Das Reformationsjubiläumsjahr 2017 brachte eine nahezu unüberschaubare Fülle an Publikationen hervor. Hierzu trugen auch Ausstellungskataloge zahlreicher musealer Veranstaltungen bei. Ein sehr gelungenes Exemplar stellt ein von Ruth Slenczka herausgegebener Band dar, der wie die gleichnamige Ausstellung, die vom 8. September 2017 bis zum 21. Januar 2018 im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte stattfand, vor allem auf die Folgen der Reformation Luthers für diese Gebiete konzentriert. Der gute Eindruck entsteht auch durch die hohe Anzahl und Qualität der Bilder, die in dem Band abgedruckt sind. Viele Beiträge stammen von ausgewiesenen Expert/innen aus dem Feld der Reformationsgeschichte.
Der Band besteht aus zwei Teilen: Im ersten allgemeineren, weniger auf die Region fokussiertem Abschnitt wird in drei Beiträgen das Oberthema Freiheit bei Luther aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Notger Slenczka untersucht Luthers Freiheitsverständnis und verortet es dabei in der neuzeitlichen Freiheitstradition. Luther habe festgehalten, dass man auch im leiblichen Gefängnis frei sein könne, „denn das Äußerliche hat keine Auswirkung auf die Seele und macht sie nicht heilig“ (S. 28). Beeinflussbar sei die Seele nicht durch körperliche Dinge, sondern allein durch das Wort. Darin sei ihre Freiheit begründet. Das Verständnis der Worte liege dabei nicht allein in der Macht des Menschen, sondern sei unverfügbar. „Dass jemand versteht, ereignet sich durch Worte und ist unverfügbar, selbstverständlich, aber ein Wunder“ (S. 29). In der Reformation angelegt sei die Überzeugung, dass von Menschen nicht blinder Gehorsam verlangt werden dürfe, sondern sie vielmehr überzeugt und motiviert werden müssten. Am Ende seiner Ausführungen hält Slenczka treffend fest: „Freiheit ist für Luther die Befreiung aus der Notwendigkeit, sich Anerkennung durch Leistung zu verschaffen, und die Einzeichnung in einen Lebensvollzug, in dem das Handeln aus dem Bewusstsein kommt, sich dadurch keine Anerkennung verschaffen zu können, aber auch nicht zu müssen“ (S. 31).
Der zweite Beitrag von Thomas Kaufmann bietet faszinierende Einblicke in Luthers Freiheitsschrift als „publizistisches Phänomen und theologisches Programm“. Luther habe im Herbst 1520, nach der im Juni promulgierten Bannandrohungsbulle Exsurge Domini, „um sein physisches und – so war er überzeugt – um der Christenmenschen geistliches Überleben“ geschrieben. (S. 44) Dies belege die große Anzahl an Schriften. Die Besonderheit der Freiheitsschrift habe darin bestanden, dass Luther sie zugleich in deutscher und lateinischer Sprache verfasst und die Abfassung der Schriften auf einen Zeitpunkt vor der Promulgation der Bulle datiert habe. Nicht zuletzt wurden die deutsche und die lateinische Fassung unterschiedlich publizistisch akzentuiert. Detailliert beschreibt Kaufmann den Entstehungshintergrund der Freiheitsschrift. Luther habe es vermocht, in der Freiheitsschrift seine maßgeblichen Reformvorstellungen zu bündeln, mit unterschiedlichen Akzenten in den einzelnen Sprachen. „Im Lateinischen erschien der Reformator insgesamt gesprächsbereiter, weniger kompromisslos, humanistischen Lesern gemäßer als dies spätestens seit der Adelsschrift in der volkssprachlichen Publizistik der Fall war“ (S. 52). Die Verbindung des zentralen theologischen Anliegen Luthers, die Rechtfertigung aus dem Glauben allein, mit dem schon zeitgenössisch vielschichtigem und reizvollem Begriff der Freiheit, trug nicht unwesentlich dazu bei, „dass eine wirkungsmächtige, vielfältige und widersprüchliche reformatorische Bewegung entstand“ (S. 53). James Hirstein rekonstruiert dann im dritten kürzeren Abschnitt anhand der Schlettstädter Druckvorlage von Luthers Freiheitsschrift die publizistischen Netzwerke der Reformation.
In den zweiten Abschnitt „Reformation und Freiheit in Preussen und Brandenburg“ führt Andreas Stegmann ein, der 2017 eine Reformationsgeschichte der Mark Brandenburg verfasst hatte. Es folgen vier thematische Unterabschnitte zu unterschiedlichen politischen, sozialen und kulturellen Dimensionen des Verhältnisses von Reformation und Freiheit am Beispiel der Region, in denen in kurzen Beiträgen Exponate vorgestellt und historisch eingeordnet werden. Aus den rund 30 Darstellungen seien einige hier kurz vorgestellt. Der erste Unterabschnitt widmet sich dem Thema „Frei vom Papst – Kirche in Laienhand.“ Anhand des Gebetsbuchs der Herzogin Dorothea, das unter dem Titel „Feuerzeug Cristenlicher andacht“ 1536 erschien, zeigt der Basler Kirchenhistoriker Martin Keßler, wie sich hier das laienchristliche Engagement des Herzogs Albrecht, den Dorothea zur Erstellung und Drucklegung aufforderte, in materialer Form verdichtete. Die Kompilation des Gebetbuches hatte Dorothea angeregt; frühreformatorische Gebetsliteratur fand demnach auch auf höchster politischer Ebene große Aufmerksamkeit und wirkte über diese in andere Gruppen hinein. Auf dieses handschriftliche Gebetbuch, das gewissermaßen für den Privatgebrauch in der Herzogsfamilie gedacht war, folgte eine sehr erfolgreiche Drucklegung mit unter anderem sechs Nürnberger und acht Leipziger Ausgaben. Keßler hält abschließend fest: „In seiner Entstehungs- und Wirkungsgeschichte erhellt das ausgestellt Feuerzeug das lebenspraktische Bemühen um eine evangelische Frömmigkeitskultur von Laien für Laien“ (S. 108). Hier wäre es, wie an vielen anderen Stellen auch, erforderlich, auf eine tiefere Erschließungsebene der Gegenstände und ihre inhaltlichen Implikationen zu gelangen. Angeregt wird man als interessierte/r Leser/in aber allemal.
Der Tübinger Historiker Philip Hahn zeigt anhand der imposanten Wilsnacker Glocke, die durch die Reformation angestoßene Entwicklung vom „Heiligenlob zum klanglichen Ausdruck kurfürstlicher Macht“ (S. 111). Die Glocke sollte ursprünglich der Entwicklung Wilsnacks zum überregionalen Wallfahrtsort Ausdruck verleihen, wurde dann aber von Kurfürst Joachim II. nach Berlin transportiert, ebenso wie die übrigen Besitztümer der ehemaligen Wallfahrtskirche. Der Kurfürst machte sie zu einem Repräsentationsorgan seiner kurfürstlichen Macht im Allgemeinen, sie diente aber auch als Symbol für den unter ihm erfolgenden Ausbau des landesherrlichen Kirchenregiments. Spannend sind Hahns Hinweise darauf, dass sich im Zuge der Reformation auch die Klangwelten der Menschen veränderten.
Die nächsten beiden Unterabschnitte beschäftigen sich mit den Themen „Souveränität – Politische Autonomie“ und „Aufstand – Widerstand – Rebellion“. Cordelia Heß erörtert am Beispiel eines slawischen Hakenpflugs den wenig bekannten samländischen Bauernaufstand aus dem Jahr 1525. Albrecht Beutel exemplifiziert anhand von Luthers Brief an den Fehdeführer Hans Kolhase die „Tragweite und Tragik reformatorischer Seelsorge“, während Nadine Jaser am Beispiel eines Porträts des reformierten Hofpredigers Martin Füssel den Berliner Tumult von 1615 diskutiert. Der letzte thematische Unterabschnitt weitet den Horizont anhand des Beispiels „Recht auf eigene Religion“ aus. Felix Escher exemplifiziert hier die Situation der Jüdinnen und Juden in Brandenburg am Beispiel von Einblattdrucken zur Hinrichtung eines jüdischen Münzmeisters namens Lippold. An diesem prägnanten Beispiel zeigt sich, wie die Neubelebung von Stereotypen gegenüber dem Judentum im Verlauf der Reformation vonstattenging und damit eine Brücke zum Antijudaismus des Mittelalters geschlagen werden konnte. Ein besonders faszinierendes Beispiel ist die von Hartmut Kühne vorgestellte Feuerschale einer in Wilsnacker veranstalteten Hostienverbrennung. 1552 war der evangelische Prediger Joachim Ellefeld in die Kapelle der Wilsnacker Kirche eingebrochen, in der die Wunderhostien aufbewahrt wurden und verbrannte sie in einem Kohlebecken. Diese Tat, wie auch die sich im Folgenden daraus entwickelnden Auseinandersetzungen, bieten einen Blick auf die „Schattenseiten“ der Reformation, die sonst im Band eher etwas zu kurz geraten sind.
Der bildgewaltige Band setzt Maßstäbe für die Verbindung von historischer Analyse und materieller Kultur und zeigt wie fruchtbar und anregend diese Verbindung gestaltet werden kann. Der hier besprochene Band bestätigt einmal mehr, dass die materielle Kultur nicht nur zu Illustrationszwecken herangezogen werden sollte. Vielmehr ist sie als Indikator wie Faktor historischer Veränderungen selbst ein wichtiger Forschungsgegenstand.