H. J. Kim: Geopolitics in Late Antiquity

Cover
Titel
Geopolitics in Late Antiquity. The Fate of Superpowers from China to Rome


Autor(en)
Kim, Hyun Jin
Erschienen
London 2019: Routledge
Anzahl Seiten
VI, 129 S.
Preis
£ 99.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Michel, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Im neuesten Band der Reihe „Routledge Studies in Ancient History“ befasst sich Hyun Jin Kim mit der Geopolitik in der Spätantike und dem Schicksal sogenannter „Superpowers“ wie dem Römischen Reich und China.

In seiner Einleitung führt Kim zur Fragestellung der Studie hin. Dabei verweist er auf aktuelle politische Entwicklungen. So adressiert er den bröckelnden Großmachtstatus der USA und Chinas Chance, zum neuen globalen Hegemonen aufzusteigen. Für ihn stelle dies eine geopolitische Revolution dar, die das Potential habe, die gesamte Welt nachhaltig zu verändern. In dieser Entwicklung sieht Kim die Möglichkeit für einen Krieg von apokalyptischem Ausmaß. Dies hätten vorherige Hegemoniewechsel gezeigt, die in den Ersten und Zweiten Weltkrieg gemündet seien. Um ein solches Szenario zu verhindern, müsse die Hegemonie der USA gesichert und die Bedrohung durch China eingedämmt werden (S. 1). Doch wie ist dies möglich? Kim sucht die Antwort auf diese in seinen Augen drängende Frage der post-modernen Welt in einer Analyse der antiken.

Er möchte untersuchen, wie die Großmächte der Antike, namentlich China, das Römische Reich und das sassanidische Persien, mit der geopolitischen Herausforderung umgingen, die in Gestalt der Hunnen und ihrer Plünderungen aufkam. Diese hätten als existenzielle Bedrohung die etablierten „Supermächte“ zum Handeln gezwungen (S. 1). Kim möchte damit Erkenntnisse für heutige Politiker gewinnen und diese befähigen, mit der derzeitigen geopolitischen Herausforderung erfolgreich umzugehen (S. 2).

Um solche Erkenntnisse zu Tage zu fördern, baut Kim seine Studie vierteilig auf. In der Einleitung (S. 1–18) werden zentrale Begriffe definiert, die die Grundlage der späteren Analyse bilden. Der Begriff der Geopolitik wird jedoch nicht erläutert; seine Anwendbarkeit auf die Geschichte der Antike mit einem einfachen Verweis auf Grygiel vorausgesetzt.1

Im Hauptteil der Studie geht Kim zunächst auf die antike geopolitische Situation und die durch die Hunnen aufkommende Bedrohung ein (S. 19–40). Dabei befasst sich Kim zunächst mit der Frage, ob die Hunnen, mit denen in der Spätantike sowohl das Römerreich als auch Persien zu kämpfen hatten, mit den Xiongnu gleichzusetzen sind, die das chinesische Kaiserreich attackierten.2 Kim sieht dabei die Xiongnu als Vorläufer der Hunnen an (S. 19–20). Selbst wenn dies zutreffend sein sollte, ergibt sich dennoch das Problem, dass die Xiongnu nicht in der Spätantike anzusiedeln sind, sondern im Zeitraum vom 3. Jahrhundert vor bis zum 1. Jahrhundert nach Christus.

Nach einer Analyse der Herrschaftsform der Xiongnu wendet sich Kim den Hunnen der Spätantike zu. Er analysiert ihre politische Struktur und charakterisiert sie als komplexes hierarchisches System, das die kriegerischen Erfolge ermöglicht habe (S. 31–32). Er lässt jedoch gerade neuere Erkenntnisse zur Bedeutung Attilas für den Erfolg der Hunnen und die Kohäsion des hunnischen Verbandes außer Acht, denen zufolge der Tod des berühmten Hunnen quasi gleichbedeutend mit dem Verfall des Verbandes gewesen sei.3 Daneben sieht er auch nicht die Abhängigkeit, die die Hunnen von Rom hatten. So fungierten die beiden römischen Teilreiche in West und Ost als „Wirtskörper“ für deren Plünderungszüge, die die Basis der charismatischen Herrschaft Attilas darstellten.4

Anschließend befasst sich Kim mit der Reaktion der antiken „Supermächte“ auf ebenjene Bedrohung (S. 41–84). Dabei identifiziert er unterschiedliche Reaktionsmuster. China habe nach einer längeren Phase der Tributzahlung aggressiv zurückgeschlagen (S. 41–43). Die Analyse fällt mit gerade einmal drei Seiten aber extrem kurz aus. Auch fällt auf, dass der Autor nur zwei Fußnoten verwendet und mit einem der Verweise seine eigene Studie aus dem Jahr 2015 nennt (S. 43 mit Anm. 2).

Deutlich mehr Raum gibt der Autor der Analyse der römischen Reaktion (S. 43–65). Diese habe nicht aus einer klaren politischen Linie bestanden. Vielmehr habe gerade Ostrom erst militärische Auseinandersetzungen gesucht, die jedoch erfolglos geblieben seien. Danach sei Theodosius II. zu einer Zahlung von Tributen gewechselt. Die Hunnen hätten sich damit zufriedengegeben und nur das Ziel verfolgt, Ostrom als „Vasallenstaat“ zu kontrollieren, obwohl sie in der Lage gewesen wären, es vollkommen zu zerstören (S. 47–51). Eine solche Wertung überrascht, geht die moderne Forschung doch vom genauen Gegenteil aus: Die Mauern Konstantinopels und die mangelnden poliorketischen Kenntnisse der Hunnen machten es diesen wohl unmöglich, das Oströmische Reich ernsthaft zu gefährden. Daneben benötigte Attila ja beide Teilreiche als Ziel von Plünderungszügen zur Absicherung seiner eigenen Herrschaft.

Nach der römischen Reaktion befasst sich Kim dann noch mit der des sassanidischen Persiens. Dieses sei letztlich kollabiert und zum Vasallen der Hunnen geworden (S. 66–84).

In einem umfangreichen Fazit (S. 85–109) fasst Kim die Ergebnisse seiner Analyse zusammen. Er gibt konkrete Handlungsanweisungen, mit denen die USA die von China ausgehende Gefahr eindämmen könnten. Er nennt dabei drei zentrale Punkte. So sollen die USA alle Truppen aus Europa abziehen, mit der Ausnahme Polens. Daneben soll das Land alle Truppen nach Ostasien verlegen. Als letzte Maßnahme empfiehlt Kim eine enge vorübergehende Zusammenarbeit mit Russland (S. 101).

Das von Kim vorgelegte Buch kann als Versuch gesehen werden, die Alte Geschichte ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Es bleibt jedoch mehr als fraglich, ob eine so stark bemühte Konstruktion der Übertragbarkeit antiker auf moderne Verhältnisse dem Themengebiet gerecht wird. Zwar ist ein Bezug zu aktuellen globalen Problemlagen generell interessant, muss aber theoretisch deutlich fundierter erarbeitet werden. Kims Buch wirft damit ein Schlaglicht auf eine zentrale Frage, mit der sich jeder Historiker aus theoretischer Perspektive befassen muss: Ist die historia wirklich die magistra vitae? Viele moderne Historiker würden hier wohl mit einem „Nein“ oder zumindest mit einem „Nein, aber“ antworten. Daneben muss sich Kim zumindest die Frage gefallen lassen, ob seine Erkenntnisse nicht auch ohne eine Analyse der antiken Verhältnisse hätten gewonnen werden können. Es fehlt vor allem ein roter Faden, der die einzelnen Teile der Studie sinnvoll verbinden würde. Vielmehr steht die Analyse historischer Prozesse der Antike oftmals lose neben der Untersuchung aktueller Entwicklungen. Auch kann Kim nicht überzeugend darlegen, warum die antiken Großmächte wirklich vergleichbar mit den heutigen Staatsgebilden sein sollten und somit eine Übertragung von Erkenntnissen legitimieren könnten. Darüber hinaus beachtet er oftmals den aktuellen Stand der Forschung nicht und bewegt sich daher an vielen Stellen auf dem Gebiet von Spekulationen.

Wie problematisch ein allzu schneller Vergleich zwischen Antike und Moderne sein kann, zeigt sich auch in einigen Details. Auf S. 63 etwa wird das Griechische Feuer, das durch Byzanz ab dem 7. Jahrhundert als wichtige Waffe gerade bei Seeschlachten eingesetzt wurde, als „the nuclear bomb of Middle Ages“ bezeichnet. Ohne Zweifel war die Waffe im Mittelalter gefürchtet und konnte Schlachten fast allein entscheiden, ein Vergleich mit nuklearen Sprengköpfen verbietet sich meines Erachtens aber. Weder ist die Wirkung auch nur ansatzweise vergleichbar, noch führte der Besitz des Griechischen Feuers dazu, dass Byzanz zur dominierenden Weltmacht aufstieg.5

Kim hat damit ein Buch vorgelegt, das sich viel vornimmt, aber wenig einlösen kann. Dies allein schon daher, weil methodische Grundüberlegungen vollkommen fehlen, die aber mit Blick auf das geschichtsvergleichende Vorgehen – und seine Probleme sowie grundlegende Umstrittenheit – ohne Zweifel notwendig gewesen wären. Diese Probleme von Kims Buch spiegeln sich auch in formalen Aspekten wider. In der durchaus umfangreichen Bibliographie fällt etwa die beinahe vollständige Absenz deutscher Werke auf. Sind diese doch einmal vorhanden, zeigen sich sprachliche Barrieren, die sich in falschen Worttrennungen äußern (so etwa bei: „Pohl, W. (1980), Die Gepiden und die Gentes an der mittlerenDonaunachdemZerfall des Attilareiches“; solche mangelnden Feinheiten lassen sich an zahlreichen weiteren Stellen finden). Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Titel überhaupt richtig rezipiert wurden (und werden konnten).

Problematisch erscheint daher auch der Preis, den der Verlag für das kleinformatige Buch, das nur 129 Seiten zählt, aufruft. Derzeit (Stand: 27.10.2019) kostet es im deutschen Buchhandel mehr als 120 Euro. Das Buch kann damit auch nicht der vom Verlag ausgegebenen Zielsetzung entsprechen, von einer breiten Leserschaft rezipiert zu werden, die Interesse an der Antike und der modernen Politik hat. Um einer solchen Ambition gerecht zu werden, hätte der Inhalt gänzlich anders verpackt werden müssen. Jedem trotz der hier geäußerten Kritik dennoch interessierten Leser bietet sich das deutlich günstigere E-Book (30,85 €) an.

Anmerkungen:
1 Vgl. S. 2 mit Anm. 2; Kim bezieht sich hier auf Jakub J. Grygiel, Great Powers and Geopolitical Change, Baltimore 2006. Bei näherer Lektüre des Werks lässt sich jedoch eine Klärung der betreffenden Frage nicht finden.
2 Diese Gleichsetzung wird von der modernen Forschung abgelehnt. Vgl. etwa Timo Stickler, Die Hunnen, München 2007, S. 24–28.
3 Vgl. dazu etwa Stickler Die Hunnen, S. 99–106; ders., Das römische Reich als Gefahr für den Zusammenhalt der hunnischen Kriegerkoalition, in: Phasis 15/16 (2012/2013), S. 493–510, hier S. 499; Mischa Meier, Das oströmische Mordkomplott gegen den Hunnenherrscher Attila (449 n. Chr.). Verzweiflungstat, Wagnis oder rationales Kalkül?, in: Stefan Brakensiek u.a. (Hrsg.), Wagnisse. Risiken eingehen, Risiken analysieren, von Risiken erzählen. Kontingenzgeschichten Bd. 3, Frankfurt am Main 2017, S. 19–61, hier S. 27–28. Generell unzulänglich ist, dass die hier erwähnte Literatur von Kim nicht rezipiert wird.
4 Vgl. zu diesem Aspekt Meier, Mordkomplott, S. 28 sowie René Pfeilschifter, Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher, München 2014, S. 161.
5 Zum Griechischen Feuer seien exemplarisch die Arbeiten von Jochen Gartz, Vom griechischen Feuer zum Dynamit. Eine Kulturgeschichte der Explosivstoffe, Neustadt an der Orla 2014, S. 8–14 und Bart De Graeve, Het Griekse vuur. De realiteit achter de mythe, Leuven 2001, http://www.ethesis.net/grieks_vuur/grieks_vuur.htm (15.10.2019), S. 107, genannt. De Graeve etwa nennt die Wirkung der Waffe vorrangig psychologisch und sieht ihre taktische Einsetzbarkeit als eingeschränkt an. Hilda R. Ellis Davidson, The Secret Weapon of Byzantium, in: Byzantinische Zeitschrift 66 (1973), S. 61–74, hier S. 61 zieht hingegen auch den Vergleich zur Atombombe.

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