Der vorliegende Band, als Dissertation an der Juristischen Fakultät der HU Berlin angenommen, endet auf einer verhalten optimistischen Note: Im Zeitalter globaler Medien und sozialer Netzwerke seien Schauprozesse kaum noch glaubwürdig umzusetzen, obschon es an Versuchen nicht mangele. Auch wenn dahingestellt sein mag, wie glaubhaft die Moskauer Prozesse 1936–1938 – gewissermaßen der Archetyp des Genres – seinerzeit tatsächlich wirkten, verweist die Aussage auf eine grundsätzliche Weichenstellung in Katharina Werz’ Arbeit: Zum Schauprozess wird ein Verfahren erst in der Praxis, nicht bereits in der Planung. Das ist eine pointierte, aber zugleich nicht unproblematische Auslegung, bedeutet dies doch, dass Schauprozesse glücken müssen (was letztlich auf die Erwartungen der Planer zurückverweist).
Werz verfolgt ihr Argument zunächst theoretisch und konzeptionell, dann in empirischen Fallstudien. In einem ersten Teil werden zentrale Begriffe wie politische Justiz, politische Prozesse und Schauprozesse unter Rückgriff auf Otto Kirchheimers grundlegende Studie1 hergeleitet und quasi als zunehmend spezifisch charakterisiert. Mit anderen Worten, politische Justiz erschöpft sich nicht in politischen Prozessen und nicht jeder politische ist notwendig auch ein Schauprozess. Dass Wirkungskraft wie Verfahrensgegenstand Gerichtsverfahren gleichermaßen zu politisieren in der Lage sind und dass ohnehin der Glaube an gänzlich unpolitische Justiz ein gewisses Maß an juristischer Autosuggestion enthält, ist Werz bewusst. Dennoch erscheinen ihre konzeptionellen Überlegungen nicht durchweg hinreichend klar und empirisch operationalisierbar: Der „Schauprozess als Strafprozess, bei dem eine gelenkte Judikative im Rahmen eines diktierten, inszenierten Handlungsablaufs unter Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip vor ausgesuchtem Publikum den/die Angeklagte(n) zu einer unverhältnismäßigen Strafe verurteilt, während durch Propagandamaßnahmen die Öffentlichkeit genutzt wird, um bei der Bevölkerung eine bestimmte Wirkung hervorzurufen“ (S. 272), ist unnötig eng gefasst. Andererseits stehen als Beispiele für „politische Prozesse“ die bundesverfassungsgerichtlichen Urteile Lüth und Hartz IV neben dem von der Union angestrengten Normenkontrollverfahren gegen den Grundlagenvertrag 1972 und Gerhard Schröders Klage ob seiner vermeintlichen Haarfarbe – so breit verstanden, bleibt der heuristische Mehrwert des Begriffs beschränkt.
Keiner dieser Prozesse qualifiziert als Schauprozess in Werz’ Untersuchung, die stattdessen ein Sample von sieben Verfahren wählt: zunächst in Elfjahresschritten den Prozess gegen die Mörder Walther Rathenaus 1922, den Reichstagsbrandprozess 1933 und die Volksgerichtshofverfahren gegen Mitglieder des 20. Juli 1944, dann je zwei Prozesse aus DDR (Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen (UFJ) 1952, Robert Havemann 1979) und BRD (Stammheim 1975–1977 sowie das zweite Mauerschützen-Verfahren gegen Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrats 1992–1993). Jedes dieser Verfahren wird anhand eines Rasters untersucht, das nach Herrschaftsform, Rechtsgebiet, beabsichtigter Wirkung, gelenkter Judikative, Verfahrensablauf, Öffentlichkeit, Publikum, Strafmaß, Propaganda und Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips fragt. Das hat den Vorteil einer gut nachvollziehbaren Gliederung und leichter Orientierung, zieht aber zugleich die Schwierigkeiten systematischer Abgrenzung nach sich, die etwa zwischen Publikum, Öffentlichkeit und Propaganda oft unklar bleibt, während Kategorien wie Herrschaftsform (Demokratie vs. Diktatur) und Rechtsgebiet (durchweg strafrechtlicher Natur) so offensichtlich sind, dass sie analytisch nicht weiterhelfen. Zentrale Aspekte wie Verfahrenslenkung (mithin beeinträchtigter Gewaltentrennung) und Prozessabsicht hingegen bleiben in den Fallstudien oft verschwommen, da Werz – mit Ausnahme des UFJ-Falls, eine der interessanten Passagen des Buchs – nicht auf Archivquellen zurückgreifen kann, sondern sich mit journalistischer und Erinnerungsliteratur behilft, deren Probleme aber oft nur unzureichend reflektiert. Was die jeweiligen Beteiligten, insbesondere Regierungen, Sicherheitsdienste und Gerichte, wirklich wollten und wie sie dies umsetzten, lässt sich auf der vorhandenen Materialbasis nur partiell ermessen.
Die Ergebnisse überraschen daher allenfalls in Teilen. Dass die rechtsstaatlich verfasste Bundesrepublik nicht übermäßig zu Schauprozessen neigt(e), leuchtet ein – und im Stammheimer Fall mag Werz über moderate, selbst zitierte Kritik an „‚Merkwürdigkeiten‘“ (S. 250) nicht hinausgehen. Dass umgekehrt weder das „Dritte Reich“ noch die DDR derlei Inhibitionen hatten, ist ebenso plausibel – spannender wäre hier die Frage gewesen, wann und warum sich die Regime für Geheim-, wann für öffentliche Verfahren entschieden. Und ob etwa Havemanns Devisenstrafrechtsfall tatsächlich einen Schauprozess darstellte, erscheint nach Werz’ eigenen Kategorien zumindest zweifelhaft – der am Ende eingeführte, vom BGH geprägte Begriff des „Drehbuch-Falls“ beschreibt die so offenkundig gescriptete Farce in Fürstenwalde möglicherweise besser.
Interessanter sind eine Reihe kleinerer Beobachtungen, etwa dazu, wie das NS-Regime gleich zweimal daran scheiterte, einen durchschlagenden Erfolg im Gerichtssaal zu erzielen: 1933 am „komplexe[n] Rätsel“ (S. 276) der Brandentstehung sowie an Marinus van der Lubbes Auftreten vor Gericht, 1944 am Unvermögen des „kreische[nden]“ (S. 161) Roland Freislers, die Façon und damit auch den Anschein zu wahren. Für Stammheim konstatiert Werz, nicht die Anklage, sondern vielmehr Angeklagte und Verteidiger hätten größere und erfolgreichere Anstrengungen unternommen, das Verfahren als Plattform zu nutzen – eine keineswegs unbekannte Praxis, wie Henning Grunwald für die „politischen Anwälte“ der Weimarer Jahre gezeigt hat.2
Am Ende bleibt unklar, wie hilfreich der Begriff des Schauprozesses überhaupt ist: Benennt er bloß eine Wahrnehmungs- und Beschreibungs- oder auch eine analytische Kategorie? Und wie verhält er sich zu konkurrierenden Termini wie Scheinjustiz bzw. zu konkreteren Konzepten wie Verfahrensgerechtigkeit, Waffengleichheit oder Rechtsbeugung? Seine argumentative, diskreditierende Wucht jedenfalls wird der „Schauprozess“-Vorwurf auf absehbare Zeit kaum einbüßen.
Anmerkungen:
1 Otto Kirchheimer, Political Justice. The Use of Legal Procedure for Political Ends, Princeton 1961.
2 Henning Grunwald, Courtroom to Revolutionary Stage. Performance and Ideology in Weimar Political Trials, Oxford 2012. Vgl. auch Hubert Seliger, Politische Anwälte?. Die Verteidiger der Nürnberger Prozesse, Baden-Baden 2016.