: Von der „Universitätsfabrick“ zur „Entrepreneurial University“. Konkurrenz unter deutschen Universitäten von der Spätaufklärung bis in die 1980er Jahre. Stuttgart 2019 : Franz Steiner Verlag, ISBN 978-3-515-12486-7 352 S. € 62,00

: Universitäten im Wettbewerb. Deutschland von den 1980er Jahren bis zur Exzellenzinitiative. Stuttgart 2019 : Franz Steiner Verlag, ISBN 978-3-515-12337-2 401 S. € 66,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Etzemüller, Institut für Geschichte, Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg

Die Gesellschaft, so die zentrale Annahme von Niklas Luhmanns einflussreicher Systemtheorie, hat sich im Laufe der Geschichte in Subsysteme ausdifferenziert, die nach ihren eigenen Regeln operieren. Das Rechtssystem folgt der Unterscheidung Recht und Unrecht, das Wirtschaftssystem gehorcht dem Code zahlen/nicht-zahlen und die Wissenschaft unterscheidet zwischen wahr und falsch. Die Codes dürfen und können nicht gegeneinander ersetzt werden. Wissen ist nicht wahr, nur weil dafür gezahlt wird. Mittlerweile, nach Jahren des Wettbewerbs in der Wissenschaft und nach zahllosen Exzellenzinitiativen stellt sich allerdings die Frage, ob die ökonomische Logik nicht längst viel zu sehr die Universitäten dominiert.

Die zu besprechenden Dissertationen sind im DFG-Projekt „Wettbewerb zwischen Universitäten im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland“ entstanden und untersuchen die Rolle des Wettbewerbs bzw. der Konkurrenz im Hochschulwesen. Fabian Waßer zieht dabei einen Längsschnitt durch zwei Jahrhunderte und beleuchtet die interuniversitäre Konkurrenz um Studierende, Professoren, finanzielle Ressourcen und Reputation. Er unterscheidet die nepotistischen, wettbewerbsfeindlichen „Familienuniversitäten“, die utilitaristisch orientierten und deshalb konfessionell toleranten Aufklärungsuniversitäten sowie die Sieger des historischen Wettbewerbs, die (zunächst konfessionell und sozial diskriminierenden) modernen, konkurrenzorientierten „Leistungsuniversitäten“, in denen die Marktwerte der Hochschule und der Professoren voneinander abhingen und sich in der Besoldung abbildeten, die aber, anders als die Aufklärungsuniversitäten, das Ideal zweckfreier Forschung in den Mittelpunkt stellten.

Waßer orientiert sich an Georg Simmels triadischem Konkurrenzmodell mit den zentralen Begriffen der „Prämie“ und des prämierenden „Dritten“, auf den sich die Konkurrenten ausrichten. Im Folgenden tauchen diese Begriffe jedoch nur sporadisch und ohne analytischen Mehrwert auf. Unklar bleibt beispielsweise, wann die „Dritten“ – Kultusbehörden, ein den Konkurrenten diffuses „Publikum“, später „Akteure aus dem angloamerikanischen Raum und China“ (S. 288) –, tatsächlich Schiedsrichter waren oder nur als solche imaginiert wurden. (Und einmal ist der Dritte ein Profiteur, nämlich die Universitäten als „lachende Dritte“ in der Konkurrenz zwischen Bund und Ländern [S. 295]). Auch zwischen den wertgeladenen Begriffen „Konkurrenz“ und „Wettbewerb“ unterscheidet Waßer, anders als die Zeitgenossen, nicht. Wenn er beispielsweise schildert, wie ein Professor seinen an der Kaffeetafel gierigen Kollegen Konkurrenzneid vorwarf, dann ist das kein Beleg für die Wettbewerbsorientierung der Großstadtuniversitäten (S. 79, Anm. 96). Vielmehr verwendete der Mann den seinerzeit oft negativ konnotierten und mit dem „amerikanischen“ (kapitalistischen) Lebensstil assoziierten Begriff der Konkurrenz abqualifizierend in einer sozialen Auseinandersetzung. Und Hinweisen, dass möglicherweise auch dem Konkurrenzbegriff die Rolle des „Dritten“ zugesprochen worden und er also selbst ein Akteur gewesen ist, geht Waßer nicht nach.

Die Ergebnisse der Arbeit sind deshalb nicht richtig überraschend: Universitäten konkurrieren seit langem miteinander, und das kann sehr stimulierend wirken, wurde aber auch früh mit dem Hinweis auf drohende „Universitätsfabricken“ kritisiert. Interessant zu lesen sind die Details und Konjunkturen der Diskussionen um Konkurrenz vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik, die Darstellung des verquälten Konkurrenzdenkens und die gegenseitige – wie es zeitgenössisch hieß – „Ausräuberung“ (S. 170) der kriegsgeplagten Universitäten im „Dritten Reich“ sowie die Amerikanisierung des Konkurrenzprinzips in Westdeutschland (die DDR wird ausgeblendet).

Für ungleich eindringlicher halte ich die Arbeit von Alexander Mayer, weil er analysiert, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass man heute in den Rechenschaftsberichten vieler Universitäten von Kennziffern und Erfolgsmeldungen regelrecht erschlagen wird: Exzellenzcluster, Sonderforschungsbereiche, Verbundprojekte und Graduiertenkollegs, Innovationen, Patente und Drittmittel, impact, competition und Bestenauslese, von allem mehr, schneller und besser. Das scheint nunmehr die Wissenschaft auszumachen. Doch wieso starren wir auf die „internationale Wettbewerbsfähigkeit“, warum wollen Universitäten weltweit in der wissenschaftlichen Premier League mitspielen, warum zählt die Zahl der Veröffentlichungen mehr als ihr Inhalt, das paper als „kleinste publizierbare Einheit“ mehr als eine komplexe Monografie?

Nach der Ölkrise in den 1970er-Jahren, so lesen wir bei Mayer, wurden die Ressourcen knapp. Die Länder kürzten die Grundfinanzierung und trieben die Universitäten dadurch in die Konkurrenz untereinander, politisch bewusst angeheizt, um durch eine Art Bestenauslese deutscher Universitäten die sich angeblich weitende „technologische Lücke“ zu den USA und Japans zu vermindern. Innerhalb der Universitäten wiederum mussten die einzelnen Fächer gegeneinander antreten und das technologisch-wirtschaftliche Potenzial ihrer Forschung und Ausbildung belegen. Rektoren und Präsidenten sicherten den Wissenschaftsministern zu, mehr Drittmittel einzuwerben, SFBs einzurichten und gaben den Druck an die eigenen Dekane weiter. Stabsstellen wurden eingerichtet, die Strategieplanungen in Angriff nahmen, um die Universitäten auf Effizienz und output zu trimmen, eine Synthese aus Adam Smith und Wilhelm von Humboldt, wie es ein neoliberaler Wettbewerbsbefürworter formulierte.

Wettbewerb erforderte jedoch Forschungsmanager, kompetitive Profilbildung der Fächer und Hochschulen sowie Leistungstransparenz, um überhaupt erkennen zu können, wer wie gut ist. Hier kamen Instrumente ins Spiel, die es schon länger gab: Zitationsanalysen und andere Kennziffern sollten ursprünglich die Literaturrecherche vereinfachen oder eine organisatorische Vergleichbarkeit der Fächer innerhalb der Universitäten herstellen. Dann dienten sie der Mittelverteilung in der Konkurrenz untereinander, schließlich als Ausweis der Leistungsfähigkeit und Förderungswürdigkeit eines Faches nach außen. Die Ziffer entwickelte ihre Eigenmacht, und das betraf WissenschaftlerInnen, Disziplinen und Hochschulen gleichermaßen; alle wurden allmählich in ein weltweites Tableau des Rankings eingefügt und können nunmehr ausmachen, wo in der Weltspitzenskala sie angesiedelt sind. Damit ist auch die Steigerungslogik aus der Ökonomie in die Wissenschaft überführt worden, denn Kennzahlen müssen permanent verbessert werden – alles andere ließe auf nachlassende Leistung schließen. Damit geriet das Humboldt’sche Prinzip im Jahrzehnt der Wiedervereinigung langsam ins Hintertreffen.

Mayer erwähnt, dass einige Präsidien und Professoren zwar hinhaltenden Widerstand leisteten. Sie wollten die Wissenschaft nicht der Funktionslogik eines anderen Subsystems unterworfen sehen. Doch sie galten bald als Modernisierungsverweigerer und gerieten mit den Landesregierungen in Konflikt. Und so werden Universitäten seit den 1990er-Jahren zunehmend mit Hilfe der betriebswirtschaftlichen Begrifflichkeit geleitet und in entrepreneurial universities verwandelt. Spezialisierte Studiengänge sind auf optimale Verwertbarkeit und internationale Studierende zugeschnitten. Die Habilitation, die deutschen Wissenschaftlern ein breiteres intellektuelles Fundament als anglo-amerikanischen und skandinavischen Kollegen verleiht, gilt als „nicht anschlussfähig“. Die Pressestellen wurden aufgerüstet, Kinderuniversitäten gegründet, Imagefilme gedreht und Kinowerbung gebucht. Mayer arbeitet heraus, dass ein abgelehnter Drittmittelantrag nicht mehr bloß eine Enttäuschung bedeutet, die man Kolleginnen und Kollegen gegebenenfalls verheimlichen kann. Jetzt geht es vielmehr um die Einwerbung von Exzellenz-Clustern, und wer hier scheitert, verliert regelrecht sein Gesicht, innerhalb der Universität, der Landespolitik und des Wissenschaftssystems. Wer in den immer komplexeren Antragsverfahren mithalten und die immer gleichen Star-Gutachter, die kaum Zeit haben, mehrtausendseitige Berichte zu lesen, überzeugen will, tut gut daran, sich coachen zu lassen. (Das führt zu der absurden Entwicklung, dass der Deutsche Hochschulverband den Wettbewerbsdruck durch Coaching-Kurse steigert und zugleich Kurse anbietet, den Druck aushalten zu lernen.)

Mayer durchleuchtet die Mechanismen, durch die eigentlich harmlose und sinnvolle Instrumente in neuen Konstellationen und spezifischen Verkettungen fatale Wirkungen erzeugten, wie durch vermeintliche Alternativlosigkeiten Pfadabhängigkeiten entstanden, wie Praktiken der Konkurrenz eine unhintergehbare Evidenz erlangten, die schließlich alle Beteiligten in Geiselhaft nahm. Dabei macht Mayer deutlich, dass Anreizsysteme und Drohszenarien ihre Wirkung entfalten konnten, weil sie auch auf Opportunismus und Eitelkeiten der Betroffenen bauen durften.

Zerstört ist die Wissenschaft nicht. Auch unter dem neoliberalen Regime behält der Code wahr/falsch seine Gültigkeit. Aber es ist ein Filter vorgeschaltet worden: Die Unterscheidung verwertbar/nicht-verwertbar baut als vorweggenommene Folgenabschätzung eine Selektionsinstanz ein, die sich möglicherweise stärker denn je an ökonomischen und politischen Kriterien bemisst, während der Code der Wissenschaft zur Folgebedingung degradiert ist. In Großbritannien werden minderproduktive Wissenschaftler denn auch gefeuert oder zu reinen Lehrern degradiert, und die University of Sussex hat das Studium der vormodernen Geschichte abgeschafft, weil hier die zahlungskräftigen (ausländischen) Studierenden fehlen. So radikal geht es in Deutschland noch nicht zu. Doch wird das so bleiben, wenn WissenschaftlerInnen mit einer erfolgreichen Indikatoren-performance Belohnungen einfahren, die ihrer intellektuellen Arbeit verwehrt bleibt? Besonders Mayers, aber auch Waßers Dissertation bieten solide Grundlagen, diesen Prozess mit der gebotenen historischen Tiefenschärfe kritisch und differenziert zu analysieren.

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