Der Sammelband ist das Ergebnis einer internationalen Tagung, die vom 3. bis 5. Dezember 2009 in Köln veranstaltet worden war. Das Thema der Tagung „Weihealtäre in Tempeln und Heiligtümern“ ist weitgesteckt und bedarf eines ordnenden Rahmens, der von den Herausgebern in der Einführung gegeben wird.1 Demnach sollen die Weihealtäre kontextbezogen analysiert werden. Dabei wird Kontext als Begriff der Kommunikationstheorie in Anlehnung an Ian Hodder aufgefasst.2 Das Befremden über die massenhafte Aufstellung gleichartiger oder zumindest typengleicher Weihealtäre in den antiken Heiligtümern bildet den Ausgangspunkt der Tagung, und daran orientieren sich die folgenden, einzeln kurz anzusprechenden Beiträge der Tagungsteilnehmer.
In den ersten drei Beiträgen werden grundlegende Fragen der Weihepraxis untersucht, und zwar in theoretischer, terminologischer und literarischer Hinsicht. Den Anfang macht Jörg Rüpke, der gestützt auf die Theorien von Marcel Mauss und Roy Rappaport sowie auf eigene Vorarbeiten Thesen einer Ritualtheorie entwickelt, die es am Material zu überprüfen gelte.3 Die These vom Konkurrenzverhältnis der inschriftlichen zu den ikonographischen Weihungen – um nur ein Beispiel herauszugreifen – hat insofern etwas für sich, als auf dieser Basis Rückschlüsse auf die häufige inschriftliche Darstellung bestimmter Gottheiten im Gegensatz zu anderen, oft nur bildlich dargestellten Göttern gezogen werden können. John Scheid leitet, ausgehend von einer Bemerkung in den Saturnalien des Macrobius, die lateinische Bezeichnung ara für Altar vom altlateinischen Begriff für „brennen“ oder „glühen“ ab. Ursprünglich sei ara auf die Handlung und nicht auf die formale Gestalt bezogen gewesen. Ulrike Egelhaaf-Gaiser wendet sich den Caesaraltären zu, die Ovid in seinen Fasten erwähnt. Der Kalenderdichter verstehe es meisterlich, die stadtrömische Topographie durch bewusste Verschiebungen der kalendarischen Festeinträge in einen literarischen Raumkontext zu überführen. Diese für die folgenden Artikel grundlegenden Überlegungen werden mit einem Anhang der Fasten des Ovids (1,709–723) abgeschlossen.
Die folgenden zwanzig Aufsätze sind einzelnen Fragestellungen oder lokalen Befunden gewidmet. Günther Schörner legt dar, dass in Epidauros ein Symbolsystem entwickelt worden sei, das zur Durchführung von Ritualen oder Ritualsequenzen diente. Das wegen seiner runden Formen curiculi genannte Zeichensystem sei bemerkenswert komplex. Christof Berns präsentiert auf der Materialgrundlage seiner noch unveröffentlichten Habilitationsschrift den Verwendungskontext der Weihealtäre aus dem Conventus Tarraconensis. Er kann exemplarisch zeigen, dass im Nordosten Spaniens Weihealtäre vorwiegend mit einem persönlichen Anliegen verbunden worden seien. Die Dedikanten stammten aus allen sozialen Gruppen. Die Votive dienten dabei sowohl der Dokumentation eines erfüllten Gelübdes als auch dem fortdauernden Gebrauch als Opfertisch. Da auch wirtschaftliche Aspekte bei der Setzung von Weihesteinen eine Rolle spielten, vermisst man von der neueren Literatur etwa die Dissertation von Hoffmann-Salz.4
Die Grabaltäre in den nördlichen Grenzprovinzen stehen im Mittelpunkt des Interesses von Markus Scholz. Er analysiert die entsprechenden Monumente nach Typologie, Verbreitung, Dedikanten und Chronologie. Dabei kann Scholz überzeugend darlegen, dass Grabaltäre grundsätzlich drei Funktionen erfüllen mussten, nämlich als Ort oder Gerätschaft für die Opferhandlung, als Aschenbehälter und als monumentale Grabmarkierung. Das Heiligtum für Silvanus und die Quadriviae der Zivilsiedlung von Carnuntum, das bereits im 19. Jahrhundert freigelegt worden war, aber erst in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts veröffentlicht wurde, ist Gegenstand der Untersuchung von Gabrielle Kremer. Sie untersucht die Weihealtäre auf ihre kommunikationsmediale Funktion hin. Da das Heiligtum zwar öffentlich zugänglich war, aber dennoch einen geschützten Raum darstellte, mithin nur eine Teilöffentlichkeit die abgestellten Altäre wahrnahm, waren diese auf die Kommunikation mit den Göttern ausgerichtet und entsprechend nicht mit Stifterangaben versehen worden.
Die beiden folgenden Beiträge von Frederike Naumann-Steckner und Gerhard Bauchhenß sind Bestandsaufnahmen der Weihealtäre in Köln und Bonn. Thierry Luginbühl hingegen geht über eine Bestandsaufnahme insofern hinaus, als er die Altäre der civitas Helvetiorum nach analytischen Aspekten kategorisiert und so die Vorarbeit für weitere Untersuchungen leistet. Ferner vergleicht er das kategorisierte Material innerhalb der civitas und mit ähnlichen Funden aus anderen Regionen, so dass er zu einer ansprechenden Einordnung der helvetischen Altäre in einen weiteren Kontext kommt. Im Übrigen ist sein Beitrag mit sehr hübschen Rekonstruktionszeichnungen bebildert.
Den Nehalennia, einer vor allem in Niedergermanien verehrten Göttinnengruppe, widmet sich Ton Derks. Im Mittelpunkt stehen die Heiligtümer in Domburg und Colijnsplaat. Durch den Vergleich der Befunde kann er etwa herausarbeiten, dass in Domburg Altäre mit Nische die häufigste Darstellungsform sind (81 Prozent), wohingegen in Colijnsplaat nur 40 Prozent diese Form aufweisen. Diese Auffälligkeit begründet er überzeugend mit den finanziellen Möglichkeiten der Dedikanten und der guten Schiffsverbindung zum Kölner Raum, in dem Ädikula-Altäre für Weihungen an die Aufanischen Matronen beliebt waren. Das Phänomen der zahlreichen Votivaltäre in den ländlichen Heiligtümern Kleinasiens erklärt Barbara Stark am Beispiel des Heiligtums auf dem Yalak Başi in Lykien. Anhand der formalen und dekorativen Differenzierung kann sie nachweisen, dass diese Ausdruck eines Konkurrenzverhaltens unter den Dedikanten ist. Kleinere Altärchen sind auf größere Altäre hin ausgerichtet als Zeichen der Zugehörigkeit der Weihenden zur jeweiligen sozialen Gruppe. Dadurch bildet sich ein komplexes Kommunikationssystem aus, welches sich aus der Beziehung von Dedikanten, Votiven und Heiligtum ergab.
Das folgende Gemeinschaftswerk von Thomas G. Schattner, José Suárez Otero und Michael Koch basiert auf Feldforschungen der Autoren auf dem Monte do Facho in Galicien. Die Untersuchung des Heiligtums für den deus lar Berobreus hat zusammenfassenden Charakter, da eine Publikation der Grabungsergebnisse in Vorbereitung ist, und wird an den einführenden theoretischen Überlegungen Rüpkes ausgerichtet. Auffällig sei bei dem Heiligtum auf der Spitze des Berges, dass von den ungefähr 100 Weihealtären etwa zwei Drittel eine Weiheinschrift mit einem regelhaften Formular aufweisen, bei dem stets die Stifterangabe fehlt. Diese uniformen Altäre standen dicht an dicht auf engstem Raum und waren mit der Inschriftenseite aufs Tal und damit auf den Besucher hin ausgerichtet.
Carmen Ciongradi, eine Spezialistin für die Steindenkmäler Dakiens, stellt die Votivaltäre eines kleinen Heiligtums im dakischen Goldbergwerksgebiet Alburnus Maior vor. Die Weihungen der Bergleute beschränken sich auf einfache Altäre ohne bildliche Darstellung, die um Grabmonumente einer nahegelegenen Nekropole ergänzt werden. Die Bewohner stammten vorwiegend aus Illyrien, und ihre Bergwerkssiedlung wurde vom procurator aurariarum aus Ampelum verwaltet. Ungeklärt ist bislang die Frage, inwiefern sich die Siedlungsformen kastellum und vicus unterscheiden. Zu denken wäre nach Ansicht des Rezensenten hierbei an in Lagern kasernierte Bergarbeiter, die vielleicht auch paramilitärische Aufgaben wahrnahmen, bzw. an zivile Lagervorstädte. Zu einer neuen Deutung hinsichtlich der Weihebezirke an Wegekreuzungen für die indigenen Kreuzwegegottheiten Bivia, Trivia und Quadruvia gelangt Dirk Schmitz. Alfred von Domaszewskis These, dass überall, wo dieser Kult auftritt, auch ein Kreuzungspunkt von Militärstraßen gewesen sei, ist nicht länger haltbar. Schmitz kann überzeugend belegen, dass aufgrund der archäologischen Befunde sich kein Heiligtum für die Wegegöttinnen in den germanischen Provinzen nachweisen lässt. Weihesteine für diese Göttinnen kann er an Verkehrsknotenpunkten, in Siedlungskernen und in Heiligtümern nachweisen, die anderen Gottheiten geweiht waren, sodass die Kultpraxis variantenreicher gewesen ist, als die ältere Forschung annahm.
Richard Neudecker bespricht exemplarisch das Heiligtum der Augustalen von Misenum und den Kultraum der Augustalen in Herculaneum, ehe er den Blick auf die regionale sozioökonomische Situation lenkt, die auf die Organisation der Augustalen Einfluss genommen habe. Dabei kommt er zu dem sicherlich zutreffenden Schluss, dass die Augustalen mit den Weihungen außerhalb der Augustalenbezirke – bei weitem die meisten Dedikationen – sich der höheren Aura des Kaisers zuordneten und so eine epigraphische Spur durch die Stadt legten. Offensichtlich nutzten die Augustalen ihre kostspielige Mitgliedschaft zur Verdeutlichung ihrer eigenen Reputation und verbreiteten dadurch zugleich den Kaiserkult in den Landgemeinden Italiens. Alexandra W. Busch verdeutlicht an zwei Fallbeispielen, den Weihungen der equites singulares Augusti von der Via Tasso und den Weihealtären in den castra peregrina, die Handlungsmuster bei der Wahl von Weihealtären der Militärs in Rom. Sie unterscheidet dabei in Anlehnung an die Theorien und Methoden von Oswald Panagl und Ruth Wodak verschiedene Kontextebenen.5 So sei der situative Kontext nicht alleine entscheidend für die Wahl der Denkmalsform gewesen, wenngleich es gewisse Tendenzen gebe. Ferner standen – wenig überraschend – die Weihepraktiken im Zusammenhang mit der kulturellen Prägung der Soldaten. Die gestalterische Freiheit sei etwa bei offiziellen Stiftungen eingeschränkt gewesen. Ausgehend von diesen und weiteren Ergebnissen fragt man sich, ob die Weihepraxis der kaisernahen Eliteeinheiten Auswirkungen auf die Weihungen anderer Militäreinheiten in den Provinzen hatte.
Diesen wendet sich Oliver Stoll zu, welcher die Kollektivweihungen an Genius, Minerva und Fortuna am Obergermanisch-Rätischen Limes im Kontext analysiert. Für jede der drei Gottheiten kann Stoll einen eindeutigen soziokulturellen Kontext im Leben der jeweiligen Gruppe herstellen, insofern durch diesen eine Gruppensolidarität gebildet wird. Exaktere Rekonstruktionen der antiken Wirklichkeit oder die Aufzeigung einer historischen Entwicklung seien nicht möglich, da hierzu Funde in entsprechender Quantität und Vollständigkeit fehlen. Dennoch vermag Stoll situative und soziale Kontexte aus den untersuchten Inschriften herauszuarbeiten und mannigfaltige Analyseinstrumente aufzuzeigen. Mit den Altären von Armeeangehörigen aus Kleinasien befasst sich Rudolf Haensch. Er fragt, warum und wie oft Soldaten in den Provinzen Altäre errichteten, und bilanziert, dass es bei der Weihepraxis nicht nur zwischen der westlichen und östlichen Reichshälfte, sondern auch zwischen verschiedenen Heeresverbänden einer Reichshälfte Unterschiede gebe. Altäre wurden im gesamten Reich in einem vergleichbaren Ausmaß gesetzt, wobei das Fehlen solcher Monumente in Ägypten auffällig sei. Die im Westen anzutreffenden Kulttraditionen der beneficiarii, signiferi und summi curatores habe im Osten keine Entsprechung gefunden.
Jonathan C. N. Coulston kündigt für die Altäre von Maryport an: „the present paper examines this collection anew, at a time when extraordinary new work is transforming modern understanding of its context.“ (S. 381) Die Maryporter Altäre wurden in zwölf Gruben mit anderen Steinen gefunden. Auf der Basis einer detaillierten Untersuchung kommt Coulston zu dem Schluss, dass die Steine nicht in einer rituellen Handlung niedergelegt, sondern ganz profan für ein spätantikes Bauwerk wiederverwendet wurden. Alfred Schäfer fragt nach den Sakralbezirken der Statthaltersitze und den damit verbundenen Aufstellungskontexten sowie den Weiheabsichten. Diese Untersuchung erweitert er um die Betrachtung der Weihepraxis in den Benefiziarierheiligtümern. An den Beispielen Köln, Aquincum, Sarmizegetusa und Lambaesis kann Schäfer zeigen, dass in der area sacra der Statthaltersitze und in den Benefiziarierstationen vorwiegend Amtsträger dedizierten, die eine bestimmte Zeit am Dienstort stationiert waren. Sie konnten in ihren Dienstgebäuden Weihebezirke integrieren. War ein Kult erst einmal etabliert, entwickelte sich eine rege Weihepraxis. Schäfer vermutet vergleichbare religiöse Handlungsmuster in den Militärlagern.
Noch konkreter geht Bernd Steidel auf die Benefiziarierweihungen ein, die er am Beispiel des Weihebezirks der Benefiziarierstation von Obernburg deutet. Die Überlegungen zur Größe und Massigkeit der Inschriftensteine kann der Rezensent nicht nachvollziehen. Eine Konkurrenz der Legionäre zu den Soldaten der Auxiliareinheiten dürfte nicht bestanden haben, schon gar nicht, wenn diese von einem Präfekten aus dem Ritterstand vertreten wurden. Die Größenunterschiede sind viel eher mit den Finanzmitteln der Dedikanten und den verschiedenen Weihetraditionen in Legion und Auxiliareinheit zu begründen. Die beigefügten Tabellen enthalten neben bekannten auch einige bisher unpublizierte Steine. Ein kleiner Fehler hat sich hier eingeschlichen, denn der Benefiziarier „M. Bellicus Marcellinus“ heißt M. Bellius Marcellinus (S. 419, Nr. 13). Einen anderen Ansatz als in den bisherigen Untersuchungen verfolgt Ute Verstegen mit dem letzten Beitrag des Tagungsbandes. Sie wertet die als Spolien in St. Gereon zu Köln verbauten Weihesteinfragmenten aus. Sie kann nachweisen, dass die Weihesteine am Aufstellungsort für die Wiederverwendung in Form gebracht und dann am Ort der Neunutzung nacheinander verbaut wurden. Dieses planvolle Vorgehen spreche für Organisation, Kostenbewusstsein und Effizienz der Bauhütte von St. Gereon.
Die eingangs postulierte Kommunikationstheorie kommt bei den wenigsten Beiträgen zur Anwendung, da sie nur auf eng begrenzten Räumen, etwa in einem Heiligtum oder einem heiligen Bezirk, genutzt werden kann. Ohnehin werden bei der Analyse von Inschriften stets der Entstehungs- und Anbringungskontext berücksichtigt und bestimmte Analyseparameter untersucht, wie beispielsweise Aufstellungsort, Auftraggeber, Adressat und Stiftungsgrund. So werden in den meisten Beiträgen auf herkömmliche Weise Inschriften historisch analysiert oder mit archäologischen Methoden erforscht. Das Verdienstvolle des Tagungsbandes ist daher neben der Qualität der einzelnen Beiträge die Vielzahl an Methoden und Theorien sowie die thematische Vielfalt.
Anmerkungen:
1 Inhaltsverzeichnis und Einführung sind bequem auf der Verlagsseite nachzulesen: <http://www.likias.de/pdf/23-9817006-2-6.pdf> (Stand: 31.01.2016).
2 Ian Hodder (Hrsg.), The Archaeology of Contextual meanings, Cambridge 1987; Ian Hodder / Scott R. Hutson, Reading the Past, 3. Aufl., Cambridge 2003.
3 Marcel Mauss, Essai sur le don, Année sociologique N.S. 1 (1925), S. 30–186; Roy A. Rappaport, Ritual and Religion in the Making of Mankind, Cambridge 1999.
4 Julia Hoffmann-Salz, Die wirtschaftlichen Auswirkungen der römischen Eroberung, Stuttgart 2011.
5 Oswald Panagl / Ruth Wodak (Hrsg.), Text und Kontext. Theoriemodelle und methodische Verfahren im transdisziplinären Bereich, Würzburg 2004. Der Band wird irritierenderweise mit „Oswald/Wodak“ abgekürzt. Außerdem ist unklar, auf welchen Beitrag dieses Tagungsbandes sich Busch bezieht.