Dies ist ein ambitioniertes Buch. Globale wirtschaftliche, kulturelle, und politische Beziehungen über 500 Jahre hinweg auf nur ca. 300 Seiten darzustellen, ist eine Herausforderung, der sich nur wenige Historiker stellen. Da unsere Ausbildung für gewöhnlich auf eine Weltregion begrenzt ist, wagen sich die Wenigsten aus dem Bereich der bekannten Sprachen und Quellen hinaus ins Unbekannte, wo ständig die Gefahr droht, Namen zu verwechseln und Ereignisse falsch einzuordnen. Man muss der Sekundärliteratur vertrauen. Wie aber weiß man, wer in Region X am besten Bescheid weiß und was der neueste Stand der Forschung zur Frage Y sei?
Preiser-Kapeller gelingt es, eine ungeheure Menge an Fakten zu kondensieren und gut lesbar zu verbinden. Das geschieht mithilfe einer etwa 500 Titel umfassenden Bibliographie, die er mit großer Genauigkeit zu einem lesenswerten und interessanten Bericht verarbeitet. In den Bereichen, mit denen ich vertraut bin (Ostasien und Buddhismus), habe ich genau hinsehen müssen, um nur kleine Unstimmigkeiten zu finden, die oft lediglich verschiedenen Konventionen der exzerpierten Sekundärliteratur zuzuschreiben sind (S. 65: „Muzong“ statt „Wenzong“ (reg. 826–840); S. 113: „Shih-yün-pao“ statt „Shi Yunbao“, „Yi Jing“ statt „Yijing“). Auch die Darstellung der Ereignisse in Indien scheint mir weitgehend zuverlässig.
Nach einer kurzen Einleitung organisiert Preiser-Kapeller seine Ausführungen in Kapiteln, die jeweils der Kommunikation der politischen Eliten, der Ausbreitung der Religionen, Menschen „neben den Eliten“, aber auch „Akteuren“ wie Waren, Krankheiten, und klimatischen Veränderungen gewidmet sind. Am Ende des Buches helfen vom Autor gefertigte Karten der geographischen Orientierung des Lesers, es fehlt jedoch ein Index. Der Einbezug von nicht-menschlichen Akteuren ist eine Stärke des Buches und verdankt sich wohl Latours Actor-Network Theory. Preiser-Kapeller verzichtet jedoch weitgehend auf eine theoretische Erläuterung seines Ansatzes. Geschichtstheorie ist, zumindest im vorliegenden Werk, kein Thema. Das ist eigentlich schade, da Preiser-Kapeller in seinem Feld für kreative Ansätze bekannt ist, so zum Beispiel in der Anwendung von historischer Netzwerkanalyse auf Fragen der byzantinischen Geschichte.
„Jenseits von Rom und Karl dem Großen“ ist ein Buch, das ich schon ob seines Ansatzes gerne preisen würde, doch fand ich die Realisierung letztendlich nicht überzeugend. Der Titel erscheint auf den ersten Blick schlüssig. Aus gutem Grund macht der Autor aber nicht den Versuch, die Ausdehnung des Begriffs „Spätantike“ auf „Afro-Eurasien“ zu rechtfertigen. Es ist nicht eingängig und wird nicht diskutiert, was eine „lange Spätantike“ in Indien oder China bedeuten könnte. Zu unterschiedlich sind die Periodisierungen der indigenen Historiographen. Damit täuscht der Begriff „Spätantike“ eine Einheit vor, die nicht gegeben ist. Der Zeitabschnitt 300 bis 800 n. Chr. mag wohl für ein deutsches Publikum einsichtig sein – so etwa zwischen Konstantin und Karl –, aber weder für Indien noch für China markieren diese Daten auch nur ansatzweise geschichtliche Wendepunkte. Auch das modische „global“ erweist sich, meines Erachtens, für vor-kolumbianische Zeiten als wenig tragfähig.
Der Leser muss also einfach akzeptieren, dass der Autor an der Zeit von etwa 300 bis 800 interessiert ist und sich den vielfältigen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen widmen will, die zwischen eurasischen Imperien dieser „Epoche“ bestanden haben. Zwingende Gründe für den Zeitabschnitt gibt es nicht und so überrascht es kaum, dass regelmäßig auch von früheren und späteren Ereignissen die Rede ist, etwa dem „Zerfall der Imperien der langen Spätantike 820–900“ (S. 57 ff.).
Das würde vielleicht nicht weiter stören, da auf globaler Ebene eine vereinheitlichende Periodisierung schlichtweg fehlt. Aber man wünscht sich schon, die thematische Bindung der Kapitel würde in ein übergreifendes Programm oder Argument münden und neue Sachverhalte oder Muster aufzeigen, anstatt bloß bekannte Fakten zu reihen. Kapitel für Kapitel jedoch wird diese Hoffnung enttäuscht. Es werden keine neuen Lehren gezogen und nur hin und wieder – wie im Titel – Parallelen verheißen, die am Ende jedoch nirgendwo hinführen. Vielmehr ist jedes Kapitel eine Tour de Force, die den Leser mit historischen Details, bald in diese bald jene Region treibt. Kaum ein Abschnitt, der in der geographischen Region beginnt, in der er endet. Im ersten Kapitel glaubt man noch, der Autor wolle den notwendigen Hintergrund für das Buch liefern, doch sind alle Kapitel strukturell ähnlich konzipiert und der Text springt ständig zwischen Regionen und Jahrhunderten.
„Jenseits von Rom und Karl dem Großen“ will eine breite Gesamtschau verschiedener Aspekte historischer Kontakte bieten, ertrinkt aber in einer Flut von Fakten. Die vergleichenden Vignetten zu Kanalbau, Polospiel oder Seidenraupen sind durchaus interessant. Es fehlt jedoch eine Forschungsfrage oder zumindest ein Narrativ, das dem Leser helfen könnte, die vielen Details einzuordnen. Welcher Leser kann sich in einem Buch, das ohne Index und chronologischen Aufbau auszukommen meint, der vielen hundert Namen und Zusammenhänge erinnern, von denen manche wiederauftauchen, andere nur einmal erwähnt werden? Jedes Kapitel und Unterkapitel quillt über von Fakten, die kaum einmal zu einem übergreifenden Bogen verbunden werden, außer eben dem, dass es um Kontakte zwischen Kulturen geht, was so neu nicht ist. Macht es wirklich Sinn, die Ausbreitung des Manichäismus, des Buddhismus in Indien und China, des frühen Christentums (unter besonderer Berücksichtigung der Assyrischen Kirche), des Zorastrismus, Hinduismus, Islams und des Judentums auf 38 Seiten fassen zu wollen? Das gedrängte Abarbeiten der verschiedenen Traditionen lässt keinen Raum für das Nachsinnen über Zusammenhänge (wo es sie denn gibt). So verharren die Schlussbemerkungen, etwa im Kapitel über Religion, bloß im allgemein Bekannten: Religion sei wie Diplomatie ein „wichtiger Faktor für die Etablierung von Fernbeziehungen“ (S. 139). Statt mit einer Unzahl weithin zugänglicher Fakten wäre dem Leser besser gedient gewesen mit der genaueren Ausarbeitung von Fragen wie der Unabhängigkeit von religiösen und politischen Netzwerken (vgl. S. 140) oder dem Verhältnis von Migration in geschichtlicher und vor- (oder un-)geschichtlicher Zeit (vgl. S. 192).
Solche – zugegebenermaßen schwierigen – Fragen werden jedoch nur selten angedacht und fast nirgends eingehend erörtert, sodass am Ende lediglich die Summe der Teile bleibt. Dank der Zahl und der Genauigkeit der Details ist die Summe jedoch durchaus beträchtlich. Obwohl nicht als Einführung konzipiert und trotz der angedeuteten Probleme, gibt „Jenseits von Rom und Karl dem Großen“ dem interessierten Leser einen reichen makro-geschichtlichen Überblick über das erste Millennium.