„High Society“, bemerkte der New Yorker Millionär Vincent Astor bereits Mitte der 1920er-Jahre in einem Zeitungsartikel pointiert, „is only a fiction and if there is any social gulf between different groups of Americans, it isn’t to be measured so much by money as by headlines“. Nun, dass soziale Unterschiede in Nordamerika lediglich ein „mediales Konstrukt“ gewesen seien, wie es bei Astor anklang, wäre sicher eine kühne Annahme. Doch in anderer Weise beschrieb der Millionär durchaus einen richtungsweisenden gesellschaftlichen Veränderungsprozess. Denn, so die zentrale These von Juliane Hornungs sehr lesenswerter Münchner Dissertation1, „mit der High Society etablierte sich in den Vereinigten Staaten um 1900 eine neue soziale Formation, die im Gegensatz zur Upper Class des Gilded Age nicht mehr nur auf Vermögen basierte, sondern sich maßgeblich über massenmediale Sichtbarkeit konstituierte“ (S. 1).
Juliane Hornung hat diesen Veränderungsprozess hin zu einer zusehends nach Aufmerksamkeit gierenden, sich pausenlos beobachtenden und dazu noch das Privateste inszenierenden Gesellschaft in der „massenmedialen Sattelzeit“2 am Beispiel der New Yorker High Society in den Blick genommen. Damit reiht sich die Studie ein in eine Folge neuerer Forschungen, die in den letzten Jahren die Produktion von „Stars“ und den Durchbruch des Celebrity-Journalismus als Ausdruck der wechselseitigen Dynamik sozialer und medialer Wandlungsprozesse in Europa und in den USA in den Fokus ihrer Betrachtung gerückt haben.3 Hornung setzt derweil durchaus eigene Akzente und widmet sich vor allem solchen Medienstars, die – bereits knapp 100 Jahre vor den „Influencern“ des Social Media-Zeitalters – „famous for being famous“ (S. 285f.) waren.
Die Protagonisten in Hornungs Mediengeschichte der New Yorker High Society sind Margaret L. („Peggy“) und Lawrence C. („Larry“) Thaw – ein Millionärsehepaar, das dem Boulevard durch eine gekonnte Medienpolitik und einen ausgeprägten Hang zur Selbstinszenierung und -vermarktung immer neue Schlagzeilen lieferte und so in den 1920er- und 1930er-Jahren rasch in den Kreis der prominentesten Figuren der amerikanischen High Society aufstieg. Die Thaws reisten zwischen 1924 und 1940 als Privatiers durch Europa, die Karibik, Afrika und Indien und setzten ihre Erlebnisse ins Bild, zunächst als Amateurfilmer und -photographen, später dann – als das Paar, inzwischen bereits von Reportern begleitet, seine Machwerke an Filmunternehmen wie Universal und 20th Century Fox verkaufte – alsbald auch durch eigens engagierte Kameraleute. So begnügten sich die Thaws nicht allein damit, das Spiel des Sehens und Gesehen-Werdens an geeigneten Orten rund um den Globus zu spielen, sondern produzierten zugleich in eigener Regie, durchaus pragmatisch und zunehmend kühl kalkulierend ihre eigene „Öffentlichkeit“.
Hornung rekonstruiert das Leben der Thaws und ihre Strategien der Selbst- und Weltinszenierung mit akribischer Recherche und analytischer Präzision. Das Buch gliedert sich dazu in drei größere, thematisch gegliederte Kapitel, die zugleich der Chronologie der Ereignisse folgen. Das erste Kapitel beschreibt den Zusammenhang von „medialer Sichtbarkeit und High Society-Status“ und skizziert die ersten Schritte des Paares in die Medien, das zweite untersucht die Reisen der Thaws von der Hochzeitsreise durch Europa bis zur Inszenierung als mondäne Trendsetter im Urlaub in Palm Beach 1930, während das dritte die Dynamiken der „Professionalisierung, Popularisierung und Verwertung“ der Filme thematisiert, die die Thaws in den 1930er- und 1940er-Jahren zudem an immer exotischere Destinationen bringen.
Das Buch besticht durch den gekonnten Einsatz des neueren kultur- und medienwissenschaftlichen Analyseinstrumentariums sowie die differenzierte Einbettung theoretisch-methodischer Diskussionen zur „Materialität“, „Visualität“ und „Performativität“ des Films als historischer Quelle. Überdies ordnet die Autorin ihre Fallstudie überlegt in das historische Setting der „Gesellschaftsberichterstattung um 1900“ ein und erläutert dazu überzeugend die in der Medienbiographie der Thaws verdichtete Konstellation von Medien- und Gesellschaftswandel im New York des beginnenden 20. Jahrhunderts.
„Um die Welt mit den Thaws“ ist so zugleich mehr als die Biographie eines glamourösen Society-Paares. Die Studie thematisiert unter dem Brennglas der Familienbiographie den Wandel von Konsumverhalten und Tourismus, Körperidealen, Familienvorstellungen und Geschlechterrollen. Dabei sind es nach Hornung gerade die Massenmedien, die in der High Society „als strukturierendes Prinzip an die Seite von Besitz, familialen Beziehungen, Stand und Religion“ treten. So rücken drei zentrale Veränderungsprinzipien in den Blick: Erstens wandelten sich, so die These der Autorin, gesellschaftliche In- und Exklusionsmechanismen, zweitens ergaben sich neue Raumordnungen und Interaktionsmuster, drittens ordnete sich das Verhältnis des Publikums zur Unterhaltungsindustrie in diesen Jahren neu (S. 10f.).
Dass die Klassengegensätze und Hierarchien des Gilded Age keineswegs verschwanden, zeigen bereits die Biographien des Ehepaars. Margaret, die aus wohlhabender Familie stammte, eine höhere Bildung genoss, sich elitären Wohltätigkeitsorganisationen anschloss und ab 1920 Eingang in die Society fand, hatte, wie Hornung schreibt, früh die Voraussetzungen besessen, sich „medial sichtbar zu machen“. Im Alter von 21 Jahren gelang ihr ein erster PR-Coup, als sie im Rahmen einer Werbeaktion für eine Autoausstellung den Verkehr einer Kreuzung in Manhattan regelte und so auf der Titelseite der New York Daily Times landete (S. 55–60). Lawrence war derweil als Erbe eines Millionenvermögens und Enkel des Eisenbahn-Tycoons und Dampfschifffahrts-Pioniers William Thaw Sr. von Jugend an im Fokus der Boulevardpresse gestanden (S. 48–53). Anschaulich belegt die Autorin in der Folge, wie die beiden „in und mit den Medien aufwuchsen“. Zugleich skizziert sie die Zugangsbedingungen der höheren Gesellschaft, deren weiter vorrangig weiße und wohlhabende Mitglieder sich, wie die Thaws, zusehends durch ihre Publicity von der Masse abzugrenzen begannen. Die Schönen und Reichen der Upper Class lebten, wie Hornung nachweisen kann, in einem eigenen Zeitrhythmus, der Ordnung der „social season“ – dem kalendarischen Jahreszyklus ritueller Feste – und zugleich in den Parallelwelten exklusiver, bisweilen abgeschiedener Orte, die in New York von der Metropolitan Opera über die Grand Hotels der Metropole bis hin zu privaten Clubs und Villen reichten (S. 66–95).
Besonders eindrücklich zeigen sich die Veränderungsprozesse und die neuen, gnadenlosen Regeln im Regime der „Aufmerksamkeitsökonomie“4 anhand der Inszenierung des Körper- und Schönheitskults, den die Thaws, und allen voran Margaret, bedienen. In vielen Filmen stehen Kleidung, Frisuren und Kosmetikprodukte im Vordergrund. Das Kapital des eigenen, optimierten Körpers zu bewahren aber, bedeutete zugleich Stress, wie Margarets Tagebucheinträge belegen. Diese bezeugen exemplarisch die Kehrseite der Emanzipation der Frau als Medienstar in der Ära von Schönheitsindustrie und Miss-Wahlen. So hing der High Society-Status der Thaws zwar wesentlich von Margaret, als weiblicher Konsumexpertin, ab, doch kontrollierte Lawrence das Familienvermögen und so den Handlungsspielraum seiner Frau. Zudem dominierte, wie Hornung zeigen kann, in den Filmen in aller Regel Lawrences männlicher Blick (S. 131–172; S. 179–190). Noch in anderer Weise kommerzialisieren die Thaws derweil ihre Reisen: Sie engagierten Sponsoren (Autohersteller, aber auch Benzin- und Alkoholkonzerne) (S. 198–202; S. 326–331). Im Zuge dessen wurde auch die Inszenierung der eigenen Inszenierung im Dreh zusehends zum Thema.
In den späteren „Travelogues“ kommt ein weiteres Spannungsverhältnis von „Ermächtigung und Entmächtigung“ zum Ausdruck (S. 245–256). Obgleich die Thaws – in der gestiegenen Konkurrenz zu anderen Medienstars wie Osa und Martin Johnson, zwei ambitionierten, seriösen Dokumentar-Filmern aus der New Yorker High Society – ab 1936/37 versuchten, ihre Filme als technisch avancierte, ethnographische Expeditionsberichte durch den „National Geographic“ beglaubigen zu lassen, erschienen sie vielen Kritikern, wie das vernichtende Urteil eines Redakteurs 1940 belegte, als zu „arrogant“, „oberflächlich“ und „voreingenommen“ (S. 314–317). Ihre Fotostrecken und Filme eigneten sich indes besonders zur kommerziellen Vermarktung, da sie in Narrativen, Arrangements und Symbolgehalten kolonialistische Hierarchien transportierten und so etwa den Gegensatz von „Zivilisation“ und „Natur“ perpetuierten. Abseits eines ausgeprägten Hangs zum Exotismus gaben sich die Filme kulturell desinteressiert, vor allem aber politisch gleichgültig, wie die Vorbereitung einer Indienreise 1940 zeigte. Die Thaws, die inzwischen eine ausreichende Reichweite besaßen und als genügend „professional“ und „mit der Unterhaltungsindustrie wie mit wissenschaftlichen Institutionen verschränkt“ galten, um vom US-Foreign Service in quasi-diplomatischer Mission unterstützt, Drehgenehmigungen in Indien zu erlangen, durchquerten dazu das nationalsozialistische Deutschland, die Türkei und den Iran und porträtierten diese Länder, in der Regel nach Rücksprache in Washington und zu den diplomatischen Vertretern der bereisten Ländern, um ein positives, modernes Image zu kreieren, ohne indes klare politische Position zu beziehen. Vielmehr schienen die Filme Akteure und Geschehen zugunsten banaler Alltagsthema zu verklären (S. 281–300).
Hornungs Buch profitiert von einer außergewöhnlich guten Quellenbasis, dem Familiennachlass der Thaws, der sowohl eine Sammlung von Presseausschnitten und privaten Korrespondenzen des Ehepaars umfasst, als auch die Tagebücher Margarets, in denen diese ihren New Yorker Alltag und die Reisen beschrieben hat. Hinzu kommt eine beeindruckende Sammlung audiovisueller Quellen. Über 160 Filmszenen, darunter Ausschnitte aus den Produktionen der Thaws, aber auch zeitgenössisches Filmmaterial, ergänzen die Darstellung, die zugleich als frei zugängliche, digitale Edition im Netz anzusteuern ist; dabei sind die visuellen Quellen auch über QR-Codes in das Buch eingebunden und so per Smartphone auszulesen.5
Man mag einwenden, dass viele der von der Autorin benannten Wandlungsprozesse (Boulevard-Journalismus um 1900; Wandel von Körper- und Geschlechterbildern; kolonialer Exotismus und Inszenierung des Fremden) bereits stark untersucht sind und die Studie hier an durchaus gewichtige Ergebnisse der Forschung anschließt; spannend wäre es zudem gewesen, noch mehr über die Agenda der Verleger und Filmproduzenten, Journalisten und Reporter zu lernen, welche die Berichte der Thaws abdruckten bzw. in die Kinos brachten, und näher zu erörtern, ob, wo und warum die Bruchstellen in den bisweilen allzu symbiotisch wirkenden Beziehungen zwischen Medien und High Society-Celebrities zu verlaufen schienen. In diesem Zusammenhang wäre auch die Nähe zum Feld von Propaganda, Werbung und PR in der Zwischenkriegsära, die vor allem in den späteren Kapiteln anklingt, noch genauer auszudeuten gewesen. Und letztlich bliebe zu klären, wie generalisierbar die empirischen Ergebnisse der Studie (zum vergleichsweise engen Kreis der New Yorker High Society eingangs des 20. Jahrhunderts) sind. Hier wären vergleichende Perspektiven, allen voran zu den europäischen Metropolen, die ihrerseits bereits um die Jahrhundertwende einen hochgradig selbstreferentiellen „Starkult“ kannten, erhellend gewesen.
Abseits dieser Kritikpunkte aber ist Juliane Hornung mit ihrer Studie ein eigener und gewichtiger, zugleich über weite Strecken ausgezeichnet lesbarer Beitrag zu einer integrativen Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts gelungen, der durch seine klare Argumentation und die beeindruckende Fülle an Forschungs- und Quellenmaterial überzeugen kann.
Anmerkungen:
1 Die Studie ist Teil des von Margit Szöllösi-Janze und Nicolai Hannig an der Ludwig-Maximilians-Universität in München geleiteten und von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Forschungsvorhabens „Die Thaws. High Society, Medien und Familie in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Ein weiteres Teilprojekt, das Emmanuel Steinbacher bearbeitet, widmet sich zudem dem „Crime of the Century“ – einem Medienskandal um Harry Kendall Thaw. URL: https://www.gerda-henkel-stiftung.de/thaws (01.05.2021).
2 Habbo Knoch / Daniel Morat, Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880–1960. Zur historischen Kommunikologie der massenmedialen Sattelzeit, in: dies. (Hrsg.), Kommunikation als Beobachtung. Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880–1960, München 2003, S. 9–33.
3 Charles Ponce de Leon, Self-Exposure. Human-Interest Journalism and the Emergence of Celebrity in America, 1890–1940, Chapel Hill 2002; Markus Schroer, Der Star, in: ders. / Stephan Moebius (Hrsg.), Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart, Frankfurt am Main 2010, S. 381–395; Jens Ruchatz, Die Individualität der Celebrity. Eine Mediengeschichte des Interviews, Konstanz 2014; Ryan Linkof, Public Images. Celebrity, Photojournalism, and the Making of the Tabloid Press, London 2018.
4 Vgl. dazu Georg Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf, München 2007; Joan K. Bleicher / Knut Hickethier (Hrsg.), Aufmerksamkeit, Medien und Ökonomie, Münster 2002.
5 Zur Online-Edition vgl. URL: https://edit.gerda-henkel-stiftung.de/die-thaws/um-die-welt-mit-den-thaws (01.05.2021).