Cover
Titel
The Holocaust in Croatia.


Autor(en)
Goldstein, Ivo; Goldstein, Slavko
Reihe
Pitt Russian East European Monographs
Erschienen
Anzahl Seiten
736 S.
Preis
€ 30,43
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Marija Vulesica, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin

Übersetzungen brauchen bekanntlich Zeit. Zwischen der kroatischen Erstveröffentlichung im Jahre 2001 und der nun vorliegenden englischsprachigen Ausgabe von 2016 sind 15 Jahre vergangen. Das von Ivo und Slavko Goldstein (Sohn und Vater) veröffentlichte Buch „Holokaust u Zagrebu“ („Der Holocaust in Zagreb“) markierte einen Meilenstein in der neueren kroatischen Geschichtswissenschaft. Es ist die erste – und bisher einzige – kroatischsprachige Monographie, die sich mit der Geschichte des Holocaust im Unabhängigen Staat Kroatien (USK) bzw. in seiner Hauptstadt Zagreb beschäftigt.

Der USK wurde im April 1941 nach der Zerschlagung des Königreichs Jugoslawien und der Besetzung seiner Territorien durch deutsche, italienische, ungarische und bulgarische Truppen proklamiert. Mit Hilfe der deutschen und italienischen Verbündeten wurde die bis dahin im italienischen Exil agierende radikalnationalistische Ustaša (dt. Aufständische) – angeführt von Ante Pavelić – an die Macht gehievt. Das Staatsgebiet umfasste neben den kroatischen Territorien auch ganz Bosnien-Herzegowina.

Unmittelbar nach Machtantritt begann die systematischen Entrechtung, Verfolgung und Ermordung der Serben, Juden und Roma. Diese hochkomplexen Vorgänge, Ereignisse und Entwicklungen sind innerhalb der kroatischen Historiographie nach wie vor nur unzureichend erforscht. Trotzdem oder gerade deshalb bestimmen diese wissenschaftlich vernachlässigten Themenkompexe sehr häufig aktuelle gesellschaftspolitische Debatten und Polemiken. Die Feststellung, dass Goldsteins Buch von 2001 und nun in seiner englischen Übersetzung immer noch den gültigen Forschungsstand zum Thema Holocaust abbildet, ist eigentlich fatal. Aber dennoch wahr. Die kroatische Forschung hat zwischen 2001 und 2016 schlichtweg keine nennenswerten und weiterführenden Resultate im Hinblick auf die Geschichte des Holocaust in dieser Region geliefert. Goldsteins Buch bleibt somit der wichtigste Wegmarker. Haben die Autoren nun die englische Version 15 Jahre nach dem Ersterscheinen ergänzt oder erweitert? Leider lautet die Antwort Nein. Die englische Ausgabe ist nahezu identisch mit der kroatischen. Allerdings fällt der unterschiedliche Titel auf. Aus „Holocaust in Zagreb“ ist „Holocaust in Croatia“ geworden. Der neue Titel ließ zunächst vermuten, dass die Studie inhaltlich ergänzt wurde und sich nicht mehr nur auf Zagreb konzentriert. Dem ist nicht so. Auch in der englischen Ausgabe liegt der Schwerpunkt auf der Hauptstadt. Die Autoren (und Verleger) wollten mit der englischen Ausgabe die internationale Leserschaft erreichen, daher mag es naheliegend gewesen sein, „Zagreb“ durch „Croatia“ zu ersetzen. Kroatien ist sicherlich bekannter als Zagreb. Der neue Titel ist dennoch problematisch: Zum einen wird in dem Buch nicht das gesamte kroatische Territorium abgehandelt. An vielen Orten im Unabhängigen Staat Kroatien herrschten unterschiedliche Dynamiken, der Prozess der Diskriminierung und Vernichtung wies unterschiedliche Muster und Geschwindigkeiten auf. Aus diesem Grunde waren der kroatische Titel und der Schwerpunkt des Buches in 2001 von Ivo und Slavko Goldstein durchaus weise gewählt. Was der neue Titel nun verspricht, kann das Buch aber nicht halten. Zum zweiten ist „Croatia“ auch deshalb irritierend, weil der damalige Staat nicht Kroatien, sondern Unabhängiger Staat Kroatien (Independent State of Croatia) hieß. Warum also dieser Titel? Insinuiert er politische Seitenhiebe gegen das heutige Kroatien und seinen schwierigen Umgang mit der eigenen Geschichte des Holocaust? Oder lagen der Titelentscheidung lediglich marktstrategische Überlegungen – wie etwa der Wiedererkennungswert – zu Grunde? Die veränderte Titelwahl wird nicht erklärt.

Genau wie im kroatischen Original machen das Buch fünf große Kapitel – im Englischen „Parts“ genannt – mit jeweils mehreren Unterkapiteln aus. Kapitel I behandelt die „Ideological and Social Prerequisites of Persecution“. Während dieses Kapitel in der kroatischen Originalausgabe mit einer Erörterung der Frage „Was ist der Holocaust“ eingeleitet wurde, steht am Beginn der englischen ein sehr kurzer Überblick über die Geschichte Kroatiens (S. 3–6), der die historischen Gegebenheiten kurz vor 1941 nur unzureichend wiedergibt. In den folgenden vier Unterkapiteln werden das jüdische Leben, der Antisemitismus der 1930er-Jahre, das veränderte politische Klima und die Reaktionen der Zagreber Juden sowie der politische und ideologische Hintergrund der Ustaša-Bewegung dargestellt. Das zweite Unterkapitel „The Jews in Zagreb Prior to 1941“ ist ein kurzer historischer Einblick in die Geschichte der Juden in Zagreb seit dem Mittelalter. Die restlichen drei Unterkapitel sind ein Aufzählen und Aneinanderreihen von Ereignissen, Pressemeldungen, Publikationen und Aussagen einzelner jüdischer und nicht-jüdischer Akteure. Dieses Kapitel gibt zweifelsohne – genau wie das gesamte Buch – wichtige Informationen, Hinweise und Einblicke in den historischen Kontext, es liefert aber keine Analysen. Es liefert auch kein übergeordnetes Verständnis der 1930er-Jahre und der ideologischen und sozialen Voraussetzungen für den Holocaust im späteren USK. Auch mutet es etwas befremdlich an, wenn die Geschichte der Juden in Zagreb und Jugoslawien unter diesem Kapitel läuft.

Mit Kapitel II „Spring and Summer of 1941: Excommunication“ gehen die Autoren in medias res. In elf Unterkapiteln werden u.a. die ersten Maßnahmen und Gesetze, die bürokratischen Rahmenbedingungen, der Raub jüdischen Vermögens, die Entlassung der Juden aus allen Ämtern, Möglichkeiten der Flucht und Rettung sowie die Arbeit der Jüdischen Gemeinde Zagreb dargestellt. Detailliert und mit vielen Einzelbeispielen ausgestattet bietet dieses Kapitel einen sehr guten Einblick in die ersten Monate der Ustaša-Herrschaft und ihrer Judenpolitik.

Kapitel III „Summer and Autumn of 1941: Concentration and Extermination“ folgt der ereignisreichen Chronologie des Jahres 1941 und setzt einen Schwerpunkt auf die Entstehung der Lager im USK. Sehr bald nach Staatsgründung entstanden landesweit Sammel- und Durchgangslager mit dem Ziel der physischen Vernichtung. Noch vor Jasenovac, „The Apogee of Terror“ initiierte die Ustaša den Lagerkomplex Gospić-Velebit-Pag, wo zwischen Mai und Mitte August 1941 mehrere Tausend Menschen ermordet wurden.

Im Kapitel IV „Moving toward final Annihilation, 1942–1943“ schildern Ivo und Slavko Goldstein die Maßnahmen der Ustaša (und ihrer deutschen Verbündeten) zur endgültigen Zerstörung jüdischen Lebens im USK. Die letzten großen Deportationswellen fanden im Januar und August 1942 sowie im Mai 1943 statt. Ab Herbst 1942 wurden die noch wenigen im USK verbliebenen Juden nach Auschwitz deportiert.

Im vorletzten Kapitel „Trying to Survive“ widmen sich die Autoren den Überlebensmöglichkeiten und Strategien der verfolgten Juden. Und im letzten „Epilogue“ überschriebenen Kapitel haben sie alle Themen zusammengewürfelt, die sie offenbar noch ansprechen und behandeln wollten. Dazu gehört etwa die Darstellung von Einzelbeispielen wie der Geschichte des Altersheims „Lavoslav Schwarz“. Im „Epilogue“ findet sich auch eine Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche und Erzbischof Alojzije Stepinac, mit dem Revisionismus im heutigen (Anfang der 2000er-Jahre) Kroatien, mit der Zahl der jüdischen Opfer und dem jüdischen Leben unmittelbar nach Ende des Krieges. All diese Themen sind wichtige Bestandteile der (Nach)Geschichte des Holocaust im USK. Und auch hier schildern die Autoren quellennah und detailliert die Ereignisse, auch hier verweisen sie auf drängende Fragen, ohne jedoch weder hier noch im gesamten Buch eine kohärente und systematische Analyse zu liefern.

„The Holocaust in Croatia“ wird nun auch der englischsprachigen Leserschaft wichtige Informationen, weiterführende Hinweise zu Themen, Akteuren und relevanten (ausschließlich kroatischen) Archivbeständen geben. Trotz der in zwei Kapiteln fragwürdigen inhaltlichen Komposition bleibt Goldsteins Buch die bisher wichtigste Darstellung des Holocaust in Zagreb.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/