Angela Davis gilt gemeinhin als Symbolfigur des linken afroamerikanischen Widerstandes, der Black Power- und der Frauenrechtsbewegung sowie als Vorreiterin im Kampf gegen das von Rassismus geprägte US-amerikanische Justiz- und Gefängnissystem.1 Davis avancierte 1970 zu einer der meistgesuchten Frauen in den USA, weil bei einer Geiselnahme mit Todesfolge in einem Gerichtssaal auf ihren Namen registrierte Waffen benutzt worden waren. Sie stand als „Terroristin“ auf der Liste der „Ten Most Wanted Fugitives“, wurde am 13. Oktober 1970 in New York verhaftet und nach etwa anderthalb Jahren in Untersuchungshaft am 4. Juni 1972 von der Jury in allen Anklagepunkten freigesprochen. Zur Zeit ihrer Verhaftung hätte ihr bei einer Verurteilung die Todesstrafe gedroht, welche in Kalifornien jedoch am 18. Februar 1972 außer Kraft gesetzt wurde.
In ihrer Dissertation „Schwarze Schwester Angela“ illustriert Sophie Lorenz, wie Davis außerdem in der Tradition internationaler Beziehungen zwischen linken afroamerikanischen Aktivist:innen und Regierungen sozialistischer Länder steht. Die Autorin spannt dabei einen historischen Bogen von den ersten Begegnungen zwischen afroamerikanischen Aktivist:innen wie W.E.B. Du Bois oder Claude McKay mit sowjetischen Kommunist:innen in der Zwischenkriegszeit bis hin zu Davis‘ Besuchen in der DDR in den 1970er-Jahren. Dabei beleuchtet Lorenz nicht nur Angela Davis als globale Akteurin im schwarzen, kommunistischen und studentischen Widerstand, sondern ergänzt die Geschichtsschreibung zu Rassismus-Debatten in der Bundesrepublik Deutschland um eine ostdeutsche Perspektive. Lorenz‘ Erkenntnisinteresse liegt besonders auf den Vorstellungswelten und Wirklichkeitskonstruktionen, die als Grundlage der DDR-Solidarisierung mit Angela Davis dienten.
Das Buch verfolgt einen kultur- und gesellschaftshistorischen Ansatz und ist in vier längere Kapitel mit diversen Unterkapiteln eingeteilt. Das erste Kapitel widmet sich der internationalen Solidaritätspolitik und dem sozialistischen Antirassismus in der DDR. Lorenz legt darin die Entwicklung der „internationalen Solidarität“ zum politisch-ideologischen Leitbegriff des sozialistischen Antirassismus in der DDR dar (S. 45). Dabei betont sie die Zentralität „rot-schwarze[r] Verbundenheitsgefühle“ (S. 50) mit dem „anderen Amerika“ (S. 43) – welches links, antiimperialistisch und afroamerikanisch gedacht ist – seit den 1920er-Jahren. Die Unterdrückung und Diskriminierung der Afroamerikaner:innen in den USA symbolisierte für die sozialistischen Regime die Heuchelei der westlichen kapitalistischen Welt und war der Beweis für den in dieser tief verankerten Rassismus.
Im zweiten Kapitel, „Die afroamerikanische Linke und ihre Verbindungen zum kommunistischen Ausland“, beschreibt Lorenz nachvollziehbar die heterogene Beziehung zwischen afroamerikanischen Aktivist:innen und der sozialistischen Sowjetunion sowie der DDR. Lorenz zeigt unter anderem am Beispiel W.E.B. Du Bois‘ die in beide Richtungen funktionierende dynamische Beziehung zwischen der DDR und der afroamerikanischen Freiheitsbewegung auf: Während den afroamerikanischen Aktivist:innen daran gelegen war, ihren Kampf um Freiheit und Gleichberechtigung weiter auch auf der internationalen Ebene zu führen und so den Druck auf die US-Regierung zu verstärken, versuchte die DDR-Regierung die anhaltende internationale Popularität der Aktivist:innen dazu zu nutzen, sich als antirassistischer, demokratischer und moderner Staat zu inszenieren und damit ihrem Bestreben einer deutsch-deutschen Abgrenzung nachzukommen. Die Solidarität mit antirassistischen Bewegungen in den USA versinnbildlichte sowohl einen Bruch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands als auch eine Abgrenzung zur Bundesrepublik, die enge Beziehungen zur US-Regierung pflegte und damit zumindest politisch-institutionell auf der anderen Seite des afroamerikanischen Freiheitskampfes stand. An manchen Stellen liest sich das Kapitel etwas unübersichtlich, was aber durchaus auch der Vielzahl an aktiven Gruppen und der extremen Dynamik der afroamerikanischen Freiheitsbewegung geschuldet ist.
Das dritte Kapitel konzentriert sich auf Angela Davis und zeichnet in drei Abschnitte eingeteilt deren Leben nach. Lorenz hebt einzelne Lebensphasen und Begegnungen hervor, wobei sie vor allem mit Davis‘ Autobiographie arbeitet.2 Leider machte Davis ihren persönlichen Nachlass erst kurz nach Fertigstellung der Arbeit der Öffentlichkeit zugänglich (S. 31, Anm. 84). Dies könnte zu Ergänzungen zu Lorenz‘ Darstellung führen. Der Fokus liegt in diesem Kapitel eher auf Davis‘ Rolle im afroamerikanischen Aktivismus und ihrem Engagement in der linken Studentenbewegung als auf ihrer Positionierung zu geschlechtspolitischen Fragen. Dass für Davis Geschlecht, race und Klasse gleichwertige Differenzkategorien waren, die untrennbar miteinander verbunden sind und in ihrer Intersektionalität eine besondere Form der Diskriminierung hervorrufen, hat keinen Eingang in dieses Kapitel gefunden.3
Die Solidaritätskampagne der DDR für Angela Davis wird schließlich im vierten Kapitel ausführlich dargelegt. Lorenz malt das Bild einer Solidaritätskampagne, die gut in die Versuche zur Internationalisierung der DDR-Regierung seit den späten 1960er-Jahren passte. Beispielhaft geht sie dabei auf einzelne Protestaktionen wie die Postkartenaktion „1 Millionen Rosen für Angela“ der Freien Deutschen Jugend ein; zu Davis‘ 27. Geburtstag sollten sie mit Rosen und Adresse vorgedruckte Postkarten im Gefängnis erreichen. Diese Form von Protest vermochte „die grenzüberschreitende Verbundenheit [der DDR mit dem anderen Amerika] versinnbildlichen“ (S. 191). An dieser Stelle demonstriert Lorenz mithilfe ausgiebiger Quellenarbeit auf Grundlage von Zeitungsartikeln, wie die DDR-Regierung die Solidaritätskampagne und auch Angela Davis‘ Besuche in der DDR nach ihrem Freispruch am 4. Juni 1972 für eine eigene Image-Kampagne nutzte und Davis darüber hinaus ein Identifikationsmoment für die ostdeutsche Jugend bot. Davis wurde in der DDR als „jugendlich-modisch“ mit „revolutionäre[m] Glamour“ und „radikale[m] Chic westlicher Prägung in eine[m] sozialistischen Sinnzusammenhang“ konstruiert (S. 198).
Im Verlauf ihrer Arbeit und auch in der kurzen Abschlussbemerkung argumentiert Lorenz stimmig, dass die Idee internationaler Solidarität, die Auffassung von Rassismus als konstitutives Merkmal imperialistischer und kapitalistischer Gesellschaften sowie ein von der Hautfarbe unabhängiges Gefühl der Klassenverbundenheit drei grundlegende Vorstellungen und Wirklichkeitskonstruktionen für die DDR-Solidarisierung mit Davis waren. Ihre Ergebnisse zur politisch-ideologischen Prägung Davis‘ widerlegen außerdem Teile der wissenschaftlichen Forschung und der popkulturellen Darstellung von Davis als Black Power-Ikone (S. 252), indem sie diese zwar als Sympathisantin der Bewegung darstellen, politisch-organisatorisch jedoch klar der Communist Party of the United States of America (CPUSA) zuordnen. Im Kontrast zum radikalen schwarzen Nationalismus, der Teile der Black Power-Bewegung prägte, machte Davis‘ Bekenntnis zum Parteikommunismus sie für die DDR anschlussfähig.
Das Buch von Sophie Lorenz bereichert die jüngere Forschung um die Beziehungen zwischen afroamerikanischen Aktivist:innen und der DDR4, die auch abseits des akademisch-geschichtswissenschaftlichen Feldes jüngst häufiger thematisiert wird. Der Beziehung zwischen Davis und der DDR ist zurzeit beispielsweise eine Ausstellung in der Kunsthalle im Lipsiusbau in Dresden gewidmet. Unter dem Titel „1 Million Rosen für Angela Davis“ werden diverse Werke von DDR-Künstler:innen und zeitgenössisches Archivmaterial wie Plakate und Postkarten ausgestellt. Die dazu entstandene Publikation enthält neben anderen auch einen Aufsatz von Sophie Lorenz, der wie das hier besprochene Buch überzeugende Einblicke in eine bislang noch nicht in dieser Form beschriebene Beziehungsgeschichte eröffnet.5
Anmerkungen:
1 Für aktuelle Forschung zu dem Thema siehe z. B. Michelle Alexander, The New Jim Crow. Mass Incarceration in the Age of Colorblindness, New York 2010.
2 Angela Davis, Angela Davis. An Autobiography, 2. Aufl., New York 1988.
3 Angela Davis, Women, Race & Class, New York 1981.
4 Dazu erschienen sind in der jüngeren deutsch- und englischsprachigen Geschichtsforschung unter anderem Maria Schubert, „We Shall Overcome“. Die DDR und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, Paderborn 2018; Paul M. Farber, A Wall of Our Own. An American History of the Berlin Wall, Chapel Hill 2020. Lorenz hat ebenfalls einen kürzeren Beitrag zum selben Thema veröffentlicht: Sophie Lorenz, „Heldin des anderen Amerikas“. Die DDR-Solidaritätsbewegung für Angela Davis, 1970–1973, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 10 (2013), S. 38–60, https://zeithistorische-forschungen.de/1-2013/4590 (19.05.2021).
5 Kathleen Reinhardt (Hrsg.), 1 Million Roses for Angela Davis, Mailand 2020.