Bei der Erforschung der Eheverbindungen des Welfenhauses im Spätmittelalter eröffnet sich ein „Panorama von Brüchen und Neuanfängen politischer wie dynastischer Art“ (S. 3). Dieses Ergebnis nimmt Frederieke Maria Schnack gleich zu Beginn ihrer Masterarbeit vorweg, die in leicht überarbeiteter Form 2016 in der Reihe A der Kieler Werkstücke veröffentlicht wurde. Für diese Studie diente ihr ein Aufsatz zur Heiratspolitik des Alten Hauses Lüneburg gewisser Maßen als Probelauf.1
Nach der Einleitung und der Eingrenzung der methodischen Ansätze (S. 1–9) schließt sich ein Überblickskapitel an, in welchem Schnack auf die Ausgangssituation der Welfendynastie nach dem Sturz Heinrichs des Löwen und der Zerschlagung des Herzogtums Sachsen 1180 eingeht (S. 11–23). So lasse sich an der Doppelwahl von 1198 erkennen, dass die Welfen im Reich schon eine Generation später wieder als königsfähig angesehen wurden (S. 15) und Heinrichs Sohn Otto zum römisch-deutschen König gewählt werden konnte. Der kurzfristige Erfolg seines Kaisertums sowie die Stellungen seiner Brüder als Pfalzgraf bei Rhein und als Herzog von Lüneburg hätten aber den Rang der Welfen nicht dauerhaft wiederherstellen können, so dass sich das Herrschaftsgebiet des Hauses bereits eine Generation später unter Otto dem Kind allein auf ein kleines Gebiet um Braunschweig konzentriert habe (S. 17–19). Otto habe ab 1229 eine Herrschaftskonsolidierung verfolgt und sechs Jahre später die Wiederaufnahme in den Reichsfürstenstand erreichen können (S. 21–23).
Von diesem Ausgangspunkt zeigt Schnack in den Kapiteln des Hauptteiles die Heiratspolitik der Welfen in den durch Landesteilungen entstandenen Linien. Schnack nutzt für ihre Analysen das von Oliver Auge2 entwickelte Konzept der Handlungsspielräume, welches ein hervorragendes Mittel sei, um Rangveränderungen und Entwicklungen einer Dynastie abzubilden (S. 4). Das Konzept sehe zugleich eine quantifizierende und qualifizierende Untersuchung des Konnubiums nach Generationen vor (S. 9).
Im noch ungeteilten Haus Braunschweig-Lüneburg habe es durch die Ehe Ottos mit Mechthild von Brandenburg zehn Kinder gegeben (S. 25). Schnack konstatiert hier für die ersten beiden Generationen nach Wiedererlangung der Herzogswürde, dass durch die Ehen zur Friedenssicherung ein dichtes Bündnissystem im norddeutschen Raum geschaffen wurde (S. 32). Zugleich habe Otto drei seiner Töchter mit Reichsfürsten verheiraten und im Fall seiner Tochter Elisabeth gar eine Ehe mit dem Gegenkönig Wilhelm von Holland erreichen können, was ihm die Möglichkeit gegeben habe, sich als hochadelige Dynastie zu präsentieren (S. 52).
Für die nachfolgenden Generationen des Hauses Braunschweig stellt Schnack bis zum Ausgang des Mittelalters insgesamt 33 Eheverbindungen fest, von denen 23 im fürstlichen Stand (69,7 Prozent) und die übrigen im Stand von Grafen oder Herren geschlossen worden seien (S. 57). Die Gründe seien auf die begrenzten finanziellen Möglichkeiten der Familie zurückzuführen, so dass auch unter dem eigenen Stand verheiratet wurde (S. 103). Besonders auffallend ist die häufige Verheiratung zwischen Braunschweig und Hessen, wobei gern die landgräflichen Töchter mit Welfensöhnen verheiratet wurden. Hier kommt Schnack zu ähnlichen Ergebnissen wie die Untersuchungen von Peter Moraw, wonach im Spätmittelalter beide Häuser eher am unteren Ende des Reichsfürstenstandes angesiedelt und daher gleichrangig gewesen seien.3 Verbindungen zwischen beiden Häusern hätten demnach zu standesgemäßen Ehen geführt (S. 64–66).
Für die welfische Teillinie Grubenhagen kommt Schnacks Untersuchung zu anderen Ergebnissen. Der Anteil fürstlicher Ehen lag hier nur noch bei 50 Prozent (S. 107). Gleichzeitig stechen zwei Heiratsprojekte aus der Gesamtmenge heraus. So gelang es in einem Fall, eine Verbindung mit dem zypriotischen Haus Ibelin einzugehen. In einem zweiten Fall wurde eine Ehe mit dem künftigen byzantinischen Kaiser Andronikos III. arrangiert. Bei diesem Beispiel gelingt es Schnack eindrucksvoll zu zeigen, dass die Gründe für dieses Arrangement in einer älteren Eheverbindung des Hauses Braunschweig-Lüneburg mit den Markgrafen von Montferrat zu suchen sind, die wiederum bereits in das Haus der Palaiologen eingeheiratet hatten. Offenbar standen die beteiligten Familien in Kontakt zueinander und den Byzantinern erschienen die mit den englischen Königen verwandten Welfen als geeignete Heiratskandidaten (S. 117f). Zugleich kommt Schnack zu dem Schluss, dass diese beiden Heiratsprojekte zu finanziellen Engpässen führten, so dass in den folgenden Generationen unter dem Stand mit lokalen Adelsfamilien verheiratet werden musste. Erst der dynastische Zufall, bei welchem dem Haus mehrfach das Ende durch Aussterben drohte, habe zu einer Finanzkonsolidierung geführt, so dass wieder verstärkt fürstliche Hochzeiten möglich wurden (S. 131).
Für die kurze Existenz der 1345 entstandenen Teillinie Göttingen konstatiert Schnack sieben Ehen, von denen vier im fürstlichen Stand geschlossen wurden (S. 142). Die Wahlmöglichkeiten für Ehepartner sei regional sehr begrenzt gewesen und führte in der Ausrichtung des Konnubiums mehrfach nach Hessen. Da die Teillinie durch verschiedene Fehden hoch verschuldet war, sei die Höhe der Mitgift jeweils deutlich geringer als üblich ausgefallen (S. 153).
Für das Alte Haus Lüneburg kann Schnack zeigen, dass auch dort das Konnubium stärker auf Grafen und Herren ausgerichtet war, wobei der Effekt – unter dem eigenen Stand zu heiraten – bei den Damen ausgeprägter gewesen sei (S. 156). So habe Otto II. seine Schwestern ausnahmslos im Sinne seiner Bündnispolitik mit Grafen und Herren der umliegenden Dynastien vermählt (S. 165), während er bei seinen eigenen Kindern das bisherige Prestigegebot der Familie aufgab, möglichst alle Nachkommen zu verheiraten. So wurden zwei seiner drei Töchter sowie sein erstgeborener und sein letztgeborener Sohn für das geistige Leben bestimmt (S. 168). Schnack führt dies vor allem auf seinen eigenen kostspieligen Eheabschluss mit dem Haus Wittelsbach zurück (S. 179).
In den drei Generationen des Mittleren Hauses Lüneburg wurden laut Schnack nur acht Ehen geschlossen. Von den vier im fürstlichen Rang geschlossenen Ehen lassen sich je zwei Verbindungen mit kurfürstlichen Prinzessinnen und mit minderen Reichsfürsten nachweisen. Dagegen wurden vier Söhne des Hauses mit Töchtern benachbarter Grafengeschlechter verheiratet (S. 182f.). Anders als beim Alten Haus Lüneburg war es nun wieder möglich, alle heiratsfähigen Abkömmlinge zu verheiraten (S. 204).
In ihrer Schlussbetrachtung (S. 205–208) nimmt Schnack die Dynastie für ein Gesamtbild in den Blick. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass bis zur Landesteilung 1267/69 das Konnubium der Welfen ausschließlich auf Fürstenehen ausgerichtet war (S. 205). Letztendlich seien es aber die Landesteilungen und die Verwicklungen in Fehden gewesen, dass „bei allen welfischen Linien ein Absinken der Qualität des Konnubiums zu beachten“ sei (S. 207). Daher seien Ehen oft über kurze Instanzen mit Familien der näheren Umgegend geschlossen worden. Ebenso seien die Voraussetzung der welfischen Teillinien in Bezug auf die jeweilige Heiratspolitik zwar ähnlich gewesen, aufgrund individueller Probleme aber niemals identisch (S. 207f). An die Studie schließen sich ein Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 209–230), ein Abkürzungsverzeichnis (S. 231f.) sowie Tabellen und Schemata (S. 233–249) an. Insbesondere die Schemata zur räumlichen Verteilung der Heiratsverbindungen wirken innovativ und erlauben mit ihrer Darstellung der Ehen im Umkreis von 250km, 500km und darüber hinaus einen schnellen Überblick.
Die Abhandlung der einzelnen Teildynastien erfolgt chronologisch nach Generationen und ist jeweils identisch aufgebaut. Zunächst gibt Schnack eine historische Einordnung als Ausgangssituation, der sich ein kurzer Überblick über die Generationen und eine statistische Auswertung anschließen. Der ausführlichen Beschreibung der entsprechenden Eheprojekte wird eine Zusammenfassung nachgestellt. Bei ihrer Untersuchung zeigt Schnack überaus fundierte Kenntnisse der einschlägigen Quellen und der Literatur. So hat sie für ihre Arbeit die maßgeblichen Editionen herangezogen und eine Auswertung der Überlieferung in Chroniken, Annalen sowie Urkunden- und Regestenbüchern vorgenommen. Hinzu kommen die Auswertung von rund 30 Originalurkunden, die sie vor allem im Hauptstaatsarchiv Hannover eingesehen hat.
Die Studie versteht sich selbst als Überblickswerk, um über längere Zeiträume Veränderungen des Konnubiums der Welfen nachzuzeichnen. Schwieriger wird es, gezielt nach einer bestimmten Eheverbindung zu suchen. Da die Eheprojekte nach Generationen abgehandelt werden und die ansonsten sehr wertvolle Studie nicht durch ein Register erschlossen wird, werden vom Nutzer hier entsprechende Vorkenntnisse vorausgesetzt. Um den Überblick über die Mitglieder der welfischen Teillinien nicht zu verlieren, wünscht man sich beim Lesen der einzelnen Kapitel die jeweiligen Stammtafeln zur Hand, auf die im Text und im Stammtafelverzeichnis (S. 324) verwiesen wird. Im zur Verfügung gestellten Rezensionsexemplar waren diese leider nicht beigegeben, was allerdings ausdrücklich nicht der Autorin anzulasten ist. Dies schmälert den Wert der vorgelegten Arbeit in keiner Weise, da die Untersuchung hervorragend dazu geeignet ist, sich einen allgemeinen Überblick über die Heiratspolitik der Welfen im Spätmittelalter zu verschaffen.
Anmerkungen:
1 Fredericke Maria Schnack, Heiratspolitik und Handlungsspielräume. Das Konnubium der Herzöge von Lüneburg (Altes Haus), in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 86 (2014), S. 185–212.
2 Vgl. z.B. Oliver Auge, Zu den Handlungsspielräumen „kleiner“ Fürsten. Ein neues Forschungsdesign am Beispiel der Herzöge von Pommern-Stolp (1372–1459), in: Zeitschrift für Historische Forschung 40 (2013), S. 183–226; ders., Der dynastische Heiratsmarkt einer umkämpften Region. Ehen und Ehepolitik der Herzöge von Schleswig von Abel bis Adolf VIII., in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 138 (2013), S. 7–31.
3 Peter Moraw, 1292 und die Folgen. Dynastie und Territorium im hessischen und deutschen Spätmittelalter, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 129 (1993), S. 41–62; ders., Das Heiratsverhalten im hessischen Landgrafenhaus ca. 1300 bis ca. 1500 – auch vergleichend betrachtet, in: Walter Heinemeyer (Hrsg.), Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897–1997. Festgabe dargebracht von Autorinnen und Autoren der Historischen Kommission, Marburg 1997, S. 115–140.