Das Verhältnis von Politik und Medien zählt seit vielen Jahren zu den kanonischen und zugleich dynamischsten Forschungsfeldern der Mediengeschichte.1 In jüngster Zeit sind dabei die Entstehungsbedingungen und Auswirkungen der globalen Konkurrenzen und Ungleichgewichte im Nachrichtenverkehr im Zeitalter des Imperialismus in den Fokus der Forschung gerückt.2 Mit steigendem Interesse an den politischen und ökonomischen Netzwerken hinter der Herstellung und Verbreitung von Nachrichten sind erste Studien zur Rolle von Zeitungsimperien und Nachrichtenagenturen und deren Exponenten – Reportern und Auslandskorrespondenten – entstanden.3
Heidi Tworeks glänzend geschriebene Studie folgt diesem Trend. Am Beispiel der deutschen Nachrichtenagenturen zwischen 1900 und 1945 rekonstruiert sie die hochfliegenden Erwartungen, fatalen Fehleinschätzungen und herben Enttäuschungen jener politischen und industriellen „Eliten“, die ab dem Ende des 19. Jahrhunderts Nachrichten als Vehikel eines aggressiven imperialen Expansionskurses und als Werkzeug außen(wirtschafts)politischer Interessen zu verstehen begannen. Tworeks Studie schildert diesen „neuen Kurs“ der Nachrichtenpolitik in erhellender Weise als Sinnbild des deutschen Ringens um die Kontrolle des weltweiten Nachrichtenverkehrs zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Dadurch wirft sie zugleich neues Licht auf einen Bereich der Mediengeschichte, der lange im Schatten der unvermeidlichen Meistererzählung von der angloamerikanischen Dominanz im Nachrichtenverkehr des 20. Jahrhunderts stand. Der monumentale Anspruch des Buches wird in Einleitung und „Klappentext“ umrissen: „It reveals how news became a form of international power and how communications changed the course of history.“ Die leitende Frage sei, „how news was actually created in the past and what it meant“ (S. 7).
Tworeks Darstellung setzt ein mit der Betrachtung der Konkurrenz um die Kontrolle weltweiter Kommunikationsströme, die Telegraphengesellschaften und Nachrichtenagenturen ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu zentralen Spielern moderner „Informationskriege“ gemacht habe (S. 1). Im Anschluss an Charles Maier spricht die Autorin für die Jahre um 1900 von der Herausbildung und Verdichtung eines globalen „kommunikativen Raums“, dessen dynamische Netzwerke und grenzüberschreitende Wissensströme die Grundlage unserer heutigen „Informationsgesellschaft“ geschaffen haben. Dabei wurden die Agenturen, so die zentrale These des Buches, zu einem Werkzeug imperialer Gelüste in Zeiten beschleunigter Globalisierung: „German elites intervened in communication space to challenge British, French, American, and other nation’s political and economic prowess around the world.“ (S. 10)
Folglich macht Tworek die enge Verbindung von Zeitungskultur, -ökonomie und -politik zum Ausgangspunkt ihrer Studie. Mit der Feststellung, dass Nachrichtenagenturen keineswegs „pure Fakten“ vermittelten, sondern diese vielmehr auswählten und in bestimmter Weise akzentuierten, stößt sie in ein bekanntes Horn der Mediengeschichte: „News was never neutral. And its production never uncontested.“ (S. 7) Die industriellen Interessenverbände des Kaiserreichs und der Weimarer Republik sahen in der Verbreitung guter Presse ein geeignetes Mittel zur Absatzsteigerung deutscher Firmen im Ausland, während der von Skandalen geschüttelten deutschen Diplomatie noch am Vorabend des Ersten Weltkrieges an der Verbreitung eines pro-deutschen Klimas gelegen war. Nachrichtenagenturen wie das „Wolffsche Telegraphische Bureau“ (WTB) dienten so ab 1865 der Durchsetzung einer neuen „Weltpolitik“.
Der Telegraph avancierte zum Schrittmacher der geopolitischen Konkurrenz. Für das Deutsche Kaiserreich bedeutete die Förderung der drahtlosen Telegraphie von Beginn an die Chance, das Oligopol angloamerikanischer Firmen und die britische Dominanz im Bereich der Kabelübertragung zu brechen. Tworek beschreibt die Pläne eines „Welt-Funktelegraphennetzes“ und die Gründung des deutschen Überseedienstes „Transocean“ als Ergebnis dieser „Einkreisungsfurcht“. Tatsächlich kompensierte der Dienst, so eines der vielen überraschenden Ergebnisse der Untersuchung, die bis dato augenscheinlichen Unzulänglichkeiten und Grenzen der deutschen Auslandspropaganda. Zwischen 1915 und 1917 lancierte die Agentur mehr als 20.000 Artikel, die in allen großen amerikanischen Zeitungen abgedruckt wurden, und etablierte sich als zentrale Instanz der deutschen Nachrichten(agentur)politik (S. 60f.).
Anhand zweier Fallstudien aus den ersten Jahren der Weimarer Republik diskutiert die Autorin in der Folge die Agency der Agenturen als Wegbereiter historischen Wandels (S. 70–98). Hier – wie auch in späteren Kapiteln – zeigt sich die besondere Qualität der Studie, die auf breiter, mehrsprachiger Quellenbasis geschrieben und unter anderem aus deutschen, französischen, britischen und US-amerikanischen Archiven geschöpft ist. Tworek zeigt eindrucksvoll, wie der Stern des offiziösen und von der neuen Konkurrenz als Symbol imperialer Bürokratie und Untertanengeists verschrienen „Wolffschen Bureaus“ sank. Während es dem WTB am 9. November 1918 noch gelang, mit einer – nicht autorisierten – Meldung über die Abdankung des Kaisers „Realitäten zu schaffen“ und den Gang der Ereignisse zu bestimmen, verhinderte das gewachsene Misstrauen während des Kapp-Putsches im März 1920 bereits eine vergleichbare Rezeption.
Wie unheilvoll sich ökonomische und kulturpolitische Prämissen der deutschen Nachrichtenpolitik verbanden, bewies sich nicht erst in der propagandistischen Aneignung und Instrumentalisierung des Mediums Radio im „Dritten Reich“. Das Wirken der Agenturen und ihrer Auslandskorrespondenten verwies, so einer der zentralen Befunde des Buches, auch zuvor schon auf die „inseparability of news and foreign policy“ (S. 140). Diese zeigte sich zum einen im Fall des, von der Forschung bislang kaum beachteten, im September 1922 vom Reichspostministerium eingerichteten und von der Außenhandelsstelle des Auswärtigen Amtes mit Börsendaten, Wechselkursen und Warenpreisen versorgten „Wirtschaftsrundfunks“. Der „Eildienst für amtliche und private Handelsnachrichten“ schwang sich, wie Tworek in Anlehnung an Stephen Gross notiert, zum Dienstmedium eines „export empire“ auf (S. 100). Zum anderen bewies sich die Nähe von Politik- und Nachrichtenbetrieb aber auch und gerade im Fall des „Wolffschen Bureaus“, dessen Auslandskorrespondenten bisweilen sogar auf der Gehaltsliste des Auswärtigen Amtes standen und so exzellente „cover agents“ der Regierung abgaben (S. 133). Im Einklang mit der neueren Forschung schildert Tworek die Presse so als „indispensable instrument of cultural diplomacy“ (S. 140).
Der Siegeszug der „False News“ und die Erosion des politischen Raums in der späten Republik bilden den Gegenstand der Schlusskapitel. Während die „Telegraphen Union“ (TU) unter Hugenberg als „right-wing news agency“ zu einer politischen „Waffe“ in den publizistischen Auseinandersetzungen avancierte und Nachrichten in die Dienste eines „economic nationalism“ (S. 168) stellte, verschoben sich zusehends die Grundsätze der Berichterstattung: „speed over accuracy, nationalist rumor over fact, politics over purported neutrality“ (S. 142). Mit dem „Zerfall“ des Nachrichtenmarktes und der Gleichschaltung des Agenturwesens nach 1933 veränderte sich die Lage der Nachrichtenbüros dann indes nochmals grundlegend. Das aus der Fusion von WTB und TU hervorgegangene „Deutsche Nachrichtenbüro“ (DNB) war dazu angetan, die „Volksgemeinschaft“ zu stärken (S. 183). Die deutsche Auslandsagentur „Transocean“ kam dagegen im „World War of Words“ vor allem in Südamerika und in Ostasien zum Einsatz. Bedeutung erlangte die Agentur besonders in Asien, wo sie zur zentralen Quelle der Berichte im Japanisch-Chinesischen Krieg 1937 wurde (S. 213–222). Mit dem Krieg endete auch die Existenz der deutschen Agenturen DNB und „Transocean“.
Tworek zeigt, wie „Nachrichten“ ab der Jahrhundertwende „Weltcharakter“ (S. 10) zugeschrieben wurde und wie der internationale Vertrieb der Agenturmeldungen zugleich doch immer wieder dezidiert nationalen politischen und wirtschaftlichen Zwecken gehorchte. Dabei wird deutlich, wie eng die Bande zwischen Wirtschaft, Politik und Journalismus waren. So kann das Buch auch und gerade die gegenwärtige Debatte um die „Informationskriege“ des digitalen Zeitalters bereichern.
Nun kann man einwenden, dass die pointierte Darstellung dazu neigt, nationale Besonderheiten zu sehr zu betonen, und sicher auch, dass die wiederholte Rede von den deutschen Eliten manche Unterschiede eher verschattet als erklärt. Zudem irritiert, dass die Rolle der Zeitungsunternehmen nur sehr kursorisch angesprochen wird. Hier hätte sich der Rezensent gewünscht, mehr über die Binnendynamiken der Kooperation der Agenturen mit ihren Kunden – den Zeitungen – und vor allem über die Seite der Produktion und der (Weiter-)Verarbeitung der Nachrichten zu lesen. Auch hätte der Fall der Bildagenturen, die in diesen Jahren ein Imperium eigener Größe errangen, ein spannendes Untersuchungsfeld geboten. Und schließlich ließe sich debattieren, ob nicht die These von der nationalistisch-imperialen Konkurrenz der Agenturen stärker relativiert werden muss; immerhin bestanden – auch während und über die Kriege hinaus – Kooperationen deutscher und ausländischer Agenturen, zumal im Rahmen des Nachrichtenkartells, die auch nach 1945 erhalten blieben.
Die genannten Einwände schmälern indes den positiven Gesamteindruck des Buches kaum. Heidi Tworek hat ein ausgesprochen gut lesbares, gedankenreiches und innovatives Buch zur Mediengeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben, dem eine breite Rezeption zu wünschen ist und das hoffentlich zu vielen weiteren Arbeiten zur Geschichte der globalen „Informationskämpfe“ in anderen Weltregionen anregen wird.
Anmerkungen:
1 Ute Daniel, Beziehungsgeschichten. Politik und Medien im 20. Jahrhundert, Hamburg 2018; Frank Bösch / Dominik Geppert (Hrsg.), Journalists as Political Actors. Transfers and Interactions between Britain and Germany since the late 19th Century, Augsburg 2008.
2 Tom Standage, The Victorian Internet, London 1998; Dwayne R. Winseck / Robert M. Pike, Communication and Empire. Media, Markets, and Globalization, 1860-1930, Durham 2007; Oliver Boyd-Barrett (Hrsg.), Communications Media, Globalization, and Empire, London 2007; Emily S. Rosenberg, A World Connecting, 1870-1945, Cambridge, Mass. 2012; Roland Wenzlhuemer, Connecting the Nineteenth-Century World. The Telegraph and Globalization, Cambridge 2013.
3 Michael Homberg, Reporter-Streifzüge. Metropolitane Nachrichtenkultur und die Wahrnehmung der Welt, 1870-1918, Göttingen 2017; Sonja Hillerich, Deutsche Auslandskorrespondenten im 19. Jahrhundert. Die Entstehung einer transnationalen journalistischen Berufskultur, München 2018. Zur Geschichte der Nachrichtenagenturen vgl. Volker Barth, Die Genese globaler Nachrichtenagenturen. Überlegungen zu einem Forschungsprogramm, in: WerkstattGeschichte 56 (2011), S. 63–75; Jonathan Silberstein-Loeb, The International Distribution of News. The Associated Press, Press Association and Reuters, 1848-1947, New York 2014; Norman Domeier, Geheime Fotos. Die Kooperation von Associated Press und NS-Regime (1942–1945), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 14 (2017), S. 199–230, https://zeithistorische-forschungen.de/2-2017/5484 (29.09.2019).