Angesichts des Aufstieges und der Konsolidierung rechtspopulistischer Parteien in Europa und darüber hinaus wird die Frage, wie liberale Demokratien mit Parteien umgehen sollten, die illiberale Ziele verfolgen, neu diskutiert. In Deutschland gingen die im Bundestag vertretenen Parteien auf Distanz zur AfD: am linken Rand, in der linken Mitte und bei den Grünen, weil die AfD spätestens nach dem Ausscheiden Bernd Luckes offen migrationsfeindliche Positionen vertrat und eine Ablehnung von Gleichstellungspolitik formulierte, die in diesem Duktus bis dato Rechtsextremen vorbehalten war. Die Konservativen hingegen fürchteten, dass die AfD am rechten Flügel Wähler abwerben könnte, wenn es ihr gelänge, sich als konservative Kraft rechts der C-Parteien zu etablieren. Schon früh spielte hier die Frage eine Rolle, wie die AfD und deren Personal politisch einzustufen sind. Zweifellos handelt es sich bei der AfD um eine „rechte“ Partei, aber geklärt werden musste, ob die Partei konservativ, rechtspopulistisch oder rechtsextrem sei, und wenn ja, zu welchen Teilen. An der Diskussion beteiligen sich sowohl die Sozial- und Geisteswissenschaften als auch die Sicherheitsbehörden. Den Medien fällt es zu, die Expertise dieser Akteure in die öffentliche Debatte aufzunehmen, sie gegeneinander und damit zugleich zur Diskussion zu stellen. Insofern popularisieren Medien nicht nur wissenschaftliche und sicherheitsbehördliche Erkenntnisse, sondern sie selektieren, bewerten, organisieren und kommentieren vorliegende Einschätzungen. Damit kommt ihnen selbst eine aktive Rolle hinsichtlich der öffentlichen Bewertung der AfD zu. Dass die aktuellen Diskussionen über den Umgang mit der AfD in einem spezifischen Kontext, aber nach alten Mustern und mit etablierten Argumenten verlaufen, zeigt Clemens Gussones Studie Reden über Rechtsradikalismus. Nicht-staatliche Perspektiven zwischen Sicherheit und Freiheit (1951–1989). Das Buch basiert auf einer Dissertation, die am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin entstand.
Anders als der Titel vermuten lässt, geht es Gussone nicht um das gesprochene Wort, sondern um die Frage, wie rechtsradikale Parteien und Bewegungen in westdeutschen Printmedien zwischen 1951 und 1989 diskutiert wurden. Maßgeblich stützt sich die Analyse auf Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Frankfurter Rundschau, DIE ZEIT, Gewerkschaftspublikationen, Allgemeine jüdische Wochenzeitung, Der Arbeitgeber (die Verbandspublikation der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) sowie Deutscher Ostdienst (die Zeitschrift des Bundes der Vertriebenen). Gussone verfolgt, welche politischen und sicherheitspolitischen Reaktionen diese Medien zu bestimmten Anlässen forderten und wie diese jeweils gerechtfertigt wurden (S. 29). Eine Prämisse lautet dabei, dass die Diskussion sich zwischen den Polen Sicherheit und Freiheit bewegte, wobei Gussone die repressiven sicherheitspolitischen Maßnahmen der „wehrhaften Demokratie“ auf der einen Seite sowie die Kritik an solcher Repression aufgrund demokratietheoretischer Überlegungen und also einer toleranten Position auf der anderen Seite verortet. Methodisch ist die Arbeit als „Beitrag zur historischen Sicherheitsforschung“ (S. 29) und Diskursanalyse (S. 43) gedacht. Der Autor hat sieben Fallbeispiele gewählt, die chronologisch vorgestellt werden und zugleich die Arbeit gliedern. Exemplarisch greife ich hier die ersten beiden Fallbeispiele heraus.
In Kapitel 2 untersucht Gussone die Verbotsdiskussion um die Sozialistische Reichspartei (SRP) und die Affäre um den Bund Deutscher Jugend (BDJ) 1951/1952. Er zeigt, dass die Reaktionen auf den Wahlerfolg der SRP bei den Landtagswahlen in Niedersachsen vom Mai 1951, bei denen sie elf Prozent der Stimmen erhielt, in den untersuchten Publikationen verhalten war. Die Frankfurter Rundschau etwa sah die Wahl primär als Ausdruck der „politischen Stabilität in Niedersachsen“ (S. 58). Diese „zurückhaltende Beschreibung der SRP [widerspricht] den gängigen Forschungsergebnissen […], dass links(liberale) Akteure zu dieser Zeit rechtsradikale Agitation scharf beobachteten und meistens relativ früh Alarm schlugen“ (ebd.). Instruktiv ist hier besonders Gussones Erklärung des nüchternen Umgangs: Obwohl dies vor allem von der FAZ und den gewerkschaftlichen Publikationen problematisiert wurde, „dominierte das Ziel, die Außenwirkung der jungen Bundesrepublik zu schützen und dieses [Ergebnis] möglichst zu entdramatisieren und als Ausnahme zu erklären. Die meisten Berichte zielten darauf, dass der Wahlerfolg der SRP möglichst nicht als Argument dafür genutzt werden könne, den Westdeutschen weiterhin einen Hang zum Rechtsradikalismus beziehungsweise Nationalsozialismus zu unterstellen.“ (S. 61)
In Kapitel 3 belegt Gussone, dass sich ein ähnliches Muster auch in der Kommentierung der antisemitischen Taten, die auf die Schändung der Kölner Synagoge am Heiligabend 1959 folgten, wiederholte. Eine Gefahr für die innere Sicherheit wurde nicht gesehen; betont wurden über die politischen Lager hinweg jedoch die negativen Auswirkungen auf die schrittweise Stabilisierung der deutschen Demokratie (S. 129). Die anschließende Debatte über die Gründe des aufflammenden Antisemitismus verlief ebenfalls wenig kontrovers. Von den Gewerkschaften bis zur FAZ wurde eine intensivere Aufklärung über den Nationalsozialismus gefordert. Dabei rückte auch die hohe Zahl der Lehrer mit NS-Vergangenheit in den Fokus der Kritik. Gussone identifiziert eine „Zweiteilung des Umgangs“ der Frankfurter Rundschau mit der Schmierwelle. Einerseits wurden Aufklärung und Erziehung als Mittel beschworen, andererseits repressive Maßnahmen gegen die Täter, die Deutsche Reichspartei (der die Täter nahestanden) und andere rechtsradikale Gruppen gefordert (S. 149). Im Vergleich wies die „Berichterstattung der FAZ hingegen […] nur eine ganz leichte Tendenz zur Sicherheitsorientierung auf“ (S. 150).
In den weiteren Kapiteln untersucht Gussone – jeweils mit Blick auf die journalistische Begleitung – den Aufstieg und Niedergang der NPD (Kapitel 4), die rechtsradikalen Reaktionen auf die neue Ostpolitik 1970/1971 (Kapitel 5), das Münchener Oktoberfest-Attentat 1980 (Kapitel 6), Michael Kühnen und die Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA, Kapitel 7) sowie die dritte rechtsradikale Welle in Form der Deutschen Volksunion (DVU) und der Republikaner (Kapitel 8). Im Abschlusskapitel fasst der Autor seine Ergebnisse zusammen und ordnet diese ein. Dabei attestiert er der Gewerkschaftspresse, den untersuchten Vorgängerpublikationen der Jüdischen Allgemeinen und der Frankfurter Rundschau, dass diese deutlich für Repression votiert hätten: „Vor allem diese drei forderten Verbote von Parteien und Vereinen sowie die Einschränkungen von politischen Freiheiten oder rechtfertigten entsprechende Maßnahmen.“ (S. 436) Die konservativen Veröffentlichungen hingegen seien im Vergleich „weniger sicherheitsorientiert“ gewesen (S. 435).
Indem Gussone die Sicherheitsorientierung als tendenziell illiberal und Liberalität als „die eigentliche Stärke einer Demokratie“ (S. 463) versteht, läuft er Gefahr, dass ihm die Publikationen von Opfergruppen des Nationalsozialismus zum Hort der Illiberalität werden, die konservativen Publikationen hingegen als liberal gelten, weil sie für ein weniger repressives Vorgehen gegen den organisierten Rechtsextremismus plädierten. Weil die Analyse in diese Richtung weist, distanziert Gussone sich dann auch deutlich von solchen Lesearten (S. 460f.), und doch bleibt die Frage, wie er dorthin gelangen konnte. Die Antwort dürfte in der zu groben Unterscheidung von Sicherheit und Freiheit liegen, die Gussone als Pole der Diskussion setzt – ohne die wesentlichen Instrumente wehrhafter Demokratie, die immer nur mittelbar als Partei- und Vereinsverbote gestreift werden, in der Diskussion zu berücksichtigen. Die langjährigen juristischen, politischen und sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzungen zur wehrhaften Demokratie bleiben hier außen vor. Die Pole Freiheit und Sicherheit erscheinen auch deshalb grob, weil Gussone sich nicht auf die Ebene einzelner Autor/innen begibt, sondern die Publikationen selbst als Akteure begreift. Aus dieser Perspektive erscheinen Artikel mit unterschiedlichen Argumentationslinien als veränderte Positionierung der jeweiligen Publikation. Die Journalist/innen bzw. Gastautor/innen stärker als individuelle Akteur/innen zu begreifen hätte es erlaubt, über die konfligierenden Positionen die Bandbreite des journalistisch Sagbaren innerhalb konkreter Medien zu benennen.
In der Gesamtbewertung aber müssen diese Kritikpunkte nachgeordnet werden. Die Lektüre von Clemens Gussones kenntnisreicher, auf breiter Quellenbasis geschriebener Arbeit lohnt sich: Sie korrigiert einige der etablierten Gewissheiten über den Umgang mit der radikalen Rechten in der Bundesrepublik vor 1989/1990 und bestätigt andere quellenreich, etwa die (fehlende) Positionierung der Arbeitgeberverbände zur radikalen Rechten. Gussones Buch ist eine wichtige Referenz für die historische Rechtsextremismusforschung, die aktuell stark an Fahrt aufnimmt.