A. Paravicini Bagliani: Le monde symbolique de la papauté

Cover
Titel
Le monde symbolique de la papauté. Corps, gestes, images d'Innocent III à Boniface VIII


Autor(en)
Paravicini Bagliani, Agostino
Reihe
Millennio medievale 118. Strumenti e studi 46
Erschienen
Anzahl Seiten
XVIII, 350 S.
Preis
€ 76,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Francesco Massetti, Historisches Seminar, Bergische Universität Wuppertal

Der Sammelband enthält zwanzig neue bzw. neu bearbeitete Aufsätze, in denen Agostino Paravicini Bagliani die in der Monografie Il Corpo del Papa1 begonnene Reflexion fortsetzt, indem er das System der päpstlichen Symbolik und Selbstdarstellung in seiner institutionellen sowie körperlichen Dimension erforscht. Der chronologische Horizont reicht vom Reformpapsttum bis zur Gegenreformation, doch das 13. Jahrhundert bildet den Kern der Betrachtung. Besonders berücksichtigt werden die Pontifikate Innozenz’ III. und Bonifatius’ VIII., die der Autor zu Recht als die wichtigsten Päpste dieser Epoche im Hinblick auf die symbolische Kreativität betrachtet.

Der Band gliedert sich in drei Teile: „Corps“ (S. 1–70), „Gestes et rites“ (S. 71–244) und „Images” (S. 245–330). Der erste Teil beginnt mit einer aufschlussreichen Reflexion über den „Körper der Gewalt” („Le Corps du pape, vingt ans après“). Paravicini Bagliani entwickelt die Grundintuition Kantorowicz’ über die „zwei Körper des Königs“2 weiter, indem er sich nicht auf die Gegenüberstellung zwischen der individuellen persona hominis und der institutionellen persona papae beschränkt, sondern betont, dass auch Letztere als eine „echte Person“ zu verstehen sei, die „rituelle Gesten vornimmt“ (S. 13). Aus dieser Deutungsperspektive, welche die Auswirkungen der Körperlichkeit der Gewalt auf Ordnung und Hierarchie besonders berücksichtigt, wird zunächst die „Medikalisierung“ der päpstlichen Kurie im 13. Jahrhundert thematisiert („Le prestige de la médecine et des médecins à la cour pontificale, d’Innocent III à Boniface VIII”). Das Interesse der Päpste für die Medizin zeigte sich insbesondere in der Berücksichtigung ärztlicher Begutachtungen bei Gerichtsangelegenheiten, im Ansehen und in der zunehmenden Zahl der päpstlichen Ärzte sowie in der regelmäßigen Mobilität der päpstlichen Kurie zur recreatio corporis. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Paravicini Bagliani den Traktaten über die prolongatio vitae, die den Päpsten gewidmet wurden („Quelle prolongation de la vie dans les traités adressés aux pontifes romains (XIIIe–XVIe siècles)“). Roger Bacon gab dafür eine theologische Rechtfertigung, indem er die durch das goldene Elixier zu erreichende equalitas des irdischen Körpers mit der Unverderblichkeit des corpus gloriosum in Verbindung brachte. Das päpstliche Interesse für die prolongatio vitae reichte bis in die Moderne, was insbesondere der Traktat De vita hominis ultra CXX annos protrahenda von Tommaso Rangoni deutlich zeigt („Tommaso Rangoni (1493–1577) et la prolongévité des papes”). In seinem Werk erklärte Rangoni Papst Julius III., wie dieser durch die Mäßigung das Lebensalter von 120 Jahren erreichen und somit die Amtszeit des heiligen Petri (25 Jahre) überschreiten könne.

Der zweite Teil des Bandes, der sich den „Gesten und Riten” widmet, beginnt mit der Betrachtung der ältesten Parodie auf die römische Kurie („La «Garcineida» et le cérémonial de la cour pontificale“). Durch einen sorgfältigen Textvergleich – insbesondere mit dem römischen ordo XI – zeigt Paravicini Bagliani auf, dass der Autor der Garcineida eine „perfekte Kenntnis des zeremoniellen Lebens und der päpstlichen Symbolik“ (S. 89) besaß. Anhand der römischen ordines (XI, XII und XIII) wird zudem im Beitrag „Les festins des papes. Cérémonial et auto-représentation (XIe–XIIIe siècles)“ verdeutlicht, dass die rituellen Festmähler der päpstlichen Kurie die doppelte Dimension des Papstes als dominus Urbis und Stellvertreters Christi betonten. Auf die imitatio christi bei der päpstlichen Eucharistiefeier fokussiert sich der Aufsatz „Le rite pontifical de l’Eucharistie“, der den dauerhaften Einfluss der päpstlichen Ideologie Innozenz’ III. herausarbeitet. Bei der Betrachtung der liturgischen Küsse („Les baisers liturgiques entre papes et cardinaux (XIIIe–XVe siècles)“) wird die doppelte hierarchische Unterscheidung betont, die diese Rituale kennzeichnete: zwischen Papst und Kardinälen sowie zwischen letzteren und den niedrigeren Kurialen.

Im Beitrag „Boniface VIII et le Jubilé de 1300: quelles cérémonies publiques?“ steht die Dialektik zwischen päpstlicher Anwesenheit und Abwesenheit sowie zwischen Inklusion und Exklusion im Mittelpunkt. Während des Jubiläums des Jahres 1300 fanden in Rom nur vier öffentliche Zeremonien statt, darunter zwei im Zusammenhang mit den _processus generale_s, bei denen die päpstlichen Exkommunikationen verkündet wurden. Bonifatius VIII. ist auch der Protagonist des Aufsatzes „Boniface VIII, violence du verbe et émotivité“, in dem Paravicini Bagliani anhand umfangreichen Quellenmaterials aufzeigt, dass Benedetto Caetani sich der Sprach- sowie Gestengewalt nicht nur wegen seines heißen Temperamentes bediente, sondern auch zum Zweck einer bewussten Inszenierung seiner Autorität. Im Beitrag „Le pape est-il peut-il tomber dans l’erreur? A propos du rituel de canonisation au Moyen Âge“ wird die Entwicklung des Rituals der Heiligsprechung zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit betrachtet, in der sich die Tendenz der theologischen Debatte widerspiegelt, die päpstliche Fehlbarkeit bei den Kanonisationsverfahren immer dezidierter auszuschießen. Bei der Untersuchung der Trauerliturgie in der päpstlichen Kurie („Rituels et pratiques funéraires à la Curie romaine. Hiérarchies et prestige curial (XIIIe–XVe siècles)“ wird die innerkuriale Dialektik zwischen Distinktion und Nachahmung in den Vordergrund gestellt. Im Beitrag „Le pape peut-il s’habiller en vert?“ wird schließlich aufgezeigt, dass grüne Gewänder in der päpstlichen Sakristei zwar erst ab dem 19. Jahrhundert nachgewiesen sind, deren Verwendung durch den Papst jedoch schon im 16. Jahrhundert aufgrund ekklesiologischer Argumente verteidigt wurde.

Der den „Bildern“ gewidmete dritte Teil beginnt mit dem Aufsatz „Grégoire VII et l’excommunication. À propos des figures des apôtres Pierre et Paul sur les bulles pontificales“, in dem Paravicini Bagliani zwei symbolische Neuerungen unter dem Pontifikat Gregors. VII, die Darstellung der beiden Apostelfürsten auf dem Papstsiegel und die Abhaltung der processus generales zum Kirchweihfest der Basiliken der hl. Petrus und Paulus, in Verbindung setzt und diese Betonung der römischen Doppelapostolizität als Ausdruck der verstärkten Universalansprüche des Reformpapsttums interpretiert. Im Beitrag „Le pape, «inter deum et hominem constitutus». Autour d’une métaphore de Geoffroy de Vinsauf et d’Innocent III“ steht die innozenzianische Auffassung des Papstes als Vermittler zwischen Gott und Menschen im Mittelpunkt, mit besonderem Bezug auf deren Rezeption in der Poetria nova Galfrids von Vinsauf, der den Papst als nec Deus nec homo bezeichnete. Gegenstand des Aufsatzes „Le cheval blanc du pape. Symbolique et auto-représentation (XIIe–XIIIe siècles)“ ist die beträchtliche Entwicklung der textuellen und ikonographischen Symbolik des päpstlichen Pferdes zwischen den Pontifikaten Alexanders III. und Gregors IX, wobei die Betonung der doppelten Herrschaft über Rom und die Gesamtkirche sowie das Verhältnis zur kaiserlichen Symbolik untersucht werden. Darauf folgt die Behandlung der symbolischen Bedeutung eines weiteren Tiers, des Pfaus („Autour de la tiare aux plumes de paon“). War die Pfauenfeder-Tiara zwar ein Element der päpstlichen imitatio christi, wurde sie jedoch auch polemisch mit den weltlichen Ansprüchen des Papsttums assoziiert. Im folgenden Beitrag („Robert d’Uzès et la symbolique pontificale. La tiare ‚haute une coudée‘ (cubitus)“ zeigt der Autor zudem auf, dass die Tiara, die Innozenz III. als signum imperii bezeichnet hatte, zur Zeit Bonifatius’ VIII. durch die metaphorische Assoziation mit der Arche Noah eher zu einem Symbol der päpstlichen plenitudo potestatis wurde. Einen aufschlussreichen Einblick in das „avignonesische Papsttum“ bietet der Aufsatz „Avignon, une autre Rome?“. War die große Mobilität der Kurie im 13. Jahrhundert eine wesentliche Voraussetzung für ihre dauerhafte Verlegung nach Avignon, bereitete diese allerdings wesentliche Probleme auf der Ebene der Selbstdarstellung, weil sie die traditionell mit Rom verbundene Zentralität und Universalität des Papsttums infrage stellte. Zum Schluss erläutert Paravicini die starke symbolische Bedeutung der Tiere für die päpstliche Symbolik („Animaux et figures identitaires du pape (XIIIe–XVIIe siècles)“3. Insbesondere wurden die radikalen Bilder der papes-animaux sowohl zur Verleumdung und Delegitimierung der Päpste als auch zur Behauptung der päpstlichen Autorität verwendet.

Obwohl die im Band gesammelten Artikel zum großen Teil schon in früheren Publikationen erschienen sind, was einige inhaltliche Überschneidungen erklärt, werden sie nun jedoch in einem neuen Deutungsrahmen eingeordnet, in dem sie die enge Verbindung zwischen plenitudo potestatis und plenitudo sensuum des Papstes mit beispielloser Wirksamkeit verdeutlichen. Insgesamt bietet Paravicini Bagliani eine „Anatomie“ der päpstlichen Gewalt, welche die Auswirkungen ihrer körperlichen bzw. performativen Dimension auf Ordnung und Hierarchie mit größter Akribie untersucht. Dabei wird die ausgeprägte Intertextualität der philologischen Analyse durch die Berücksichtigung von – häufig neu interpretierten – ikonographischen Quellen mit großem Gewinn ergänzt. Hervorzuheben ist zudem, dass die Entwicklung der päpstlichen Symbole und Rituale immer akkurat in die jeweiligen ekklesiologischen, institutionellen sowie soziokulturellen Kontexte eingebettet wird. Zugleich arbeitet der Autor aus einer fruchtbaren longue-durée-Perspektive auch wesentliche Kontinuitätselemente in der päpstlichen Selbstdarstellung, mit besonderem Bezug auf die christomimetische Dimension sowie auf die Dialektik zwischen stadtrömischer und gesamtkirchlicher Gewalt, heraus. Als besonders aufschlussreich erweisen sich schließlich einige Beispiele, wie die „Medialisierung“ der Krankheit von Johannes Paul II., welche die Bedeutung der angebotenen Deutungsparadigmen für das Verständnis zeitgenössischer Phänomene erläutern. Dieser Sammelband soll daher einen unabdingbaren Bezugspunkt für weitere Untersuchungen der päpstlichen Symbolik bieten.

Anmerkungen:
1 Agostino Paravicini Bagliani, Il Corpo del papa, Torino 1994.
2 Ernst Hartwig Kantorowicz, The King's Two Bodies. A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton, NJ 1957.
3 Vgl. Agostino Paravicini Bagliani, Il Bestiario del papa, Torino 2016.

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