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Titel
Projektionen der Moral. Filmskandale in der Weimarer Republik


Autor(en)
Nowak, Kai
Reihe
Medien und Gesellschaftswandel im 20. Jahrhundert 5
Erschienen
Göttingen 2015: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
527 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annika Klein, Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Die krisen- und skandalgeschüttelte Weimarer Republik ist von der Historischen Skandalforschung in den letzten Jahren zwar zunehmend in den Blick genommen worden, mit Ausnahme von „Im Westen nichts Neues“ allerdings eher selten in Bezug auf ihre Filmskandale. Zu Unrecht, argumentiert Kai Nowak in der vorliegenden Studie, sei doch der Film als neues Medium „von Beginn an eine Provokation“ (S. 7) gewesen.

Dieser Provokation spürt Nowak auf drei Ebenen nach. Er fragt zunächst nach den Faktoren, die den Skandal auslösen, also Inhalten, Darstellungsweisen, Normenkonflikten und den jeweils hinter ihnen stehenden Akteuren. Zweitens untersucht er, wie sich das Verhältnis und die Interaktion von Politik, Öffentlichkeit und der Filmbranche selbst im Laufe des späten Kaiserreiches und der Weimarer Republik und im Umgang mit Filmskandalen verändert. Auf der dritten Ebene geht Nowak schließlich der Frage nach den Funktionen und Mechanismen der Film-Skandalierung nach. Die Studie arbeitet expliziert nicht mit einer normativen Definition von Skandalkriterien oder Skandalverlaufsmustern, sondern möchte ausgehend von der durch Frank Bösch und Karl Otto Hondrich1 formulierten Trias „Normbruch – Veröffentlichung – Empörung“ untersuchen, wann Normbrüche konstatiert oder zugeschrieben werden und wie die weitere Kommunikation darüber verläuft.

Nowak teilt seine Studie in vier Themenkomplexe ein, die sich am skandalauslösenden Element orientieren: „Verbrechen, Gewalt und Tod“ thematisiert zunächst die Frühzeit des Kinos im späten Kaiserreich – eine Zeit, in der sich Film und Kino als solche noch im direkten Widerspruch zum bürgerlichen Kulturverständnis als „Schmutz und Schund“ skandalieren lassen. Konkrete Filmskandale entzünden sich hier einerseits an der Befürchtung, dass die Thematisierung von Verbrechen und Gewalt im Film für den Zuschauer einen Anreiz zur Nachahmung darstellen könnte. Eng damit verbunden sind Diskussionen um die Authentizität des Dargestellten, die sich beispielsweise an dem Expeditionsfilm „Afrika spricht“ (1930) entzünden.

Der zweite Themenkomplex „Sexualität und Geschlechterordnung“ umfasst den Umgang mit Homosexualität, Ehe und Rollenbildern im Kontext der Krisenstimmung nach der deutschen Kriegsniederlage. Filme wie „Anders als die Andern“ (1919), die Alternativen zum traditionellen bürgerlichen Ehemodell thematisieren, werden von Skandalierern als Bedrohung von Männlichkeit, Gesellschaft und Volk betrachtet. Während sich bei der Darstellung von Nacktheit im Film die Debatten und Skandalierungsansätze um das Spannungsfeld „Pornographie – Kunst“ drehen, knüpft der Skandal um die Darstellung einer Geburt durch Kaiserschnitt in „Frauennot, Frauenglück“ (1929) wieder an die Frage an, welchen Effekt die authentische Darstellung solcher Szenen auf das Kinopublikum hat. Demonstriert der Film die Errungenschaften der modernen Wissenschaft in Geburtskliniken oder wirkt er sich schädlich auf den Kinderwunsch junger Frauen aus und gefährdet damit wiederum etablierte Rollenmuster?

Der dritte Themenkomplex widmet sich den „Schützengräben der Nachkriegszeit“ und behandelt die international umkämpfte Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, insbesondere die in Deutschland hochpolitisch aufgeladene Debatte um sogenannte Hetzfilme. Von der Verfilmung des Schicksals der von Deutschen hingerichteten Krankenschwester Edith Cavell in „Dawn“ (1927) bis hin zu „Im Westen nichts Neues“ (1930) nimmt das Kapitel Deutungskonflikte und deren internationale Konsequenzen in den Blick. So fürchtet man in Deutschland, dass die negative Darstellung deutscher Akteure in den Kriegsfilmen zu antideutschen Ressentiments führen und damit die eigene Verhandlungsposition in der Gegenwart schwächen könnte.

Der internationalen Perspektive des dritten Teils stellt der vierte Themenkomplex „Die Politik des Filmskandals: Politisch-weltanschauliche Konflikte“ die nationale gegenüber. Geht es politischen Akteuren in den anderen Themenfeldern oft mehrheitlich darum, die Verbreitung von als gefährlich empfundenen Inhalten zu unterbinden, so wird in den Skandalen dieses Kapitels die Politik selbst zum Thema. Während sich die konkrete Parteiwerbung eher in Grenzen hält, entzünden sich Konflikte vor allem an Filmen, die als Befürwortung bestimmter politischer Einstellungen und Staatsformen gewertet werden. Das Spektrum reicht dabei von dem Vorwurf kommunistischer Propaganda in „Panzerkreuzer Potemkin“ (1926) bis zu verschiedenen Monarchen-Filmen, die von den jeweiligen Filmgegnern entweder als zu negativ – „Kaiser Wilhelms Glück und Ende“ (1919) oder zu glorifizierend („Fridericus Rex“, 1922/23) – kritisiert werden. In den verschiedenen Phasen von Verbot, Zensur und deren eventueller Wiederaufhebung können sich dabei die Fronten von Skandalierern und Skandalierten immer wieder verschieben – abhängig davon, ob nun der Film selbst, seine Zensur oder deren Aufhebung Gegenstand der Skandalierung ist.

Die Eigenheiten von Filmskandalen und damit der besondere Erkenntnisgewinn der vorliegenden Studie werden besonders auf der Ebene der Interaktion von Film, Politik und Öffentlichkeit sichtbar: Anders als beispielsweise im Falle von Presseskandalen handelt es sich, wie Nowak überzeugend darstellen kann, beim Film um ein Medium, dessen Möglichkeiten, Wirkungsweisen und Gefahren von allen Beteiligten erst noch auszuloten sind. Spezifische Skandalanlässe sind damit zum einen durch die neuen, vermeintlich authentischeren Darstellungsmöglichkeiten des Films und zum anderen durch die Frage nach deren Auswirkungen auf das Publikum gegeben: Fördern bildliche Gewaltdarstellungen im Film möglicherweise die Gewaltbereitschaft des Kinopublikums?

Andere Skandalfaktoren ergeben sich aus der Produktion und Distribution von Filmen: Der internationale Vertrieb führt zu Ängsten vor der Dominanz der US-Wirtschaft. Filme, die den Ersten Weltkrieg oder andere historische Ereignisse thematisieren, können außerdem die ohnehin schon bestehenden politischen Spannungen der Nachkriegszeit verstärken, zumal die zum Teil von Land zu Land variierenden Übersetzungen der Zwischentitel und die unterschiedlichen Zensurfassungen tatsächlich radikal verschiedene Filmversionen hervorbringen können. Obwohl das die Skandaltheorien prägende Element der plötzlichen Enthüllung eines Normenverstoßes bei Filmen in der Regel entfällt, entzündet sich auch der Filmskandal – wie Nowak mehrfach zeigen kann – am Unbekannten. Denn häufig setzt die Skandalierung bereits ein, bevor die Skandalakteure oder die Vertreter der Zensurbehörden den Film gesehen haben oder auch nur sehen konnten. Gerade der angenommene oder behauptete Filminhalt lässt sich dann aber umso leichter mit politischen Deutungen aufladen. Dementsprechend besteht das Ziel des Skandals nicht in erster Linie darin, die Person(en), die von den Skandalierern und der sich empörenden Öffentlichkeit für den dem Skandal zugrunde liegenden Normenverstoß verantwortlich gemachten Regisseure oder Produzenten an den Pranger zu stellen, sondern den Film selbst zu eliminieren. Die Maßnahmen reichen dabei von der Freigabe nur für bestimmte Zuschauergruppen und der Zensur bis hin zum dauerhaften Verbot. Auch hier verdeutlicht die Studie den noch unsicheren Umgang der Akteure mit dem Medium Film, der sich an den häufigen Veränderungen der Zensurpolitik und am Schwanken der politischen Akteure zwischen dem Wunsch nach Kontrolle und dem Versuch, das Medium für die eigene Agenda nutzbar zu machen, zeigt. Gleichzeitig bilden die Diskussionen um die Zensur aber auch die fragmentierte politische Lage der Republik selbst ab, wenn man sich etwa in Bayern weigert, die Anweisungen aus Berlin zu befolgen.

Auf einer breiten Quellenbasis gelingt es Nowak insgesamt überzeugend, ein lebendiges Bild des Zusammenspiels von Film, Politik und Wertewandel in der Weimarer Republik zu zeichnen und dabei eine Brücke zwischen seinen Fallbeispielen und den für das erste Drittel des 20. Jahrhunderts nicht immer optimal funktionierenden Modellen der Skandalforschung zu schlagen.

Anmerkung:
1 Vgl. Frank Bösch, Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien 1880–1914, München 2009; Karl Otto Hondrich, Enthüllung und Entrüstung. Eine Phänomenologie des politischen Skandals, Frankfurt am Main 2002.

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