J. Lilla: Leitende Verwaltungsbeamte und Funktionsträger

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Titel
Leitende Verwaltungsbeamte und Funktionsträger in Westfalen und Lippe (1918-1945/ 46). Biographisches Handbuch


Autor(en)
Lilla, Joachim
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XXII A; Geschichtliche Arbeiten zur Westfälischen Landesforschung 16
Erschienen
Münster 2004: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
362 S.
Preis
€ 27,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Willing, Institut für Rechtswissenschaft, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Das Bedürfnis nach biografischen Handbüchern und Lexika für die Zeit des Nationalsozialismus ist nach wie vor ungebrochen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass jahrzehntelang dieses dunkelste Kapitel deutscher Geschichte systematisch ausgeblendet und ein Mantel des Schweigens darüber gebreitet wurde. Noch immer weisen deshalb viele Lebensläufe zwischen 1933 und 1945 „weiße Flecken“ auf. Ernst Klee kommt hier das Verdienst zu, mit seinem „Personenlexikon“ eine Gesamtübersicht über die gesellschaftliche Elite im „Dritten Reich“ gegeben zu haben 1. Daneben muss auf die biografische Spezialforschung hingewiesen werden, die sich auf einzelne Berufsgruppen oder Regionen konzentriert. Zur letzten Gruppe ist das vorzustellende Werk von Joachim Lilla zu rechnen, in dem im Auftrag der Historischen Kommission für Westfalen leitende Verwaltungsbeamte und Funktionsträger in Westfalen und Lippe im Zeitraum von 1918 bis 1945/46 untersucht werden. Lilla, ein ausgewiesener Experte für westfälische Regionalgeschichte des 20. Jahrhunderts und für biografische Forschungen 2, knüpfte zeitlich an die Vorgängerstudie von Dieter Wegmann an, die im Jahr 1918 abbricht.3 Lillas biografisches Handbuch endet mit dem Zusammenbruch des Hitler-Staates im Frühjahr 1945, reicht aber hinsichtlich der westfälischen Provinzialverwaltung, des Landes Lippe und einiger Sonderverwaltungen auch über diese Zeitmarke hinaus. Der Schwerpunkt wird dabei auf das „Dritte Reich mit seinen besonderen administrativen Verhältnissen“ gelegt (S. 11).

Angesichts einiger biografischer Vorarbeiten, die sich zeitlich und räumlich mit Lillas Untersuchungsgegenstand überschnitten, war die Auswahl des betreffenden Personenkreises von besonderer Bedeutung. In das Werk wurden deshalb unter anderem aufgenommen: Die Oberpräsidenten, die Regierungspräsidenten, die Landeshauptleute, die Landräte, die Leiter der staatlichen Polizeiverwaltungen, Oberbürgermeister und Bürgermeister, weiterhin oberste und obere Behörden im Land Lippe, Sonder- und Fachverwaltungen sowie Sonderverwaltungen der NS-Zeit. Darüber hinaus wurden die Präsidenten der Landwirtschaftskammern sowie der gewerblichen Wirtschaft für Westfalen und Lippe erfasst. Aus der thematisch verwandten Arbeit von Wolfgang Stelbrink 4 fanden schließlich noch die Kreise und Kreisleiter der NSDAP in Westfalen von 1932 bis 1945 Eingang in die Studie. Wie im einleitenden „Arbeitsbericht“ formuliert, dürfte die Auswahl der zu berücksichtigenden Personen „ein repräsentatives und für die Provinz Westfalen und das Land Lippe nicht untypisches Segment der leitenden Verwaltungsbeamten und Funktionsträger im fraglichen Zeitraum darstellen“ (S. 12).

In dem ersten Teil des Handbuchs (S. 61-102) gibt Lilla eine – nach eigenen Worten – „vollständige Übersicht“ über die jeweiligen Inhaber der oben genannten Verwaltungsstellen (S. 12). Erwähnt wird in dieser Auflistung das jeweilige Amt, der Name des Stelleninhabers sowie die Dauer der Amtszeit. Der zweite Hauptteil, der rund zwei Drittel des Werkes umfasst (S. 103-320), enthält eine „biographische Dokumentation“. Sie stellt Kurzbiografien von insgesamt über 400 Personen zur Verfügung, die nach einem einheitlichen Schema präsentiert werden. Eine Kopfzeile informiert über Namen und Vornamen, Geburts- und Sterbedatum, Geburts- und Sterbeort, die Konfession und den akademischen Grad sowie den Namen und den Beruf des Vaters, soweit dies zu ermitteln war. Die eigentliche Kurzbiografie liefert stichpunktartig Angaben zu Schulbesuch, Studium, Militärdienstzeiten, Promotion und weiterem beruflichen Werdegang, der in der Regel im öffentlichen Dienst erfolgte. Soweit Erkenntnisse vorlagen, wurden die biografischen Daten über das Jahr 1945 hinausgeführt. In der nächsten Zeile erfolgen Angaben über Mitgliedschaften in politischen Parteien und die Wahrnehmung von parlamentarischen Mandaten, beispielsweise im Reichstag oder im Westfälischen Provinziallandtag. Den Abschluss des jeweiligen Persönlichkeitsprofils bilden Quellen- und Literaturhinweise, der Nachweis eigener Schriften und Veröffentlichungen sowie Hinweise auf den Verbleib des Nachlasses. Dass dabei nicht in jedem Fall eine vollständige Datensammlung zusammenzutragen war, bedarf angesichts des umfassenden Personenkreises kaum der Erwähnung. Quellenmäßig fußt die Studie von Lilla in erster Linie auf staatlichen und kommunalen Archivalien, ferner auf Unterlagen aus Standesämtern. Daneben wurden Materialien von „sonstigen“ Behörden und Organisationen, beispielsweise der Deutschen Bahn AG und des Landesoberbergamts Dortmund, herangezogen.

Die Resultate seiner biografischen Dokumentation hat der Verfasser in verwaltungsgeschichtlichen Ergebnissen zusammengefasst (S. 15-37). In diesem Teil werden die Pläne zur administrativen Neuordnung der Provinz Westfalen, die historische Entwicklung der staatlichen Polizeiverwaltungen sowie der polizeilichen Sonderbehörden, der Kriegs- und Kriegswirtschaftsverwaltung und einiger anderer, meist nur temporär während der Kriegsjahre bestehender Verwaltungseinrichtungen erörtert. Abgerundet wird das Werk durch einen Personen- und einen Ortsindex.

Vertieft man sich in die Biografien der porträtierten Persönlichkeiten, so stellt man hinsichtlich von Sozialisation und Karriereverlauf eine beträchtliche Bandbreite fest. Zu den bekanntesten Funktionsträgern gehört sicherlich Hermann Pünder (1888-1976), der 1932/33 als Regierungspräsident in Münster tätig war. Während des Nationalsozialismus unterhielt er Kontakte zur Widerstandsbewegung um Carl Goerdeler, wurde nach dem 20. Juli 1944 von der Gestapo verhaftet und in verschiedene KZ verschleppt. In der Nachkriegszeit übte Pünder als Oberbürgermeister von Köln, als Oberdirektor des Verwaltungsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebiets und als CDU-Politiker in Nordrhein-Westfalen sowie im Bundestag beträchtlichen Einfluss auf die deutsche Nachkriegsgeschichte aus. Über Hans Reschke (1904-1995), der von 1956 bis 1972 als Oberbürgermeister von Mannheim amtierte, erfährt man nähere Details zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Er trat im April 1933 der NSDAP bei, bekleidete zwischen 1933 und 1945 verschiedene Posten in der Verwaltung und gehörte dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS als freiwilliges Mitglied an, was ihn zum Tragen der Uniform eines SD-Untersturmführers berechtigte. Zu seiner Nachkriegsbiografie könnte man ergänzen, dass Reschke von 1964 bis 1970 zudem Vorsitzender des einflussreichen „Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge“ in Frankfurt am Main war.

Obgleich mitunter Vertreter demokratischer Parteien in Erscheinung treten, wie beispielsweise der SPD-Politiker Karl Stühmeyer (1866-1936), dominieren Personen aus dem rechten Spektrum. Auch hier ist wiederum eine erhebliche Variationsspanne der Viten zu konstatieren. Zu den frühen Anhängern der Hitler-Bewegung gehörten beispielsweise Josef Terboven (1898-1945) und Josef Wagner (1899-1945). Terboven trat 1923 der NSDAP bei, war seit 1935 langjähriger Oberpräsident der Rheinprovinz und fungierte von 1940 bis zu seinem Selbstmord 1945 als „Reichskommissar für die besetzten norwegischen Gebiete“. Wagner, bereits seit 1922 NSDAP-Mitglied und später Gauleiter des Gaus Westfalen, fiel 1941 bei Hitler in Ungnade und wurde aller Ämter enthoben. Ungeklärt ist, ob er 1944 von der Gestapo ermordet oder bei der Eroberung Berlins von einem sowjetischen Soldaten erschossen wurde. Zu den schlimmsten nationalsozialistischen Überzeugungstätern ist Friedrich Jeckeln (1895-1946) zu rechnen, der es bis zum General der Waffen-SS und der Polizei brachte, 1946 von einem sowjetischen Gericht in Riga zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Dass die „braune Gesinnung“ auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vereinzelt fortlebte, lässt sich bei Heinrich Vetter (1890-1969) verfolgen. Der ehemalige Kreisleiter der NSDAP in Hagen wurde 1952 als Kopf der rechtsextremen „Bewegung Reich“, einer NSDAP-Nachfolgeorganisation, verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Leider enthält die Monografie keine Karte der verwaltungspolitischen Gliederung des Untersuchungsgebietes. Auch hätte man sich eine Auswertung und Erläuterung der biografischen Datensammlung gewünscht. Gibt es besondere Merkmale, die das nach Lilla „nicht untypische Segment der leitenden Verwaltungsbeamten und Funktionsträger im fraglichen Zeitraum“ kennzeichnen? Wie wirkten sich die Zäsuren von 1933 und 1945 auf die Karrieren der untersuchten Personengruppen in Westfalen und Lippe aus? Worin lagen die Ursachen, dass keine einzige Frau eine der beschriebenen Funktionsstellen bekleidete? Ungeachtet dessen stellt Joachim Lillas Handbuch wertvolle biografische und verwaltungsgeschichtliche Informationen zur Verfügung, die es zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel für die regionalgeschichtliche Forschung machen.

Anmerkungen:
1 Klee, Ernst, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt am Main 2003.
2 Statisten in Uniform: Die Mitglieder des Reichstags 1933-1945. Ein biographisches Handbuch. Unter Einbeziehung der völkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten ab Mai 1924. Bearbeitet v. Joachim Lilla unter Mitarbeit v. Martin Döring und Andreas Schulz, Düsseldorf 2004.
3 Wegmann, Dietrich, Die leitenden staatlichen Verwaltungsbeamten der Provinz Westfalen 1815-1918, Münster 1969; Überschneidungen gab es ferner mit Romeyk, Horst, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816-1945, Düsseldorf 1994.
4 Stelbrink, Wolfgang, Die Kreisleiter der NSDAP in Westfalen und Lippe. Versuch einer Kollektivbiographie mit biographischem Anhang, Münster 2003.

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