Cover
Titel
Hypatia. The Life and Legend of an Ancient Philosopher


Autor(en)
Watts, Edward J.
Reihe
Women in Antiquity
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 205 S.
Preis
£ 22,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, München

Auch wenn die literarische Hinterlassenschaft von bzw. über antike Persönlichkeiten einen klaren Einfluss auf das Interesse der Nachwelt an ihnen hat, kommt es immer wieder vor, dass Personen, über die wenig überliefert ist, dennoch über Jahrhunderte hinweg im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Eine dieser Personen ist die spätantike Philosophin Hypatia von Alexandria, zu der in letzter Zeit gleich mehrere Monographien erschienen sind.1 Der Autor der hier zu besprechenden (wohl nicht nur für ein rein wissenschaftliches Publikum gedachten) biographisch ausgerichteten Darstellung, Edward Jay Watts, ist bereits durch eine Reihe von Publikationen zum spätantiken Alexandria (S. 200) hervorgetreten, deren Ergebnisse er mit Gewinn in seine Darstellung einfließen lässt.

Das Werk besteht aus zehn Kapiteln: Nach einigen einleitenden Worten (S. 1–5) wird zunächst ein Überblick zur Stadtgeschichte Alexandrias geboten (S. 7–19). Das Kapitel zu Kindheit und Ausbildung (S. 21–35) bietet nicht ganz das, was man auf den ersten Blick erwarten mag, da nicht die frühen Jahre Hypatias behandelt werden (dafür existieren auch keine Quellen), sondern allgemeine Ausführungen zur Ausbildung von Frauen der oberen Klassen in der Antike sowie zu einigen wichtigen Werken der antiken Bildungsgeschichte, den Werken Hypatias und der Rolle der Mathematik in der Antike erfolgen. Mit Hypatia beschäftigt sich dann erst das dritte Kapitel (S. 37–50), das die Übernahme der Schule ihres Vaters Theon in Alexandria und ihre christliche Schülerschaft thematisiert. Danach folgt wieder ein allgemeineres Kapitel (S. 51–62) zur Konkurrenz der Schulen der Hypatia und ihres Zeitgenossen Plutarch von Athen, zu einigen weiteren zeitgenössischen Philosophen und zu den Maßnahmen Theodosius’ I. gegen die Heiden.

Im fünften Kapitel (S. 63–78) wirft Watts einen Blick auf den Unterricht und die Schülerschaft der Hypatia und gelangt zu der Schlussfolgerung, dass Hypatias Vorträge in Alexandria öffentlich waren, daneben aber auch eine kleine geschlossene Gruppe von ausgewählten Studenten existierte. Die Beziehungen der Schüler Hypatias untereinander sieht er als von weitgehender Loyalität geprägt an. Wiederum allgemeineren Charakters sind die Kapitel zur gesellschaftlichen Rolle des Philosophen in der Spätantike (S. 79–92), die am Beispiel des Themistios und des Synesios dargelegt wird, sowie zu vier spätantiken Philosophinnen (S. 93–106), die mit Hypatia verglichen werden; Watts nimmt dabei Pandrasion von Alexandria, Sosipatra von Pergamon, die namentlich nicht bekannte Frau des Maximos von Ephesos und Asklepigenia von Athen, die Tochter Plutarchs, in den Blick. Im achten Kapitel (S. 107–120) wird mit dem Mord an Hypatia der bekannteste Aspekt in ihrem Leben behandelt. Laut Watts plante die christliche Menge nur eine lautstarke Einschüchterungsaktion, die aber dadurch, dass die Menge Hypatia auf offener Straße antraf, ausartete und ihren Tod zur Folge hatte. Die letzten beiden Kapitel widmen sich der Rezeptionsgeschichte. Zunächst (S. 121–134) wird die Darstellung Hypatias in den antiken und byzantinischen Quellen analysiert, die ihren Tod durchgehend als Wendepunkt erachten. Daraufhin (S. 135–147) bietet Watts Ausführungen zur neuzeitlichen Rezeptionsgeschichte, die sich vor allem mit den als Verteidigung oder Kritik der Kirche konzipierten Schriften im Britannien und Frankreich des 18. Jahrhunderts befassen, aber auch die neuere Zeit und eine breite Palette an Quellen (Malerei, Fotografie und Film) abdecken. Es folgen eine kurze Zusammenfassung (S. 149–155), Anmerkungen (S. 157–190), eine Bibliographie (S. 191–200) und ein Register (S. 201–205).

Eine grundlegende Schwierigkeit des Buches ist die Problematik des Materials. Die Quellen zu Hypatia berichten nur sehr wenig und hauptsächlich über ihren Tod. Daher kann Watts auch keine richtige Biographie, sondern eher ein Werk über Philosophie und Bildungswesen zur Zeit Hypatias mit dem Schwerpunkt auf Alexandria vorlegen. Davon abgesehen ist das Buch jedoch sehr gelungen. Watts ist ein hervorragender Kenner der Materie und versteht es, seine Erkenntnisse in lesbarer Form vorzulegen. Da offensichtlich keine streng wissenschaftliche Darstellung beabsichtigt ist, wird oft Bekanntes ausführlich dargelegt, doch nie in langweilender oder ermüdender Form. Zudem finden sich immer wieder für weitere Forschungen nützliche Beobachtungen. So wird beispielsweise auf die sozial- und wirtschaftshistorischen Hintergründe der Mordtat hingewiesen (S. 114f. mit S. 182, Anm. 31–35): Die Menschenmenge, die dann Hypatia töten sollte, fand sich im März zusammen. Zu dieser Jahreszeit stand der Betrieb im Hafen noch weitgehend still, so dass die zahlreichen Hafenarbeiter auf Spenden angewiesen waren, die nicht zuletzt vom Bischof kamen, dem sie verpflichtet waren und sich daher an der Aktion gegen die Heidin beteiligten.

Manchmal hätte es dem Werk gutgetan, wenn es etwas weniger aus moderner Perspektive geschrieben worden wäre, durch die das (weitgehend gerechtfertigte) positive Urteil über Hypatia (S. 4f.) zuweilen über das Ziel hinausschießt. So stellt Watts fest, die Überlieferung zu Hypatia sei „almost entirely written by men, and it is interested in telling only the stories that appealed most directly to male authors“, die „did not understand the particular obstacles prominent women faced“ und „all of them cared little about the daily courage she showed“ (S. 5). Erstens sind die Berichte nicht so einförmig, dass von spezifisch männlichen Auswahlkriterien die Rede sein könnte; zweitens gibt es genug antike Persönlichkeiten, über die nur wenige Informationen erhalten sind, was auf einen aus heutiger Sicht fragwürdigen Prozess der Auswahl der Informationen zurückgeht; drittens dürfte jede Person des öffentlichen Lebens in einer turbulenten Großstadt wie Alexandria, in der auch der damalige Präfekt Orestes heftige Angriffe ertragen musste, nicht ohne „daily courage“ ausgekommen sein. Mit Blick auf die Schilderungen über Hypatias Schönheit und die Betonung ihrer Jungfräulichkeit stellt Watts fest: „Hypatia also faced more subtle forms of discrimination that men either did not remark on or did not even notice“ (S. 105). Dabei wird allerdings übersehen, dass die Bemerkung „it is hard to imagine a world in which people did not gossip about their sexuality“ (S. 105) ebenso wie die „endless rumors“ (S. 106) nicht nur auf Frauen wie Hypatia und Sosipatra zutreffen. Man muss nur eine der antiken Kaiserbiographien aufschlagen, um zahlreiche Details des Privatlebens, Sexualität eingeschlossen, ausgebreitet zu bekommen. Bedenkt man dann noch, dass einerseits auch Philosophen, Mönche und andere Gruppen betont enthaltsam lebten, andererseits etwa der Vorwurf der Zügellosigkeit oder gar Übergriffigkeit als Mittel der Auseinandersetzung mit weltlichen und geistlichen Regenten nicht selten war, muss man zu einem anderen Schluss kommen: Was Hypatia an Gerüchten und Vorwürfen begegnet sein mag, war nicht gegen sie als Frau, sondern als Person des öffentlichen Lebens in einer Großstadt, die von einer gewissen Spottlust nicht ganz frei war, gerichtet. Wenn zuletzt Watts die Vorwürfe des Pappos gegen die Thesen der Pandrosion als Indiz für die Geringschätzung weiblicher Philosophinnen anführt (S. 106), so widerspricht er sich damit selbst, da er diese Kritik S. 95 noch mit der Rivalität der beiden Schulen erklärt.

Obwohl Watts sehr gute Kenntnisse der internationalen Forschungsliteratur besitzt, wird das in der Literaturliste, in die Titel in englischer Sprache bevorzugt aufgenommen wurden (S. 178, Anm. 47 und S. 197 wird sogar eine in Vorbereitung befindliche Dissertation zitiert), nicht deutlich. So ist beispielsweise keine einzige Publikation von Lacombrade angeführt, der den Artikel zu Hypatia im Reallexikon für Antike und Christentum (der wie der RE-Artikel unbeachtet bleibt) verfasste, und auch sonst wäre manche Fehlstelle zu bemerken.2 Obwohl sich mancher Einwand im Detail ergab, kann das gut geschriebene und kompetente Buch, dessen Lektüre ebenso unterhaltsam wie lehrreich ist, nur empfohlen werden.3

Anmerkungen:
1 Henriette Harich-Schwarzbauer, Hypatia, Frankfurt a.M. 2011 (dazu der Rezensent, in: H-Soz-Kult, 09.07.2012, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-18826>); Charlotte Booth, Hypatia. Mathematician, philosopher, myth, Stroud 2017 (unterdurchschnittlich). Silvia Ronchey, Ipazia. La vera storia, Mailand 2010 (nicht bei Watts verwendet) soll demnächst in einer englischen Fassung erscheinen.
2 Christian Lacombrade, Hypatia, in: Reallexikon für Antike und Christentum 16 (1994), Sp. 956–967. Vgl. etwa Jean Rougé, La politique de Cyrille d’Alexandrie et la meutre d’Hypatie, in: Cristianesimo nella storia 11 (1990), S. 485–504; Elena Gajeri, Ipazia: un mito letterario, Roma 1992; Richard Klein, Die Ermordung der Philosophin Hypatia, in: Atti dell’Accademia Romanistica Costantiniana. XI convegno internazionale in onore di Felix B. J. Wubbe, Napoli 1996, S. 509–524 (Neudruck in: Richard Klein, Roma versa per aevum, Hildesheim 1999, S. 72–90); Luciano Canfora, Cirillo e Ipazia nella storiografia cattolica, in: Anabases 12 (2010), S. 93–102; Cara A. Minardi, Re-membering ancient women. Hypatia of Alexandria and her communities, Diss. Georgia State University 2011; Sara Van Hoecke, Hypatia van Alexandrië, een receptiegeschiedenis, Master-Arbeit Gent 2012/13 (<http://www.ethesis.net/Hypatia/Hypatia.pdf>); Jordi Morillas Esteban, En busca de Hypatía. Análisis e interpretación de las fuentes tardoantiguas conservadas en torno a la maestra alejandrina, in: Daimon 62 (2014), S. 157–163; Ari Belenkiy, The Novatian „indifferent canon“ and Pascha in Alexandria in 414. Hypatia’s murder case reopened, in: Vigiliae Christianae 70 (2016), S. 373–400; Pia Carolla, New fragments of Priscus from Panion in John Malalas? Issues of language, style and sources, in: Laura Carrara / Mischa Meier / Christine Radtki-Jansen (Hrsg.), Die Weltchronik des Johannes Malalas. Quellenfragen, Stuttgart 2017, S. 137–153 (hierzu S. 142f.). Daneben wird S. 184, Anm. 12 die neuere Forschung zu Philostorgios weitgehend ignoriert.
3 An kleineren Versehen wäre noch zu korrigieren: S. 32, Z. 18 „Nichomachus“ statt sonst „Nicomachus“; S. 38, Z. 3 von unten sind sämtliche Leerzeichen ausgelassen; S. 46 ergibt der erste „While“-Satz so keinen Sinn; die S. 116 geschilderten Ereignisse fanden nicht 248 n. Chr., sondern unter Decius (249–251) statt; der S. 184, Anm. 13 zitierte Beitrag stammt nicht von Alan, sondern von Averil Cameron. Bei den fremdsprachigen Literaturangaben sowie den modernen Namen in Anmerkungen und Literaturliste treten immer wieder Verschreibungen auf (so wird Henriette Harich-Schwarzbauer häufig, aber nicht durchgehend „Harich-Schwartzbauer“ genannt). Siehe jetzt auch Aistė Čelkytė, in: Bryn Mawr Classical Review Oktober 2017, Nr. 7 (<http://bmcr.brynmawr.edu/2017/2017-10-07.html>).

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