T. J. Meier: Widerstandsvorbereitungen für den Besetzungsfall

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Titel
Widerstandsvorbereitungen für den Besetzungsfall. Die Schweiz im Kalten Krieg


Autor(en)
Meier, Titus J.
Erschienen
Zürich 2018: NZZ Libro
Anzahl Seiten
592 S.
Preis
54 CHF
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Siegfried Weichlein, Departement Zeitgeschichte, Universität Fribourg

Dass in den meisten NATO-Staaten während des Kalten Krieges Vorsorge für die Zeit einer sowjetischen Besatzung getroffen wurde, ist seit langem bekannt. Stay-behind-Organisationen sollten etwa in Italien, Schweden oder Belgien der fremden Besatzungsmacht das Leben schwer machen.1 Das galt auch für die Schweiz, wo die Militärbehörden 1969 einen Spezialdienst einrichteten, den sie 1979 als Projekt 26 (P-26) umorganisierten. 1982 kam der außerordentliche Nachrichtendienst Projekt 27 (P-27) hinzu. Alle Widerstandsorganisationen arbeiteten von der Öffentlichkeit unbemerkt und ohne gesetzliche Grundlage. Erst durch eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) des Schweizer Parlaments wurde dies im November 1990 im Zuge der Fichen-Affäre öffentlich bekannt. Allerdings blieb der von der Landesregierung angeforderte Bericht des Richters Pierre Cornu geheim. Der Bund veröffentlichte 1991 nur eine Kurzfassung. Erst 2009 entband der Bundesrat die P-26-Mitarbeiter von ihrer Schweigepflicht.

Die an der Universität Zürich entstandene Dissertation von Titus J. Meier bringt nun Licht in die schweizerischen „Widerstandsvorbereitungen im Besetzungsfall“ und geht dabei bis 1940, also bis zu den Vorkehrungen für den Fall eines Einmarsches der deutschen Wehrmacht, zurück. Der Autor stützt sich für seine Studie auf Interviews mit Zeitzeugen und auf die P-26-Akten im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern. Erstmals entsteht so auf 500 Seiten ein präzises und quellengesättigtes Bild der Schweizer militärischen Geheimorganisationen im Kalten Krieg. Titus J. Meier geht nicht nur auf die Kleinkriegs- und Partisanenkonzepte der 1940er-Jahre, die Vorgeschichte und die Geschichte der geheimen Widerstandsorganisationen Spezialdienst, P-26 und P-27 ein, sondern schildert auch im letzten Kapitel die Aufdeckung der und die Debatte um die „Geheimarmee“ nach 1990 in Politik und Medien. Er verfolgt dabei zwei Ziele: die detailgenaue Rekonstruktion der Widerstandsvorbereitungen, aber auch eine Kritik an dem, was er „Skandalisierungs-Crescendo“, „Skandalisierungskaskade“ (S. 425) oder „Skandalisierungstremolo“ (S. 460) nach 1990 nennt.

Der Spezialdienst und ab 1979 P-26 bildeten in Friedenszeiten Kader aus, die im Ernstfall den Widerstand organisieren sollten. Auf 2.000 Mitarbeiter angelegt, kamen der Spezialdienst und danach P-26 jedoch nicht über 500 Kräfte hinaus. Die Anfänge waren zudem wenig professionell: Mit einer guten Portion Selbstüberschätzung organisierte der erste Leiter Albert Bachmann Mitte der 1970er-Jahre ohne Wissen der Behörden in James-Bond-Manier ein Ersatzbundeshaus für den Bundesrat auf einem südirischen Landgut. 1979 organisierte das Militär die Widerstandsvorbereitungen neu. Von da an bis 1990 schulte P-26 Kader professionell in psychologischer Kriegsführung und – zusammen mit dem britischen MI6 – im Schleusen und im Umgang mit Sprengstoff sowie in nachrichtendienstlichen Techniken. Zwischen 1976 und 1990 gaben die Verantwortlichen dafür 53,4 Millionen Franken aus.

P-26 und P-27 waren geheim und arbeiteten ohne gesetzliche Grundlage. Die wurde erst im Ernstfall nötig. Vor allem aber konnten sich die Widerstandsorganisationen selbst aktivieren, was im Zentrum der späteren Kritik stand. Im „Tagesanzeiger“ schrieb Rolf Wespe am 24. November 1990: „Mit einer Geheimarmee, welche selbst bestimmte, wann sie allenfalls auch im Inneren losschlagen wollte, wurde die Freiheit unseres Staates aufs Spiel gesetzt“ (S. 450). Ausgewählte Parlamentarier und auch das Militärdepartement waren nur im Groben informiert. Es herrschte eine Kultur des Keine-Fragen-Stellens vor, die erst mit dem Ende des Kalten Krieges ihr Ende fand.

Titus J. Meier will die Quellen für sich selbst sprechen lassen, übernimmt aber damit deren Perspektive. In methodischer Hinsicht fällt auf, dass der Autor ganz ohne neuere Ansätze der Security Studies arbeitet, wie sie etwa die Copenhagen School mit dem Begriff der „securitization“, der Versicherheitlichung des öffentlichen Lebens, entwickelt hat.2 Schließlich machten die Geheimorganisationen (und die Fichen-Zuträger) immer neue Personen und Bereiche der Öffentlichkeit zum Gegenstand von Beobachtung und Verdächtigung. Diese Studie stellt die Abwehr von vermeintlichen äußeren Bedrohungen ins Zentrum, die peinlich genau auf ca. 350 Seiten nachgezeichnet wird. Leitend ist die dichotomische Perspektive von Innen und Außen, nicht jedoch die Frage nach der Versicherheitlichung in der Schweizer Gesellschaft.

Diese Perspektive leitet auch Meiers Kritik an der Skandalisierung von P-26 und besonders am PUK-Bericht von 1990. Seine kritische Antikritik daran bildet den Rahmen für die minutiöse Darstellung der Geheimorganisationen. Er wendet sich entschieden gegen den PUK-Bericht von 1990 und dessen klare Worte über den demokratie- und staatsgefährdenden Charakter der Geheimorganisationen. Meier hält dagegen: Sie seien zwar geheim gewesen, aber nicht illegal und schon gar nicht staatsgefährdend. Sein Ziel ist es, die Debatte über die „Geheimarmee“ durch eine Flut von Quellen zu versachlichen und zu entpolitisieren. In dieser Absicht druckt er im Anhang seines Buches sechs Originaldokumente ab (S. 489–497). Meiers erklärter Gegner ist die politische Linke, die schon im Visier von P-26 gestanden war. So sehr er hinsichtlich des P-26 auch um Differenzierung bemüht ist, so wenig differenziert geht er mit dem um, was er „die Linke“ nennt. Mit Blick auf die parlamentarischen Untersuchungen 1990 schreibt er: „Die Umbruchstimmung in der Schweiz, ausgelöst durch weltpolitische wie innenpolitische Umwälzungen, motivierte die Linke, die Gunst der Stunde zu nutzen und durch geschicktes Handeln auf eine Veränderung der politischen Landschaft in der Schweiz hinzuarbeiten“ (S. 426). Rolf Wespe vom „Tagesanzeiger“ und dem Sozialdemokraten Peter Bodenmann unterstellt er ein gemeinsames Ziel: „durch Skandalisierung das bestehende System [zu] destabilisieren, um ein neues zu etablieren“ (S. 451). Die Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat, die vom Spezialdienst, von P-26 und P-27 ausging, rückt so weit in den Hintergrund.

Hier rächt sich die fehlende Distanzierung von der Quellensprache und es scheint eine Hermeneutik von Bedrohung, Verdacht und Verteidigung wieder durch. Betrachtet man das P-26 aus der Perspektive der Demokratiesicherung in der Schweiz, dann blieb eine demokratisch unkontrollierte Selbstaktivierung der Untergrundorgane gegen Parlament und Regierung immer möglich. Das gestand sogar der frühere Chef des P-26 Efrem Cattelan am 24. Oktober 1990 ein, als er die Zweckmäßigkeit von Widerstandsvorbereitungen im Auftrag des Schweizer Generalstabschefs Jörg Zumstein überprüfte: Die Widerstandsvorbereitungen forderten „ein so hohes Mass an Geheimhaltung, dass sich das mit den Erfordernissen eines offenen, demokratischen Staates nicht ohne weiteres vereinbaren lässt. [...] Die Versuchung, das in einer vorbereiteten Widerstandsorganisation vorhandene Potential an Leuten, Material, Spezialwissen und Ausbildung undemokratisch und widerrechtlich einzusetzen, kann gegebenenfalls vorhanden sein“ (S. 402). Für die PUK war denn auch klar, dass die Geheimorganisationen Machtmittel von Personen waren, die keiner demokratischen Kontrolle unterstanden. Die Skandalisierung der Widerstandsorganisationen war – in Titus J. Meiers eigenen Worten – „möglich geworden, da der Preis für die langjährige strikte und erfolgreiche Geheimhaltung eine schwache politische Legitimation war“ (S. 473).

Angst und die Verdächtigung von „potentiell staatsgefährlichen“ Personen hatten schon zu den 900.000 Fichen geführt, die bereits vor dem P-26 aufgedeckt worden waren. Die Einschätzung, wer potentiell gefährlich sein könnte, blieb Organen außerhalb der Kontrolle von Parlament und Regierung überlassen. Wie sie mit dieser Verantwortung umgehen würden, war unbekannt und entzog sich bis 1990 der rechtsstaatlichen Überprüfung. Meiers Versuch, die Debatte um die „Geheimarmee“ zu entpolitisieren, ist daher nur eine Scheinversachlichung. Eine echte Versachlichung hätte einen Vergleich mit anderen gleichgerichteten Organisationen von Italien bis Schweden und Norwegen erfordert, die in dieser Studie freilich schon im Ansatz unterbleibt.

Anmerkungen:
1 Erich Schmidt-Eenboom / Ulrich Stoll, Die Partisanen der NATO Stay-Behind-Organisationen in Deutschland 1946–1991, Berlin 2016; Paul L. Williams, Operation Gladio. The Unholy Alliance between the Vatican, the CIA, and the Mafia, Amherst, New York 2015.
2 Eckart Conze, Securitization. Gegenwartsdiagnose oder historischer Analyseansatz?, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 453–467; Barry Buzan u.a., Security. A new framework for analysis, Boulder, Colorado 2013.

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