch in diversen Kontexten ganz andere negative, wie positive Imaginative hervorrufen: Anti-Amerikanismus, Nostalgie, moderne Verbraucher- und Frauenrollen, Begeisterung über die moderne Konsumgesellschaft und so weiter. Zum anderen meint auch der Rezensent selbst nachgewiesen zu haben, dass die Warenhausdebatte viel komplexere gesellschaftliche Reaktionen hervorgerufen hat als allein üble antisemitische Pathologien. In der Warenhausdebatte zeigte sich eher eine diffuse Gemengelage: Reaktionäre kulturkritische Setzungen, die gar nicht immer antisemitisch waren, verbanden sich mit dem Aufstieg der modernen Sozialwissenschaften. Ein zunehmendes Expertenwissen in Wirtschaft und Gesellschaft begann, für durchaus vorhandene Fehlentwicklungen im Einzelhandel etwa, Lösungen zu formulieren, die etwa Marktordnungen einführen oder insgesamt den deutschen Einzelhandel modernisieren wollten. Rückwärts gerichtete Ideologien forderten die Wiedereinsetzung des ehrbaren deutschen Kaufmannes, sozialistische Gruppen forderten die Verstaatlichung auch der großen Einzelhandelskonzerne oder unterstützten Konsumvereine, die nicht nur aus purem pathologischem Reflex Gegenmodelle gegen die vordringenden Großkonzerne entwickelten. Letztere wiederum waren keineswegs alle im Eigentum von Menschen jüdischer Herkunft – und in den politischen Debatten in Land- und Reichstagen ging es zumindest bis 1933 durchaus öfter um die realen Probleme des Einzelhandels – etwa die Welle der Betriebszusammenbrüche in der Weltwirtschaftskrise – als man vermuten sollte.

So wichtig die Befassung mit dem mörderischen Antisemitismus auch immer sein mag: Das Buch von Lerner leidet leider darunter, die vielfältigen Entwicklungen in der sich entfaltenden deutschen Konsumgesellschaft der 1880- bis 1940er-Jahre unberücksichtigt zu lassen, und die gesamte Entwicklung als zwangsläufig auf die NS-Zeit und ihre Warenhausdemagogie hinauslaufend zu interpretieren. Dahinter verbirgt sich die alte These von einem deutschen Sonderweg, hier als pathologische Reaktion auf die forcierte Einführung einer modernen Konsumgesellschaft in Deutschland seit den 1880er-Jahren. Dieses Konzept trägt weder der Vielfalt der Akteure und Reaktionen in diesem Zeitraum Rechnung, noch berücksichtigt es neuere Erkenntnisse über den Wandel im Einzelhandel und dessen Innovationskraft zwischen Gründerkrise und Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.